Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Stolperstein für Henry Steinberg
© Wolfram Becker

Henry Steinberg * 1885

Hirtenstraße 55 (Hamburg-Mitte, Hamm)

1941 Lodz
ermordet am 6.9.1942

Weitere Stolpersteine in Hirtenstraße 55:
Karoline Steinberg

Henri Steinberg, geb. 2.9.1885 Burgdorf, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, Todesdatum dort 6.9.1942
Karoline Steinberg, geb. Asser, geb. 22.10.1895 Kupferdreh, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, Todesdatum 9.7.1944 Auschwitz

Wie konnte ein 12-jähriges Kind das Getto von Lodz und später das Lager Auschwitz überleben?
Zusammen mit seinem Vater Henri Steinberg, geb. 2.9.1885 in Burgdorf, und seiner Mutter Karoline, geb. Asser, geb. 22.10.1895 in Kupferdreh, wurde Kurt Steinberg, geb. 21.8.1929, am 25. Oktober 1941 ins Getto Lodz deportiert. Ihnen wurde dort die Wohnung Alexanderhofstr. 37/8a zugewiesen. Ab 6. November 1942 wurden nur noch Karoline und Kurt Steinberg registriert, sie als Hausfrau, er als Schüler. Kurt gibt in seinen Erinnerungen an, der Vater sei im September an Unterernährung gestorben. Mutter und Sohn zogen am 20. August 1943 in die Fischstraße 14a/13 und am 24. Juli 1944 in die Sperlingstraße 16/14. Wie Kurt Steinberg, der sich später Stanton Curtis nannte, berichtete, kam er nach der Auflösung des Gettos im Juli 1944 mit seiner Mutter nach Auschwitz, wo sie gleich nach der Ankunft getrennt wurden. Kurt, inzwischen fast 15 Jahre alt, gab sich für 17 aus, was ihm unmittelbar das Leben rettete. Er wurde dem "Kanada-Kommando" zugeteilt. Hier musste er die Kleidung der soeben in den Gaskammern ermordeten Menschen sortieren. Als die sowjetischen Truppen vorrückten, kam er zunächst ins KZ Mauthausen und dann ins KZ Sachsenhausen. Er überlebte den Todesmarsch von dort nach Lübeck, wo ihn das britische Militär befreite. Seine Mutter war offenbar gleich ermordet worden.

Kurt Steinberg zog zu seinen Geschwistern nach Großbritannien und besuchte eine Handelsschule und ein Technikon. Nach einigen Zwischenstationen ließ er sich mit seiner Familie in Porto Alegre/Brasilien nieder.

Er stammte aus der zweiten Ehe seines Vaters Henri Steinberg, Mitglied einer weit verzweigten jüdischen Familie aus dem Hannoverschen, zu der auch der Militärschriftsteller Semmy Steinberg (13.7.1845 Mackensen – 26.10.1933 Hamburg) gehörte. Henri Steinberg wurde Kaufmann wie sein Vater Salomon, geb. 17.8.1848 in Mackensen. Seine Mutter Jenny Baruch, am 7.10.1855 in Hamburg geboren, war nach ihrer Heirat am 17.8.1882 in Hamburg zu ihrem Ehemann nach Burgdorf gezogen, wo Henri zur Welt gekommen war. Offenbar blieb er ihr einziges Kind.

Henri Steinberg wurde im Alter von 30 Jahren am 13. März 1915 zum Kaiserlichen Heer eingezogen und kehrte erst am 26. Februar 1920 aus dem Krieg zurück. Danach ließ er sich in Hamburg nieder und wurde Geschäftführer der Filiale der Warenhausfirma Gebrüder Heilbuth am Steindamm 8 in St. Georg. Noch in der Inflationszeit heiratete er Erna Asser, deren Familie Wurzeln in Altona und im Ruhrgebiet hatte. Die Eltern, Leo Asser, geb. 20.9.1869 in Altona, und Veronika, geb. Sommer, geb. 1.9.1874 in Freisenbach bei Gelsenkirchen, lebten in Kupferdreh/Essen, als ihre beiden ältesten Kinder, Karoline (22.10.1895) und Erna (6.7.1897), zur Welt kamen. Leo Asser zog mit seiner Familie zurück nach Altona, wo die Söhne Moritz (24.1.1899) und Alfred (26.2.1902) und der Nachkömmling Ingeborg (6.1.1910) geboren wurden.

