Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Max Weinthal * 1892

Schloßmühlendamm 11 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
MAX WEINTHAL
JG. 1892
VERHAFTET 1937
KZ FUHLSBÜTTEL
ENTLASSEN 1938
1942 KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Schloßmühlendamm 11:
Fri(e)da Weinthal, Günther Weinthal

Frieda Weinthal, geb. Mindus, geb. am 22.7.1870 in Schwerin, Suizid am 19.7.1942
Günther Weinthal, geb. am 11.7.1923 in Hamburg, 1942 KZ Fuhlsbüttel, deportiert nach Auschwitz am 28.1.1943, ermordet am 22.2.1943
Max Weinthal, geb. am 10.8.1892 in Harburg, 1937, 1938 und 1942 KZ Fuhlsbüttel, deportiert nach Auschwitz am 28.1.1943, ermordet am 22.2.1943

Stadtteil Harburg, Schlossmühlendamm 11 (früher: Lüneburger Straße 28)

Die jüdischen Eheleute Josua (25.8.1861–1.7.1936) und Frieda Weinthal gehörten zu den vielen Menschen, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in die florierende Industriestadt Harburg a. Elbe in der Hoffnung auf bessere Zeiten zogen. Hier kam auch ihr Sohn Max – ihr erstes und einziges Kind – zur Welt. Schon bald eröffnete Josua Weinthal im Herzen der Stadt, an der Ecke Lüneburger Straße/Sand, direkt neben der Stadtsparkasse, ein Herrenkonfektionshaus, das schnell zu den besten Adressen der Elbstadt zählte.

Das Geschäft verkaufte er 1912 zum Preis von 150.000 RM an einen Nachfolger, der den alten Firmennamen noch lange beibehielt. Die Familie ließ sich danach in Hamburg nieder und erlebte hier den Beginn des 1. Weltkriegs. Als Frontsoldat musste Max Weinthal sich schon bald von allen Hoffnungen auf einen schnellen Sieg verabschieden. Als Kriegsversehrter kehrte er in die Heimat zurück. Auch sein Vater blieb vom Kriegsgeschehen nicht unberührt. Im Auftrag des Heeresführung war er "in den besetzten Gebieten tätig".

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches gründete Josua Weinthal in Hamburg eine Lederfärberei, die er acht Jahre später wegen mangelnder Einnahmen angesichts der schlechten Konjunkturlage wieder schließen musste. Viele Schumacher waren inzwischen dazu übergegangen, Schuhleder selbst zu färben.

Nicht viel besser erging es seinem Sohn Max, unter dessen Namen 1920 eine Papier-Im- und Exportfirma in das Handelsregister der Hamburger Handelskammer eingetragen wurde. Auch seine Einnahmen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Seine finanzielle Lage verschlechterte sich bald noch weiter, da seine Ehe mit Gertrud Wulf nicht lange währte und er die fälligen Unterhaltskosten für seinen Sohn Günther nur unter großen Anstrengungen aufbringen konnte. Zeitweilig musste auch sein Vater für ihn einspringen. Als er seinen Zahlungsverpflichtungen 1926 immer seltener nachkommen konnte, übertrug er seinem Vater die Firma. Ein Jahr später wurde sie im Handelsregister gelöscht. Max Weinthal wurde Mitarbeiter in der Firma seines Vaters. Als auch diese Firma zwei Jahre später geschlossen werden musste, stand die Familie vor dem Nichts.

Daraufhin wandte Josua Weinthal sich an das städtische Wohlfahrtsamt mit der Bitte um Unterstützung, die ihm bis November 1929 in wöchentlichen Raten in Höhe von 17 RM gewährt wurde. Daneben versuchte er sein Glück als Vertreter von Firmen, für die er zumeist nur kurzzeitig tätig war, um dann erneut auf Beschäftigungssuche zu gehen. Die Mietkosten konnten durch die Aufnahme eines Untermieters verringert werden. Und wenn auch von dem letzten Notgroschen nichts mehr zu sehen war, was des öfteren der Fall war, blieb Frieda Weinthal nichts anderes übrig, als sich von einem Teil ihres Schmucks oder ihrer Wohnungseinrichtung zu trennen. In den folgenden Jahren erholte die Familie Weinthal sich langsam wieder von diesen Nackenschlägen.

