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Bereits verlegte Stolpersteine



Ina Löwenthal (geborene Ascher) * 1873

Ifflandstraße 8 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
INA LÖWENTHAL
GEB. ASCHER
JG. 1873
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 1942 IN
TREBLINKA

Weitere Stolpersteine in Ifflandstraße 8:
Gertrud Hoffmann, Dr. Gustav Hoffmann

Ina (Henne) Löwenthal, geb. Ascher, geb. am 8.7.1873 in Doberan/Mecklenburg, deportiert am 19.7.1942 in das Getto Theresienstadt, am 26.9.1942 in das Vernichtungslager Treblinka, dort 1942 ermordet

Ifflandstraße 8


Cäcilie Löwenthal, geb. Philippson, geb. am 13.12.1866 in Lübeck, deportiert am 19. Juli 1942 in das Getto Theresienstadt, am 21.9.1942 in das Vernichtungslager Treblinka, dort ermordet

Heimhuder Straße 6, Rotherbaum

"Dann gab es da eine alte Dame (…). Sie habe ich gut in Erinnerung behalten, wie sie oft an einem Stock durch den Garten spazierte und immer sehr nett zu uns Kindern war." Die alte Dame, das war mit großer Sicherheit Ina Löwenthal, und der Garten gehörte zum Privat-Sanatorium "Villa Wilhelma", idyllisch gelegen in Uelsby an der Schlei. Gegründet hatte es Ferdinand Schulze, Arzt für Allgemeinmedizin und Psychiatrie, im Jahr 1907. Er wollte "gemüts- und nervenkranken und aufsichtsbedürftigen Frauen", so ein Prospekt aus jener Zeit, ein würdevolles Leben in familiärer Umgebung ermöglichen, anders als die üblichen Einrichtungen jener Zeit es taten. Ein Enkel von Ferdinand Schulz erinnerte sich später noch gut an manche Patientinnen seines Großvaters, an Ina Löwenthal ebenso wie an Lilly Nathan (s. www.stolpersteine-hamburg.de). Beide zählten zu den wenigen Jüdinnen in dem Uelsbyer Sanatorium.

Ina Löwenthal war als Tochter des Kaufmanns Theodor Ascher und seiner Frau Henriette, geborene Weil, in Doberan (seit 2000 Bad Doberan) zur Welt gekommen. Dort leitete der Vater eine Agentur der Mecklenburgischen Hypotheken- und Wechselbank mit Hauptsitz in Schwerin und war wirtschaftlich gut gestellt. Drei Jahre vor Inas Geburt hatte er in der kleinen Stadt an der Ostsee von dem Hutmacher Heinrich Münz ein Haus mit Grundstück in der Poststraße 16 (heute Severinstraße 13) erworben. Oben in dem Haus wohnte er mit seiner Familie, im Erdgeschoss führte er seine Agentur. Inas Mutter Henriette starb früh und Theodor Ascher heiratete erneut. Seine zweite Ehefrau wurde Dora Jacobson und beide bekamen zusammen zwei Töchter, Inas Halbschwestern. Am 26. März 1881 wurde Martha in Doberan geboren, rund sechs Jahre später, am 2. Februar 1887, Henriette Hella.

Am 27. März 1894, Ina war 20 Jahre alt, heiratete sie in Doberan den Hamburger Kaufmann Louis Löwenthal. Er war am 23. November 1860 in der Hansestadt als Sohn des jüdischen Ehepaars Wulff Levin und Jente Jette Löwenthal, geborene Cohn, geboren worden und damit fast 13 Jahre älter als seine zukünftige Frau. Ina folgte ihrem Mann nach Hamburg und im Jahr darauf, am 23. Juni 1895, kam ihr erstes Kind zur Welt, eine Tochter. Ina und Louis Löwenthal gaben ihr den Namen Henriette Hedwig, in Erinnerung an Inas früh gestorbene Mutter. Zwei Jahre später, am 2. November 1897, bekam Hedwig einen Bruder, die Eltern nannten ihn Martin Walther. Louis Löwenthal besaß eine Handelsvertretung im Dovenhof an der Ecke Brandstwiete/Dovenfleet, außerdem hatte er einen Stand an der Börse vor Pfeiler 15 und 16, wo er ebenfalls Geschäfte abwickelte. Zu seinen wichtigsten Kunden gehörten die 1878 gegründete Erste Deutsche Virginia-Vaseline-Fabrik Carl Hellfrisch & Co. aus Offenbach in Hessen sowie das Unternehmen Hauff – Photographische Platten aus Feuerbach, damals eine Kleinstadt bei Stuttgart. Die vierköpfige Familie Löwenthal wohnte in der Klaus-Groth-Straße 4 in Hamm.

