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Bereits verlegte Stolpersteine



Nina Müller
© Initiative Gedenken in Harburg

Nina Müller * 1921

Falkenbergsweg 62 (Harburg, Neugraben-Fischbek)


HIER ARBEITETE
NINA MÜLLER
JG. 1921
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
1944 NEUENGAMME
TOT 17.4.1945
BERGEN-BELSEN

Weitere Stolpersteine in Falkenbergsweg 62:
Anna Dawidowicz, Erika Dawidowicz, Ruth Frischmannova, Zuzana Glaserová, Elisabeth Polach, Alice Weilova, Lili Wertheimer

Nina Müller, geb. am 23.8.1921 in Prag, von Theresienstadt mehrfach weiterdeportiert, umgekommen im KZ Bergen-Belsen am 17.4.1945

Stadtteil Neugraben, Falkenbergsweg 62

Der Ort, im dem Margarethe Meissl als Kind jüdischer Eltern geboren wurde, gehörte in ihren ersten Lebensjahren noch zum Kaiserreich Österreich-Ungarn. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er offiziell in Vyšehorovíce umbenannt. Die Anfänge des tschechoslowakischen Staates erlebte die junge Frau nach 1918 mit ihrem Mann Karl Müller (geb. 21.5.1883) in der neuen Hauptstadt Prag, wo dieser eine Anwaltskanzlei leitete. Er stammte aus einer jüdischen Familie in Horschitz (heute: Hoˇrice v Podkrkonoši) und musste sich erst langsam an das andere Leben in der Goldenen Stadt an der Moldau gewöhnen, in der nach dem Ersten Weltkrieg die beiden Töchter Nina und Melitta (geb. 27.4. 1927) aufwuchsen. Auf ihrem Werdegang wurden sie von einer Gouvernante begleitet. Wer weiß, dass hinter den Kulissen außerdem noch eine Köchin und ein Hausmädchen tätig waren, kann sich ungefähr vorstellen, welchen Lebensstil diese Familie pflegte.

Die Schwestern besuchten eines der vielen deutschen Gymnasien der Stadt und konnten sich auf Deutsch ebenso gut verständigen wie in ihrer tschechischen Muttersprache. Nina lernte in der Schule außerdem Englisch. Im Sommer 1937 belegte sie einen Ferienkurs in Großbritannien, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. In ihrer Freizeit spielte sie gern Tennis und hatte viel Spaß am Tanzen.

Das Glück der Familie zerbrach 1939. Zunächst erkrankte Nina Müller im Januar schwer. Sechs Wochen lang kämpften die Ärzte um das Leben ihrer jungen Patientin. Kaum war sie halbwegs genesen, da besetzte die deutsche Wehrmacht das Land.

Als Jude musste ihr Vater wenig später seine Kanzlei räumen und einem "arischen" Nachfolger übergeben. Bald darauf wurde die große Wohnung, in der die Familie jahrelang gelebt hatte, zu teuer, und der Umzug in eine wesentlich kleinere, die mit einer anderen Familie geteilt werden musste, unvermeidlich. Nina Müller wurde nach ihrem Abitur nicht zum Chemiestudium zugelassen. Mit Glück fand sie noch eine Beschäftigung als Kosmetikerin in einem Salon, bis sie auch dort eines Tages "unerwünscht" war. Ihre Schwester Melitta wurde im Sommer 1939 vom weiteren Besuch ihrer Schule ausgeschlossen. Anfangs gelang es ihren Eltern noch, Privatstunden für sie zu organisieren, bis auch damit Schluss war. Neben den beruflichen Möglichkeiten wurde auch der Freizeitbereich der tschechischen Jüdinnen und Juden immer weiter eingeengt. Sie durften weder Konzerte und Theateraufführungen besuchen, noch Schwimmhallen und Kinos betreten. Gleichzeitig wurde ihre Bewegungsfreiheit zunehmend eingeschränkt.