Josua Weinthal gründete zusammen mit seinem Sohn eine neue Firma. Weinthal´s Wäschebetrieb belieferte seine Kunden mit Bettwäsche und Tischdecken. Alle geschäftlichen Angelegenheiten wurden in der Wohnung abgewickelt. Die Einnahmen hielten sich in Grenzen, aber sie ernährten die Familie. Als Günther Weinthal nach dem Tod seiner Mutter zu seinem Vater zog, entfielen auch die bisherigen Unterhaltszahlungen. Nach dem Besuch der Volksschule in der Humboldtstraße begann der Junge eine Lehre beim Bäckermeister Schwanbeck in Hamburg-Rahlstedt.

Doch diese Jahre bescheidenen Glücks waren vorbei, als Josua Weinthal am 1. Juli 1936 im Alter von fast 75 Jahren starb. Ein Jahr später wurde Max Weinthal wegen angeblicher "Rassenschande" in Haft genommen. Nachdem die Vorwürfe sich als haltlos erwiesen hatten, kam er schließlich am 24. Mai 1938 wieder auf freien Fuß, jedoch seelisch und finanziell ruiniert.

Seine Mutter hatte sich inzwischen wieder an das Wohlfahrtsamt mit der Bitte um Unterstützung gewandt und weitere Einschränken hinnehmen müssen. Sie hatte einen zweiten Untermieter aufgenommen und in ihrer Not erneut Teile ihres Schmucks und ihres Hausrats verkauft. Diesmal beurteilte das Sozialamt die Hilfsbedürftigkeit nach noch strengeren und dann auch rassenbiologischen Kriterien. Die Prüfungskommission nahm zunächst Anstoß daran, dass Frieda Weinthal beim Kaffeetrinken im Alsterpavillon gesehen worden war und dass sich in ihrem Haushalt noch ein Telefon befand, und ließ keinen Zweifel daran, dass ihr Sohnes nach seiner Haftentlassung wieder für ihren Lebensunterhalt zu sorgen hätte.

Ihre Versorgungslage wurde noch kritischer, als Max Weinthal, der inzwischen den Juden erlaubten Vornamen Denny angenommen hatte, am 14. November 1938 nach dem reichsweiten Pogrom der NS-Regierung erneut verhaftet und zwei Wochen lang im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel festgehalten wurde. Seine Entlassung erfolgte wie bei vielen anderen willkürlich verhafteten Glaubensbrüdern nur unter der Bedingung, dass er anschließend auf schnellstem Wege und mit allen Mitteln seine Auswanderung betreiben würde. Auch das Fürsorgeamt ging von dieser Annahme aus und stellte in diesem Zusammenhang fest, dass Max Weinthal noch nicht über das nötige "Geld für die Überfahrt" verfügte.

Wie intensiv er vorher über eine Emigration nachgedacht hatte, wissen wir nicht. Der Entschluss zur Auswanderung war für alle Bedrängten von schicksalhafter Bedeutung. Je stärker und enger sie existentiell und menschlich in der Heimat verwurzelt waren, desto schmerzhafter war für sie der Abschied von allem, was ihnen lieb und teuer war. Und die anschließende Reise in ein anderes Land war eine Expedition ins Ungewisse – alles andere als eine Lebensversicherung. Wer sich auf diesen Weg begab, wusste nicht, ob es ihm gelingen würde, in der Fremde Fuß zu fassen, Arbeit zu finden und eine neue Existenz aufzubauen. Nicht jeder brachte die Voraussetzungen für die Bewältigung dieser Herausforderungen mit. Viele fühlten sich zu alt, um in einem fremden Land, dessen Sprache ihnen nicht geläufig war, neu anzufangen und sich in eine andere Gesellschaft einzuleben. Andere wiederum wollten die akute Bedrohung lange nicht so recht wahrhaben.

Die ersten jüdischen Emigranten hatten das Deutsche Reich bereits in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft verlassen, als die nationalsozialistischen Machthaber die Auswanderung noch gefördert hatten. Bis 1937 emigrierten etwa 5.000 Juden aus Hamburg. Je länger die Bedrängten allerdings die weitere Entwicklung abwarteten, desto schwieriger wurde es für sie, entsprechende Auswanderungspläne in die Tat umzusetzen, da die NS-Regierung die Auswanderung paradoxerweise durch zahlreiche Maßnahmen und Gesetze immer weiter erschwerte. Wer wie Max Weinthal unter der Armutsgrenze lebte, stand von vornherein auf verlorenem Posten; andere büßten ab 1938 ihr gesamtes Vermögen ein, wenn sie sich ins Ausland begaben. Da die jüdischen Bürgerinnen und Bürger durch Sonderabgaben, wie die "Sühnesteuer" nach dem Pogrom vom November 1938, rigorose Devisenbeschränkungen und die Arisierung ihres Besitzes zusehends verarmten, waren bald auch viele zunächst besser Situierte nicht mehr in der Lage, die steigende Reichsfluchtsteuer und die hohen Reisekosten zu bezahlen. Ganz abgesehen von den Schikanen bei der Ausreise beschränkten die Quoten der Aufnahmeländer die Zahl der Immigranten. Trotz dieser großen Hindernisse flohen in den Jahren nach 1937 bis zum endgültigen Ausreiseverbot für Juden im Oktober 1941 noch einmal schätzungsweise 4000 bis 5000 Menschen dieser Bevölkerungsgruppe aus Hamburg.