Ende 1912, spätestens Anfang 1913 zog Inas Halbschwester Hella zusammen mit ihrem Mann, dem Handelsvertreter Siegmund Marcus, und der dreijährigen Tochter Käthe aus Parchim bei Schwerin, wo sie bis dahin gewohnt hatten, nach Hamburg (s. "Stolpersteine in Hamburg-Eilbek" und www.stolpersteine-hamburg.de). Im Dezember desselben Jahres starb Inas zweite Halbschwester Martha mit nur 31 Jahren in Doberan. Die Familie Marcus lebte zunächst in der Hamburger Altstadt, in der Mattentwiete, während die Familie Löwenthal 1914 nach Hohenfelde in die Ifflandstraße 8 zog.

Drei Jahre später, im Dezember 1917, erhielten Ina, Louis und Hedwig Löwenthal eine traurige Nachricht: Ihr Sohn und Bruder Martin war im Ersten Weltkrieg als Soldat schwer verwundet ums Leben gekommen. Er wurde nur 20 Jahre alt. Hedwig lebte weiterhin bei ihren Eltern in der Ifflandstraße. Diese hatten Wert auf eine umfassende Bildung ihrer Tochter gelegt – Anfang des 20. Jahrhunderts noch lange keine Selbstverständlichkeit bei Mädchen. Ab 1902 hatte Hedwig zunächst neun Jahre lang eine Privatschule Beim Strohhause 80 in St.Georg besucht, relativ dicht zur elterlichen Wohnung gelegen. Anschließend wechselte sie, um das Abitur zu machen, auf die private Höhere Mädchenschule von Jakob Loewenberg in der Johnsallee 33. Jakob Loewenberg hatte sich mit seiner Schule der Kunsterziehungsbewegung angeschlossen. Diese war ein Teil der um 1900 entstandenen Reformpädagogik und wollte "den durch die Industrialisierung entfremdeten Menschen mittels Kunst, Musik, Literatur und Leibeserziehung wieder ganzheitlich bilden". So wurden die Schülerinnen vor allem in ästhetischen Fächern unterrichtet, auch kam künstlerischen Aufführungen eine besondere Bedeutung zu. Mädchen aller Konfessionen durften die Anstalt besuchen, rund zwanzig Prozent von ihnen kamen aus einem christlichen Elternhaus. Da Jakob Loewenberg zudem großen Wert auf eine enge Verbindung von Elternhaus und Schule legte, müssen sich auch Ina und Louis Löwenthal mit den reformpädagogischen Ideen verbunden haben.

Nach Beendigung der Schule schickten die Eltern Hedwig noch für anderthalb Jahre nach Frankreich, damit sie dort die Sprache lernte. Dann unterbrach der Beginn des Ersten Weltkriegs jede weitere Ausbildung. Da es Louis Löwenthal möglich war, seine inzwischen 19-jährige Tochter weiterhin finanziell zu unterstützen, konnte sie mehrere Jahre lang als ehrenamtliche Helferin in der von Anna Wohlwill und Agnes Wolfsson errichteten Kriegsküche im Paulsenstift arbeiten. Letzteres war eine noch von der Hamburger Sozialreformerin Charlotte Paulsen geplante, privat finanzierte "Erziehungsanstalt" für arme Hamburger Familien mit Kindergarten und Schule. Sie existierte seit 1866 und befand sich von 1893 an in St. Georg, in der Bülaustraße. Dass sich Hedwig Löwenthal gerade dort während des Krieges engagierte, deutet daraufhin, dass sie nicht nur künstlerisch besonders interessiert war, sondern auch soziale Ungerechtigkeiten erkannte und sich dagegen engagieren wollte.

