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Adele Weintraub vor ihrer Ehe
Adele Weintraub vor ihrer Ehe
© Privatarchiv

Adele Rühl (geborene Weintraub) * 1878

Wattkorn 15 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


HIER WOHNTE
ADELE RÜHL
GEB. WEINTRAUB
JG. 1878
VERHAFTET 1942
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 4.3.1943

Adele Rühl, geb. Weintraub, geb. am 4.3.1878 in Sokolow, Polen, am 10.12.1942 inhaftiert im Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel und am 4.2.1943 deportiert nach Auschwitz, ermordet am 4.3.1943 im KZ Auschwitz

Wattkorn 15

Adele Rühl stammte aus einer jüdischen Familie in Galizien. Ihre Mutter Mincze war eine geborene Dornfest. Ihr Vater hieß Falik Weintraub, von Beruf Händler. Ein Bruder wanderte ca. 1910 von Polen in die USA aus. Sie sprach von Hause aus jiddisch. Sie war Analphabetin. Ca. 1902 wanderte sie an den Rhein aus, wohnte in Kehl, arbeitete dort als Köchin und heiratete in Strassburg am 18. Oktober 1906 Karl-Wilhelm Rühl (geb. 18.9.1873). Er war zwölf Jahre Berufssoldat, ging später zum Zoll und wurde Oberzollsekretär. Ein Sohn Karl wurde 1905 geboren; eine Tochter Elsa (verheirate Pusch) 1907. Seit 1907 lebte die Familie in Hamburg-Eimsbüttel. In den 1920er Jahren bauten sie sich ein Haus in Langenhorn, Wattkorn 15. Als Mitglied der Baptistengemeinde "Zoar" in Hamburg-Eimsbüttel wird Adele Rühl erstmalig im Jahresbericht von 1914 erwähnt. Vermutlich ist sie von Prediger Carl August Flügge getauft worden. Schon vor ihrer Heirat in Strassburg war sie in die evangelische Kirche konvertiert, ca. 1903. Ihr Ehemann Karl-Wilhelm wurde ein Jahr nach ihr, 1915, Mitglied der Baptistengemeinde Eimsbüttel.

Seit 28. Dezember 1936 war Adele Rühl Witwe. Im Mitgliederverzeichnis der Baptistengemeinde ist sie bis zum Jahr 1940 aufgenommen: "Rühl, Adele, Witwe." Im Verzeichnis von 1945 erscheint sie nicht mehr.

Enkelin Renate Voss erzählt: In der Nazi-Zeit stand auch die Pusch-Familie weitgehend zu Adele Rühl. Von einem Gemeindeglied, das in die Familie Rühl eingeheiratet hatte, sich aber später von ihrem jüdischen Ehemann scheiden ließ (Sidonie Rühl, geb. Behrend), wurde sie Anfang 1942 als Jüdin denunziert [so der unbestätigte Verdacht]. Andere Baptisten (Ehepaar Rickborn und Mimi Detlefsen) hielten weiterhin zur Familie Kontakt. Als die Lage sich zuspitzte, riet die Familie, sie solle zu ihrem Bruder in die USA emigrieren. Adele Rühl daraufhin: "Ich bin getauft, mein Mann war Soldat, was soll mir schon passieren." Von der Gestapo erhielt sie Mitte 1942 die Aufforderung zur Meldung. Der Sohn legte den Taufschein vor bzw. ein Dokument, das ihre Konversion bezeugte, was ihr aber nicht half. Im November 1942 erging eine zweite Aufforderung zur Meldung zur Gestapo im Johannisbollwerk 7. Sie solle zum Arbeitseinsatz gebracht werden, hieß es. Eine gute Freundin riet ihr, sie solle "Schluss machen", sie wisse doch, was sie erwartet. Adele Rühls Antwort: "Ich hab mir mein Leben nicht selbst gegeben, ich darf es mir nicht selbst nehmen. Was Gott mir zugedacht hat, muss ich tragen!" Sie wurde verhaftet und im KZ Fuhlsbüttel von Dezember 1942 bis Februar 1943 in "Schutzhaft" genommen. In dieser Zeit konnte ihre Familie alle 14 Tage eine Tasche in die KZ-Haft bringen, mit Wäsche, Strickzeug und einer Thermoskanne mit Kaffee. Das letzte Lebenszeichen war ein Kassiber, der in der Thermoskanne gefunden wurde: "Wir kommen nächste Woche nach Auschwitz."

