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Louis Levin * 1864

Ifflandstraße 59 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
LOUIS LEVIN
JG. 1864
VERHAFTET 1942
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 9.9.1942

Louis Levin, geb. am 31.7.1864 in Insterburg/Ostpreußen (heute Tschernjachowsk/ Russland), 1942 KZ Fuhlsbüttel, am 19.7.1942 in das Getto Theresienstadt deportiert, dort umgekommen am 9.9.1942

Ifflandstraße 59 (früher: Ifflandstraße 53)

Louis Levin war zeit seines beruflichen Lebens Kaufmann. Er handelte unter anderem mit Rohprodukten wie Metallen und mit Materialien für Feldbahnen, also Schmalspurbahnen für den Transport landwirtschaftlicher und industrieller Rohstoffe. Seine Eltern waren der Kaufmann Leopold Levin und dessen Frau Molly, geborene Neumann. Beide starben im Jahr 1900. 1887 verschlug es Louis allein nach Altona, damals noch eine selbstständige preußische Stadt. Von 1887 bis 1888 und erneut von 1891 bis 1894 leistete er Wehrdienst beim Altonaer Infanterieregiment 31. Entlassen wurde er als Vicefeldwebel. Er blieb stets unverheiratet und hatte keine Kinder, "auch keine unehelichen", wie er später bei einer polizeilichen Vernehmung angab.

Nach der Entlassung aus der Armee mietete Louis Levin 1894 eine kleine Wohnung in Hamburg, in der Bundesstraße 28, und ließ sich mit einer Exportagentur in der Altstadt nieder, in der Alten Gröningerstraße 23. 1901 zog er mit seinem Büro in die Mattentwiete 10. Privat wohnte er ab etwa 1906 in der damaligen Nollstraße 14 in Hohenfelde – bis 1928 in einer eigenen Wohnung, danach zur Untermiete bei der Witwe Niemann. 1933 zog er mit seiner Firma um und arbeitete nun im vierten Stock der Brandstwiete 2/4, wo viele Kaufleute Büroräume hatten. Vier Jahre später änderte sich auch seine Wohnsituation, er fand eine neue Unterkunft in der Ifflandstraße 53. Trotz seines fortschreitenden Alters hörte Louis Levin nicht auf zu arbeiten. Noch 1941, da war er bereits 77 Jahre alt, handelte er mit "ausländischen Tierhaaren". Gleichwohl verdiente er seit 1937 nur noch so wenig, sodass er den Jüdischen Religionsverband eindringlich bat, ihm den Beitrag für 1940 zu erlassen.

In seinem fortgeschrittenen Alter verwirrten Louis Levin die unzähligen Vorschriften, mit denen das NS-Regime Jüdinnen und Juden schikanierte. Zunächst wies ihn die Gestapo am 13. Februar 1942 ohne eine richterliche Kontrolle für eine "Schutzhaft" von fast vier Wochen bis zum 9. März in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ein. Der Grund: "Ansprechen einer deutschblütigen Frau". Anders als in solchen Fällen bei jüdischen Inhaftierten üblich, wurde Louis Levin jedoch anschließend nicht direkt in ein Konzentrationslager überwiesen, sondern zunächst entlassen. Nach der Entlassung musste er aus der Ifflandstraße in das "Judenhaus" Bundesstraße 35 in Eimsbüttel ziehen. Dort blieb er nur wenige Tage. Dann wurde er in eines der "Judenhäuser" in der Rappstraße im Grindelviertel eingewiesen. Zum 7. April 1942 musste er zwangsweise in das nächste "Judenhaus" umsiedeln, in das jüdische Lazarus-Gumpel-Wohnstift an der damals noch existierenden Schlachterstraße 46/47 am Großneumarkt.

Zu der Zeit war es bereits bekannt, dass Jüdinnen und Juden ab dem 1. Mai 1942 keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr würden benutzen dürfen. Um die Volksküche, in der er täglich zu Mittag aß, und die nächste Einkaufsmöglichkeit an der "Ostmarkstraße" (bis 1936 und wieder ab 1945 Hallerstraße) zu Fuß zu erreichen, brauchte Louis Levin jedoch vom Großneumarkt aus rund zwei Stunden, da er nicht mehr gut laufen konnte. Hin und zurück also vier Stunden täglich. Kurz nach seinem Einzug in das Gumpelstift wandte er sich daher schriftlich an die Gestapo mit der Bitte, ihm zu erlauben, die Straßenbahn zu benutzen. Einen Freiumschlag fügte er, der inzwischen fast mittellos war, hinzu, damit es daran nicht scheitern sollte.