Die reformpädagogische Ausrichtung der Loewenberg-Schule prägte Hedwig Löwenthal sicher auch bei der Wahl ihres Berufswegs. So hatte die "Leibeserziehung", die dort praktiziert wurde, mit dem leistungsorientierten Turnen nichts zu tun, das an den Schulen im Deutschen Reich üblich war. In der Kunsterziehungsbewegung stand vielmehr die freie körperliche Bewegung der Gymnastik im Mittelpunkt – und sie sagte Hedwig offenbar besonders zu. Zunächst begann sie 1916, noch während des Krieges, parallel zu ihrer ehrenamtlichen Arbeit eine Ausbildung zur staatlichen Turn- und Schwimmlehrerin. Dieser schloss sich ein Kurs in Orthopädie an, sodass sie ab 1919 bereits an verschiedenen Hamburger Schulen orthopädisches Turnen unterrichten und damit erstmals eigenes Geld verdienen konnte.

Anfang 1923 spezialisierte sie sich auf einen Bereich, der ihr noch mehr lag: 18 Monate lang absolvierte sie am Hamburger Hagemann-Mensendieck-Institut eine Ausbildung zur diplomierten Gymnastiklehrerin gemäß dem System der niederländisch-amerikanische Ärztin und Gymnastikerin Bess Mensendieck. Diese wollte es Frauen ermöglichen, ihren Körper durch spezielle Übungen auf natürlichem Weg zu formen und gesund zu halten. Die Übungen wurden fast ganz oder ganz unbekleidet ausgeführt – um die Bewegungen der Muskeln besonders gut kontrollieren zu können, aber auch, weil Bess Mensendieck Nacktheit bei Frauen als Ausdruck einer modernen weiblichen Identität, eines neuen, selbstbewussten Körpergefühls ansah. Auf anderem Wege passte sie ebenfalls zur damaligen Frauenbewegung: "Selber denken!" lautete einer ihrer Leitsätze gegenüber ihren Schülerinnen. In Deutschland war die Mensendieck-Gymnastik damals sehr beliebt und "Mensendiecken" ein weit verbreiteter Begriff für das Betreiben von (Nackt-)Gymnastik.

Nach ihrer Ausbildung gründete Hedwig Löwenthal 1925 selbst ein kleines Mensendieck-Institut in ihrer mittlerweile eigenen Wohnung. Diese lag auf der gleichen Etage wie die Wohnung ihrer Eltern: im ersten Stock der Ifflandstraße 8. Um ihr Institut optimal organisieren zu können, ließ Hedwig auch gleich einen eigenen Telefonanschluss legen. Schnell war sie sehr gefragt und hatte durchschnittlich 100 Schülerinnen und Schüler, die sie in Kursen mit sechs bis zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Ifflandstraße unterrichtete, morgens, nachmittags und abends. Außerdem gab sie Kurse in Fuhlsbüttel, und zwar in einer Gaststätte, was damals auch bei Sportvereinen mangels Turnhallen nicht ungewöhnlich war, sowie in der Wohnung des Erziehungswissenschaftlers Julius Gebhard in der Traunstraße. Gebhard war Assistent an der Hamburger Universität, gehörte zu den Vertretern der Reformpädagogik und beschäftigte sich unter anderem mit Fragen der Kunsterziehungsbewegung. In Fuhlsbüttel unterrichtete Hedwig größere Gruppen aus 15 bis 20 Personen, Erwachsene ebenso wie Kinder.

Da die Nachfrage nach ihren Kursen so groß war, hatte sie keine finanziellen Probleme. Im Gegenteil, sie konnte sich leisten, was ihr gefiel, und machte in jenen Jahren auch mehrere größere Reisen, darunter in die Schweiz und nach Skandinavien. Doch sie unterstützte von ihrem Einkommen auch weniger gut verdienende Freunde sowie deren Eltern und Kinder.

