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Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Sophie Schult
Sophie Schult, 27 Jahre alt, 2918
© Ev. Stiftung Alsterdorf

Sophie Schult * 1911

Hohenfelder Straße 15 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
SOPHIE SCHULT
JG. 1911
EINGEWIESEN 19.3.1933
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
HEILANSTALT
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 27.6.1944

Sophie Schult, geb. am 14.3.1911 in Hamburg, verlegt am 16.8.1943 in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", Tod dort am 27.6.1944

Hohenfelder Straße 15

Die kleine Sophie kam nach drei Tage dauernden Wehen mit einem Atemstillstand zur Welt. Ihre Mutter Marie war herzkrank und litt an Polyarthritis, zur Zeit von Sophies Geburt außerdem an der Basedowschen Krankheit, einer Überfunktion der Schilddrüse. Von Geburt an machte sich auch bei Sophie eine Schilddrüsenfunktionsstörung bemerkbar, die mit Medikamenten behandelt wurde. Marie Schult hatte bereits zwei Kinder, als Sophie geboren wurde. Zwei weitere kamen noch nach ihr zur Welt. Sie starben jedoch bereits im ersten Lebensjahr an Lungenentzündung bzw. Masern.

Marie Schult, geboren am 31. Mai 1878 in Hamburg, war die Tochter des Schuhmachers Heinrich Rohmeier und seiner Ehefrau Helene Sophia, geborene Engelbrecht. Sie wurde Arbeiterin und heiratete am 7. November 1899 den Maurer Friedrich Schult, geboren am 13.August 1873 in Hamburg. Beide gehörten der lutherischen Kirche an und lebten in Rothenburgsort. Ihre Ehe wurde zehn Tage nach Sophies Geburt geschieden, Sophie blieb bei der Mutter. Marie Schult nahm ihren Geburtsnamen Rohmeier wieder an und ging noch im selben Jahr, am 9. November 1911, eine zweite Ehe mit dem vierzehn Jahre älteren Arbeiter Hermann Heuck aus Süderdithmarschen ein, geboren am 4. Juni 1864. Die Familie wohnte in der Hardenstraße 36 in Rothenburgsort, bis sie sich nach dem Ersten Weltkrieg in der Hohenfelder Straße 15 in Hohenfelde selbstständig machte. Sophies Vater Friedrich Schult heiratete nicht wieder, er starb 1940.

Mit zwei Jahren begann Sophie zu laufen und mit vier Jahren zu sprechen. Als sie eingeschult werden sollte, wurde sie wegen mangelnder Reife zurückgestellt und zwei Jahre später direkt in die "Hilfsschule" gegeben, die sie nach vierzehntägigem Schulbesuch als "nicht bildungsfähig" entließ. Am 30.September 1919 wurde sie für einen Monat in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, der damaligen hamburgischen Nervenklinik, zur Beobachtung aufgenommen. Die Lehrerin aus der "Hilfsschule" begleitete die Mutter und berichtete dem aufnehmenden Arzt, dass Sophie eine gewisse Merkfähigkeit besitze, aber motorisch unbeholfen sei, was sich beim Schreiben und beim Knöpfen von Kleidungsstücken zeige. Körperlich fand der Arzt keine Auffälligkeiten. Bei Wissensfragen stellte er fest, dass Sophie die Wochentage und Jahreszeiten nicht hersagen konnte und die Zahlen von 1 bis 15 zwar kannte, aber nicht mit ihnen rechnen konnte. Nach zwei Tagen des Einlebens in der Klinik freundete sich Sophie mit anderen Kindern an, zeigte Interesse an allem Neuen, ermüdete aber schnell beim Lernen. Nach zwei Wochen fiel sie zuweilen als laut und ungezogen auf. Mit der Diagnose "Schwachsinn" wurde sie nach Hause und zum weiteren Besuch der "Hilfsschule" entlassen.

Ende 1928 beantragte das Jugendamt Sophies Unterbringung in den damaligen Alsterdorfer Anstalten. Am 1. Dezember 1928 empfahl Dr. Wendt von der heilpädagogischen Beratungsstelle des Jugendamtes die Heimunterbringung mit folgendem Gutachten: "Die beruflich in Anspruch genommene, körperlich kranke Frau ist der Erziehung des Mädchens nicht gewachsen und kann vor allem auch nicht die genügende Aufsicht über Sophie ausüben, sodass das nunmehr 17-jährige Mädchen sich selbst überlassen und dadurch bis zu einem gewissen Grade gefährdet ist. Zur Unterbringung in Frage kommen die Alsterdorfer Anstalten. Die Mutter ist einverstanden." Doch die Mutter nutzte das Überweisungsschreiben vom 21. Februar 1929 nicht, Sophie blieb bei ihrer Familie.