Eine offizielle Mitteilung über die Deportation erhielt die Familie nicht. Reinhold Pusch schreibt in seinem Bericht über "Oma Rühls Leidensweg" 1982: "Auch haben die Mitgefangenen durch Omas glaubensvolle Haltung manchen Trost erfahren." Elsa Pusch schrieb 1949: "Meine Mutter ist im Dezember 1942 aus rassischen Gründen von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel eingeliefert. Nach etwa 2 Monaten ist sie nach Auschwitz geschafft worden. Dort ist sie am 4.3.1943 verstorben." Am 4. Februar 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert. Eine Sterbeurkunde wurde für sie in Auschwitz ausgestellt mit dem Sterbedatum 4. März 1943; dort steht auch "evangelisch, früher mosaisch".

Nach den Erinnerungen von Liesel Dorra, geb. Rühl, herrschte wohl eine Spannung zwischen den Familien Karl und Sidonie Rühl auf der einen sowie Elsa und Reinhold Pusch auf der anderen Seite. Als jedoch in der Gemeinde bekannt wurde, dass Oma (Adele Rühl) in Fuhlsbüttel in "Schutzhaft" war, entfuhr Sidonia Behrend, geb. Zinke der Ausruf: "Das haben wir nicht gewollt" (Reinhold Pusch, 1982). Dies führte zu der Annahme, Sidonie Rühl, geb. Behrend, hätte ihre Schwiegermutter Adele Rühl bei den Behörden verraten. Ihre jüdische Identität war aber dort längst bekannt. Auf diesen Ausspruch hin sei die Angelegenheit vor den Gemeindevorstand (der damalige Prediger war Herbert Wieske) gebracht worden. Dort sei die Sache aufgeklärt worden und die beiden Familien (Elsa und Reinhold Pusch sowie Sidonie Rühl und ihre Mutter Sidonia Behrend) hätten sich wieder versöhnt. Die Frage bleibt, wann dieses versöhnende Gespräch im Vorstand geführt wurde, noch im Krieg oder kurz danach. Liesel Dorra vermutet, dass es erst nach dem Krieg war, möglicherweise bei der Wiederaufnahme von Elsa Pusch 1948.

Im August 1982 bringt Reinhold Pusch auf Bitten der Familie zu Papier: "Was ich von Oma Rühl’s Leidensweg und von den Umständen die dazu führten, erinnere." Ein dreiseitiges, maschinengeschriebenes Schriftstück. Darauf fußen in der Hauptsache alle Erinnerungen der Angehörigen. In Besitz der Familie sind auch die Kopien zweier Listen der "Schutzhaft" in Fuhlsbüttel, in denen unter "Zugänge" ihre Großmutter Adele Rühl am 10. Dezember 1942 verzeichnet ist und unter "Abgänge" am 4. Februar 1943 – mit dem Vermerk "K.L. Auschwitz".

Die Tochter Bärbel Hintze, geb. Rühl, und der Enkel Matthias Pusch fügen hinzu: "Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie zweifache Mutter und bereits siebenfache Großmutter. Später kamen weitere drei Enkelkinder hinzu. Mittlerweile wäre sie 18-fache Urgroßmutter und auch mehrfache Ururgroßmutter. Es ist also nicht gelungen, die Familie auszulöschen und die Erinnerung an Adele Rühl zu verhindern!"

Stand: Januar 2023
© Roland Fleischer

Quellen: 4; StaH, 351-11Amt für Wiedergutmachung, 3735 Adele Rühl (Schriftstücke von 1943–1967); Sterbeurkunde, ausgestellt vom Standesamt II Auschwitz am 13.4.1943; Gedenkblatt Yad Vashem, Jerusalem, eingereicht von Enkelin Renate Voss im Jahr 1975; Jahresberichte (Mitgliederverzeichnisse) der Baptistengemeinde "Zoar" (Eimsbüttel) von 1914–1940; Beate Meyer (Hg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945. Geschichte. Zeugnis. Erinnerung, Göttingen 2006; 100 Jahre Evangelisch Freikirchliche Gemeinde Hamburg-Eimsbüttel. Festschrift, Hamburg 1990, S. 36, 55 f., 67 f.; Enkel Carsten Pusch, Neumünster (Telefonate im Oktober 2009 und am 23.11.2010) und Enkelin Renate Voss, geb. Pusch, Hamburg (Gespräch am 6.10.2009, Brief vom 11.10.2009); Enkelin Liesel Dorra, geb. Rühl, Welzheim (Telefonate vom 8.11.2010 und 24.11.2010, Brief vom 9.12.2010, Besuch und Gespräch am 30.8.2011).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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