Während sich Hedwig Löwenthal in jenen Jahren erfolgreich eine berufliche Existenz in einem Bereich aufbaute, der ihr lag und gefiel, ging es ihrer Mutter Ina Löwenthal psychisch schlecht. Bereits 1920, mit 47 Jahren, kam sie erstmals in die "Villa Wilhelma", das eingangs erwähnte Sanatorium in Uelsby. Der genaue Name lautete damals "Heim für gemüts- und nervenkranke und aufsichtsbedürftige Frauen". Acht Jahre lang, bis 1928, hielt sie sich dort auf. Eine Besserung schien erfolgt zu sein, so wurde sie zwar 1929 noch einmal aufgenommen, blieb aber maximal noch ein Jahr dort. Aus jener Zeit erinnerte sich auch später der Enkel des Sanatoriumsgründers an sie. Fast zeitgleich mit Ina hielt sich ihre Schwägerin Cäcilie in einem "Nervensanatorium" außerhalb Hamburgs auf – möglicherweise handelte es sich um dieselbe Einrichung, denn beide Familien hatten gute Beziehungen zueinander. Die aus Lübeck stammende Cäcilie Löwenthal, geborene Phillipson, war die Frau von Louis Löwen-thals Bruder Martin. Dieser arbeitete ebenfalls als Handelsvertreter und teilte sich mit Louis das Büro im Dovenhof. Seine Frau und er wohnten in der Heimhuderstraße 6 am Rothenbaum, sie hatten keine Kinder.

Während Cäcilie Löwenthal noch in einem Sanatorium betreut wurde, erlebten Louis, Ina, Hedwig und Martin Löwenthal 1933 in Hamburg die Machtübergabe an die Nationalsozialisten und die in schneller Folge zunehmenden Demütigungen und Drangsalierungen, Ausgrenzungen und Verfolgungen der Jüdinnen und Juden. Hedwig Löwenthal war unmittelbar davon betroffen. Am 13. September 1933 verhaftete die Staatspolizei, die spätere Gestapo, sie ohne Angabe von Gründen in ihrer Wohnung und brachte sie als "Schutzhäftling" in die Strafanstalt Fuhlsbüttel. Wenige Tage später wurde sie in das gerade errichtete Konzentrationslager Fuhlsbüttel umquartiert, das sogenannte Kola-Fu. Auf den Rat einer Fürsorgerin in Fuhlsbüttel, die eine frühere Schülerin von ihr war, beantragte Hedwig Löwenthal die Rückführung in die Untersuchungshaft, was auch gelang. Am 6. Dezember 1933 wurde sie wieder entlassen. Allerdings nur vorübergehend, weil die Hamburger Justiz wegen ihrer Aussage vor der Staatspolizei ein Strafverfahren gegen sie eröffnete.

Die Verhandlung fand am 22. Dezember 1933 vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht am Holstenplatz statt. An deren Ende wurde Hedwig Löwenthal wegen Vergehens gegen Paragraph 4 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933, die sogenannte "Reichtagsbrandverordnung", in Verbindung mit den hamburgischen Polizei-Verordnungen vom 30.3. und 29.4.1933 zu vier Monaten Gefängnis unter Anrechnung von sechs Wochen Untersuchungshaft verurteilt. Am 3. Juli 1933 wurde sie in die Frauenhaftanstalt Lübeck-Lauerhof eingeliefert. Strafende sollte der 21. September 1934 sein. Am 7. August 1934 kam sie jedoch durch eine Amnestie frei. Diese hatte die Reichsregierung anlässlich der Übernahme des Reichspräsidentenamtes durch Adolf Hitler erlassen, nachdem der bisherige Reichspräsident Paul von Hindenburg am 2. August 1934 gestorben war.

