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Stolperstein für Cerline Kristianpoller

© Privat

Cerline Kristianpoller (geborene Jacobsohn) * 1873

Schloßmühlendamm 30 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
CERLINE KRISTIANPOLLER
GEB. JACOBSOHN
JG. 1873
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Cerline (Lina) Kristianpoller, geb. Jacobsohn, geb. am 30.4.1873 in Harburg, deportiert nach Theresienstadt am 15.7.1942, weiterdeportiert nach Treblinka am 21.9.1942

Schlossmühlendamm 30

Cerline Jacobsohn war das zweitjüngste Kind des jüdischen Ehepaares Charlotte und Moritz Jacobsohn. Ihr Vater war Inhaber der Manufaktur- und Modewarenhandlung "Gebr. Jacobsohn", die sich schon vorher im Familienbesitz befunden hatte. Ihre Mutter stammte aus Schwerin. Die Geschwister Richard (geb. 12.12.1863), Carl (geb. 6.10.1865), Ina (geb. 28.3.1867), Clara (geb. 18.3.1868), John (geb. 2.1.1869), Helene (geb. 12.10.1870), Rosa (geb. 15.3.1872) und Hermann (geb. 12.1.1875) wurden ebenfalls in Harburg geboren und wuchsen wie ihre Schwester Cerline in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der aufstrebenden Industriestadt auf. Ihr Bruder John und ihre Schwester Clara verstarben bereits im Kindesalter und wurden auf dem Jüdischen Friedhof der Stadt auf dem Schwarzenberg begraben.

Ihr Vater Moritz Jacobsohn war nicht nur ein angesehener Geschäftsmann, er war zudem von 1877 bis zu seinem Tode am 6. Juni 1915 Erster Vorsteher der Harburger Jüdischen Gemeinde. Wie andere führende Vertreter der Gemeinde setzte auch er sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg mit aller Kraft für eine aufrichtige Verständigung mit den nicht-jüdischen Nachbarn ein. Diese Aufgabe wurde durch eine zunehmende gesellschaftliche Säkularisierung des christlichen Bürgertums erleichtert, was in noch stärkerem Maße für die Arbeiterbewegung galt, die das Weltbild der Bevölkerungsmehrheit der jungen, preußischen Industriestadt an der Elbe prägte. Das Miteinander entwickelte sich positiv und erreichte zu Beginn des Ersten Weltkriegs einen ersten Höhepunkt, als jüdische Soldaten – auch in Harburg – ebenso begeistert ins Feld zogen wie ihre christlichen Kameraden.

Diesen Krieg erlebte Lina Kristianpoller mit ihrem Mann Siegmund, den sie am 26. Dezember 1911 geheiratet hatte, in Danzig. Dort kamen auch ihre beiden Kinder Werner und Arnold am 24. November 1913 und am 26. Juli 1916 zur Welt. Als Siegmund Kristianpoller 1930 starb, zogen die Hinterbliebenen in die alte Heimat zurück.

Hier fand das bisher durchaus verträgliche Miteinander der jüdischen Minderheit mit der nicht-jüdischen Mehrheitsbevölkerung drei Jahre später ein jähes Ende. Der bereits vorher vereinzelt aufflackernde Antisemitismus wurde jetzt von den Nationalsozialisten zur Staatsdoktrin erhoben. Ein erster Schritt zur Verdrängung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben war der so genannte Abwehr-Boykott gegen jüdische Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien, den die NSDAP für Samstag, d. 1. April 1933, ausgerufen hatte. Zwei Tage vorher hatte der Harburger Magistrat beschlossen, die weitere Zusammenarbeit mit 54 "jüdischen Unternehmen" einzustellen, die in einer beiliegenden Liste unter gleichzeitiger Angabe ihrer Adressen namentlich genannt wurden. Darunter befand sich auch die Firma "Gebr. Jacobsohn" in der Mühlenstraße (heute: Schlossmühlendamm). Diese Liste dürfte der Harburger NSDAP als Adressenverzeichnis nützliche Dienste erwiesen haben. Am 1. April bezogen auch in Harburg viele SA-Männer vor jüdischen Geschäften Posten. Mit Plakaten und Handzetteln forderten sie die Passanten dazu auf, sich nur in "deutschen Läden" sehen und bedienen zu lassen.

Trotz dieser und vieler weiterer Behinderungen blieben viele Stammkunden dem Modewarengeschäft "Gebr. Jacobsohn" auch in den nächsten Jahren treu, so dass Carl Jacobsohn, der das Unternehmen nach dem Tod seines Vaters weiterführte, mit dem Umsatz zufrieden sein konnte. Alle weiteren Zukunftsplanungen erübrigten sich jedoch, als Carl Jacobsohn durch die erste Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 gezwungen wurde, sich von seiner Firma zu trennen.

