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Bereits verlegte Stolpersteine



Max Wagner * 1914

Brahmsallee 25 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
MAX WAGNER
JG. 1914
VERHAFTET 1943
ZUCHTHAUS
BREMEN-OSLEBSHAUSEN
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 22.2.1943

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 25:
Max Abraham, Kathy (Käthy) Abraham, Georg Meyerson, Erna Meyerson, Anneliese Meyerson, Hildegard Meyerson, Harriet Peyser, John Rogozinski

Max Wagner, geb. am 31.5.1914 in Altona, 1939 Zuchthaus Oslebshausen, am 22.2.1943 in Auschwitz ermordet

Brahmsallee 25

Max Wagner war das älteste von vier Kindern seiner Eltern Jonas Juda Ginsberg, geb. 1.11.1891 in Grodek/Polen, und Bronia (Brane) Bertha Wagner, geb. 2.11.1890 in Vitky Lubaczev/Polen. Bronias Eltern Marcus Sommer und Frynet Wagner waren nicht staatlich, sondern von einem Rabbi getraut worden, weshalb Bronia von Geburt an Wagner hieß. Nach eigenen Angaben wurde sie 1912 in Polen, ebenfalls nur nach jüdischem Ritus, mit Jonas Juda Ginsberg ehelich verbunden, wobei sie ihren Mädchennamen "Wagner" behielt.

1913 kam das Paar nach Altona, wo 1914 Max geboren wurde. Da nach deutschem Recht die Ehe der Eltern nicht anerkannt wurde, galten alle Kinder als unehelich geboren und hießen nach der Mutter "Wagner". Nach Max wurden fünf weitere Kinder von Bronia Wagner in das Personalregister eingetragen. Davon lebten zwei nur wenige Tage oder Wochen: Willy (9.–11.12.1916) in Altona; Taube Jutta, geb. 1924 in Hamburg; Kasril (24.–29.11.1926) in Altona; Benno, geb. 1928 in Altona; Hedi, geb.1932 in Altona.

Ihrem Sohn Max erzählte Bronia Wagner eine persönliche Version über seinen leiblichen Vater. Sie sei vom Rabbi mit "Chajim" getraut worden. Danach sei er nach Amerika ausgewandert und dort bald gestorben. Außer dem Vornamen nannte sie keine weiteren Daten. Auch später ließen sich keinerlei amtliche Dokumente zur Bestätigung dieser Angabe finden. Ob Max Wagner in Jona Ginsberg einen "Vater" oder einen "Stiefvater" hatte, blieb unklar. Jonas Ginsberg und Bronia Wagner heirateten standesamtlich am 30. Juni 1939 in Zbaszyn, wohin sie als Polen aus Deutschland ausgewiesen worden waren. Dabei erkannte Ginsberg alle Kinder Bronias als seine eigenen an und gab ihnen seinen Namen. Max befand sich jedoch seit Mai 1938 in Untersuchungshaft in Hamburg und lief während seiner Haftzeit weiter als "Max Wagner". In Altona gründete Ginsberg ein eigenes Unternehmen zur Herstellung und zum Verkauf von Säcken, beschäftigte einige Arbeiterinnen und ließ sich als gewerbetreibender Sackflicker registrieren. Damit sicherte er der Familie ein gutes Auskommen. Die Geschäftsadressen wechselten von der Großen Mühlenstraße bei der Michaeliskirche in Hamburg nach Altona Taubenstraße 1 und Scheel-Plessenstraße. Die Familie wohnte zunächst in der Zeisestraße 185, dann in der Taubenstraße 16.

