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Bereits verlegte Stolpersteine



Markus Rieder * 1870

Averhoffstraße 22 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)


HIER WOHNTE
MARKUS RIEDER
JG. 1870
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Averhoffstraße 22:
Sophie Rieder

Markus Rieder, geb. 17.3.1870 in Szobrancz, Deportation 9.6.1943 nach Theresienstadt, 18.12.1943 nach Auschwitz
Sophie Rieder, geb. Braunschweiger, geb. 9.7.1874 in Hamburg, Deportation 9.6.1943 nach Theresienstadt, 18.12.1943 nach Auschwitz

Averhoffstraße 22

Markus Rieder wurde 1879 im seinerzeit österreichisch-ungarischen Szobrancz geboren, einem Kurort bei Ungvár im Dreiländereck zwischen Ungarn, der Ukraine und der Slowakei. Nach 1918 gehörte das Gebiet zur Tschechoslowakei, heute zur Ukraine. Seine Eltern waren Joseph Ridder und Rachel, geb. Goldenberg. Infolge des seit Mitte der 1870er Jahre in Ungarn zunehmenden Antisemitismus verließen viele jüdische Familien das Land. Um 1889 kamen Markus Rieder und weitere Familienangehörige nach Norddeutschland. Er hatte das Schuhmacherhandwerk erlernt und war in diesem Beruf in Hamburg tätig, wo er bald sein erstes kleines Geschäft am Neuen Steinweg 32 eröffnete.

1895 heiratete er Sophie, die am 9. Juli 1874 als Kind der jüdischen Eheleute Louis Braun­schweiger und Betty, geb. Benjamin, in Hamburg zur Welt gekommen war. Markus und Sophie Rieder hatten drei Kinder: Grete Recha wurde am 2. Juni 1897 geboren, ihr folgten die Brü­der James am 7. Mai 1899 und Max am 31. Dezember 1901. Die Familie bewohnte ein eigenes Haus in der Johnsallee 20. Markus Rieder war fleißig, geschäftstüchtig und erfolgreich. Zu Beginn des neuen Jahr­hun­derts hatte er die Kette "M. Rieder" mit mehreren Schuhläden aufgebaut, Schuhe von Rieder wurden ein Markenzeichen. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wollte sich Markus Rieder, durch langjährige harte Arbeit in seiner Gesundheit beeinträchtigt, als 50-Jähriger aus dem Geschäft zurückziehen und von den Zinsen seines Ersparten leben. Einige Läden wurden an neue Inhaber verpachtet. Die Inflation zu Beginn der zwanziger Jahre änderte jedoch alle Pläne, da er einen beträchtlichen Teil seines Vermögens verlor.

Dies veranlasste ihn zu einem Neubeginn. In kurzer Zeit gelang es ihm mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten, den neuen Schuhwarenhandel Rieder&Sohn zu etablieren, die Geschäfte gehörten zu den größten der Stadt. Eine Filiale in der Lappenbergsallee, Eimsbüttel, wurde von seinem Schwieger­sohn Julius Mamelok geführt und später übernommen. Die Hauptfilialen lagen in der Ham­burger Straße 164 und in der Bramfelder Straße 23 in Barmbek, außerdem gab es Geschäfte am Schulterblatt, am Neuen Steinweg, in Glückstadt und Itzehoe, das von einem Verwand­ten Markus Rieders geleitet wurde, Aaron und seiner Frau Giska Rieder. Aarons älterer Bruder Simon Rieder leitete das Schuhgeschäft S. Rieder in Hamburg, Fruchtallee 45, wo auch Julius Mamelok als Geschäftsführer tätig war, bevor er zur Filiale von Markus Rieder&Sohn in die Lappenbergsallee wechselte.

Marcus und Sophie Rieder hatten ihr bisheriges Wohnhaus in der Johnsallee ab 1932 vermietet und waren seither in Uhlenhorst in der Averhoffstraße 22 gemeldet.

