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Bereits verlegte Stolpersteine



Familie Neufeld: Clotilde (vorn), Rosa und Julius
Familie Neufeld: Clotilde (vorn), Rosa und Julius
© Privatbesitz

Clotilde Neufeld (geborene Baumann) * 1862

Hölertwiete 8 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
CLOTILDE NEUFELD
GEB. BAUMANN
JG. 1862
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 23.2.1943

Weitere Stolpersteine in Hölertwiete 8:
Hertha Künstlinger, Hans Neufeld, Julius Neufeld

Clotilde Neufeld, geb. Baumann, geb. am 25.4.1862 in Immenrode, deportiert am 15. 7.1942 nach Theresienstadt, dort am 23.2.1943 verstorben
Hans Neufeld, geb. am 11.3.1886 in Harburg, deportiert am 14.2.1945 nach Theresienstadt, dort am 18.5.1945 verstorben
Julius Neufeld, geb. am 12.9.1860 in Pattensen, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 24.12.1942 verstorben

Hölertwiete 8 (früher: Ludwigstraße 13)

Der gemeinsame Lebensweg des jüdischen Ehepaares Julius und Clotilde Neufeld begann in Harburg a. Elbe. Hier kamen ihre Kinder Hans (geb. 11.3.1886), Fritz (geb. 20.5.1887) und Ernst (geb. 5.5.1888) zur Welt. Der Wunsch, sich der Mehrheitsgesellschaft anzupassen, dürfte in der Familie Neufeld nicht unbedeutend gewesen sein. Dafür spricht, dass sowohl beide Eltern als auch alle Kinder evangelisch getauft waren.

Von der Elbe zog die Familie nach einigen Jahren nach Sangerhauen im Südharz, den Clotilde Neufeld aus ihrer Kindheit gut kannte. Hier betrieb Julius Neufeld eine kleine Schuhfabrik, und hier erlebte er am 18. Juni 1890 die Geburt seiner Tochter Rosa.

Sie blieb nicht das einzige Mädchen der Familie. Am 28. Februar 1895 wurde ihre Schwester Irma in Hamburg geboren, wo die Neufelds inzwischen in Barmbek ein neues Zuhause gefunden hatten. Hier besuchte Hans Neufeld das Wilhelm-Gymnasium, an dem er, der evangelische Sohn des Fabrikanten Julius Neufeld, Ostern 1904 sein Abitur mit guten Noten in den Sprachen und den Geisteswissenschaften ablegte. Anschließend studierte er Geschichte, Erdkunde und Germanistik an den Universitäten Jena, Heidelberg und Göttingen. An dieser zuletzt genannten Universität bestand er auch die Prüfung zum Lehramt an Höheren Schulen. 1910 veröffentliche er seine Doktorarbeit. Seinen anschließenden Vorbereitungsdienst absolvierte er an der Gelehrtenschule des Johanneums und an der Oberrealschule in Eimsbüttel.

Seine beiden Brüder sammelten währenddessen ihre ersten Berufserfahrungen nach der Schulzeit im elterlichen Schuhgeschäft. Den Ersten Weltkrieg erlebten alle drei als Soldaten in den Schützengräben und auf den Schlachtfeldern dieses unseligen Völkerringens. Ernst Neufeld verlor dabei sein Leben; seine Brüder kehrten 1919, dekoriert mit dem Eisernen Kreuz, in die Heimat zurück.

Hans und Fritz Neufeld gründeten nach dem Ersten Weltkrieg ihre eigenen Familien, während ihre Schwestern Rosa und Irma ledig blieben. Hans Neufeld heiratete am 3. Juni 1925 die 1899 in Hamburg geborene, nicht-jüdische Ernestine (Erna) Jacobine Mathilde Völscho. Aus dieser Ehe stammten die beiden Töchter Hildegard und Elisabeth Neufeld. Ihr Onkel Fritz Neufeld heiratete 1933 die 1909 in Hamburg geborene, nicht-jüdische Edith Körtge. Am 30. Dezember 1933 kam ihr Sohn Uwe zur Welt.