Hedwig Löwenthal war im September 1933 wahrscheinlich auch deshalb verhaftet worden, weil die Gestapo es in erster Linie auf den ihr bekannten Maler und Grafiker Emil Kritzky abgesehen hatte, der sich kurz vor der Verhaftung bei ihr in der Wohnung aufgehalten hatte. Kritzky war seit 1924 KPD-Mitglied und Mitbegründer der Hamburger Ortsgruppe der Asso, der Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands. Dieser Zusammenschluss kommunistischer Künstlerinnen und Künstler war 1928 in Berlin gegründet und 1933 von den NS-Machthabern reichsweit verboten worden. Emil Kritzky hatte als Kind in Hohenfelde in der Straße Reismühle gewohnt, war später nach Hasselbrook und von dort zusammen mit seiner ersten Frau Anneliese – ebenfalls einer aktiven Kommunistin – erst nach Barmbek-Süd und 1933/34 nach Rahlstedt gezogen. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten war er untergetaucht und seitdem unter einem Tarnnamen als Verbindungsmann der KPD-nahen Roten Hilfe tätig, deren Vorstandsmitglied er zuvor gewesen war. Bereits im April 1933 war er erstmals verhaftet worden und einen Monat lang in Fuhlsbüttel inhaftiert gewesen.

Laut der Kunsthistorikern Maike Bruhns gehörte auch Hedwig Löwenthal der KPD an und arbeitete seit 1933 ebenfalls im Untergrund für diese, denn in einem ausführlichen biografischen Text zu Emil Kritzky schreibt Bruhns an einer Stelle: "Nach der Entlassung agitierte er [Kritzky, Anm. d. Verf.] mit Hans Schröder für die Rote Hilfe, deren Hamburger Leiter, Gustav Gundelach, illegal bei einer jüdischen Gymnastiklehrerin [das wird Hedwig Löwenthal gewesen sein, Anm. d. Verf.] wohnte, die als Genossin Beiträge kassierte. Im September 1933 suchte Kritzky ihre Wohnung in Hohenfelde auf, um eine Neuorganisation in die Wege zu leiten und Post zu verteilen. Als der angekündigte dritte Mann namens Teufel nicht erschien, verließ der Maler die Wohnung, wurde dabei verhaftet, die Kartei beschlagnahmt. Mit ihm flog eine ganze Reihe Genossen auf."

Ein knappes Jahr später, am 29. Juni 1935, verhaftete die Gestapo Hedwig Löwenthal erneut. Diesmal, weil sie aus ihr Informationen über einen Karl Meininger herauspressen wollte, der bereits inhaftiert war, weil er das "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" verteilt haben sollte. Karl Meininger war Hamburger Vorsitzender der 1911 gegründeten Vereinigung der Deckoffiziere und zugleich ehemaliger Präsident der Gesellschaft der Freidenker gewesen, die 1933 zusammen mit allen anderen reichsweit noch existierenden Freidenker-Organisationen verboten worden war; bei dem Braunbuch handelte es sich um eine 1933 in Paris erschienene Veröffentlichung der KPD im Exil, in der es um den Reichstagsbrand-Prozess gegen den Hauptangeklagten Marinus van der Lubbe und vier ebenfalls angeklagte Kommunisten ging. Für das Buch hatten mehrere hundert aus Deutschland emigrierte Antifaschisten Belege und Beweise gesammelt, um die Angeklagten zu entlasten und das Vorgehen der Nationalsozialisten zu entlarven. Erneut wurde Hedwig Löwenthal Ende Juni in das KZ Fuhlsbüttel gebracht, am 5. Oktober 1935 wurde sie wieder entlassen. In der Haft traf sie auf Genossinnen, die sie gut kannte – darunter die spätere Ehefrau Karl Meiningers, Elisabeth Blättner, geborene Lindemeyer, die ebenfalls aktiv in der Roten Hilfe gewesen war, sowie Martha Semper, die Schwester von Emil Kritzkys erster Frau Anneliese.

Nach ihrer Entlassung aus Fuhlsbüttel betrieb Hedwig Löwenthal umgehend ihre Flucht aus Deutschland. Bereits 1931 war sie aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten, aber nun emigrierte sie Ende 1935 über Triest mit dem Schiff nach Palästina.