Grete Recha, einzige Tochter der Familie, heiratete 1920 Julius Mamelok. Er wurde am 27. Mai 1884 in Freystadt/Westpreußen geboren als Sohn von Nathan Mamelok und Rahel, geb. Mar­­cus. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete er vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin als Abteilungsleiter und Einkäufer und kam nach vier Frontdienstjahren 1918 nach Ham­­burg. Er und Recha heirateten, sie wohnten zu Beginn der Ehe im Haus von Rechas Eltern in der Johns­allee 20 in Harvestehude, wo ihr einziger Sohn Hans Norbert am 11. Mai 1921 geboren wurde. Später wohnte die Familie im Stellinger Weg 4 in Eimsbüttel. Julius Mame­loks Ge­schäft wurde 1938 "arisiert", der Erlös lag unter seinen finanziellen Ver­bind­lich­keiten, er sollte 13699,60 RM betragen und auf ein Sonderkonto eingezahlt wer­den. Am 12.Ja­nuar 1939 schrieb Julius an den Oberfinanzpräsidenten: "Ich habe mein Geschäft an Herrn Hans-Chris­tian Hermann verkauft. Ich bitte gefl. um Genehmigung der Auszahlung, da ich meinen Ver­pflich­tungen nachkommen muss." Es folgt der Zusatz: "Bemerke noch, daß ich 54 Jahre alt bin und eine Auswanderung für mich ... nicht in Frage kommt, zumal ich leidend bin."

Die Familie war nun nahezu mittellos und musste von den Eltern/Schwiegereltern Rieder unterstützt werden. Nach Kündigung der Wohnung im Stellinger Weg zogen sie in angemietete Zimmer im Hause Mundsburger Damm 28, unweit von Rechas Eltern in der Aver­hoff­straße 22. Eine Auswanderung wurde zwar von Julius und Recha Mamelok nicht angestrebt, doch für den Sohn Hans konnte im Frühjahr 1939 mit Hilfe der Großeltern eine Schiffs­pas­sage nach Shanghai organisiert werden, der 18-Jährige begab sich allein auf die Reise.

Rechas Bruder James Rieder hatte bis 1914 die Talmud Tora Schule besucht und eine zweijährige Lehrzeit in der Schuhfabrik Th. Müller+Co. in Frankfurt absolviert. Zurück in Ham­burg, übernahm er Aufgaben im väterlichen Geschäft und leistete dann 1917 bis 1919 seinen Mili­tärdienst an der Front. Anschließend wurde er Teilhaber in der großen Filiale Ham­­burger Straße 164, Ecke Volksdorfer Straße. Er war verheiratet mit Alice, die ihm drei Kinder schenkte: Werner, Eva und Ellen. Die Familie wohnte in der Hansastraße 78, Rother­baum.

Max, der Jüngste der Geschwister, besuchte die Talmud Thora Schule bis zum "Einjährigen" (mitt­lere Reife). Er absolvierte im Betrieb des Vaters eine kaufmännische Ausbildung, sammelte in anderen Firmen außerhalb Hamburgs Erfahrungen in Leitungspositionen und war nach seiner Rückkehr wieder in der Fa. Rieder&Sohn tätig. In Barmbek baute er eine große Schuhreparaturwerkstatt mit auf. Er hatte ebenfalls geheiratet, seine Frau hieß Ruth, geb. am 2. Dezember 1909, beide wohnten in der Hufnerstraße 42.
Bis zu Beginn der dreißiger Jahre florierten die Geschäfte, die Firma hatte zu dieser Zeit einen Gesamtumsatz von knapp einer Million RM, das Vermögen Markus Rieders wurde auf 200000 RM beziffert. Mit Beginn des Boykotts und der Verfolgungen durch immer ein­engendere Gesetze und Verordnungen ging der Umsatz zurück, obgleich die Qualität der Ware weiter einen größeren Kundenstamm sicherte.
Der Gedanke an Verkauf und Auswanderung war für Geschäftsleute schon zu Beginn des "Drit­ten Reiches" äußerst unattraktiv, weil damit hohe Steuern und Zwangsabgaben verbunden waren.

