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Bertha Uhink (geborene Casper) * 1887

Münzstraße 11 (Hamburg-Mitte, Hammerbrook)


HIER WOHNTE
BERTHA UHINK
GEB. CASPER
JG. 1887
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
LODZ

Bertha-Betti Uhink, geb. Casper, gesch. Nussbaum, geb. 1.12.1887 Magdeburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz

letzte Wohnadresse: Münzstraße 11

"Zahlungen, die nicht aus den … mtl. RM 200,– Hypothekenzinsen herrühren, gibt es für mich nicht. Ebenso wenig gibt es für mich unentgeltl. Zuwendungen von Seiten eines jüdischen Religionsverbandes, der mir völlig fremd ist, da ich der römisch-katholischen Kirche angehöre." In ihrem Schreiben vom 24. Oktober 1939 an den "Oberpräsidenten der Devisenstelle zu Hamburg" wehrte sich Bertha-Betti Uhink geradezu verzweifelt gegen die für sie unzumutbaren Auflagen des Oberfinanzpräsidenten:

Bei einem nachgewiesenen notwendigen Lebensunterhalt von monatlich 215 RM setzte er den ihr zu belassenden Einkommensfreibetrag mit lediglich 200 RM an, verlangte zudem von ihr die Einrichtung eines kostenpflichtigen Bankkontos und unterstellte Unterstützungsleistungen seitens des Jüdischen Religionsverbandes. Sie sah sich mit einer finanziellen Zwangslage konfrontiert, aus der sie nur mit Hilfe eines "arischen" Anwalts statt eines jüdischen "Konsulenten" herauszukommen meinte. Dass ihr die Inanspruchnahme des Anwalts Friedrich Schulte gestattet wurde, lag im Interesse des Oberfinanzpräsidenten, der "die Verwaltung des Vermögens", wobei es um eine Auseinandersetzung mit einem nichtjüdischen Hypothekengläubiger ging, "durch einen Juden für untunlich" hielt.

Bertha Uhink stammte aus Magdeburg, wo sie am 1.12.1887 als Bertha (Betti) Casper geboren wurde. Zwei Jahre später kam ihre Schwester Helene zur Welt, geb. 2.1.1890. Ihre Eltern, Heinrich Salomon Casper und Paula, geb. Samuel, führten im Breiten Weg, einer der Hauptverkehrsstraßen Magdeburgs, wo auch andere jüdische Kaufmannsfamilien ansässig waren, ein Geschäft für Herrengarderobe. Bertha erhielt offenbar eine gute Schulausbildung, über eine Berufsausbildung oder Berufstätigkeit ist nichts bekannt. Am 27. Oktober 1903, Bertha war 16 Jahre alt, starb die Mutter.

Mit 23 Jahren, am 6. Dezember 1910, heiratete Bertha den neun Jahre älteren jüdischen Kaufmann Eduard Nussbaum aus Borken, Kreis Homberg, geb. 17.7.1878, der ebenfalls im Breiten Weg wohnte. Auch seine Mutter war bereits verstorben. Als Trauzeugen fungierten Berthas Vater und Eduard Nussbaums Bruder Moritz.

Bertha und Eduard Nussbaum zogen nach Berlin. Als im Oktober 1912 dort Berthas Schwester Helene den Kaufmann Jacob Rosenthal heiratete, trat Eduard Nussbaum wiederum als ihr Trauzeuge auf. Heinrich Casper, Berthas Vater, starb am 25. Oktober 1918 und wurde wie schon seine Ehefrau auf dem jüdischen Friedhof in Magdeburg beigesetzt. Beide Ehen scheiterten: Im folgenden Jahr, am 18. Dezember 1919, wurde Berthas Ehe mit Eduard Nussbaum rechtskräftig geschieden, die von Helene und Jakob Rosenthal 1930. Bertha nahm ihren Geburtsnamen Casper wieder an, ihre Schwester behielt ihren Ehenamen bei. Beide Schwestern blieben kinderlos.

Ein Jahr nach ihrer Scheidung ging Bertha Casper eine zweite Ehe ein. Ihr Ehemann Carl Uhink stammte ebenfalls aus Magdeburg, war im gleichen Alter wie sie (geb. 8.9.1886) und ebenfalls geschieden. Sein Vater, Inspektor der Magdeburger Feuerversicherungs-Gesellschaft, gehörte der katholischen Kirche an, seine Mutter der evangelischen. Bei der Trauung am 30. Dezember 1920 in Berlin-Schmargendorf wurde keine Religionszugehörigkeit vermerkt. Berthas Schwager Jacob Rosenthal war einer der Trauzeugen, der andere der Kaufmann Franz Husmann aus Hamburg, wohin offenbar schon damals geschäftliche und persönliche Beziehungen bestanden.

Carl Uhink war Subdirektor einer Versicherungsgesellschaft und zog als Versicherungsdirektor ins damals noch preußische Rahlstedt bei Hamburg. Dort, in der Adolphstraße 17, starb er mit nur 42 Jahren am 24. Oktober 1928 an Lungenkrebs. Auch diese Ehe war kinderlos geblieben. Bertha blieb zunächst noch in Rahlstedt wohnen, zog dann aber um 1934 nach Hamburg in die Münzstraße 11 in der Nähe des Hauptbahnhofs. Am 10. August 1939 trat sie zum katholischen Glauben über.

Berthas und Helenes Vater hinterließ ihnen nach seinem Tod seinen letzten Wohnsitz, das "Haus zur goldenen Lilie" am Breiter Weg 133, das 1938 in den Besitz der Kaufleute Robert und Willy Weidlich überging. Auch Berthas Ehe mit Carl Uhink war kinderlos geblieben.

