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Dr. Else Hirschberg * 1892

Wiesenstraße 26 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
DR. ELSE
HIRSCHBERG
JG. 1892
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Siehe auch:

Else Hirschberg, geb. 11.2.1892 in Berlin, deportiert aus Hamburg am 11.7.1942 nach Auschwitz, dort ermordet

Wiesenstraße 26

Else Mathilde Erna Hirschberg wurde am 11. Februar 1892 in Berlin geboren. Ihr Vater Ludwig Hirschberg (1857–1920) war Kaufmann in Berlin, später Eisenbahndirektor in Königsberg. Die Mutter Aurelie geb. Kroner (1868–1936) entstammte einer bedeutenden Rabbinerfamilie. Zur Familie Hirschberg gehörten noch Elses Schwestern Paula (1893–1939), Hertha (1896–1943) und Margot (1900–1942). Um 1908 kam die dann geschiedene Mutter mit den vier Töchtern nach Rostock. Dort besuchte Else Hirschberg eine private höhere Mädchenschule.
Für das Ablegen des Abiturs bestand damals für Mädchen keine Möglichkeit, und Frauen waren ohnehin noch nicht zur regulären Immatrikulation an der Rostocker Universität zugelassen. So konnte Else nur als Gasthörerin Lehrveranstaltungen besuchen. Warum sie sich für Chemie entschied, wissen wir nicht. Vielleicht hat die Tatsache eine Rolle gespielt, dass ihre beiden Onkel Siegfried (1858–1913) und Hugo (1863–1939) Kroner in Berlin die Chemische Fabrik "Gebrüder Kroner" besaßen, die für ihre Schuhcreme und Fleckenwasser bekannt war.

Else Hirschberg schrieb im Lebenslauf ihrer Dissertation, dass sie "das vorgeschriebene Studium weiter bis auf die Promotion" durchlaufen und unter dem Chemiker August Michaelis (1847–1916) eine größere Arbeit angefertigt habe, mit der sie den Doktorgrad erlangen wollte. Doch das Schweriner Unterrichtsministerium erteilte keinen Ausnahmegenehmigung von der Vorschrift des §2 Absatz 2a der Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät, nach der eine Abiturprüfung erforderlich war.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Else Hirschberg bereits eine zweite wissenschaftliche Arbeit abgeschlossen, die im Jahr 1913 veröffentlicht wurde. Diese zeigt, dass sie sich stärker medizinischen und pharmakologischen Problemen zugewandt hatte, zu deren Bearbeitung es chemischer Kenntnisse bedurfte. Bis 1917 setzte sich Else Hirschberg unter dem Pharmakologen Rudolf Kobert (1854–1918) mit Untersuchungen zu den Inhaltsstoffen des Maiglöckchens auseinander.

Zwischen 1917 und 1919 entstanden in Kooperation mit dem Physiologen Hans Winterstein (1879–1963) eine Reihe weiterer Arbeiten, in dessen Institut sie als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin angestellt war. Nach 1919 war sie kurzzeitig in der Industrie bzw. für eine pharmazeutische Fabrik tätig. Später wurde sie wieder als technische Assistentin, ab 1927 jedoch definitiv nur als Hilfskraft – immer für ein Semester befristet – am Rostocker Physiologischen Institut beschäftigt.

Zu den Arbeitsaufgaben der "Hilfskraft" Else Hirschberg gehörten u.a. die Mitarbeit an Vorlesungen und Kursen, die Leitung der Bibliothek, die sie neu geordnet hatte, die Registrierung des Inventars und der Rechnungen sowie die Herstellung von chemischen Lösungen für Vorlesungen und Kurse, insbesondere war sie an der Neuordnung des physiologisch-chemischen Praktikums beteiligt.

Ein wesentlicher Hinderungsgrund für die Anstellung als vollwertige Assistentin war die Forderung der Medizinischen Fakultät nach einem elfsemestrigen Medizinstudium. Else Hirschberg hatte tatsächlich 1928 als ordentlich immatrikulierte Studentin ein Medizinstudium aufgenommen, nachdem sie in Berlin erfolgreich eine besondere Prüfung absolviert hatte, durch die sie die Möglichkeit einer regulären Immatrikulation für Naturwissenschaften und Medizin an einer Preußischen, aber auch an der Rostocker Universität erhielt. Sie meisterte sie erfolgreich und konnte so 1928 auch endlich den Dr. phil erlangen. Neben dem Medizinstudium setzte sie die Hilfsassistententätigkeit und ihre wissenschaftlichen Untersuchungen fort.

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde am 7. April 1933 erlassen, doch schon einen Tag zuvor, am 6. April 1933, hatte Else Hirschberg mitgeteilt, dass sie sich auf Veranlassung des Führers der Rostocker Studentenschaft Werner Trumpf (1910–1971) genötigt sehe, dem Institut fernzubleiben. Sie wurde am beurlaubt, 1. Juli 1933 bei fortlaufenden Bezügen bis zum 30. September 1933, dann entlassen.