Im April 1936 gaben ihre Eltern die Wohnung an der Ifflandstraße auf. Sie zogen nach Eppendorf in die Haynstraße 13. Ina Löwenthal war inzwischen 62, ihr Mann Louis 75 Jahre alt. Die Wohnung lag im ersten Stock und hatte 51/2 Zimmer. Der Platz war nötig, denn Inas Schwester Hella und deren Mann Siegmund zogen jetzt zu ihnen. Die Tochter Käthe war inzwischen verheiratet. Hella und Siegmund Marcus hatten seit 1931/32 in der Kippingstraße 6 in Eimsbüttel gewohnt. Offenbar reichten aber auch die gemeinsamen finanziellen Mittel nicht aus, um die Wohnung dauerhaft zu unterhalten. Nachdem beide Paare wahrscheinlich direkt nach dem Novemberprogrom 1938 zur Zahlung der "Judenvermögensabgabe" gezwungen wurden, vermieteten sie nur wenige Tage später ein Zimmer an die 53-jährige Helena Rothenburg, geborene Kadisch. Im Juli 1939 kam eine weitere Untermieterin hinzu, die 19-jährige Edith Jacobs.

Auch Ina und Louis’ Schwägerin Cäcilie Löwenthal lebte inzwischen wieder in Hamburg. Insgesamt sieben Jahre, von etwa 1927 bis 1934, hatte sie im Sanatorium verbracht. Dann hatte die Haushälterin, die seit 1925 bei Cäcilie und Martin Löwenthal angestellt war, sie zurück nach Hause geholt – möglicherweise, weil Martin Löwenthal bereits schwer krank war, denn er starb kurz nach Cäcilies Rückkehr am 23. August 1934. In seinem Testament hatte er verfügt, dass die Haushälterin nach seinem Tod bei seiner Frau "als Stütze und Pflegerin" bleiben sollte – sofern sich beide Frauen vertrugen. Cäcilie Löwenthal hatte sich jedoch in dem Sanatorium an eine andere Pflegerin gewöhnt und holte diese zu sich nach Hamburg. So wurde der Vertrag mit der bisherigen Haushälterin aufgelöst und sie unter Zahlung einer monatlichen Rente von 100 Reichsmark entlassen.

Am 8. Januar 1940 zogen Ina und Louis Löwenthal, Hella und Siegmund Ascher sowie Helene Rothenburg gemeinsam um – in eine ebenso große Wohnung in der Haynstraße 10, im Hochparterre. Dort waren Hella und Siegmund Marcus nun genau wie Helene Rothenburg Untermieterinnen und Untermieter von Louis Löwenthal, da sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse noch weiter verschlechtert hatten. Edith Jacobs fand eine andere Unterkunft. In die Wohnung in der Nummer 10 zog zusätzlich Siegmund Levi ein, der vorher in der Heidestraße gewohnt hatte. Für einige Zeit zu Besuch war außerdem das Ehepaar Hans und Alice Marum, geborene Moritzson. Beide stammten ursprünglich aus Hamburg, wohnten inzwischen aber in Berlin. Dort war Hans Marum 1939 bereits im Gefängnis gewesen, in Hamburg wurde er 1940 erneut inhaftiert und nach Fuhlsbüttel gebracht.

Am 8. November 1941 wurden Hella und Siegmund Marcus in das Getto Minsk deportiert und aller Wahrscheinlichkeit nach dort ermordet.

Ina und Louis Löwenthal mussten am 27. März 1942 die Wohnung in der Haynstraße verlassen und in das "Judenhaus" in der Sonninstraße 14 (heute Biernatzkistraße) in Altona ziehen. Ihre Wohnung in der Haynstraße übernahm C. H. Ernst Führmann, Geschäftsführer der Firma Witt & Führmann, Fischereigeräte und Seilerwaren.

Knapp drei Monate später, am 16. Juni 1942, starb Louis Löwenthal im Alter von 81 Jahren.

In das Nachbarhaus mit der Nummer 12 wurde etwa im August 1942 Ina Löwenthals Schwägerin Cäcilie eingewiesen. Ab September 1942 zog der Oberfinanzpräsident ihr Vermögen ein, darunter ein Grundstück am Steindamm 21.