Die Familien Asser und Sommer waren nicht nur durch die Heirat von Leo und Veronika verbunden, sondern auch durch die von Hermann Asser, geb. 26.6.1872 in Altona, mit Julie Jettchen, geb. Sommer, geb. 19.10.1876 in Essen-Steele, und Pauline Asser, geb. 2.8.1873 in Altona, mit Isidor Sommer, geb. 6.12.1870 in Essen-Steele. Leo und Hermann Asser handelten mit jeweils einem eigenen Geschäft mit Alt-Eisen- und Metall, Isidor Sommer fand sein Auskommen als Schuhmachermeister. Zwei weitere Geschwister, Adolph Asser, geb. 1871, und der Nachkömmling, die Schneiderin Auguste, geb. 1880, lebten ebenfalls in Altona. Adolph führte den Produktenhandel der Eltern Moritz und Henriette Asser nach dem Tod des Vaters 1890 fort, starb aber bereits 1904 im Alter von 33 Jahren an Lungentuberkulose. Offenbar hatte ihn seine Schwester Auguste bis zum Ende gepflegt. Sie heiratete 1905 Louis Wolf, geb. 4.8.1872 in Essen a. d. Ruhr. Aus ihrer Ehe gingen die drei Kinder Rudolf, Hilde und Curt hervor.

Die Kinder waren noch nicht volljährig, als Leo Asser am 3. April 1915 im Alter von 46 Jahren starb. Er wurde wie seine Eltern Moses/Moritz und Henriette, geb. Levin, und sein Bruder Adolph auf dem Altonaer jüdischen Friedhof am Bornkampsweg beerdigt. Seine Witwe Veronika ernährte ihre Familie als Händlerin mit Produkten (heimische Erzeugnisse im Gegensatz zu Kolonialwaren) und ging 25. März 1920 eine zweite Ehe ein. Vermutlich brachte sie Erfahrungen aus ihrer Mitarbeit im Geschäft ihres verstorbenen Mannes mit. Ihr zweiter Ehemann, der Kaufmann Max Wolff, geb. am 16.9.1863 in Lübtheen in Mecklenburg, übernahm die Rolle des Familienvaters und Haushaltsvorstands. Die Große Bergstraße 9 in Altona wurde zu ihrem Familienwohnsitz. Die Töchter erhielten Berufsausbildungen: Karoline wurde Buchhalterin, Erna Verkäuferin. Karoline verließ vorübergehend die Familie und arbeitete in Cuxhaven, bis sie 1922 zurückkehrte.

Erna heiratete als Erste. Am 16. April 1923 fand die Trauung mit Henri Steinberg in Hamburg statt. Der Konvention entsprechend, waren die Trauzeugen die Väter, Salomon Steinberg aus Burgdorf und Max Wolff. Am 20.8.1923 brachte Erna Asser ihr erstes Kind zur Welt, die Tochter Irmgard. Ihr folgte ein Jahr später, am 16.10.1924, Rolf.

Henri und Erna Steinberg bezogen Durchschnitt 1 im Grindelviertel eine Mietwohnung. Sie traten am 16. September 1923, dem Hyperinflationsjahr, in die Deutsch-Israelitische Gemeinde ein. Entsprechend seinem guten Einkommen entrichtete Henri Steinberg einen Jahresbeitrag von 25.000.000 Mark, dem entsprachen im folgenden Jahr 25 Reichsmark. In den beiden folgenden Jahren stiegen die Beiträge bis auf 37.40 RM. Ihr Leben wurde durch die unheilbare Krankheit Erna Steinbergs überschattet. Am 26. Januar 1928 starb sie mit nur 30 Jahren an einer Lymphogranulomatose. Auch sie wurde auf dem Friedhof Bornkampsweg beigesetzt.

Karoline Asser war einige Monate zuvor von Zuhause ausgezogen und hatte zunächst in der Königstraße und dann in der Holstenstraße in Altona ein Zimmer gemietet. Sechs Wochen nach dem Tod ihrer Schwester zog sie zu ihrem Schwager und sorgte für den Haushalt und die Kinder Irmgard und Rolf. Irmgard wurde Ostern 1929 schulpflichtig und in der Israelitischen Töchterschule in der Carolinenstraße eingeschult.