Max Wagner besuchte die ersten drei Klassen der Talmud Tora Schule und danach die Volksschule Altona bis zu seinem 14. Lebensjahr. Einen Beruf erlernte er nicht, sondern übernahm Gelegenheitsarbeiten als Bote oder Handlanger im Hafen. Auf verschiedenen Schiffen fuhr er als Steuerassistent nach Australien, Japan, Indien und anderen Ländern. Anfangs verdiente er neben Kost und Logis 100 RM, später bis zu 380 RM jährlich. Außer einem vierwöchigen Beschäftigungsnachweis bei der Seekasse ließen sich keine weiteren Belege über seine Berufsarbeit finden. In Altona und Hamburg wechselte er als Untermieter häufig die Quartiere und kehrte zwischenzeitlich immer wieder zu seiner Mutter in die Taubenstraße 16 zurück. In der Isestraße 25 wohnte Max Wagner kurzzeitig im Februar/März 1936 zur Untermiete bei Fleischmann, zuvor in der Isestraße 57, III. Stock und danach in der Friedrichsbergerstraße 15, II. Stock. In die Israelitische Gemeinde trat er 1936 ein, gab als Beruf "Hausangestellter" an, auf seiner Steuerkarte ist keine Beitragszahlung vermerkt.

Im März 1938 kehrte Max Wagner von einer längeren Seereise zurück und arbeitete in der Firma seines Vaters Ginsberg. Am 13. Mai 1938 wurde er wegen "Rassenschande" von der Geheimen Staatspolizei verhaftet, am nächsten Tag richterlich vernommen und in Untersuchungshaft eingeliefert. Ein dreiviertel Jahr später, am 16. Januar 1939, erging gegen ihn das Urteil der 6. Strafkammer des Landgerichts in Hamburg. Der Angeklagte wurde "wegen Rassenschande in zwei Fällen und wegen versuchter Rassenschande in einem weiteren Fall zu 6 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Untersuchungshaft wurde ihm auf die Strafe angerechnet."

Das Urteil gibt Aufschluss über Motive und Verfahrensweise nationalsozialistischer Hamburger Richter in einem der 391 Fälle, die zwischen 1936 und 1943 wegen "Rassenschande" zu Verurteilungen führten. Die Hauptvernehmung begann mit Feststellung der "rassischen" Qualität des Angeklagten und aller Zeugen, wobei Physiognomie und Körperbau als un­trügliche Merkmale galten. Der polnischstämmige Max Wagner erschien seinen Richtern als "Typ des sog. Ostjuden"; die erste Zeugin war "nach ihrem Aussehen und den vorliegenden Abstammungsurkunden deutschblütiger Abstammung". Bei Zeugin Nr. 2, einem "Kontrollmädchen", wurde die deutsche Reichszugehörigkeit und "Deutschblütigkeit" festgestellt. Die dritte Zeugin und zugleich Denunziantin, "die einen nordischen Eindruck macht", konnte ebenfalls ihre "arischen" Vorfahren nachweisen.

Bezüglich der Abstammung von Max Wagner übernahm das Gericht die Aussage von Bronia Wagner: Sie sei 1913 in Mährisch-Ostrau nach jüdischem Brauch mit "Chajim" getraut worden. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Max sei Chajim … nach Amerika ausgewandert und dort verschollen. Für das Gericht interessant wurde diese Geschichte, als Max Wagner in der Hauptverhandlung bezweifelte, dass sein leiblicher Vater Jude gewesen, er selbst also "Volljude" sei. Da das Gericht keinen amtlichen Beweis für die Existenz und Abstammung von "Chajim" erbringen konnte, stützte es die Argumentation darauf, dass Max Wagner sich bei allen vorigen Verhandlungen ohne zu zögern als "Volljude" erklärt habe. Außerdem sei der typisch jüdische Name "Chaijim" Beweis genug für die volljüdische Abstammung des Angeklagten. Seine plötzlichen Zweifel seien nur durch den Versuch zu erklären, als Sohn eines nichtjüdischen Vaters eine mildere Strafe zu bekommen.