Für Max Weinthal spielten neben finanziellen Problemen noch familiäre Umstände eine wichtige Rolle. Er fühlte sich für seine hochbetagte Mutter und seinen noch minderjährigen Sohn verantwortlich.

Sowohl diejenigen unter den Zurückgebliebenen, die gehofft hatten, das Erworbene doch noch irgendwie retten zu können, als auch diejenigen, die lange an ein baldiges Ende Terrors geglaubt hatten, erkannten schnell, dass sie sich getäuscht hatten. Auch für Frieda, Günther und Max Weinthal verschärfte sich die Lage. Im April 1939 wurde die Wohlfahrtsunterstützung für Frieda Weinthal "wegen unklarer Verhältnisse" eingestellt. Die Mitarbeiter des Sozialamts hatten festgestellt, dass ihr arbeitsloser Sohn von einem Onkel in Berlin 25 RM erhalten hatte, und meinten, dass er nicht nur dazu verpflichtet, sondern – bei gutem Willen – auch in der Lage sei, den Lebensunterhalt seiner Mutter zu bestreiten. Sonst müsse sie sich an die Jüdische Gemeinde wenden oder ihre Ausgaben verringern. Im internen Sprachgebrauch des Hamburger Sozialamts galt die Familie Weinthal als "minderwertig. Öffentliche Mittel für diese Familie noch zur Verfügung zu stellen", sei "unverantwortlich".

Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde mit der "Pflichtarbeit" für Fürsorgeempfänger der erste Schritt zur Zwangsarbeit für Juden getan, bis 1940/41 alle arbeitsfähigen Jüdinnen und Juden im "geschlossenen Arbeitseinsatz" (Zwangsarbeit) standen.

Als im Juli 1942 nach einer sechsmonatigen Pause für die jüdische Bevölkerung der Stadt eine zweite Deportationswelle einsetzte, war auch Frieda Weinthal davon betroffen. Am Vortag ihrer "Evakuierung" nach Theresienstadt setze sie ihrem Leben ein Ende. Sie wurde mit einem Rettungswagen ins Hafenkrankenhaus gebracht worden, wo die Stationsärzte feststellten, dass sie sich mit Tabletten vergiftet hatte.

Drei Monate später wurden ihr Sohn und ihr Enkel aus unbekanntem Grund verhaftet und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert. Von dort aus wurden sie am 28. Januar 1943 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz gebracht, wo beide dreieinhalb Wochen später innerhalb von 15 Minuten den Tod fanden. Günther Weinthal starb nach offizieller Lesart an "Herzschwäche bei Grippe"; bei seinem Vater wurde "Gehirnschlag" als Todesursache in die Sterbeurkunde eingetragen.

Am 20. und 21. April 1943 versteigerte der ortsansässige Gerichtsvollzieher Gerlach im Auftrag des Hamburger Oberfinanzpräsidenten die Wohnungseinrichtung und den gesamten Hausstand der Familie. Den Erlös in Höhe von 5261,25 RM überwies er anschließend auf das Postscheckkonto der Hamburger Oberfinanzkasse.

Stand: November 2016
© Klaus Möller

Quellen: Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Jürgen Sielemann, Paul Flamme (Hrsg.); Hamburg 1995; Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942–1945, Prag 2000; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Archiwum Muzeum Auschwitz, International Tracing Service, Bad Arolsen; United States Holocaust Memorial Museum, Washington; StaH 214-1_169, StaH 331-5, 3 Akte 1942/1140, StaH 351-14_2003, Harburger Adressbücher, Alfred Gottwaldt, Diana Schulle, Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Wiesbaden 2005; http://www.statistik-des-holocaust.de/stat_ger_emi.html.

druckansicht  / Seitenanfang