Wie Else Hirschberg nun den Lebensunterhalt bestritt, ist uns nicht unbekannt. Nach dem Tod der Mutter im Jahre 1936 verließ sie Rostock. Else Hirschberg erhielt eine Stelle als Leiterin des Labors am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Wissenschaftlich konnte sie dort nicht mehr arbeiten, sondern musste sich darauf beschränken, klinisch-chemische Untersuchungen auszuführen und die Laborantinnen auszubilden. 1938 ergaben sich am Krankenhaus erhebliche Veränderungen, denn sehr viele Ärzte und Schwestern emigrierten ins Ausland. Auch Else Hirschberg versuchte, einen Weg zu finden, um sich und ihre Schwestern zu retten, wie aus ihrer Korrespondenz mit Max Bergmann (1886–1944) und William Albert Noyes (1857–1941) deutlich wird. Auf die Zuteilung einer Nummer für die Einreise in die USA innerhalb der Quote zu warten, dauerte lange, außerhalb der Quotenregelung gelang dies nur, wenn eine Arbeitsmöglichkeit nachgewiesen wurde. Der Brief von Bergmann zeigt, dass es trotz angestrengter Bemühungen außerordentlich schwer war, für die Flüchtlinge Arbeit zu finden: "All my efforts to find an institution willing to appoint Dr. Hirschberg to a position have so far been in vain. The number of refugees who are attempting to find an opportunity to immigrate outside the quota is, as a consequence of the recent outrages in Germany, so large that it is quite impossible to help them all. I have generally observed that people are rather reluctant to employ chemists from abroad whom they do not know personally.”
Doch im November 1939 teilte Noyes mit, dass er Affidavits für Else Hirschberg und ihre zwei Schwestern an das Amerikanische Konsulat in Hamburg abgeschickt habe. Diese kamen jedoch offenbar nie an, die Auswanderungspläne hatten sich damit zerschlagen.

In den Deportationslisten der Hamburger Gestapo findet sich für den 11. Juli 1942 der Name Else Hirschberg. Dieser Transport ging direkt nach Auschwitz. Ob Else Hirschberg bereits auf dem Transport oder in den Gaskammern von Auschwitz umgekommen ist, wissen wir nicht. An ihr Schicksal erinnern heute Gedenksteine vor ihren Wohnadressen in Rostock bzw. Hamburg sowie eine Gedenktafel am Hamburger Israelitischen Krankenhaus.

Stand: Mai 2018
© Gisela Boeck/Tim Peppel

Quellen:
Die biografischen Daten zu den Familien Hirschberg und Kroner basieren auf Eintragungen in Standesämtern und Adressverzeichnissen, die über www.ancestry.de zugänglich sind; Universitätsarchiv Rostock (UAR), Personal- und Promotionsakte Else Hirschberg; ebd.,: Med. Fak. 309: Angestellte des Physiologischen Instituts 1879–1944; Med. Fak. 310: Assistenten am Physiologischen Institut 1902–1939; Med. Fak. 1872: Jahresberichte des Instituts für Pharmakologie und Physiologische Chemie 1883-1946; Kurator K 024-054: Das Physiologische Institut Vol. II 1927–1945; Kurator K024-055: Assistenten 1919-1938 sowie Kurator: K023-1174.1: Jahresberichte des Instituts für Pharmakologie und Physiologische Chemie 1883–1946; Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium Va, Sekt 1, Tit. VIII, Nr. 81a Bd. 2, Prüfungsstelle für die Zulassung zum Universitätsstudium ohne Reifezeugnis Nr. A 976; Forschungsgruppe Universitätsgeschichte (Hg.): Geschichte der Universität Rostock 1419–1969. Band 1, S. 249; Tim Peppel, Gisela Boeck: Else Hirschberg (1892–1942): the rediscovery of the private and professional life of the first female chemistry graduate at Rostock University in a digitised world. In: The Journal of Genealogy and Family History. Band 2, 2018, S. 1–19; Gisela Boeck, Tim Peppel: Die erste Rostocker Absolventin der Chemie. In: Nachrichten aus der Chemie. Band 66, Nr. 5, Mai 2018, S. 542–544. Gisela Boeck, Tim Peppel: Die Chemikerin Else Hirschberg (1892–1942). In: Traditio et Innovatio, Magazin der Universität Rostock 1/2017, S. 16–17; Marianne Beese: Frauenstudium an der Universität Rostock von 1909/10 bis 1945. In: Gleichstellungsbeauftragte der Universität Rostock (Hg.): Geschichte des Frauenstudiums in Rostock – von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Rostock 1999, S. 21–28; Bettina Kleinschmidt: Ausstellung zur Geschichte des Frauenstudiums an der Universität Rostock. In: Kersten Krüger (Hg.): Frauenstudium in Rostock. Berichte von und über Akademikerinnen (= Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte, Band 9). Universität Rostock, Rostock 2010, S. 58 (Plakat 8); Juliane Deinert: Die Studierenden der Rostocker Universität in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Gisela Boeck und Hans-Uwe Lammel (Hg.): Die Universität Rostock in den Jahren 1933–1945 (= Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte, Band 21). Universität Rostock, Rostock 2012, S. 163–183, insbes. S. 168; Harro Jenss, Marcus Jahn, Peter Layer und Carsten Zornig (Hg.). Israelitisches Krankenhaus in Hamburg – 175 Jahre. Berlin 2016; American Philosophical Society (APS) Mss. B. B445 Max Bergmann Papers, Hirschberg, Else, Folder 25, Zeugnis von Walter Griesbach vom 11. Dezember 1938; APS, Mss. B. 445 Max Bergmann Papers: Noyes, William Albert – 1938 December – 1939 November , Box 15, Folder 23, Brief von Bergmann an Noyes vom 6. Februar 1939; ebd.: Hirschberg, Else – 1939 January – June – Box 9 – Folder 25, Brief von Noyes an Hirschberg vom 11. November 1939; Jürgen Sielemann: Der Zielort des Hamburger Deportationstransports vom 11. Juli 1942. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 95 (2009) S. 91–110.

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