Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Anna Oehlke, 56 Jahre alt
Anna Oehlke, 56 Jahre alt
Fotograf/in: Ev. Stiftung Alstersdorf, Archiv

Anna Oehlke (geborene Schmidt) * 1882

Kiebitzstraße 8–10 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
ANNA OEHLKE
GEB. SCHMIDT
JG. 1882
EINGEWIESEN 4.7.1935
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
HEILANSTALT
AM STEINHOF WIEN
TOT AN DEN FOLGEN

Anna Oehlke, geb. Schmidt, geb. am 31.10.1882 in Zingst/Mecklenburg, gestorben am 21.7.1945 in der Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien

Kiebitzstraße 8

Anna Oehlke verwitwete mit knapp 32 Jahren nach vierjähriger Ehe. Ihr Mann war gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs ums Leben gekommen. Dies löste ihre Erkrankung mit aus, die viele Jahre später zu ihrem Tod im weit von ihrer Heimat entfernten Wien kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führte.

Anna Oehlke, mit Geburtsnamen Schmidt, stammte von der Halbinsel Zingst an der mecklenburgischen Ostseeküste, wo ihr Vater, Wilhelm Heinrich Schmidt, als Schiffszimmermann tätig war. Aus seiner Ehe mit Elise, geborene Rätz, waren mehrere Kinder hervorgegangen. Die Familie gehörte der evangelisch-lutherischen Kirche an, in der Anna am 7. Dezember 1882 getauft wurde. Ihr Bruder Friedrich-Wilhelm kam in eine Anstalt, vermutlich infolge eines Unfalls. Er stürzte zusammen mit Anna von einer Leiter. Als Folge dieses Unfalls konnte Anna nichts mehr riechen.

Anna Schmidt schloss die örtliche Volksschule ab und ging danach "in Stellung", zuletzt in Hamburg. Dort wohnten in der Kiebitzstraße in Eilbek bereits Geschwister von ihr. Am 23. April 1910 heiratete sie den in Hamburg geborenen Arbeiter Johann Oehlke, geboren am 12. März 1881, der wie sie in der Kiebitzstraße wohnte. 1911 wurde ihr erstes Kind geboren, eine Tochter, der ein Sohn und 1914 eine zweite Tochter folgten.

Nach deren Geburt zeigte Anna Oehlke erste Anzeichen einer geistig-seelischen Erkrankung, die zeitlich ungefähr mit dem Tod ihres Mannes in der Schlacht bei Tannenberg am 28. August 1914 zusammenfiel. Ein weiterer Schicksalsschlag war der Tod ihres Schwiegervaters, der Anfang Oktober 1914 aus der "Irrenanstalt Langenhorn" entwichen war und Mitte November tot in der Nähe Bad Segebergs aufgefunden wurde.

Anna erhielt eine Hinterbliebenenrente, und ihre Schwiegermutter unterstützte sie nach Kräften. Noch während des Krieges befiel Anna Oehlke eine so große Angst, dass ihre Schwester plötzlich gestorben sei, dass sie sich das Leben nehmen wollte. Mit einer Lysoformvergiftung wurde sie in das Krankenhaus St. Georg eingeliefert, wo sie drei Wochen blieb. Dort kam sie zu der Überzeugung, dass ihr Mann noch lebe. Trotz dieser Wahnvorstellung wurde sie als geheilt entlassen.

Anna Oehlke litt unter Verfolgungsideen und Eifersucht, erregte sich immer häufiger und geriet schließlich derart in Streit mit Nachbarn, dass sie am 23. April 1935 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg gebracht wurde. Dort äußerte sie sich nur in unzusammenhängenden Sätzen, war zerfahren und zeitweise außer sich. Obwohl sie als harmlos angesehen wurde, wurde sie nicht entlassen, weil die Töchter sie nicht zu sich nehmen konnten. Am 4. Juli 1935 nahmen die damaligen Alsterdorfer Anstalten sie auf.

Zur Verwaltung ihrer Hinterbliebenenrente wurde ein Vermögenspfleger bestellt. Im September 1935 drängte Anna Oehlke auf ihre Entlassung. Sie wurde tätlich gegen Mitpatientinnen und verließ eigenmächtig das Gelände, so dass sie vorübergehend auf der geschlossenen Abteilung untergebracht wurde. Danach fügte sie sich und half bei Hausarbeiten, stopfte Wäsche und bewegte sich viel im Freien.

Die Frage, ob Anna Oehlke an einer erblichen Krankheit litt, war für einen ihrer Neffen deshalb von Bedeutung, weil er für ein Ehestandsdarlehen die Bestätigung benötigte, dass seine Tante nicht erbkrank sei. Der Neffe ging davon aus, dass die Ursache ihres Leidens im Kummer um ihren verstorbenen Mann und die Sorge um die Erziehung der beiden Töchter lag, deren Gesundsein er betonte. Die Anstaltsleitung verwies ihn an den Kreisarzt, der für ein derartiges Gutachten zuständig sei. Sein Urteil ist nicht bekannt.

Anna Oehlke wurde im Laufe der Jahre unzufriedener. Sie bewahrte ihre Selbstständigkeit bei der Körperpflege, blieb zeitlich und räumlich orientiert und ging spazieren, litt aber unter wiederkehrenden Wahnideen und geriet gelegentlich in Streit mit ihren Mitpatientinnen. Von Januar 1940 bis zu ihrer Verlegung aus Alsterdorf nahm sie von 62 kg auf 46 kg Körpergewicht ab. Am 12. August 1943 wurde sie zusammen mit 227 Frauen und Mädchen in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien abtransportiert. Eine ihrer Töchter, die im Juli ausgebombt und nach Westpreußen evakuiert worden war, hielt den Kontakt. Bei Anna Oehlkes Aufnahme in der Wiener Anstalt gewann der Arzt den Eindruck einer netten, ruhigen, orientierten Frau. Auf die Frage nach dem Grund ihrer Verlegung nach Wien antwortete sie, sie wolle sich wegen der Schwäche ihrer Nerven ausruhen. Ein Jahr nach ihrer Ankunft wurde sie in die dortige Pflegeanstalt verlegt, wo sie sich unverändert freundlich und zugänglich verhielt. Sie konnte sich orientieren, beantwortete die Fragen nach Krieg und Regierung richtig, achtete auf sich selbst und half in der Wäscherei. Dass sie arbeitete, teilte die Anstaltsleitung im Herbst 1944 sowohl ihrem Sohn als auch dem Vormund mit. Sie wog noch 42 kg.

Nach ihrer Rückkehr aus Westpreußen nach Hamburg erhielt Anna Oehlkes Tochter im Februar 1945 die Nachricht, dass der Zustand ihrer Mutter zufrieden stellend sei und sich ihr geistiges Befinden in der letzten Zeit nicht geändert habe. Bei Kriegsende wurde eine Postsperre verhängt, so dass Anna Oehlkes Angehörige von ihrem Tod am 21. Juli 1945 erst ein Jahr später im Mai 1946 erfuhren. Sie starb an "Auszehrung bei chronischer Geistesstörung und Enterocolitis". Anna Oehlke wurde auf dem Zentralfriedhof Wien beigesetzt.

© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 138; StaH 332-8 Meldewesen, K 6682; 332-5 Standesämter 6479-112/1910; Wunder, Exodus in: Wunder, Genkel, Jenner, Auf dieser schiefen Ebene.

druckansicht  / Seitenanfang