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Erich Graupner * 1905

Rahlstedter Straße 195 (Wandsbek, Rahlstedt)


HIER WOHNTE
ERICH GRAUPNER
JG. 1905
MEHRMALS VERHAFTET
ZULETZT 1939
KZ FUHLSBÜTTEL
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 1.4.1942
NIEDERHAGEN

Erich Fritz Graupner, geb. am 14.2.1905 in Obersachsenfeld/Kreis Zwickau, in den 1930er Jahren mehrfach inhaftiert, 1941 KZ Sachsenhausen, ermordet am 1.4.1942 im KZ Niederhagen

Rahlstedter Straße 195 (Lübeckerstraße 47)

Erich Graupner gehörte wohl zu denjenigen Homosexuellen, die auch heute noch klischeehaft als "typisch schwul" bezeichnet worden wären: Er wählte den Lehrberuf des Friseurs und gab sich auffallend "tuntig". Zugleich war er sehr gesellig und beliebt, sein Lehrherr, der Friseur Hermann Wolters, erinnerte sich 1938 auf Befragen gegenüber der Polizei "Mir war auch schon aufgefallen, daß Graupner … sehr gerne den Mantel meiner Frau anzog und ihren Hut aufsetzte. Hieran hatte er einen sichtlichen Spaß." Seine beruflichen Fähigkeiten lobte der Chef in den höchsten Tönen: "Er war ein guter Lehrling und wurde ein hervorragender Fachmann. Er hat ja auch zuletzt noch bei Kuse [korrekt: Kuhse] und Umland gearbeitet, bei dem nur erste Leute aus Hamburg als Kunden kommen." Auch nach seiner Lehrzeit verkehrte Graupner noch bei den Wolters und schüttete der Ehefrau auch mal sein Herz aus: "Als er einmal meiner Frau das Haar ondulierte, fing er zu weinen an und sagte, daß mit ihm etwas nicht in Ordnung sei. Es täte ihm auch weh, wenn er andere Leute mit Mädchen ausgehen sehe. Es verabscheue ihn, da er so etwas nicht könne."

Im Jahre 1905 war Erich Graupner im erzgebirgischen Obersachsenfeld als Sohn des Blechwaren-Fabrikbesitzers Willy Graupner und der Ernestine, geb. Oehlert, geboren worden. Er hatte einen älteren Bruder Alfons, geb. 1903. Die Familie zog noch im Jahr seiner Geburt nach Hamburg, wo der Vater zunächst bei der Firma Heidenreich & Harbeck arbeitete, bevor er später ein Autofuhrunternehmen besaß und nach Rahlstedt in die damalige Lübeckerstraße 47 umzog. Erich Graupner besuchte zunächst die Volksschule Kielortallee in Eimsbüttel und erlernte dann das Friseurhandwerk, in welchem er anschließend seinen Meistertitel erwarb.

Der 1,60 Meter kleine, schlanke Mann lernte mit 16 Jahren während seiner Ausbildung seinen ersten Freund kennen und verkehrte seit 1927/28 auch in dem Homosexuellen-Lokal "Zu den drei Sternen" in der Straße Hütten 60 in der Hamburger Neustadt. Dort fand er Kontakte zu Gleichgesinnten, nahm aber auch zu Strichjungen Kontakt auf, mit denen er gegen Geld Sex hatte.

Aus den überlieferten Berichten und Selbstzeugnissen geht hervor, dass Erich Graupner immer wieder unter seiner homosexuellen Veranlagung litt. Was letztlich der Auslöser für seine Lebenskrise im Herbst 1937 war, kann nur vermutet werden: War es der Verlust seiner guten Stellung bei dem renommierten Friseurgeschäft Kuhse und Umland am Stephansplatz 4, wo er nach zehnjähriger, zunächst erfolgreicher Tätigkeit seine Stellung verlor? War es eine unglückliche Liebesbeziehung? Seine früheren Arbeitgeber erklärten gegenüber der Polizei, sie hätten wegen seiner homosexuellen Veranlagung und seines "komischen Gebarens" mit der Kundschaft "Unannehmlichkeiten". Einer der Inhaber, Herr Umland, erklärte Ende Oktober 1937 weiter, er habe Graupner ein halbes Jahr zuvor von einem Selbstmord abgehalten. Weil er so "anormal veranlagt" sei, habe er ihn nicht wieder einstellen können.

So kam es, dass Erich Graupner am 21. Oktober 1937 im Lokal "Mädiseck", Große Freiheit 96 in Altona, weinend einem dort anwesenden Mann sein Herz ausschüttete: Er treibe sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Tagen durch Hamburger Lokale herum, sei homosexuell veranlagt und kein Mensch könne ihn von diesem Übel erretten. Auch habe er die Absicht, sich das Leben zu nehmen. Was er nicht wusste, war die Tatsache, dass er einem verdeckt ermittelnden Kriminalbeamten gegenüber saß, der anlässlich "allgemeiner Fahndungen" unterwegs war. Infolgedessen wurde er verhaftet und löste aufgrund seiner Lebensbeichte umfangreiche Verhöre und Nachforschungen aus, sodass er einen Tag später in "Schutzhaft" genommen und bis zum 30. November im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert wurde. Danach kam er in reguläre Untersuchungshaft, bevor ihm am 2. Februar 1938 vor dem Amtsgericht Ham­burg der Prozess gemacht wurde. Er wurde wegen "fortgesetzten Vergehens gegen § 175 StGB" zu einem Jahr und zwei Monaten Gefängnishaft verurteilt, die er bis zum 20. Dezember 1938 u. a. in der Strafanstalt Glasmoor absaß.

