Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Herbert Pincus * 1920

Isestraße 55 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Isestraße 55:
Rudolf Fürst, Isidor Fürst, Hedwig Fürst, Martha Fürstenberg, Walter John Israel, Clara Levy, Ignatz Pincus, Marianne Pincus

Herbert Artur Pincus, geb. 6.11.1920, deportiert am 8.11. 1941 nach Minsk

Herbert Pincus lebte mit seinen Eltern Ignatz Pincus, geboren 1871 in Posen und Maria Therese Pincus, geborene Hirsch, geboren 1884 in Berlin, in der Isestraße 55.

1931 beschloss das Ehepaar, den elfjährigen Herbert in die Gemeindeschule Volksdorf einzuschulen. Um die tägliche Fahrt von Eppendorf nach Volksdorf zu vermeiden, kam er "in Pension" bei Lehrer Grimmelshäuser, Im Allhorn 64. Das Walddörfer-Gymnasium besuchte Herbert ab 1932.

Klassenkamerad Klaus Eggers erinnert sich: "Mein Eindruck ist, dass Herbert bei uns voll integriert war, sogar geachtet, weil er Charlie Chaplin gut imitieren konnte." Auch kamen die selbst erfundenen Märchen, die Herbert Pincus auf Klassenfahrten zum Besten gab, bei den Mitschülern gut an.

Im März 1933 trat Herberts Vermieter der NSDAP bei und setzte den jüdischen Jungen umgehend an die Luft. Von nun an kam Herbert morgens von der Isestraße aus mit der U-Bahn zur Schule. Langsam veränderte sich die Klassengemeinschaft. Manche Jungen trugen jetzt schwarze Hosen mit breiten Gürteln (= Koppeln), auf deren Schloss die "Siegrune" zu sehen war. Sie nannten sich "Jungvolk", viele Mädchen waren bei den "Jungmädeln" organisiert, beide Kinderorganisationen gehörten zur Hitlerjugend (HJ). Im Ganzen gehörten etwa Dreiviertel der Kinder der HJ an. Einige waren ungefragt, z.B. mit ihrem Turnverein, "überführt" worden. Das bedeutete ab 1934: Dienst am Sonnabend außerhalb der Schule. Die Nicht-Organisierten mussten zum "Staatsjugendtag" erscheinen, wo sie politischen Nachhilfeunterricht erhielten. Unter ihnen Herbert Pincus.

Am 18. August 1934, dem ersten "Staatsjugendtag", stand für Herbert Pincus in der Quarta (7. Klasse) beispielsweise "Hitler und die politische Lage" auf dem Programm und dann unterrichtete (1934!) Lehrer S. über "Die Gefahren des Luftkrieges". Zwei Wochen später musste Herbert Vorträge über die "Judenfrage" und "Dynamit und Schießpulver" über sich ergehen lassen. Möglicherweise hat er damals schon geahnt, dass sein Leben nicht "normal" verlaufen würde.

Vor den Sommerferien 1935 vertraute er seiner Klassenkameradin Gerda an, er werde mit seinen Eltern nach England reisen. Nach den Sommerferien kehrte er nicht zu seiner Klasse in der Walddörfer-Schule zurück. Die Klassenkameraden verloren ihn aus den Augen.

Herbert und seine Eltern reisten jedoch noch nicht aus. Er begann eine kaufmännische Lehre in Hamburg und bereitete seine Auswanderung nach Shanghai vor. Im August 1939 hatte er alle bürokratischen Hürden überwunden, die sich vor einem jüdischen Auswanderer auftürmten. Abgehakt waren: Karteikarte und Auswandererfragebogen, Schuldenregelungserklärung, Umzugslisten. Die Angaben zur Vermögenserklärung waren schnell gemacht. Die lange Liste der Fragen nach Bargeld, Guthaben, Wertpapieren, Grundvermögen usw. beantwortete er mit "Keins" oder "Keine". Nach der genauen Auflistung des gesamten Umzugsguts überprüfte der Obergerichtsvollzieher die Liste noch einmal und genehmigte sie. RM 1500 für Neuanschaffungen, z.B. einen grünen Tropenanzug. Die Schiffspassage hatte ein Onkel dem erwerbslosen Herbert finanziert. Mit dem Datum 16. August 1939 war nun alles genehmigt. Dennoch scheiterte die Ausreise. In Herbert Pincus’ Akten bei der zuständigen Devisenstelle ist in einer anderen Handschrift ist zu lesen: "RM 300 soll der Onkel noch ausspucken, dann soll es gut sein!
Gr. 22.8.1939".