Am 18. Januar 1930 erlitt Marie Schult eine Lungenembolie. Sie erholte sich nur vorübergehend. Am 29. Januar 1930 starb sie im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek.

Auch nach dem Tod der Mutter blieb Sophie zu Hause wohnen und trat einem nicht genauer benannten "Mädelbund" bei. Als sie Anfang 1933 ihren Stiefvater beschuldigte, sich ihr unsittlich genähert zu haben, wurde sie im Heim der Jugendbehörde in der Averhoffstraße aufgenommen. Ein Gutachten widerlegte "die Anschuldigungen der Tochter", ihre "Ängstlichkeit" wurde aber ernst genommen. Zugleich führten Sophies Anschuldigungen gegen ihren Stiefvater dazu, dass ihr sexuelles Interesse nachgesagt wurde. Deshalb wurde sie im März 1936 im Universitätskrankenhaus Eppendorf zwangssterilisiert. Auch sah man bessere Fördermöglichkeiten für sie in einer Einrichtung wie den damaligen Alsterdorfer Anstalten, weshalb sie nicht nach Hause entlassen, sondern vorübergehend im Mädchenheim in der Alstertwiete untergebracht wurde. Am 19. Mai 1933 traf sie in "Alsterdorf" ein. Fünf Tage später wurde das Entmündigungsverfahren eingeleitet und sie erhielt einen Vormund.

Sophie Schult fiel im Anstaltsbetrieb nicht auf. Sie galt als selbstständig, sauber, ordentlich und verträglich, putzte Gemüse und erledigte Laufwege. Im November 1935 wurde sie im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek wegen ihrer Schilddrüsenunterfunktion untersucht, was jedoch keine Besserung ihres Befindens zur Folge hatte.

Ihr Stiefvater Hermann Heuck, der bis dahin den Kontakt zu ihr gehalten hatte, starb Ende 1937 im Allgemeinen Krankenhaus St.Georg. Nach seinem Tod hielt eine Schwester von Sophie die Verbindung zu ihr aufrecht.

Aufgrund eines ärztlichen Gutachtens vom April 1938 bestätigte die Sozialverwaltung die Kostenübernahme für Sophie Schult bis zum 1. Juni 1948. Diesen Tag erlebte sie jedoch nicht mehr. Die schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 hatten zwei Konsequenzen für sie: Ihre Schwester wurde in Hamm ausgebombt und in die Prignitz evakuiert, dadurch verloren beide vorübergehend den Kontakt zueinander. Sophie selbst wurde am 16.August 1943 zusammen mit 227 Mädchen und Frauen aus Alsterdorf in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien verlegt.

Bei ihrer Aufnahme war sie persönlich gut orientiert, wusste aber mit "Wien" und "Krieg" nichts anzufangen. Bei einer Körpergröße von 155 Zentimetern wog sie 54 Kilogramm und behielt dieses Gewicht mehrere Monate lang bei. Die ärztlichen Beurteilungen lauteten positiv wie zuvor in Alsterdorf. Am 21. März 1944 füllte die Anstalt den Meldebogen für Patienten in Heil- und Pflegeanstalten aus. Darin hieß es: "Beim Fleckerlzupfen beschäftigt, nur zeitweise, da sie wg. geschwollener Beine häufig in Bettruhe kommt. Kein Besuch, keine Anschriften nächster Angehöriger bekannt." Das war offenbar ihr Todesurteil. Mitte Mai 1944 wurde Sophie Schult "in die Pflegeanstalt übersetzt", wo sie zwölf Tage später angeblich an Herzversagen und "pulmonaler Anschuppung" im Alter von 33 Jahren starb. Das Sektionsprotokoll bestätigte eine Magen-Darm-Erkrankung und eine Bronchitis. Das Gehirn wurde in Formol fixiert.

Sophie Schults Schwester erkundigte sich Anfang August 1944 nach ihr und erhielt zur Antwort: "Ihre Schwester starb an einer schweren Erkrankung des Magen-Darm-Traktes, die zu nicht beherrschbaren schwersten Durchfällen führte. Das Grundleiden führte zu einer allgemeinen Schwächung des Körpers. Wegen ihres Geisteszustandes war die Durchführung einer strengen Diät nicht möglich." Sophie Schult wurde auf dem Zentralfriedhof in Wien beerdigt, später, 2002, auch das Gehirn.

Stand: Mai 2016
© Hildegard Thevs

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 1068 u. 2120/1937; 2934 u. 518/1899; 3187 u. 328/1911; 7113 u. 188/1930; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, V 237; Hamburger Adressbücher; Harald Jenner, Die Meldebögen in den Alsterdorfer Anstalten, in: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, 2. Aufl., Hamburg, 1988, S. 169–178; Michael Wunder, Die Abtransporte von 1941, in: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, 2. Aufl., Hamburg, 1988, S. 181–188; ders.: Der Exodus von 1943, ebd., S. 189–236.

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