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Stolpertonstein

Erzähler: Thomas Karallus
Sprecherin: Judith Strunk
Biografie: Maria Koser

Lilly Windmüller * 1904

Hegestraße 27 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Lodz

Weitere Stolpersteine in Hegestraße 27:
Flora Joseph, Gustav Rosenstein, Emilie Lilly Rosenstein

Lilly Windmüller, geb. 21.12.1904, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 15.5.1942 nach Chelmno weiterdeportiert

Hegestraße 27

"Es trifft nicht zu, dass ich Arbeit bekommen kann. Ich bin jetzt 35 Jahre alt, Jüdin und von schwacher Körperkonstitution und ich stehe unter dem Schutz der Lungenfürsorge, weil ich 7 Jahre tuberkulös war und jetzt auch noch tuberkulös gefährdet bin. ... Ich habe im Sommer 6 Wochen in der Wollkämmerei gearbeitet und bin dann ins Krankenhaus gekommen. Dort bin ich vom Arbeitsamt vertrauensärztlich untersucht worden und es ist festgestellt worden, dass ich keine Fabrikarbeit machen darf. Irgendeine andere Arbeit kann mir aber vom Arbeitsamt nicht vermittelt werden, auch bin ich nicht 100% arbeitsfähig. Für mich als Jüdin ist es auch aussichtslos, irgendwie andere Arbeit zu bekommen. Ich bin daher außerstande, meinen Unterhalt selbst zu verdienen und auf fremde Unterstützung angewiesen. ... Zur Zeit erhalte ich vom Arbeitsamt eine wöchentliche Unterstützung von RM 9,50, dafür muss ich fünf Mal in der Woche Pflichtarbeit machen. Es ist aber meines Erachtens nicht in Ordnung, das ich dem Staat zur Last falle, wenn meine Mutter 35.000 RM besitzt." In diesem Brief, den Lilly Windmüller 1940 an ihren Anwalt schrieb, um Armenrecht bewilligt zu bekommen, wird ihre Lebenssituation, aber auch die schwierige Beziehung zur Mutter deutlich.

Lilly war das zweite Kind von Percival und Margarethe Windmüller, geborene Simon. Ihr Vater, in New York geboren, kam mit neun Jahren nach Deutschland, besuchte in Hamburg und Altona die Schule und studierte in mehreren deutschen Städten Medizin. Um sich in Hamburg als Zahnarzt niederlassen zu können, beantragte er 1892 die hamburgische Staatsangehörigkeit. 1901 heiratete er Margarethe Simon, die aus einer großbürgerlichen Hamburger Familie stammte. Beide waren evangelisch getauft. Sie zogen in die Hagedornstraße, wo 1903 ihr Sohn Kurt geboren wurde. Als Lilly ein Jahr später auf die Welt kam, war die Familie schon in ihren langjährigen Wohnsitz in der Hochallee 57 gezogen. Dort wuchs Lilly Windmüller mit drei Brüdern auf, denn 1911 wurden Harald, genannt Denny, und 1913 Henning geboren.

Margarethe Windmüller hatte sich hier ein Atelier eingerichtet, in dem sie kunstgewerblich und als Fotografin arbeitete. Sie litt jedoch unter psychischen Problemen. 1916, Lilly war zwölf Jahre alt, unternahm ihre Mutter einen Selbsttötungsversuch, den sie überlebte. Zwei Jahre später starb Lillys älterer Bruder Kurt. Als ihre Eltern sich 1925 scheiden ließen, machte sie gerade eine Ausbildung zur Säuglings- und Wochenschwester, während die beiden minderjährigen Brüder zum Vater kamen und von der Haushälterin und Köchin versorgt wurden.

Lilly arbeitete in vielen verschiedenen Haushalten. Sie kümmerte sich jeweils ein paar Wochen oder Monate um das neugeborene Kind und die Wöchnerin und wohnte bei ihren jeweiligen Arbeitgebern. Lilly arbeitete nicht nur in Hamburg, sie nahm auch Stellungen in Berlin und Süddeutschland an. Aber der Beruf der Säuglingsschwester wurde schlecht bezahlt, sodass sie immer wieder in Geldnot geriet. Regelmäßig wandte sie sich an ihre Mutter und bat um einen Zuschuss, den ihr diese aber nicht gewährte. Margarethe Windmüller hielt ihre Tochter für haltlos und versuchte sie Mitte der 1930er Jahre sogar entmündigen zu lassen. Über mehrere Jahre hinweg eskalierte der Konflikt. Lilly sah nicht ein, dass sie von der Hand in den Mund leben sollte, während ihre Mutter ein kleines Vermögen durch ihre Erbschaft besaß, von deren Zinsen sie zwar ihren Sohn unterstützte, ihrer Tochter aber nichts zukommen lassen wollte. Ende der 1930er Jahre verkehrten sie nur noch über Anwälte miteinander.

Im September 1939 wurde Margarethe Windmüller in "Schutzhaft" genommen und anschließend in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" eingeliefert. Lilly Windmüller bekam als Säuglingsschwester keine Anstellung mehr, auch eine beantragte Arbeitserlaubnis für England blieb aus. Sie arbeitete in verschiedenen Fabriken, wie in der Hanfspinnerei Steen & Co. in Hamburg-Lokstedt und in einer Wollkämmerei auf der Veddel. Zwischendurch war sie immer wieder arbeitslos, da sie durch eine überstandene Lungentuberkulose äußerst krankheitsanfällig war. Sie wohnte in kleinen Zimmern zur Untermiete, in Wohnheimen oder, wenn sie gar kein Geld mehr besaß, im Obdachlosenasyl.

Im März 1941 starb ihre Mutter in der Anstalt Berlin-Buch. Lilly sollte ein Drittel und ihr Bruder Denny zwei Drittel des Vermögens, das im Wesentlichen aus Hypotheken bestand, erben. Bis auf einen kleinen Vorschuss kamen sie aber beide nicht mehr zu ihrer Erbschaft. Ihr Bruder Henning war 1939 als Kriegsfreiwilliger nach Finnland gegangen. Er hat dort, als finnischer Staatsbürger, die Shoa überlebt.
Am 25. Oktober 1941 wurden Lilly und Denny Windmüller mit seiner Frau Mathel ins Getto Lodz deportiert. Dort angekommen, wurde Lilly die "Wohnung" Nr. 1a in der Hohensteinerstraße 31/33 zugewiesen. Sie bestand aus zwei Zimmern ohne Küche, die sie sich mit elf anderen Menschen teilen musste. Am 15. Mai 1942 wurde sie von dieser "Wohnung" abgemeldet. Auf dem Abmeldeformular steht "Aussiedlung". Aussiedlung bedeutete die Weiterdeportation ins Vernichtungslager Chelmno. Hier verlieren sich die Spuren von Lilly Windmüller.

© Maria Koser

Quellen: 1; 2; 4; 8; StaH 314-15 OFP, R 1939/2618; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1995/1 26469; StaH 621-1/87 Firma W. Wulff Nr. 10; An-und Abmeldung Archiwum Panstwowe, Lodz; Hildegard Thevs, Stolpersteine Hamburg-Hamm, 2007, S. 64; Hildegard Thevs in: Sparr, Stolpersteine Hamburg-Winterhude, 2008, S. 259ff.; Maike Grünwaldt in: Fladhammer/Grünwaldt, Stolpersteine, Hamburger Isestraße, 2010, S. 183ff.; Löw, Das Getto, in: Feuchert/Leibfried/Riecke (Hg.), Die Chronik, Supplemente, 2007.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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