Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Gerda Möller
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Gerda Möller * 1913

Angelnstraße 2 (Hamburg-Nord, Dulsberg)


HIER WOHNTE
GERDA MÖLLER
JG. 1913
EINGEWIESEN 16.8.1943
’HEILANSTALT’
STEINHOF / WIEN
ERMORDET 8.7.1944

Gerda Möller, geb. 1.5.1913 in Hamburg, gestorben in der Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien am 8.7.1944

Angelnstraße 2

Gerda wurde als jüngstes von vier Kindern geboren. Sie war Halbwaise. Ihr Vater, der Postbote Hans Möller, starb im Ersten Weltkrieg. Die Mutter, Olga Möller, geb. Ditz, wohnte zusammen mit den Kindern zumindest bis 1940 bei der Großmutter auf dem Dulsberg. Hier hat auch Gerda gewohnt, bis sie nach einem dreimonatigen Aufenthalt in der damaligen Staatskrankenanstalt Friedrichsberg am 30. Juli 1935 im Alter von 22 Jahren in die Alsterdorfer Anstalten (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen wurde.

In ihrer frühen Kindheit hatte Gerda keine ungewöhnlichen Krankheiten. Sie lernte etwas später als andere laufen und sprechen. Doch mit fünf Jahren erkrankte sie an Gehirnhautentzündung, eine Krankheit, die ihr gesamtes weiteres Leben beeinflussen sollte. In ihrer Krankenakte wird berichtet, sie sei "nachher immer etwas kindlich geblieben, aber nicht gefährlich". Später wurde als Folge der Gehirnhautentzündung eine geistige Behinderung und "Pfropfschizophrenie" diagnostiziert, in der damaligen Medizin eine Trivialbezeichnung für das Vorkommen einer Schizophrenie bei Patienten mit "Minderbegabung".

Gerda besuchte zunächst die Volksschule, dann bis zum 14. Lebensjahr die damalige Hilfsschule, anschließend die Fortbildungsschule (vergleichbar etwa den heutigen gewerblichen Fachschulen).

Entweder im Januar 1935 oder 1936 wurde Gerda auf der Grundlage eines Beschlusses des damaligen Erbgesundheitsgerichtes im "Allgemeinen Krankenhaus Barmbeck" zwangssterilisiert.

Grundlage der Entscheidung des "Erbgesundheitsgerichts" war das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933. Dieses Gesetz ermöglichte es, dass Personen "durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine (ihre) Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden."

In den Ausführungskommentaren zu diesem Gesetz verstieg man sich zu der Feststellung, wer körperlich und geistig nicht gesund und "würdig" sei, dürfe sein Leid und seine Anomalien nicht in Form eines Kindes weitergeben. Entschlossener Wille der Gesetzgebung sei es, den "Volkskörper zu reinigen" und "krankhafte Erbanlagen auszumerzen", eine "Auslese nach Leistung" habe stattzufinden. "Erbkranke", die an "angeborenem Schwachsinn" litten, seien zu sterilisieren. Dessen verdächtig waren Personen, die ihren Unterhalt nicht "in einem geordneten Berufsleben" verdienen und sich nicht sozial einfügen. Wer nur ständig "gleichmäßig wiederkehrende Arbeiten kann", stehe ebenfalls im Verdacht. Besonders verdächtig seien Hilfsschüler, Kennzeichen von erblichem Schwachsinn seien Frühkriminalität, Konflikte mit Schule und Polizei sowie Kritiklosigkeit gegenüber Beeinflussungen. Das Erbgesundheitsgericht Hamburg setzte für jeden Vorgeladenen eine Verhandlungsdauer von etwa fünf Minuten an. Ungefähr 400000 Menschen wurden in Deutschland zwischen 1934 und 1945 zwangssterilisiert.

In Alsterdorf wurde Gerda Möller nach anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten als "hilfsbereit" beschrieben. Sie "macht kleine Handreichungen, spielt sehr nett mit den kleineren Mitpatienten. Ihre Körperpflege kann sie unter Aufsicht selbst besorgen." (1937/1938).

Ihr Leben in Alsterdorf wechselte zwischen unruhigen Phasen mit verminderter Selbstständigkeit und solchen, in denen sie als hilfsbereit, anhänglich und ruhig beschrieben wurde. Im März 1943 fand sich folgender Eintrag in der Krankenakte:
"Pat.[ientin] braucht bei der Körperpflege Hilfe. Nach Anleitung kann sie kleine Hilfeleistungen bei der Hausarbeit tun. Im Wesen ist sie ganz kindlich, spielt gern mit Puppen. Nachts hat sie eine Schutzjacke an, weil sie sich selbst kratzt. Sie ist immer verträglich und vergnügt, hat guten Appetit."