Nach Carl Uhinks Tod besaß seine Witwe als Alterssicherung ein Vermögen, das ausschließlich in Hypotheken bestand, die größte in Magdeburg. Von den ca. 200 RM Zinsen konnte sie, schrieb Bertha Uhink, "gerade ihr Leben fristen". Um ihre "Judenvermögensabgabe" zahlen zu können, mussten ihre nichtjüdischen Schuldner große Beträge ihrer Hypotheken abzahlen und die Summen direkt an das Finanzamt überweisen. Damit sanken Bertha Uhinks Einnahmen, während gleichzeitig Abgaben und Steuern stiegen, sie aber keine weiteren Mittel flüssig machen konnte. Der Anwalt veranlasste die Umwandlung der Hypothek in Magdeburg in eine Leibrente und die Bereitstellung eines auf Antrag an den Oberfinanzpräsidenten verfügbaren Betrages von 500 RM.

Bertha Uhink beendete ihr erstes Schreiben vom 24. Juni 1939 an den Oberfinanzpräsidenten mit der Bitte, ihr bei der Klärung der finanziellen Belange "keine Beschwerlichkeiten zu bereiten zu allem großen Leid" und unterzeichnete "Ergebenst, Frau Karl Uhink Wwe." In den folgenden Briefen ersetzte sie den Voramen ihres Mannes zunächst durch ein "B.", zeichnete in späteren Schreiben mit ihrem ausgeschriebenen Vornamen, und nur auf Formularen fügte sie "Sara" ein. Bertha Uhink stand dem NS-Staat verständnislos gegenüber, für dessen Vorgänger ihr Mann im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hatte und der sie, die Katholikin, nicht nur zu einer Jüdin machte, sondern sie auch dazu zwang, Steuern zahlendes Mitglied im Jüdischen Religionsverband zu werden. Dennoch musste sie sich den Forderungen dieses Staates unterwerfen, erkämpfte sich aber unter Inanspruchnahme eines Anwalts den ihr noch zustehenden Raum. So gelang es ihr, in ihrer Wohnung bleiben zu dürfen und den verordneten Hörapparat sowie eine neue Brille "mit Futteral" von ihrem Geld erwerben zu dürfen. Ihre Handschrift blieb bis zum letzten Schreiben sicher und deutlich.

Am 24. Oktober 1941 folgte Bertha-Betti Uhink dem Aufruf der Gestapo zur "Evakuierung" am folgenden Tage in das Getto Litzmannstadt/Lodz.

Ihre Hypotheken im Gesamtwert von 15603,12 RM, ihr Sparguthaben bei der Hamburger Sparcasse von 1927 in Höhe von 507,66 RM und ihr Hausrat, der einen Erlös von 1360,90 RM erbrachte, verfielen an das Deutsche Reich.

Wovon Bertha Uhink im Getto lebte, ist nicht bekannt. Ihr letztes Lebenszeichen ist ein Antrag auf "Befreiung von der Ausreise" an die Gettoverwaltung. Sie ging davon aus, mit dem Transport "nicht-arischer Christen" am 6. Mai 1942, den sie "katholische Aktion" nannte, deportiert zu werden. Der Antrag wurde abgelehnt. Sie hatte mit der Verleihung des Eisernen Kreuzes an ihren verstorbenen Ehemann am 24. November 1914 argumentiert, was in einzelnen Fällen Erfolg hatte, wenn der Antrag vom Inhaber selbst gestellt wurde.

Der Transport führte in das Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno, wo die Deportierten auf dem Weg dorthin oder bei ihrer Ankunft mit Lkw-Abgasen getötet wurden.

Das Amtsgericht Magdeburg löschte am 17. Februar 1944 den verbliebenen Betrag der Hypothek im Grundbuch, "weil der Tod der Gläubigerin – Witwe Betty Sara Uhink geb. Kasper (sic) – nachgewiesen ist". Interessant und erschreckend ist, dass auch Zivilbehörden wie ein Amtsgericht im Jahr 1944 offenbar von der physischen Vernichtung der deportierten deutschen Juden ausgingen.

Ob Bertha Uhink noch Kontakt zu ihrem ersten Ehemann hielt, ist nicht bekannt. Er wurde nach dem Novemberpogrom im Polizeigefängnis in Magdeburg inhaftiert und von dort ins KZ Buchenwald überstellt. Mit der Auflage, das Deutsche Reich umgehend zu verlassen, emigrierte er 1938 in die Niederlande. Dort wurde er verhaftet und gelangte in das KZ Sachsenhausen, wo er am 20. März 1940 zu Tode kam.

Helene Rosenthal wurde am 19. Januar 1942 von Berlin nach Riga deportiert, wo sich ihre Lebensspur verliert.


Stand: Juni 2017
© Hildegard Thevs mit Benedikt Behrens

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH, 213-13, 11688; 332-5 (Standesämter), 4397/74/1928; 522-1, Jüd. Gemeinden, 992 e 2 Deportationslisten; Stadtarchiv Magdeburg, Geburtsurkunden 2845/1886, 3052/1887; Heiratsurkunden 1086/1910, 1157/1911, Adressverzeichnis; Bezirksarchiv Berlin-Schmargendorf, Heiratsurkunden Uhink 165/1920 und Rosenthal; Mitteilungen zu Getto Lodz von Fritz Neubauer, Bielefeld, 2010, zu Magdeburg von Gertraud Zachhuber, 2013.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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