Lina Kristianpoller war inzwischen Mitglied der Hamburger Deutsch-Israelitischen Gemeinde geworden. Sie brauchte keine Kultussteuer zu zahlen, da sie über kein Vermögen und kein Einkommen verfügte. Finanziell wurde sie von ihrem Bruder Hermann und von ihren beiden Schwestern Helene Kalman und Rosa Zinner unterstützt, bei denen sie später auch wohnte, nachdem sie ihre eigene Wohnung in der Grindelallee – wahrscheinlich nicht freiwillig – aufgegeben hatte. Dabei hatte sie einen großen Teil ihrer Möbel und ihres Hausstands zurücklassen müssen, der anschließend neue Besitzer fand. Nachdem sie kurzfristig als Untermieterin in einer Wohnung in der Werderstraße untergekommen war, zog sie für einige Monate zu ihren Geschwistern Hermann, Helene und Rosa in die Schlüterstraße. Ihre letzte gemeinsame Adresse lautete Bundestraße 43. Dahinter verbarg sich das von John R. Warburg 1891 gegründete jüdische Wohnstift, das kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" übertragen und 1942 zum "Judenhaus" erklärt wurde.

Dieses Altenheim war inzwischen hoffnungslos überfüllt. Allein 126 seiner Bewohnerinnen und Bewohner wurden im Juli 1942 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz oder in das Getto Theresienstadt deportiert. Am 16. Juli 1942 wurde Cerline Kristianpoller in den Mauern dieser alten, nach der österreichischen Kaiserin Maria Theresia benannten Garnisonsstadt als Neuzugang registriert. Nicht ohne Grund erhielt Theresienstadt später den Beinamen "Wartesaal des Todes". Als ein Teil der "Endlösung" war das Lager für die meisten Gefangenen nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtung. In der Zeit vom 9. Januar 1942 bis zum 28. Oktober 1944 wurden rund 88.000 Menschen weiter nach Osten deportiert. Dieses Schicksal traf auch Cerline Kristianpoller. Nach zwei Monaten musste sie das Lager mit einem Transport verlassen, der in dem Vernichtungslager Treblinka in Polen endete. Die Transporte nach Treblinka galten zu Recht als Todestransporte.

In dieser "Todesfabrik" nordöstlich von Warschau wurden zwischen Juli 1942 und August 1943 ca. 900.000 Menschen durch Gas ermordet. Nach der Ankunft eines Zuges wurden die Transportteilnehmer sofort in die als Duschräume getarnten Gaskammern getrieben. Das einströmende Kohlenmonoxyd führte nach spätestens 25 Minuten zu einem qualvollen Tod der Eingesperrten. Anschließend wurden die Toten in Massengräbern verscharrt, die kurz danach bepflanzt wurden, um alle Spuren zu verwischen. Niemand sollte erfahren, wer die Toten waren und wo sie ermordet wurden. Der Stolperstein für Cerline Kristianpoller zeigt, dass wenigstens diese Rechnung der Mörder nur bedingt aufgegangen ist.

Zu den Opfern des Holocaust zählen auch ihr Sohn Arnold Moritz Kristianpoller, der am 25. Oktober 1941 nach Lodz deportiert wurde, und ihre Geschwister Helene Kalman, Rosa Zinner und Hermann Jacobsohn, die ebenfalls den Zug besteigen mussten, der 926 Jüdinnen und Juden am 15. Juli 1942 vom Hannoverschen Bahnhof im Hamburger Hafen nach Theresienstadt brachte. Helene Kalman starb dort am 30. September 1942, während Hermann Jacobsohn und Rosa Zinner zu den Menschen gehörten, die wie ihre Schwester in den Gaskammern des Vernichtungslagers Treblinka ermordet wurden.

Stand Dezember 2014

© Klaus Möller

Quellen: Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Jürgen Sielemann, Paul Flamme (Hrsg.), Hamburg 1995; Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bd. I-IV, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942–1945, Prag 2000; Staatsarchiv Hamburg 552-1, jüdische Gemeinden, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg; Staatsarchiv Hamburg, jüdische Gemeinden, 992e, Deportationslisten; Staatsarchiv Hamburg, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 2920 Lina Kristjanpoller; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt und Bezirksversammlung Harburg (Hrsg.), Hamburg-Harburg 2002; Eberhard Kändler/Gil Hüttenmeister, Der jüdische Friedhof Harburg, Hamburg 2004; Alfred Gottwaldt, Diana Schulle, Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Wiesbaden 2005; Lexikon des Holocaust, Wolfgang Benz (Hrsg.), München 2002; Wolfgang Benz, Barbara Distel, Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. München 2008; Wilhelm Mosel, Wegweiser zu den ehemaligen jüdischen Stätten in den Stadtteilen Eimsbüttel und Rotherbaum, Deutsch-Jüdische Gesellschaft Hamburg (Hrsg.), Hamburg 1985.

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