Nachdem dieser Punkt abgehakt war, setzten die Richter das Strafmaß fest: Max Wagner habe die sexuellen Beziehungen zu einem "deutschblütigen" Mädchen nach Erlass der "Nürnberger Gesetze" vom September 1935 im vollen Bewusstsein der Strafbarkeit dieser Beziehung fortgeführt. Dass er ihr die Heirat nach einer gemeinsamen Flucht ins Ausland nahegelegt hatte, mindere das Verbrechen nicht. "Unter grundlegender Bedeutung der Rassengesetze für die Erhaltung und die Reinheit des deutschen Volkstumes und der Notwendigkeit der Abschreckung vor Rassenverbrechen" befand das Gericht in diesem Fall der unter den Rassegesetzen fortgesetzten Rasseschande eine Zuchthausstrafe von zwei Jahren für angemessen. Der einmalige Besuch bei einer Prostituierten in einem Bordell, in dem der Eintritt für Juden verboten war (Fall 2), sollte durch eine Zuchthausstrafe von einem Jahr "gesühnt" werden. Ungleich härter wurde der Fall 3 beurteilt. Um sich die Frau gefügig zu machen, habe Max Wagner den Umstand ausgenutzt, dass er das Mädchen seit Kindertagen kannte, sowie die Tatsache, dass sie wie er selbst im Geschäft von Jonas Ginsberg arbeitete. "Seine wiederholten Überfälle auf die Zeugin Wölffert, die einen nordischen Eindruck macht, zeigen mit aller Klarheit seine hemmungslose jüdische Gier nach deutschen Frauen und die Gewissenlosigkeit, mit der sich der Jude Wagner über Grundgesetze seines Gastvolkes hinwegsetzt." Die "erforderliche Sühne" bestehe in vier Jahren Zuchthausstrafe. Die drei Einzelstrafen wurden zusammengefasst zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Am 3. Februar 1939 wurde er zur Verbüßung der Haftstrafe ins Zuchthaus Oslebshausen bei Bremen überstellt. Vor vollständiger Verbüßung der Strafe wurde die Haft auf Verfügung des Reichsjustizministers durch Abgabe an die Polizei im Januar 1943 unterbrochen. Deutsche Gefängnisse, Zuchthäuser und Konzentrationslager sollten "judenfrei" gemacht werden, indem die jüdischen Häftlinge in Vernichtungslager überstellt wurden. Am 14. Januar 1943 wurde Max Wagner zur Deportation nach Auschwitz abgeführt und dort am 22. Februar 1943 ermordet. (Der Deutsche Bundestag hob "Rassenschande"-Urteile am 25. August 1998 auf.)

Die Mutter Bronia Wagner hatte nach der Verhaftung ihres Sohnes Max vergeblich die auch ihr bekannte Denunziantin gebeten, die Anklage zurückzuziehen. Von Max‘ weiterem Ergehen erfuhr sie nichts mehr. Denn die ganze Familie Ginsberg-Wagner traf am 28. Oktober 1938 ein schwerer Schlag, die sogenannte Polenaktion. Mit der zwangsweisen Ausweisung polnischer Staatsbürger aus dem Deutschen Reich wollte die nationalsozialistische Regierung einem von Polen zum 30. Oktober 1938 angekündigten Gesetz zuvorkommen, das die Rückkehr polnischer Juden vereiteln sollte. Daraufhin erfolgte die Ausweisung der Polen aus Hamburg gewaltsam und für die Betroffenen völlig überraschend. Sie mussten alles zurücklassen, wurden von der Gestapo sofort in Sonderzüge gesetzt und an die polnische Westgrenze transportiert. Ihre Wohnungen und Geschäftsräume wurden versiegelt. Unmittelbar nach den Ausweisungen setzten die Vormundschaftsgerichte sogenannte Abwesenheitspfleger ein, die das Vermögen inventarisierten und die laufenden Geschäfte abwickelten. Die Abwesenheitspflegschaft Ginsberg wurde 1939 abgeschlossen. Die entsprechenden Vermögensobjekte wurden "verschleudert".