Bereits ein knappes Jahr später, am 30. Oktober 1939, wurde Erich Graupner bei der "Überholung", so nannte die Polizei die systematischen Überwachungen und Razzien (nicht nur) von Homosexuellen-Treffpunkten, des Fremdenheims "Seefahrt" mit einem Strichjungen aufgegriffen, den er zufällig ein zweites Mal in der Nähe der Reeperbahn getroffen und zu einer Übernachtung eingeladen hatte. Erneut wurde er für eine Woche im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert, bevor er am 8. November 1939 in Untersuchungshaft kam. Es muss ihm wie ein Déjà-vu-Erlebnis vorgekommen sein, als er am 9. Dezember 1939 ein zweites Mal als "unverbesserlicher Homosexueller" vom Amtsgerichtsdirektor Krause nach § 175 StGB wegen der zwei von ihm zugegebenen Kontakte verurteilt wurde. (Der gemeinsam mit ihm verhaftete Peter Petersen, geb. 30.12.1911 in Husum, kam nach einer Haftstrafe als "vermindert zurechnungsfähig" in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" und wurde 1942 von dort entlassen. Sein weiteres Schicksal ist bisher nicht bekannt.)

Die diesmal gegen Erich Graupner verhängten 15 Monate Haft verbüßte er in der Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis 3, nur unterbrochen von zwei Urlaubstagen anlässlich der Beerdigung seines Vaters, der am 4. März 1940 verstarb. Zum Ende seiner regulären Haftzeit muss ihm bewusst geworden sein, dass sein Leben in großer Gefahr schwebte und ihm eine Einweisung in ein Konzentrationslager drohte. Wie viele Leidensgenossen auch, versuchte er mittels Beantragung einer "Freiwilligen Entmannung" diesem Schicksal zu entrinnen.

Sein am 30. Oktober 1940 gestellter Antrag führte zwar noch zu einem stereotypen "Ärztlichen Bericht zur Frage der Entmannung" des Stadtphysikus Schwartz, jedoch scheint Erich Graupner vor einer Entscheidung in dieser Sache nicht mehr in Freiheit gelangt, sondern – wie in vielen vergleichbaren Fälle auch – über das innerstädtische Polizeigefängnis Hütten in ein Konzentrationslager eingewiesen worden zu sein. Aktenkundig ist seine "Entlassung" am 29. Januar 1941 zur Polizeibehörde. Mit der Häftlingsnummer 37154 tauchte er dann im April 1941 als Zugangshäftling für das KZ Sachsenhausen auf. Ferner ist ein Aufenthalt vom 6. bis 23. September 1941 im dortigen Krankenrevier nachgewiesen. Dann verlieren sich zunächst seine Spuren.

Erst in einer Wiedergutmachungsakte, die zwei Anträge des Bruders Alfons aus 1949 und 1958 beinhaltet, findet sich die Abschrift eines Briefes des "Schutzhäftlings Nr. 544 Block 1 Erich Graupner" vom 22. März 1942 aus dem seinerzeit "KZ Wewelsburg bei Paderborn" genannten Lager an seine Familie und damit sein letztes Lebenszeichen:
"Liebe Mutter, Liesel, Alfons u. kl. Louis!
Leider habe ich von Euch noch keine
Nachricht auf mein[en] letzten Brief!
ist etwas bei Euch passiert?
möchte es nicht hoffen. Mir geht es noch
gut! was macht Wolter und Tante Engel?
Für heute genug,
es grüßt Euch alle herzl.
Euer Erich"

Das KZ Niederhagen war ein temporäres und relativ kleines Konzentrationslager am Ortsrand von Büren-Wewelsburg. Es entstand 1941 aus dem Außenlager Wewelsburg, einem Nebenlager des KZ Sachsenhausen.

Am 1. April 1942 sandte der Lagerkommandant des Konzentrationslagers, SS-Hauptsturmführer Haas, ein Brieftelegramm mit der Todesnachricht von Erich Graupner nach Hamburg. In einem parallel verschickten Brief wurde der Mutter geschildert, dass ihr Sohn am 1. April um 9.30 Uhr auf der Flucht erschossen worden und eine Einäscherung der Leiche durch das Krematorium des Sennefriedhofes in Bielefeld erfolgt sei. Auf Wunsch könne die Asche an einen Heimatfriedhof versandt werden. Nach dieser grausamen Mitteilung verstarb die Mutter noch im selben Jahr im September 1942.

Die vom Bruder 1949 und 1958 gestellten Anträge auf Wiedergutmachung wurden jeweils abgelehnt. Die 1950 erfolgte erste Ablehnung für eine beantragte Haftentschädigung als gesetzlicher Erbe wurde damit begründet, dass er im Sinne des Sonderhilfsrentengesetzes als Bruder nicht anspruchsberechtigt sei. Ein 1959 nach dem Bundesentschädigungsgesetz gestellter Antrag wurde abgelehnt, weil sein nach § 175 StGB verurteilter und im KZ ermordeter Bruder "gemäß § 1 BEG" nicht "als Opfer der NS-Verfolgung anzusehen" sei.

© Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-8 (Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung), Abl. 2, 451 a E 1, 1 b; StaH 242-1II (Gefängnisverwaltung II), Ablieferung 16; StaH 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen), 2041/38 und 1060/41; StaH 351-11 (AfW), 26866 und 27165; Auskunft Rainer Hoffschildt, Hannover aus 2010.

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