Bei seinem Schreiben vergaß er jedoch zwei Vorschriften, die für Jüdinnen und Juden bereits seit einiger Zeit galten: So mussten sie seit dem 23. Juli 1938 "bei Anträgen, die sie an amtliche oder parteiamtliche Dienststellen" richteten, "unaufgefordert auf ihre Eigenschaft als Jude hin(zu)weisen sowie Kennort und Kennummer ihrer Kennkarte an(zu)geben". Außerdem mussten sie seit dem 1. Januar 1939 ihrem Vornamen den Namen "Israel" bzw. "Sara" hinzufügen. Beides hatte er bei seinem Schreiben an die Gestapo nicht bedacht. Die zweite Vorschrift fiel ihm nach dem Abschicken ein und er schrieb den Brief erneut, diesmal mit dem jüdischen Zwangsnamen. Nur die Kennkartenummer vergaß er wieder. Daraufhin wurde er "zur eingehenden Vernehmung" auf das 34. Polizei-Revier vorgeladen. Es sollte überprüft werden, ob es sich in seinem Fall um einen "vorsätzlichen Verstoß" gegen die Bestimmungen handelte. Louis Levin brachte sein hohes Alter als Entschuldigung vor, woraufhin ihn der zuständige Revieroberwachtmeister der Schutzpolizei Beckmann anwies, eben jenes durch ein ärztliches Attest zu belegen und bei der Gestapo einzureichen. Am 10. Juni 1942 erhielt er schließlich zwei Strafbefehle und wurde wegen des Verstoßes gegen die beiden Verordnungen zur Zahlung von insgesamt 10 Reichsmark verurteilt. Zusammen mit 2,50 Reichsmark Gebühr bar bei der Gerichtskasse einzuzahlen.

Rund vier Wochen später, am 19. Juli 1942, wurde Louis Levin nach Theresienstadt verbracht. Dort wies man ihn in ein Haus am Stadtplatz ein (Qu 418).

Louis Levin starb am 9. September 1942 im Krankenhaus des vierten Bezirks des Gettos Theresienstadt. Die vom Krankenhausleiter, dem Ende 1941 von Prag aus nach Theresienstadt deportierten Chirurgen Erich Springer, unterzeichnete Todesanzeige nennt als Todesursachen "Risswunden am Kopf" und "Gehirnerschütterung".

Anfang November 1942 informierte der Oberfinanzpräsident Hamburg die Deutsche Bank inHamburg, bei der Louis Levin Konten hatte, dass dessen Vermögen beschlagnahmt sei. Daraufhin überwies die Bank an den Oberfinanzpräsidenten Louis Levins Sparguthaben von rund 335,00 Reichsmark sowie einen Betrag von 4200,00 Reichsmark aus Aktien, ausländischen Rentenpapieren und Reichsschatzanweisungen.

Stand: Mai 2016
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 2; 3; 4; 5; 7; 8; 9; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 4696/42; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident, Ablieferung 1998, J7/400; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident Devisen- und Vermögensverwertungsstelle, R 1940/670; StaH 331-1 II Polizeibehörde II, Ablieferung 15 vom 18.9.1984, Band 2 ("Schutzhaft"); StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 390 Wählerliste 1930; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 992 d Steuerakten Bd. 19; Hamburger Adressbücher; 3. Bekanntmachung über den Kennkartenzwang, RGBl I, S. 922, in: Walk (Hg.), Sonderrecht, S. 233; Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen, RGBl I, S. 1044, in: Walk (Hg.), Sonderrecht, S. 237; Adler, Theresienstadt; Anna Hajkova, Mutmaßungen über deutsche Juden. Alte Menschen aus Deutschland im Theresienstädter Ghetto, in: Doris Bergen, Andrea Löw, Anna Hajkova (Hrsg.), Alltag im Holocaust. Jüdisches Leben im Großdeutschen Reich 1941–1945, München, 2013, S. 179–198; Todesfallanzeige Louis Levin, www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.809433 (letzter Zugriff 19.3.2015); www.ghetto-theresienstadt.info/terezinstadtplan.htm (letzter Zugriff 19.3.2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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