Familie Ginsberg-Wagner blieb bis Juni 1939 in Bentschen (Zbonschin)/Polen interniert. Während dieser Zeit heirateten Bronia Wagner und Jonas Ginsberg standesamtlich. Im Juni 1939 fuhr die Familie zu Verwandten nach Tscheschanow im äußersten Südosten Polens an der russisch-ukrainischen Grenze. Als deutsche Truppen das "Generalgouvernement Polen" einrichteten und das Land besetzten, flüchtete die Familie Ginsberg, Eltern und drei Kinder, in die Wälder "Ruda Ruczinska", wo sie der polnische Bauer Zascha Dubinsky in einem Holzhaus versteckte. Da aber aus Sicherheitsgründen nicht alle zusammenbleiben sollten, trennte sich der Vater mit den beiden älteren Kindern vom Rest der Familie. Die Zeugnisse über ihren Tod sind widersprüchlich. Bronia Ginsberg selbst gab keine klaren Auskünfte. Einmal sagte sie aus, der Bauer, der ihnen im Wald ein Holzhaus als Versteck geboten hatte, habe zu ihrer Sicherheit dazu geraten, dass Jonas Ginsberg und die beiden älteren Kinder sich anderswo verstecken sollten. Danach seien sie den Deutschen ausgeliefert worden und seitdem verschollen. Ein andermal behauptete Bronia Ginsberg, ihr Mann habe sie noch bis 1943 mehrmals im Walde besucht. In einer anderen Version gab sie die eidesstattliche Versicherung, ihr Mann und die Kinder Taube und Benno seien von den Deutschen erschossen worden. So wurden sie zunächst zum 8. Mai 1945 für tot erklärt. Dann aber tauchte eine Todesurkunde von Jonas Jona Ginsberg auf, die bezeugte, dass er bereits am 13. März 1940 in Lemberg verstorben war. Die Todesart war nicht festgehalten worden, auch fehlte jede Spur von den beiden Kindern. Von ihrem Sohn Max erhielt Bronia Ginsberg nie wieder ein Lebenszeichen.

Sie und ihre jüngste Tochter Hedi, die beiden Überlebenden, blieben bis 1943 im Versteck. 1944 nahm die russische Armee die schwer kranke Frau in ein Militärlazarett auf, danach kam sie in ein Krankenhaus in Lemberg (Lwow). Ihre Tochter war immer bei ihr. Nach ihrer Genesung arbeitete Bronia Ginsberg in einer Konfektionsfabrik der Firma Tscherwonai. Die Tochter heiratete David Herczkowicz im ukrainischen Chust. Das junge Paar zog gemeinsam mit der Mutter nach Breslau, von wo aus sie sich um eine Ausreise in die USA bemühten. Aus den Ostblockländern war das sehr schwierig. Es gelang erst 1964 mit Hilfe von Bronia Ginsbergs in Israel lebendem Bruder. Entsprechend verspäteten sich die nach Hamburg gerichteten Wiedergutmachungsgesuche. Angesichts der Widersprüche in ihren Aussagen wurden der Antragstellerin bei der Bemessung der Wiedergutmachungsbeträge ihr hohes Alter und ihre mangelnde Sprachkenntnis zugute gehalten. Sie sprach und verstand ausschließlich Jiddisch und auch die Tochter sprach nur wenig Englisch.

Stand: September 2016
© Inge Grolle

Quellen: 1; StaH 741-4/ A1263 Untersuchungshaftkartei; AfW 351-11/ 40375; 351-11/13133; 351-11/12093; 332-8/K4576 Meldekarte Altona; 213-13/559 Landgericht Hamburg; 332-5 Geburtsregister Altona: Nr. 1180/14 Altona I; Nr. 714/24 Hamburg 3a; Nr. 559/28 Altona II; Nr. 398/92 Altona II; Robinsohn, Justiz, S. 31, 63; Przyrembel, "Rassenschande", S. 495.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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