Bald wurde ihnen nicht nur das Betreten öffentlicher Parkanlagen und der Zugang zu nahe gelegenen Wäldern verwehrt, sondern auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und das Verlassen ihres Wohnortes verboten. Private Schmuckgegenstände und Kunstwerke wurden ebenso konfisziert wie häusliche Radiogeräte und Telefonapparate. Nachdem ihre Pässe mit einem "J" versehen worden waren, mussten Karl, Margarethe, Nina und Melitta Müller ab September 1941 ihre Kleidung in der Öffentlichkeit deutlich sichtbar mit dem "Gelben Stern" kennzeichnen.

Während der Umbau der alten Garnisonsstadt Terezin in ein Getto noch in vollem Gange war, trafen bereits die ersten großen Transporte mit Jüdinnen und Juden aus Prag in den Festungsanlagen ein. Am 2. Juli 1942 wurden auch Karl und Margarethe Müller mit ihren beiden Töchtern nach Theresienstadt verschleppt. Dort kamen sie in einer der verfallenen Kasernen unter. Der ständige Hunger hinterließ tiefe Spuren. Auch die Arbeitsbedingungen, denen die Eltern und die Kinder an ihren täglichen Arbeitsplätzen in den Holzwerkstätten, in der Glimmerspaltung und in der Landwirtschaft ausgesetzt waren, zehrten an ihrer Gesundheit. Das galt besonders für Nina Müller, die bald häufiger krank als gesund war. Doch Theresienstadt war für die vierköpfige Familie nur eine Zwischenstation. Am 18. Dezember 1943 wurden Karl, Margarethe, Nina und Melitta Müller in das große Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Am stärksten hatte Karl Müller unter den unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen an diesem Ort zu leiden. Am 17. Februar 1944 starb er an einer Lungenentzündung.

Fünf Monate später wurden über 7000 tschechische Jüdinnen und Juden aus Theresienstadt in die Gaskammern getrieben, nachdem die noch Arbeitsfähigen, zu denen auch Margarethe, Nina und Melitta Müller gehörten, vorher aussortiert worden waren. Die drei Frauen trafen im Juli 1944 mit 997 anderen weiblichen Häftlingen im Außenlager des KZs Neuengamme, am Dessauer Ufer im Hamburger Hafen ein, wo sie zu Aufräumarbeiten eingesetzt wurden. Dabei zog Margarethe Müller sich nach wenigen Tagen eine Blutvergiftung zu, die viel zu spät und völlig unzureichend behandelt wurde. Hilflos mussten Nina und Melitta Müller mit ansehen, wie ihre Mutter mehr und mehr von Schmerzen zermürbt wurde und am 27. Juli 1944 für immer die Augen schloss.

Zwei Monate später wurden Nina und Melitta zusammen mit 498 Mädchen und Frauen in das KZ Außenlager Neugraben am Falkenbergsweg im Süden Hamburgs verlegt. In diesem Außenkommando, das ebenfalls dem KZ Neuengamme unterstand, waren sie mit der Produktion von Fertigbauteilen und mit Erdarbeiten im Zuge der Errichtung einer Plattenhaussiedlung befasst. Zwischenzeitlich mussten sie auch bei Aufräumarbeiten, im Winterdienst und bei der Fertigstellung eines Panzergrabens mithelfen.

Die nächste Station ihres Leidensweges war das Außenlager Tiefstack, wo Nina Müller bei einem Bombenangriff schwer verwundet wurde. Im Verlauf der Räumung aller Außenstellen des KZs Neuengamme gelangte sie mit ihrer Schwester im April 1945 in das Lager Bergen-Belsen, obwohl sie im Grunde gar nicht transportfähig war.

In diesem Inferno starb Nina am 17. April 1945, zwei Tage nachdem die Bewacher das Feld geräumt hatten. Ihre 17-jährige Schwester kehrte als Waise in die Heimat zurück.

© Klaus Möller

Quellen: 8; Liste der Bewohner des Lagers Theresienstadt, Theresienstädter Gedenkbuch; Schriftliche und mündliche Mitteilungen Melitta Steins, geb. Müller, vom 23.8.2010, 27.12.2010, 9.1.2011, 18.1.2011; Czech, Kalendarium, 2. Auflage; Oprach, Judenpolitik.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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