Der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler war mit tiefgreifenden Veränderungen im Leben der Familie Neufeld verbunden. Am 30. Juni 1934 wurde Dr. Hans Neufeld auf Grund des §6 des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" wegen seiner jüdischen Herkunft mit 48 Jahren in den Ruhestand versetzt. Nach seiner 2. Prüfung für das Höhere Lehramt hatte er an der Oberrealschule in Eimsbüttel, dann an der Dr. Anton Reé-Realschule am Zeughausmarkt und zum Schluss noch einige Monate an der Gelehrtenschule des Johanneums in der Maria-Louisen-Straße unterrichtet. Von seiner kleinen Pension – 67% seines ruhegehaltsfähigen Diensteinkommens – konnte er seine Familie kaum ernähren. 1942 musste er sein Haus am Heilholtkamp in Alsterdorf an seine "arische" Ehefrau Ernestine (Erna) verschenken. Auch Fritz Neufeld musste seine Firma, einen Schuhmacher Bedarfs-Artikel Großhandel, aufgeben. Am 7. Januar 1941 übertrug er sein Geschäft auf seine Frau Edith. Alle Kontakte zu seinen Kunden und Lieferanten musste er abbrechen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die beiden Brüder zu Arbeiten im Gartenbau und bei der Trümmerbeseitigung zwangsverpflichtet. Für den Wissenschaftler Hans Neufeld war diese Tätigkeit nur schwer erträglich. Ihre beiden Schwestern, die ebenfalls evangelischen Glaubens waren und von den Nationalsozialisten durch die Nürnberger Gesetze zu Juden erklärt wurden, waren nach ihrem Schulabschluss lange im Hamburger Gesundheitswesen tätig. Auch ihre berufliche Existenz wurde immer unsicherer. Zum Schluss hatten sie nur noch im Israelitischen Krankenhaus die Möglichkeit, sich beruflich zu betätigen. Sie lebten lange im Haushalt der Eltern, bevor sie ebenso wie ihre Mutter und ihr Vater in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs in ein "Judenhaus" umziehen mussten.

Nachdem 1941 bereits 3.162 jüdische Männer, Frauen und Kinder in vier großen Transporten vom Hannoverschen Bahnhof im Hamburger Hafen in den Osten deportiert worden waren, begann im Sommer 1942 eine zweite Deportationswelle, von der am 11. Juli auch Irma und Rosa Neufeld erfasst wurden. Der Abtransport nach Auschwitz war für die Schwestern eine Reise in den Tod.

Vier Tage später wurden Clotilde und Julius Neufeld am 15. Juli 1942 zusammen mit 924 anderen Personen in das Getto Theresienstadt deportiert, nachdem sie vorher einen entsprechenden "Evakuierungsbefehl" erhalten hatten. Ihm waren diverse Anweisungen beigefügt, die genauestens zu beachten waren. So hatten sie bei ihrer Ankunft an der vorgeschriebenen Sammelstelle auch ein Verzeichnis mit genauen Angaben über ihr restliches Vermögen, sofern ihnen überhaupt noch etwas verblieben war, und ihren inzwischen stark geschrumpften Hausstand vorzulegen. Auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 verfiel ihr Vermögen mit der "Verlegung ihres Wohnsitzes ins Ausland" dem Deutschen Reich. Zugleich wurde ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Aus einem Schreiben vom 30. September 1942 an den Oberfinanzpräsidenten ist ersichtlich, was im Einzelnen aus dem Hausstand der Eheleute Julius und Clotilde Neufeld, zuletzt wohnhaft im "Judenhaus" Frickestraße 24 in Hamburg-Eppendorf, einen neuen Besitzer fand. Der Verkauf einer kleinen abgenutzten Teppichbrücke, eines Kleiderschranks, einer Standuhr und fünf zusätzlicher Kissen erbrachte einen Erlös von 225,82 Reichsmark, die der Staatskasse zugeführt wurden.

Theresienstadt, der neue "Wohnsitz" der Eheleute – die ehemalige österreichische Festung an der Eger –, war im Herbst 1941 von den nationalsozialistischen Machthabern zu einem Sammellager bzw. Getto, umgebaut worden, in dem zunächst tschechische und bald danach auch Juden aus Deutschland und anderen Ländern Europas zusammengefasst wurden.