Herberts Schicksal war damit besiegelt. Beim besten Willen konnte er diese Summe nicht aufbringen. Seine Ausreise verzögerte sich. Am 1. September 1939 begann der Krieg – das bedeutete faktisch ein Ausreiseverbot für Juden, wenn auch die Auswanderung erst mit Beginn der Deportationen endgültig verboten wurde.

Nach der gescheiterten Emigration lebte die Familie Pincus noch zwei Jahre in Hamburg. Ab Kriegsbeginn wurden die Maßnahmen gegen Juden kontinuierlich verschärft. Es gab zwischen 1939 und 1943 mehr als fünfzig Erlasse, die das Leben für sie bis ins Unerträgliche einschränkten. Im November 1941 brachte die Post der Familie den "Evakuierungsbefehl". Herbert Pincus letzte Nacht in Hamburg verbrachte er mit den Eltern vom 7. auf den 8. November 1941 im Gebäude der Provinzialloge von Niedersachsen in der Moorweidenstraße.

Am nächsten Morgen wurden sie zum Hannöverschen Bahnhof gebracht. Gemeinsam mit annähernd tausend Leidensgefährten fuhren sie in ungeheizten Personenwaggons der Deutschen Reichsbahn drei Tage lang nach Minsk. Irgendwann fanden Herbert, Ignatz und Maria Therese Pincus hier den Tod, spätestens bei der Liquidierung des Ghettos durch die SS im September 1943.

Seine ehemaligen Klassenkameraden baten 50 Jahre später die Historikerin Ursula Randt, sein Schicksal zu erforschen. In einer Feierstunde im November 1993 gedachten sie ihres Klassenkameraden. Sein Name steht seitdem in der Schule an der Gedenkwand für die "Opfer von Krieg und Gewalt" aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Zehn Jahre später – im November 2003 - interessierten sich fünf 14jährige Jungen des Walddörfer-Gymnasiums erneut für das Schicksal des ehemaligen Schülers ihrer Schule. In einer Feierstunde zeichneten sie eindrucksvoll die Spuren seines kurzen Lebens nach und weihten anschließend auf dem Schulhof einen "Stolperstein" zur Erinnerung an Herbert Pincus ein.

Auch an der Wohnadresse in der Isestraße 55 erinnern Stolpersteine an Herbert, Ignatz und Maria Therese Pincus.

© Ursula Pietsch

Quellen: StaHH, FVg 7395, Herbert Artur Pincus 1939; Randt, Herbert Pincus, Vortrag vom 21.11.1993, ungedruckt; Eggers, Damals in den dreißiger Jahren , Vortrag vom 21,11.1993 ungedruckt; Stobbe, Verschollen in Minsk, in: FORUM, Nr.90, 4/2001; Klassenbücher der Walddörfer Schule 18.8. und 1.9.1934; Pietsch, Volksdorfer Schicksale , in: Unsere Heimat die Walddörfer, Nr.5/2004.S.63.


Ignatz Pincus, geb. am 1.6.1871 in Posen, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert
Theresia Maria [Marianne] Pincus, geb. Hirsch, geb. am 26.4.1884 Berlin, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert
Herbert Artur Pincus, geb. 16.11.1920, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert

Bis 1939 lebte der Kaufmann Ignatz Pincus mit seiner Familie in Winterhude, zunächst in der Stammannstraße 31, ab 1936 am Hauersweg 4.