Die "Reichsfluchtsteuer" stieg ab 1933 fortlaufend an, wer zwecks Aus­wan­derung Geld transferieren wollte, musste dies als "Auswanderersperrguthaben" beim Um­tausch von Devisen an die Deutsche Golddiskontbank entrichten mit Abschlägen von 65 Pro­zent bereits im Jahr 1934, die im Juni 1938 auf 90 Prozent und Ende 1939 auf 96 Prozent anstiegen. Vielleicht spielte zunächst auch noch die Illusion einer Veränderung der politischen Verhältnisse eine Rolle. Viele zögerten jedenfalls, rechtzeitig Konsequenzen zu ziehen.

Die zunehmend bedrohlichere Situation raubte jedoch alle Zukunftsperspektiven und veranlasste zunächst die Familien von Max und James Rieder, eine Emigration in die Wege zu leiten. Der NS-Staat wollte die wirtschaftliche Vernichtung von Existenzen durch die "Arisie­rung" jüdischer Geschäfte bis Ende 1938 abschließen, auch Firma Rieder&Sohn war ge­­zwungen, sich nach einem "politisch zuverlässigen" Käufer umzusehen.

Max und Ruth Rieder hatten als erste alle Bescheinigungen für die Auswanderung bei­sam­men, er und seine Frau erwarteten gerade das erste Kind. Am 12. Juli 1938 reiste Max jedoch allein nach Australien, um die Ankunft der übrigen Familie vorzubereiten. Ruth litt an Schwan­­gerschaftskomplikationen und sollte zunächst bis zur Geburt des Kindes in Hamburg bleiben. Sie wohnte, da die Wohnung bereits aufgelöst war, vorübergehend im Stellinger Weg in Eims­büttel bei Familie Mamelok und nach deren Umzug an den Mundsburger Damm bei den Schwie­gereltern in der Averhoffstraße.

Die Emigration der Familie James Rieders war ebenfalls eingeleitet. Als Mitinhaber der Firma war er vor Ausstellung aller erforderlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen zusätzlichen Prü­fungen seitens der Finanzbehörden, Zoll- und Devisenfahndungen, Banken und übrigen eingeschalteten Behörden unterworfen. 1936 war seine jüngste Tochter Ellen zur Welt ge­kom­­men, Sohn Werner im Jahre 1923 und Tochter Eva 1926. Die Zukunft der Kinder zu sichern war in den meisten jüdischen Familien eines der wichtigsten Anliegen, oft wurden sie vorausgeschickt oder irgendwie außer Landes gebracht, wie auch Hans Norbert Mamelok. James und Alice Rieder gelang es, gemeinsam mit den Kindern im September 1938 über Rot­terdam und London nach Melbourne in Australien auszuwandern. Bis September 1938 durfte eine vierköpfige jüdische Familie maximal 50000 RM ins Ausland transferieren bei Kurs­ver­lusten bis zu 70 Prozent, danach verschlechterten sich die Kurse weiter. Zwangs­ab­gaben, Transportkosten, Schiffspassagen, Sonderabgaben für Freigabe von Umzugsgut verschlangen die Mittel von James Rieder, am Ende blieben 3000 RM übrig, die er seiner Schwes­ter Recha überließ. Um an 200 australische Pfund zu gelangen, die er bei der Ein­wan­derung in Aus­tra­lien vorzuweisen hatte, war er zur Auflösung seiner Lebensversicherung gezwungen.

Das Auswanderungsbegehren der Söhne führte zur Überwachung von Markus und Sophie Rieder. In einer Notiz des zuständigen Polizeireviers an die Devisenfahndung wurde mitgeteilt, es habe "nicht den Anschein, daß R. auswandern will, der gesamte Hausrat ist noch vorhanden. Unterhält noch ein Schuhgeschäft in der Hamburger Straße. Beide besitzen seit Jahren Reisepässe."