Gerda Möllers Mutter hatte zwischenzeitlich den Kohlenhändler Otto Schmidt geheiratet und hieß nun Olga Schmidt. Beide, Gerdas Mutter und der Stiefvater, waren fortlaufend um Gerda besorgt. Noch in den Akten vorhanden ist die Bitte von Frau Schmidt, ihre Tochter zu deren 26. Geburtstag am 1. Mai 1939 zu beurlauben.

Am 16. August 1943 wurde Gerda Möller mit dem letzten großen Transport aus den Alsterdorfer Anstalten nach Wien gebracht, und zwar zusammen mit weiteren 228 Mädchen und Frauen mittleren und hohen Alters, vielen Kindern mit schweren geistigen oder auch nur körperlichen Behinderungen sowie 72 häufig älteren, teils bombenverwirrten, teils siechen Frau­en aus Langenhorn, darunter fünf Frauen über 80 Jahre alt. Michael Wunder berichtete: "Ende Juli/ Anfang August erfolgten die schweren Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg ("Operation Gomorrha"). Während die ersten Angriffe am 24./25.7. und 27./28.7. keinen Schaden in den Alsterdorfer Anstalten anrichteten, erlitten die Anstalten in der Nacht vom 29./30.7.1943 und dann noch einmal vom 3./4.8.1943 schwere Schäden. Für ein paar Tage musste die Anstalt Hunderte von Obdachlosen sowie ca. 200 Bombenverletzte aufnehmen. Am 30.7.1943 nahm Pastor Lensch Kontakt zur Gesundheitsbehörde auf und bat um den Abtransport von rd. 750 Anstaltsinsassen." Pastor Friedrich Lensch, der es im Laufe des Krieges bis zum Oberscharführer der SA brachte, amtierte seit 14. September 1930 als Direktor der Alsterdorfer Anstalten.

In mehreren Transporten am 7. August, am 11. August und am 16. August 1943 wurden insgesamt 468 Kinder, Frauen und Männer in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein, die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" im Rheingau, die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und die "Landesheil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke am Steinhof" in Wien gebracht. Transportiert wurden sie mit den grauen Bussen der Gemeinnützigen Krankentransport GmbH (kurz: Gekrat) mit dunkel verhangenen oder überstrichenen Scheiben, damit die Opfer nicht hinausschauen konnten und die Bevölkerung der Ortschaften, durch die die Busse fuhren, die Opfer nicht sehen konnte.

Die Busse des Transportes nach Wien fuhren am 16. August 1943 in Alsterdorf los. Noch in Hamburg stiegen die Menschen in Eisenbahnwaggons um, in denen sie am 17. August Wien erreichten.

Erst auf Nachfrage der Mutter Olga Schmidt teilte die Wiener Landesheil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof mit: "Ihr Kind ist seit dem 17. August 1943 in hiesiger Anstalt. Sie hat den Transport gut überstanden und hat sich bereits in die neuen Verhältnisse gut eingefunden. In ihrem Leiden […] hat sich natürlich nichts geändert. Der körperliche Zustand ist ebenfalls unverändert. Die Grüsse wurden ausgerichtet und freudig aufgenommen. Dr. Podhajaky".

Bei der Aufnahme in Wien im August 1943 wog Gerda Möller 53 kg. In den Jahren zuvor war ihr Gewicht mit deutlich über 60 kg angegeben worden. Im Januar war es auf 51 kg und im Juni 1944 auf 45 kg zurückgegangen. Am 21. März 1944 wurde notiert, sie sei hinsichtlich einer Beschäftigung "unverwendbar". Eine andere nach Wien gebrachte junge Frau aus Alsterdorf berichtete nach ihrer Rückkehr nach Hamburg: "Die haben uns so gehasst." Und weiter: "Meist bekamen wir nur Kartoffelschalen zu essen."

Am 8. Juli 1944 starb Gerda Möller im Alter von 31 Jahren in Wien. Als Todesursache wurde Pneumonie mit folgender Ergänzung angegeben: "Pat.[tientin] war durch den langdauernden starken Erregungszustand körperlich stark verfallen." Der starke Erregungszustand wurde am 28. Juni festgestellt und auf den letzten Luftalarm zurückgeführt.

© Ingo Wille

Quellen: Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf, Patientenakten der Alsterdorfer Anstalten, Az. V 149 (Gerda Möller); Michael Wunder/Ingrid Genkel/Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, Hamburg 1987; Alexander Mayer (2001). Eine Geschichte der Behinderten, Jubiläums-Dokumentation 40 Jahre Lebenshilfe Fürth. Lebenshilfe Fürth: Eigenverlag. S. 6–27, veröffentlicht unter www.trisomie21.de/lh_fuerth.html#IV.3. (eingesehen am 26.7.2011).

druckansicht  / Seitenanfang