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Käthe Anna Erna Willbrandt (deren Kopf gestützt wird)
Käthe Anna Erna Willbrandt (deren Kopf gestützt wird)
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Käthe Anna Erna Willbrandt * 1911

Stormarner Straße 42 (Wandsbek, Wandsbek)


HIER WOHNTE
KÄTHE ANNA ERNA
WILLBRANDT
JG. 1911
EINGEWIESEN 8.5.1920
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
HEIL- UND PFLEGEANSTALT
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 16.9.1944

Käthe Anna Erna Willbrandt, geb. am 17.6.1911 in Wandsbek, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 8.5.1920, deportiert in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" in Wien am 16.8.1943, verstorben am 16.9.1944

Stormarner Straße 42 (Wandsbek)

Käthe Willbrandt kam am 17. Juni 1911 in der damals preußischen Stadt Wandsbek zur Welt und wurde am 3. Dezember in der Wandsbeker Christuskirche getauft. Die Eltern, der Arbeiter Henri Johann Karl Willbrandt, geboren am 22. August 1887 in Marlow im damaligen Herzogtum Mecklenburg-Schwerin und seine Ehefrau Maria Emma Sophie, geb. Mahncke, geboren am 4. Januar 1885 in Wandsbek, hatten am 18. April 1911 in Wandsbek geheiratet. Die Familie wohnte über viele Jahre in der Stormarner Straße 42 in Wandsbek.

Käthe Willbrandt hatte zwei jüngere Schwestern: Annemarie, geboren am 9. September 1912, und Luise, geboren am 19. Oktober 1913. Annemarie schloss die Mittelschule, Luise die Volksschule erfolgreich ab.

Käthe Willbrandt kam als Frühgeburt zur Welt. Im Kleinkindalter entwickelte sie sich nicht altersgemäß, bereits im März 1912 zeichnete sich eine Behinderung ab.

Ab 1914 musste Maria Willbrandt ihre drei Töchter allein versorgen: Ihr Ehemann hatte als Steward an der Jungfernreise des Luxusliners MS "Vaterland" nach New York teilgenommen und war nie mehr zurückgekommen. Seit 1922 galt Henri Willbrandt als verschollen. (Das Amtsgericht Wandsbek erklärte ihn 1955 auf den 31. Dezember 1925 für tot.)

Aufgrund eines vom Magistrat der Stadt Wandsbek initiierten ärztlichen Gutachtens wurde Käthe Willbrandt am 8. Mai 1920 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Laut Gutachten litt sie an "Idiotie" (veralteter Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung), außerdem an Zuckungen und der Lähmung beider Beine. Sie konnte weder gehen noch stehen. Käthe Willbrandt konnte zwar nicht sprechen, aber sich durch Zeichen ein wenig verständlich machen.
Bis zu ihrer Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten hatte Maria Willbrandt ihre behinderte Tochter allein betreut. Der Magistrat der Stadt Wandsbek hielt Käthe Willbrandts Aufnahme in einer Anstalt auch für erforderlich, damit ihre Mutter den Unterhalt für die beiden anderen Töchter erwerben könne.

Über Käthe Willbrandts Leben in Alsterdorf ist nur wenig überliefert. Sie wurde in den ersten Jahren gefüttert, spielte gern mit Puppen und betrachtete Bilderbücher. Ende 1925/Anfang 1926 konnte sie allein essen, allein sitzen und war auch fähig, kleinere Tätigkeiten zu verrichten. 1931 wurde festgestellt, dass Käthe fast nicht hören konnte.

Käthes Mutter war um ihr Kind während seines Aufenthaltes in Alsterdorf besorgt. Sie besuchte Käthe und holte sie oft zu Besuch nach Hause, 1938 zusammen mit der aus Alt-Duvenstedt stammenden und annähernd gleichaltrigen Patientin Anita Bölck. 1941 beschrieb das Personal Käthe Willbrandt als überwiegend ruhig und verträglich, im Jahre 1943 wurde notiert, sie werde gewaschen, gekämmt, an- und ausgezogen und gefüttert. Anscheinend waren frühere Fähigkeiten teilweise wieder verloren gegangen.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" in Wien, bekannt auch als "Anstalt am Steinhof" ab. Unter ihnen befanden sich Käthe Willbrandt und ihre Freundin Anna Bölck.

In der "Wagner von Jauregg Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" wurden Patientinnen und Patienten systematisch durch Überdosierung von Medikamenten, durch Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem aber durch Nahrungsentzug ermordet.

In der Wiener Anstalt wurde Käthe Willbrandts Gewicht zunächst mit 40 kg angegeben. Bei der Aufnahme sei sie ruhig gewesen, ihre Füße seien verkrüppelt, sie könne nicht gehen, sei unrein und pflegebedürftig. Im Oktober hatte sie bereits zwei Kilogramm abgenommen, im Dezember weitere zwei Kilogramm. Im Februar 1944 verlor Käthe Willbrandt rapide an Gewicht, jeden Monat ein Kilogramm. Die letzte Eintragung in die Gewichtstabelle vom Juli 1944 lautete: 27 kg. Sie hatte in dem Jahr seit ihrer Einlieferung in die Anstalt in Wien ein Drittel ihres Gewichts verloren.

Käthe Willbrandt starb am 16. September 1944 im Alter von 33 Jahren. Als Sterbeursache wurde in der Patientenakte "Marasmus" notiert, was als hochgradige Auszehrung als Folge starker Unterernährung übersetzt werden kann.
Demgegenüber erhielt ihre Mutter unter dem 22. September eine Mitteilung mit dem Wortlaut: "Ihre Tochter ist am 16.9.44 an Bronchopneunomie gestorben. Sie hat nicht gelitten. Gez. Dr. Wunderer".

Von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg kamen bis Ende 1945 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf. Auch Anita Bölck starb in der Wiener Anstalt, ihr Todesdatum war der 27. Januar 1945.

Stand: November 2021
© Ingo Wille

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 4127 Heiratsregister Nr. 18/1911 Henri Johann Karl Willbrandt/Marie Emma Sophie Mahncke, 3839 Geburtsregister Nr. 13/1885 Marie Emma Sophie Mahncke; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 212. Michael Wunder/Ingrid Genkel/Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 331-371 (Transport nach Wien). Susanne Mende, Die Wiener Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" im Nationalsozialismus, Frankfurt/Main 2000.

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