Beamte des Oberfinanzpräsidiums, Devisenstelle, legten am 15. Juli 1938 folgende Akten­notiz an: "... stelle anheim, eine Sicherungsanordnung zu erlassen". Darunter die An­mer­kung "Das Auswanderungsverfahren wird noch nicht eingeleitet." Am 20. Juli heißt es: "Wie ich erfahre, hat der Schuhwarenhändler Markus Rieder ... die Absicht, sein Geschäft in der Hamburger Straße zu verkaufen. Da R. Jude ist und sein Sohn bereits ausgewandert ist, ist anzunehmen, daß er und seine Ehefrau gleichfalls auswandern werden. R. besitzt die tsche­chische Staatsangehörigkeit. Nach Mitteilung des Finanzamts Hamburg Barmbeck ... hat das Vermögen der Rieders am 1.1.1935 RM 117000 und das Einkommen 1927 RM 22632,– betragen. .... prüfen, ob Maßnahmen gem. § 37a Dev. zu treffen sind." Die Zoll­fahn­dungs­stelle schrieb am 27. Juli: "Da James Rieder bereits seine Auswanderung betreibt, muss­ten auch gegen seinen Vater vorläufige Sicherungsanordnungen getroffen werden, um einer mög­lichen Kapitalflucht entgegen zu steuern." Weiter sei es zur Erteilung der Unbe­denk­lich­keits­bescheinigung an James Rieder notwendig, von ihm "den einwandfreien Nach­weis über die Ver­wendung der aus dem Geschäft stammenden Mittel zu fordern, um einer möglichen Kapi­talflucht auf die Spur zu kommen." Das gesamte Vermögen von Markus Rieder wurde vorläufig sichergestellt.

Am 22. August 1938 "...erscheint Frau Sophie Rieder, geb. Braunschweiger, und erklärt, daß ihr Mann krankheitshalber nicht erscheinen kann." Sophie Rieder stellte künftig mit Voll­macht Ihres Mannes Markus notwendige Anträge und tätigte Geschäfte. Markus Rieders Ge­sundheitszustand hatte sich verschlechtert, er war jetzt 68 Jahre alt. In einem späteren Wiedergutmachungsverfahren wird von einer familiären Belastung im Zusammenhang mit Herzerkrankungen gesprochen. Das Kesseltreiben gegen jüdische Mitmenschen spitzte sich 1938 dramatisch zu, Angst vor der Zukunft, um die Kinder, um Verlust der Früchte einer Lebensarbeit und der Wahlheimat lieferten viele Gründe für unerträgliche Belastungen für alle Betroffenen.

Am 17. September traf eine Genehmigung über Ver­fügung von Grundstücken ein, die ver­­kauft/ "arisiert" werden mussten. Ein Schuh­geschäft M. Rie­der, Inha­ber Joseph Leva am Neuen Stein­weg 1–3 stand auf der Liste jüdischer Ge­schäfte, die aufgelöst werden sollten. Es ging um die Liegenschaften am neuen Stein­­weg 20 in Hamburg (Sophies Geburtshaus) am Sandberg 11 in Itze­hoe und an der Großen Deich­stra­ße 15 in Glück­stadt. Ver­­kaufserlöse waren auf das Sperr­­­­kon­to einzuzahlen, gleiches galt für Hypo­­the­ken­for­de­rungen und Wertpapiere. "Über das Wa­ren­la­ger darf nur im Rah­men des laufenden Einzel­han­dels ver­fügt werden." Als Inte­res­­­sen­­ten aus der Schuhbran­che für den Kauf der Ge­schäfte und das dazugehörige Wa­ren­lager in Barmbek traten Michael und Her­­- mann Citreck mit Ge­schäfts­adresse in der Mo­zart­straße 26–28 auf. Am 31. Oktober 1938 kam der Kauf zustande, der Erlös von 105000 RM wurde dem Sperr­konto gutgeschrieben, die Schuhgeschäfte Rieder unter dem Namen Citreck neu eröffnet. Das Gebäude Hamburger Straße 164 existierte nur noch bis zur Zer­störung am 27. Juli 1942 durch Bom­ben­an­griffe, ein Jahr später bei den "Gomorrha"-An­­grif­fen traf es auch die Bram­felder Stra­ße 23.