Im Sommer 1942 trafen laufend neue Transporte mit Hunderten von Menschen an diesem Ort ein. Als Clotilde und Julius Neufeld das Getto betraten, war es bereits heillos überfüllt. In den Räumen der alten Kasernen, die einst für 10 Soldaten gedacht waren, mussten jetzt mehr als 50 Menschen miteinander auskommen.

Von einer Privatsphäre konnte angesichts dieser Belegung in jenen Tagen keine Rede sein. Die sanitären Anlagen waren den veränderten Bedingungen ebenfalls nicht angepasst worden. Der Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner war von Hunger und Krankheiten geprägt. Die medizinische Versorgung war völlig unzureichend. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, dass täglich mehr als 100 Menschen starben. Im September 1942 stieg die monatliche Sterblichkeitsrate im Getto auf 3.941 Todesfälle. Auch die Lebenskraft des Ehepaares Neufeld sank in diesem Umfeld rasch. Fünf Monate nach seiner Ankunft in Theresienstadt war Julius Neufeld tot. Er starb am Heiligabend 1942 im Alter von 82 Jahren. Clotilde Neufeld schloss zwei Monate später, am 23. Februar 1943, für immer die Augen. Sie wurde 80 Jahre alt.

Ob und wann Hans und Fritz Neufeld davon erfuhren, kann nachträglich nicht mehr geklärt werden. Sie blieben von den Deportationen lange ausgenommen, weil sie mit "arischen" Frauen verheiratet waren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs ließen die nationalsozialistischen Machthaber jedoch auch die letzten Rücksichten auf "deutschblütige" Verwandte fallen. Reichsweit erhielten ab Januar 1945 viele in so genannten Mischehen lebende jüdische Männer und Frauen einen Befehl zum "auswärtigen Arbeitseinsatz" in Theresienstadt. In Hamburg waren davon zunächst 66 Frauen und 128 Männer – unter ihnen Hans und Fritz Neufeld – betroffen. Während die alliierten Armeen schon die Grenzen des Deutschen Reiches überschritten hatten, traten die beiden Brüder und ihre Schicksalsgefährten am 14. Februar 1945 eine Reise ins Ungewisse an.

In Theresienstadt sahen sie, wie Tausende von Häftlingen aus den überstürzt geräumten Konzentrationslagern im Osten hier Tag für Tag halbverhungert und total erschöpft eintrafen. Viele von ihnen waren krank. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs und nach der Befreiung des Gettos durch sowjetische Truppen brach hinter den Mauern der alten Festung eine Flecktyphusepidemie aus, die auch Hans Neufeld dahinraffte. Er starb am 18. Mai 1945. Sein Bruder Fritz überlebte die Haft und die Schrecken der Tage danach und kehrte im Sommer 1945 nach Hamburg zurück.

Stand Dezember 2014

© Klaus Möller

Quellen: Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Jürgen Sielemann, Paul Flamme (Hrsg.), Hamburg 1995; Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942–1945, Prag 2000; Staatsarchiv Hamburg, 314-15 Oberfinanzpräsident, R 1942/58, J / 6 / 657, N 110; Staatsarchiv Hamburg, 332-8 Meldewesen, A 50/1, Alphabetische Meldekartei 1943–1945, verzogen/verstorben, Film Nr. K 5053, Eintrag Hans Neufeld; Staatsarchiv Hamburg, 332-5 Standesämter, 12880; Staatsarchiv Hamburg, 351-11 Wiedergutmachung, 8595 (Hans Neufeld), 9727 (Fritz Neufeld); Staatsarchiv Hamburg, 131-11 Personalamt, LN 1280c; Iris Groschek, Dr. Hans Neufeld – eine Spurensuche, in: Zeitschrift für Niederdeutsche Familienkunde, Bd. 79, 2004; Hamburgisches Lehrer-Verzeichnis für das gesamte Stadt- und Landgebiet Schuljahr 1938/39, NS-Lehrerbund Hamburg (Hrsg.), Hamburg 1938, Harburger Adressbuch 1886.

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