Als der einzige Sohn Herbert elf Jahre alt war, meldeten ihn seine Eltern im gerade neu eröffneten Walddörfer Gymnasium in Volksdorf an. Um ihm den täglichen Schulweg zu verkürzen, wurde er während der Woche zu Lehrer Grimmelshäuser "in Pension" gegeben und verbrachte fortan nur die Wochenenden zu Hause. Bei seinen Schulfreunden war Herbert als "Spaßvogel" und Erzähler selbsterfundener Märchen beliebt, wie der ehemalige Klassenkamerad Klaus Eggert berichtete: "Mein Eindruck ist, dass Herbert bei uns voll integriert war, sogar geachtet, weil der Charlie Chaplin gut imitieren konnte."

1933 trat Lehrer Grimmelshäuser der NSDAP bei und duldete fortan keinen jüdischen Untermieter mehr. Herbert verlor sein Zimmer und zog zurück in die elterliche Wohnung.

In der Schule war er mittlerweile von vielen Aktivitäten seiner Mitschüler ausgeschlossen, da ihm als Jude die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend (HJ) verwehrt war. Stattdessen musste er am "politischen Nachhilfeunterricht" teilnehmen, wo Vorträge über die Gefahren des Luftkrieges oder die "Judenfrage" auf dem Programm standen.

Nach den Sommerferien 1935 kehrte Herbert nicht mehr an die Schule zurück. Kurz zuvor hatte er noch einer Schulkameradin erzählt, die Familie plane, nach England auszureisen. Dazu kam es jedoch nicht. Im gleichen Jahr nahm Herbert eine Lehre als Kaufmann auf, so­dass sich die geplante Auswanderung um vier Jahre verzögerte. Erst 1939 bemühte er sich erneut um ein Ausreisevisum, diesmal nach Shanghai, während die Eltern beschlossen, in Hamburg zu bleiben. Bis Mitte August hatte es Herbert geschafft, sich alle erforderlichen Papiere zu besorgen. Mangels eigener finanzieller Mittel war ein Onkel für den Großteil der Schiffspassage aufgekommen, sodass schließlich nur noch 300 RM fehlten. "RM 300 soll der Onkel noch ausspucken, dann soll es gut sein!" lautet der handschriftliche Eintrag in den Akten der "Devisenstelle".

Dadurch verschob sich die Ausreise um weitere Wochen, bis schließlich am 1. September der Krieg begann und eine Emigration unmöglich wurde.

Im gleichen Jahr musste die ganze Familie in den Jüdischen Religionsverband eintreten. Der Vermerk "Dissident" auf der für Ignatz Pincus ausgestellten Kultussteuerkarte und das Eintrittsdatum vom Juli 1939 deuten darauf hin, dass er sich der Jüdischen Gemeinde nicht zu­gehörig fühlte und dem Verband nicht freiwillig beitrat. Sohn und Ehefrau waren zum Christentum konvertiert und evangelisch getauft. Ob dies aus Überzeugung geschah oder in der Hoffnung, dadurch den Repressalien gegen Juden zu entgehen, ist unklar. Fest steht, dass die Taufe keinen Einfluss auf die Kategorisierung als "Jude" hatte, denn nach den Nürnberger Gesetzen galten die Pincus’ als Juden im "rassischen" Sinne.

Im November 1941 erhielten Ignatz, Maria Therese und Herbert Artur Pincus die Nachricht, dass sie für den Transport nach Minsk vorgesehen waren. Am Abend des 7. Novembers verließen sie die Wohnung der Fürsts im zweiten Obergeschoss des Hauses Isestraße 55, wo sie zwangsweise einquartiert worden waren, um am nächsten Tag als Nummer 737, 738 und 735 den Zug nach Minsk zu besteigen. Von der dreiköpfigen Familie überlebte niemand.

Ein weiterer Stolperstein für Herbert Pincus liegt vor seiner ehemaligen Schule Im Alhorn 45 in Volksdorf, im Hof des Walddörfer Gymnasiums.

© Eva Decker

Quellen: 1; 2; Ursula Pietsch, Herbert Pincus, www.stolpersteine-hamburg.de.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

druckansicht  / Seitenanfang