Ruth Rieders Gesundheits­zu­stand führ­te schließlich zur sta­tionären Auf­nah­me im Israe­l­­i­­ti­schen Krankenhaus. Kurz vor der Entbindung musste sie das Kran­­kenhaus verlassen, im An­schluss an die Pogromnacht vom 9. November gab es Ver­haf­­tungen von Ärzten und Pfle­­gekräften durch die Gesta­po. Ein­zig das katholische Marienkran­ken­haus war bereit, die Patientin aufzunehmen, nachdem sie zuvor mehrere Abweisungen erlebt hatte. Am 17.No­vember 1938 wurde Ruth von ihrem ers­ten Kind entbunden, im Januar 1939 konnte sie mit ihm dem Ehemann nach Aus­tralien folgen, da die Reise genehmigt und wegen der Kom­pli­kationen nur aufgeschoben war.

Für Markus und Sophie Rieder war ein Verbleib in Deutschland nun auch nicht länger denkbar. Sie strebten den schnellstmöglichen Abschluss aller Geschäfte an – die Grundstücke wurden zur Belastung – und stellten Auswanderungsanträge, um ebenfalls nach Australien zu gelangen. Für die Tochter wurde ein Sperrkonto eingerichtet und eine Genehmigung für den Transfer von 23000 RM als Geschenk eingeholt. Recha durfte laut Sicherheitsverord­nung über einen monatlichen Freibetrag von zunächst 400, später 300 RM von diesem Konto verfügen.

Das Genehmigungsverfahren für Markus und Sophie zog sich hin, während hohe Zwangs­abgaben wie Judenvermögensabgaben, Reichsfluchtsteuer, Auswanderungsabgaben die Erspar­nisse schwinden ließen. Es existieren viele Belege über Anschaffungen für die Auswanderung, Transportkosten, Frachtgut, Beratungsgebühren. Am 29. Juli 1939 stellte das "Welt­reisebüro" eine Quittung für Schiffspassagen und zwei Fahrkarten Hamburg–London aus, doch der Kriegsbeginn verhinderte die Reise.

Ende Oktober 1939 teilte der Oberfinanzpräsident eine Minderung des monatlichen Frei­be­trags auf 550 RM für das Ehepaar Rieder mit, das sich entschloss, die Wohnung in der Aver­hoffstraße aufzugeben. Ein großer Teil des Mobiliars wurde als Umzugsgut verpackt und im Freihafen gelagert. Im Januar 1940 teilten die Rieders den Behörden ihre neue Adresse in der Haynstraße 5 mit. Inzwischen warteten sie auf Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die sich u.a. wegen vorgeblicher Unklarheiten und Zuständigkeiten bezüglich der Grund­stücks­ver­käufe in Hamburg und Schleswig-Holstein verzögerten. Zu Spottpreisen hatten die Grund­stücke Käufer gefunden, das Wohnhaus in der Johnsallee übernahm der Zahnarzt und bisherige Mieter Carl Koopmann.