Karoline wurde schwanger, und am 17. Juli 1929 schlossen sie und ihr Schwager mit Karolines Mutter Veronika Wolff und ihrem Stiefvater Max Wolff als Trauzeugen die Ehe. Am 21.8.1929 brachte Karoline Steinberg ihren Sohn Kurt zur Welt. Er blieb ihr einziges Kind.

Um diese Zeit schloss die Firma Heilbuth ihre Filiale am Steindamm. Henri Steinberg fand eine neue Anstellung als Geschäftsführer der Filiale Rothenburgsort der Rudolf Karstadt AG am Billhorner Röhrendamm. Auch dort bezog er ein gutes Gehalt von monatlich 700 RM. Er wechselte mit seiner Familie nach Hamm in die Hirtenstraße 30, von dort in den Saling 2, nach Hamm Unten in den Rumpffsweg 37 und schließlich wieder nach Hamm Oben in die Hirtenstraße 55. Rolf begann Ostern 1931 mit dem Schulbesuch in der Talmud Tora Schule. Zu den Schulen fuhren die Kinder mit der Straßenbahn.

1934 wurde Henri Steinberg bei Karstadt entlassen und blieb bis zu seiner Deportation erwerbslos. Er lebte von seiner Kriegsrente und erhielt im Oktober 1940 einen kleinen Zuschuss von der Wohlfahrt. Außerdem vermieteten Steinbergs ein Zimmer. Bis ca. 1936 wohnte Georg Traube bei ihnen. Er zog dann in den Hammer Weg 37 zu Babette Löw (s. dieselbe). 1939 war Fritz Heymannsohn bzw. Heinsen (s. derselbe) bei ihnen gemeldet. Beide Untermieter wurden ebenfalls Opfer der NS-Verfolgung.

Karoline und Erna Assers Bruder Alfred war mit Ella Eckstein, einer "Arierin", liiert, durfte sie aber aufgrund der Rassengesetzgebung nicht heiraten. 1935 brachte sie einen Sohn zur Welt, Ralf. Max Wolff zeigte seine Geburt beim Standesamt an. Um der Verurteilung wegen Rassenschande zu entgehen, emigrierte Alfred Asser nach Palästina, Ralfs Mutter heiratete Walter Bollhorn, dessen Familiennamen Ralf seither trägt. Erst vor wenigen Jahren hat er von seiner Herkunft und den noch lebenden Verwandten erfahren. Sein leiblicher Vater diente bei der britischen Mandatsmacht in der Marine und starb 1943 durch einen deutschen U-Boot-Angriff auf ein Schiff auf dem Weg von Bulgarien nach Palästina. Er hatte in Palästina geheiratet, jedoch blieb die Ehe kinderlos.

Henri Steinbergs "große" Kinder wurden mit einem Kindertransport nach England geschickt und so gerettet. Kurt schien den Eltern noch zu jung zu sein, obwohl sie von Verwandten aufgenommen wurden.

Am 28. August 1931 war Isidor Sommer bereits gestorben, am 4. Dezember 1940 starb Max Wolff. Ihnen blieben so die Deportationen erspart, anders als Karoline, Henri und Kurt Steinberg. Zusammen mit ihnen wurden die Cousine Hilde Vogel, Tochter von Auguste Wolf, mit ihrem Ehemann Iwan (s. dieselben) zum "Aufbau im Osten" in das Getto von Litzmannstadt/Lodz verschleppt. Ihnen folgten mit den beiden Transporten ins Getto von Minsk Karoline Steinbergs Cousins Max Sommer mit seiner Ehefrau Edith, geb. Metzger, und Rudolf Wolf mit seiner Familie Betty, geb. Bettelheiser, und Friedel am 8. November und Moritz Asser (s. derselbe) am 11. November 1941. Rudolf Wolf war nach dem Novemberpogrom im KZ Sachsenhausen inhaftiert und erst am 11. Januar 1939 entlassen worden. Die üblicherweise damit verbundene Auflage, das Deutsche Reich zu verlassen, konnte er nicht erfüllen.