Am 19. Juli 1942 wurden Ina und Cäcilie Löwenthal in das "Altersgetto" Theresienstadt deportiert. Zuvor hatte Ina Löwenthal noch auf Veranlassung der Gestapo mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland einen "Heimeinkaufsvertrag" abgeschlossen. Darin übertrug sie der Reichsvereinigung so wie viele andere alte Jüdinnen und Juden ihr restliches Vermögen – das waren in ihrem Fall 2529,01 Reichsmark –, in dem Glauben, dafür für den Rest ihres Lebens in Theresienstadt kostenfrei wohnen zu können, verpflegt und wenn nötig krankenversorgt zu werden. Tatsächlich waren die Lebensbedingungen in dem Getto geprägt durch überfüllte Wohnunterkünfte, Hunger, Krankheiten, Seuchen und unzureichende ärztliche Versorgung. Das Vermögen aus den zahlreichen Heimeinkaufsverträgen fiel später an das Reichssicherheitshauptamt.

Cäcilie Löwenthal wurde am 21. September 1942 von Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.

Ina Löwenthal wurde am 26. September 1942 von Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.

Ihre Tochter Hedwig Löwenthal starb am 2. November 1981 mit 86 Jahren in Giv’atajim in Israel. Zu ihrem 85. Geburtstag hatte sie noch ein Glückwünschschreiben des damaligen Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose erhalten.

Stand: Mai 2016
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 3; 4; 5; 7; 8; 9; StaH 131-1 II 131-1 II Senatskanzlei – Gesamtregistratur II 3557; StaH 332-5 Standesämter: 2365 u. 1569/1895; 2426 u. 2572/1897; 771 u. 926/1917; 5428 u. 816/1942; StaH 332-8 Meldewesen A51 A2364; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 17648; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 390 Wählerliste 1930; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 d Steuerakten Bd. 21; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e 2 Band 5 Transport nach Theresienstadt am 19. Juli 1942, Listen 1 u. 2; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden Abl. 1993, Ordner 10 Heimeinkaufsverträge; Landeshauptarchiv Schwerin; Projektgruppe "Kriegsgräber" 2014, Was bleibt …? Opfer des NS-Regimes in Mecklenburg und Vorpommern, Rövershagen, 2014, S. 40–45; Archiv Sanatorium Dr. Schulze, Uelsby, Hausprospekt, S. 27–30, mit herzlichem Dank an Frau Martina Ostrowkski, Uelsbyholz, und Frau Dr. Jutta Matz, Flensburg; in Erinnerung an Heike Johannsen, Langballig; Bernd Wedemeyer-Kolwe, Der neue Mensch. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Würzburg, 2004, S. 45ff.; Maren Möhring, Marmorleiber. Körperbildung in der deutschen Nacktkultur (1890–1930), Kölner historische Abhandlungen, Band 42, Köln, Böhlau, 2004, S. 71ff.; Karl Toepfer, Empire of Ecstasy. Nudity and Movement in German Body Culture, 1910–1935, Berkeley, 1997, S. 39–44; Maike Bruhns, Emil Kritzky, in: Dies., Künstlerlexikon Hamburg 1933–1945. Verfemt, verfolgt – verschollen, vergessen, Kunst in der Krise, Bd. 2, Hamburg, 2001, S. 245–249; Maike Bruhns, Otto Gröllmann, ebd., S. 169; Jan Valtin (i. e. Richard Krebs), Tagebuch der Hölle, Neuaufl., Nördlingen, 1986, S. 215; Kim Wünschmann, Before Auschwitz, Harvard, 2015, S. 107; Reiner Lehberger, Jakob Loewenberg, in: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Das jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, online auf: www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/loewenberg-jakob (letzter Zugriff 20.7.2015); Rita Bake, Charlotte Paulsen, in: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hrsg.), Hamburger Frauenbiografien-Datenbank, online auf: www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-namensregister/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3096&qR=P (letzter Zugriff 20.7.2015); www.sanatorium-uelsby.de/%C3%BCber-uns/geschichte-des-hauses (letzter Zugriff 25.6.2014).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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