Das Ehepaar änderte noch zweimal seine Adresse. Von der Haynstraße zog es in das May-Stift, Bogenstraße 25, von dort in ein "Judenhaus" in der Dillstraße 13; die letzte Unterkunft war ein weiteres "Judenhaus" in der Beneckestraße 2. Ab 19. September 1941 mussten auch Mar­kus und Sophie Rieder den gelben Stern tragen. Im Oktober erfolgte die Depor­tation ihrer Tochter Recha und des Schwiegersohnes Julius Mamelok. Knapp zwei Jahre nach deren Verschwinden ereilte sie der eigene Deportationsbefehl. Auf Zwang der Gestapo mussten sie noch einen "Heim­einkaufsvertrag" unterschreiben und bezahlen, bevor am 9. Juni 1943 die Deportation ins "Vorzeigelager" Theresienstadt stattfand, von dort am 18. De­zem­ber 1943 ins Ver­nich­tungs­lager Auschwitz. Sophie und Markus Rieder galten nach Kriegsende als verschollen und wurden 1951 vom Amtsgericht Hamburg mit Datum 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Für die Tochter und den Schwiegersohn kam der Deportationsbefehl schon 1941. Wie Agnes und Iwan Schumacher wurden sie laut Anordnung der geheimen Staatspolizei, Leitstelle Hamburg, mit dem Transport am 25. Oktober 1941 ins Getto Lodz verbracht. Mit dem 10.Mai 1942 ist ihre Weiterdeportation ins Vernichtungslager Chelmno dokumentiert, da­nach galten sie als verschollen.

Nach 812 Tagen im Getto Shanghai erlebte Hans Mamelok die Befreiung durch die Ameri­kaner am 3. September 1945. Er litt allerdings zeitlebens unter den Folgen einer unzureichend behandelten Amöbenruhr. Von Shanghai aus gelang ihm mit Hilfe seines Onkels James dann die Überfahrt nach Australien, wo die Brüder seiner Mutter, Max und James Rieder, seit 1938 mit ihren Familien den Holocaust überlebt haben. Hans ließ sich später in St. Kilda, Victoria, nieder. Erst durch die Verwandten erfuhr er vom Schicksal seiner Eltern und Großeltern.

James und Max Rieder mit Familien versuchten in Australien unter schwierigen Bedingungen, neue Existenzen aufzubauen. Über Max, der eine Arbeit als Schuhmacher gefunden hatte, und James Rieder, der als Chemiearbeiter tätig war, wissen wir aus den Wiedergut­ma­chungsakten, dass ihre Gesundheit stark angegriffen war. Beide Brüder waren schwer herzkrank und deshalb erwerbsgemindert, Max starb 1960 mit 58 Jahren an Herzversagen, Ursache Coronarverschluss, sein Bruder James hatte 1955 einen Hinterwandinfarkt, litt an Coronarsklerose und Angina Pectoris. Ähnliche Diagnosen traten häufig bei überlebenden Nachkommen auf, es kann wohl angenommen werden, dass Verluste, Trauer und Ver­zweif­lung einen nicht geringen Anteil an den Krankheitsentwicklungen hatten.

Simon Rieder betrieb seine Auswanderung frühzeitig, ihm und seiner Familie gelang 1937 die Emigration in die USA. Aaron Rieder aus Itzehoe mit Frau und zwei Töchtern sowie drei seiner Brüder und weitere sechs Kinder sind in Auschwitz ermordet worden.

Sophie Rieder, geb. Braunschweiger, war eine Verwandte von Agnes Schumacher, geb. Braun­schweiger, die mit ihrem Ehemann Iwan 1941 nach Lodz verschleppt worden und dort um­ge­­kommen ist. Stolpersteine für Recha und Julius Mamelok sollen im Stellinger Weg/Eims­büttel verlegt werden.

© Erika Draeger

Quellen: 1; 2; 5; 7; 8; StaHH 314-15, OFP, R 1938/1059; StaHH 314-15, OFP, R 1939/204; StaHH 314-15, OFP, R 1938/204; StaHH 332-3, A 181; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 2482 Rieder, Sophie; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 24.08.09 Rieder, Max; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 07.05.99 Rieder, James; StaHH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, E 11.05.21 Mamelok, Hans Norbert; Bajohr: "Arisierung in Hamburg", S. 153ff, S.369; Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 25ff, S. 42–74; Brunswig: Feuersturm über Hamburg, S. 248ff; Galerie Morgenland: "Wo Wurzeln waren...", S. 114ff.; König: "... wohl nach Amerika oder Palästina ausgewandert", http://www.akens.org/akens/texte/info/ 29/3.html Zugriff am 4.10.2009.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Linke "Recherche und Quellen".

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