Nachdem die Generation der unter Sechzigjährigen mit Ausnahme von Ingeborg Asser entweder verstorben, ausgewandert, untergetaucht oder deportiert war, begann 1942 der Abtransport der Elterngeneration in das Getto von Theresienstadt. Als erste verließen am 15. Juli 1942 Karolines Tanten Pauline Sommer, Auguste Wolf und Julie Jettchen Asser mit ihrem Ehemann Hermann sowie der Bruder ihres Stiefvaters, Franz Wolff, mit seiner Ehefrau Luise Hamburg. Ihnen folgte mit dem nächsten Transport am 19. Juli 1942 Willy Wolff. Ihre Deportationen erfolgten so unvorbereitet, dass die vorgeschriebenen Heimeinkaufsverträge nicht abgeschlossen werden konnten. Niemand von ihnen hätte auch nur die geringste Summe dafür zur Verfügung gehabt, wie die Sammelliste dieser Transporte ausweist.

Als Veronika Wolff, verwitwete Asser, geb. Sommer zusammen mit ihrer erst 33 Jahre alten Tochter Ingeborg Asser (s. dieselbe) am 24. März 1943 nach Theresienstadt verschleppt wurde, trafen sie die dorthin verbrachten Verwandten bis auf Willy Wolff nicht mehr an. Er war bereits am 21. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka transportiert und nach der Ankunft ermordet worden. Mit ihnen wurde die einzige uns bekannte in Hamburg lebende Verwandte von Henri Steinbergs Seite, Johanna Baruch, eine Schwester seiner Mutter, 82 Jahre alt, deportiert. Sie lebte nur noch drei Wochen. Franz Wolff starb in Theresienstadt selbst am 7. Juni 1943. Pauline Sommer wurde am 14. Januar 1944 nach Auschwitz verschleppt, wo sie offenbar unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurde. Das gleiche Schicksal traf Veronika Wolff am 15. Mai 1944. Ihre Tochter Ingeborg war mit ihr nach Auschwitz und von dort aber weiter in das KZ Stutthof verbracht worden, wo sich ihre Spur verliert. Vor ihrer Verschleppung nach Auschwitz hatten sie noch den Tod von Auguste und Louis Wolf im Getto von Theresienstadt erlebt.

Ein Jahr zuvor, am 15. Januar1943, war Hermann und Julie Jettchen Assers Tochter Else, verheiratete Gelblum, ermordet worden. Sie war nach Belgien emigriert und von dort direkt nach Auschwitz geschickt worden. Ihre Eltern überlebten die Haft im Getto Theresienstadt und kehrten am 30. Juni 1945 nach Hamburg zurück. Julie Asser starb 1946, Hermann 1958.

Die Versteigerung des Hausstands von Henri und Karoline Steinberg nach ihrer Deportation erbrachte 1768,65 RM zugunsten des Hamburger Oberfinanzpräsidenten und ist ein Zeugnis von ihrem bürgerlichen Leben. Was an Hausstand, Wertgegenständen und Guthaben mit Veronika Wolffs Deportation an das Deutsche Reich verfiel, wurde im Zuge der Restitution erfasst und ging in das Globalabkommen ein.

Zur Eröffnung der Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof 2017 wurde Curtis Stanton aus Sao Paulo eingeladen, konnte aber wegen eines Unfalls nicht teilnehmen.

Stand: März 2018
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 8; 9; Hamburger Adressbücher; Landeshauptarchiv Schwerin, 5.12-3/20 Statistisches Landesamt (1851-1945); StaH, 213-13, 13014; 332-5, Geburts-, Heirats-, Sterberegister; 351-11, 8132; 522-1, Jüdische Gemeinden, 390 Wählerverzeichnis 1930; 391 Mitgliederliste 1935; 922 e 2 Deportationslisten Bd. 1 - 5; Abl. 1993, Ordner 10; Michael Nüssen: Schriftliche Zusammenfassung von E-Mails und dem Interview mit Curtis Stanton aus der "Werkstatt der Erinnerung" der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg; Archivum Panstwowe, Lodz; Verwaltung Jüdischer Friedhof Ohlsdorf; http://www.jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html, Friedhofsdatenbank Bornkampsweg, Zugriff 15.2.2018; persönliche Mitteilungen von Ralph Bollhorn v. 10.2.2018.
Zur Nummerdierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang