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Bereits verlegte Stolpersteine



Max Pommerantz
© Yad Vashem

Max Pommerantz * 1888

Lüneburger Straße 21 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
MAX POMMERANTZ
JG 1888
FLUCHT
ERMORDET IN
ZASAVICA
13.10.1941

Weitere Stolpersteine in Lüneburger Straße 21:
Leopold Levy Meier, Elisabeth Henriette Pommerantz, Jost Pommerantz

Elisabeth Henriette Pommerantz, geb. Meier, geb. am 26.8.1893 in Harburg, ermordet auf der Flucht nach Palästina
Jost Pommerantz, geb. am 23.2.1928 in Harburg, ermordet auf der Flucht nach Palästina
Max Pommerantz, geb. am 28.2.1888 in Neustrelitz, ermordet am 13.10.1941 in Zasavica auf der Flucht nach Palästina

Stadtteil Harburg-Altstadt, Lüneburger Straße 21

Max Pommerantz kämpfte im Ersten Weltkrieg in den Reihen des kaiserlichen Heeres. Im Herbst 1918 kehrte er als Unteroffizier und Träger des Eisernen Kreuzes in die Heimat zurück. Zwei Jahre später – am 19. November 1920 – heiratete er die gebürtige Harburgerin Elisabeth Meier, die wie er selbst in einer jüdischen Familie aufgewachsen war.

Ihr Vater besaß ein angesehenes Herren- und Knabenkonfektionshaus mit Schuhwarenabteilung in der Wilstorfer Straße 14 (heute: Lüneburger Straße 21), der Einkaufsmeile der Stadt. Die Wohnung der siebenköpfigen Familie befand sich im gleichen Haus, und so ist es kein Wunder, dass seine Frau Johanna (geb. Goldschmidt) und die fünf Kinder – Leo, Blanka, Elisabeth, John und Martha – die Geschäftsräume oft in ihren Alltag einbezogen.

Nach ihrer Heirat hatten Max und Elisabeth Pommerantz zunächst eine bescheidene 2-Zimmer-Wohnung mit Küchenbenutzung gemietet. Als sie sich kurz danach angesichts der familiären Veränderungen erneut auf Wohnungssuche begeben mussten, verfügten sie auch über die finanziellen Möglichkeiten, um in die große 5-Zimmer-Wohnung im 2. Stock des Ge­schäfts­hauses in der Wilstorfer Straße 14 einziehen zu können. Ihre drei Kinder Erna (geb. 16.10. 1921), Gerd (geb. 17.8.1926) und Jost verbrachten ihre Kindheit und ihre ersten Schul­jahre in Harburg.

1920 stieg Max Pommerantz in das Geschäft seines Schwiegervaters ein. Berufliche und gesellschaftliche Anerkennung ließen nicht lange auf sich warten. Mehrere Jahre lang gehörte er zum Vorstand der Synagogengemeinde, und als sein Schwiegervater im Alter von 66 Jahren am 8. Februar 1928 starb und auf dem Jüdischen Friedhof in Harburg seine letzte Ruhe fand, wurde Max Pommerantz gemeinsam mit seiner Schwiegermutter Mitinhaber des "Konfektionshauses Joseph Meier". Das Geschäft ging weiterhin gut. 1930 belief sich der Umsatz auf 106550 RM im Jahr. Im Verkauf halfen durchweg drei bis vier fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in Stoßzeiten wurde der Mitarbeiterstab oft um zusätzliche Aushilfen aufgestockt.

Drei Jahre später wendete sich das Blatt. Am 30. März 1933 kündigte der Harburger Magistrat seine bisherige Zusammenarbeit mit dem jüdischen "Konfektionshaus Joseph Meier" auf. Zwei Tage später rief die Harburger NSDAP alle Bürgerinnen und Bürger zum Boykott des Geschäfts in der Wilstorfer Straße auf. Die langfristigen Folgen dieser und weiterer antijüdischer Maßnahmen schlugen sich in den nächsten Monaten und Jahren in deutlichen Umsatzrückgängen nieder. 1936 war der Jahresumsatz nicht einmal mehr halb so hoch wie in der Zeit vor 1933.

Wohl noch stärker litt die Familie unter ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung und zunehmenden Entrechtung. Voller Bitterkeit beschrieb Johanna Meier später in ihren Erinnerungen, wie sich nach und nach alles zum Negativen veränderte. "Man sprach auf der Straße nicht mehr mit uns, ja, man grüßte uns nicht mehr. Spott, Hohn, grinsende, abschätzende Blicke. Kino, Theater, Cafés, Elektrische [Straßenbahn], alles musste man meiden. Alle hatten Angst. Unsere Jungen konnten weder baden noch turnen. Überall grinsten uns die Schilder entgegen: ,Für Juden verboten!‘"

Auch die Schulen waren kein Schonraum, in dem die Kinder sich entfalten konnten. Schon bald nach der so genannten Machtergreifung stellte Erna Pommerantz fest, dass die Klassenkameradinnen auf dem Harburger Lyzeum sich von ihr abwandten. Ihre Mutter sprach daraufhin mit der Klassenlehrerin, die zwar bemerkt hatte, dass Erna Pommerantz mit ihren Gedanken nicht immer bei der Sache war, aber von störenden äußeren Einflüssen nichts wissen wollte. Sie verabschiedete sich dann von ihrer Gesprächspartnerin mit der entlarvenden Bemerkung: "Übrigens kann man es ja verstehen, wenn Sie und Ihre Glaubensgenossen sich nach dem Heiligen Lande sehnen. Palästina ist doch nun mal Ihre Heimat." Erna Pommerantz verließ bald darauf das Harburger Lyzeum, ohne jedoch gleich einen Ausbildungsplatz zu finden. Sie war froh, als sie später von ihrer Tante nach Abessinien eingeladen wurde und als Kindermädchen willkommen war. Vor dem Zweiten Weltkrieg wanderte sie von dort nach Palästina aus, wo sie einen britischen Polizisten kennen lernte, den sie später heiratete.

Auch ihre Brüder Gerd und Jost fühlten sich bald in ihren Harburger Schulen nicht mehr wohl und wechselten 1937 wie viele andere jüdische Altersgenossen auf die Talmud Tora Realschule in Hamburg. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs gelangte Gerd Pommerantz im November 1939 im Alter von 13 Jahren mit der Mizrachi Allijah nach Palästina, wo er von einer Familie adoptiert wurde, den Namen Gershon Netzer annahm und in einem Kibbuz eine landwirtschaftliche Ausbildung absolvierte.

Seine Eltern und sein Bruder hatten mit ihren Auswanderungsplänen weniger Glück. Nach dem Zwangsverkauf des Geschäfts und des Grundstücks in der Wilstorfer Straße stellte Max Pommerantz für sich und seine Familie im September 1938 einen Antrag auf Auswanderung nach Palästina. Seine Schwiegermutter verließ Harburg im Juni 1939 und rettete sich in die Schweiz, wo sie bei ihrer Tochter Martha Zuflucht fand. Am 18. November 1939 teilte die Harburger Meldebehörde dem Hamburger Oberfinanzpräsidenten mit, dass Max, Elisabeth und Jost Pommerantz sich abgemeldet und ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt hätten. Ihre Konten wurden daraufhin gesperrt.

Die drei "Auswanderer" schlossen sich im November 1939 einem illegalen Flüchtlingskonvoi an, den die zionistische Jugendorganisation "Hechaluz" und der "Mossad l’Aliya Bet" (Organisation für illegale Einwanderung) von Wien über die Donau, das Schwarze Meer, die Agäis und das östliche Mittelmeer in das britische Mandatsgebiet Palästina führen wollten. Nach einer zweiwöchigen Fahrt auf der Donau blieben die drei Schiffe mit den etwa eintausend Flüchtlingen in Kladovo, einem kleinen serbischen Hafen im Dreiländereck Jugoslawien–Rumänien–Bulgarien im Eis der zugefrorenen Donau stecken.

Es folgten Wochen und Monate bangen Wartens und großer Hoffnungen, die auch nach der Eisschmelze nicht endeten. Der Konvoi, der als "Kladovo-Transport" in die Geschichte einging, blieb auch im Sommer 1940 in der kleinen serbischen Hafenstadt vor Anker. Die rumänischen Behörden verwehrten den Flüchtlingen die Weiterreise, und die Transportleitung stieß mit ihrem Flüchtlingsprogramm bei der britischen Regierung angesichts der Ausweitung des europäischen Kriegsschauplatzes auf immer weniger Verständnis. Währenddessen lief den Passagieren die Zeit davon, je weiter die deutsche Wehrmacht vorrückte. Ihre Verzweiflung wurde noch größer, als sie im September 1940 nach Šabac an der Save zurückgeführt und dort in Notquartieren untergebracht wurden. Die Lebensbedingungen der Flüchtlingsgemeinschaft verbesserten sich in den folgenden Wochen und Monaten in bescheidenem Maße, doch die Unsicherheit blieb.

Nach der Besetzung Jugoslawiens durch deutsche Truppen im April 1941 mussten die Flüchtlinge ihre Hoffnungen auf ein erfolgreiches Ende ihrer Odyssee begraben. In ihrem letzten Brief meldete Elli Pommerantz, dass sie sich inzwischen mit ihrem Sohn Jost im Lager Semlin[g] (serbisch: Sajmiste) befände und seit Längerem nichts von ihrem Mann, der in einem anderen Lager war, gehört habe. Danach brach die Verbindung ab.

Alle Männer des Kladovo-Transports waren im Sommer 1941 in ein Internierungslager verlegt worden, das die deutschen Besatzungsbehörden in einer alten Burg außerhalb des Ortes eingerichtet hatten. Als Anfang Oktober 1941 bei einem Gefecht mit Partisanen 21 deutsche Soldaten getötet wurden, befahl General Böhme, der deutsche Militärbefehlshaber für Serbien, 100 Menschen "vorwiegend Juden und Kommunisten", also insgesamt 2100 Geiseln als "Sühne" für jeden getöteten Deutschen zu erschießen. Unter den Männern des Kladovo-Transports, die zusammen mit zahlreichen serbischen Juden und Roma am 13. Oktober 1941 von Angehörigen einer Einheit der Wehrmacht liquidiert wurden, befand sich auch Max Pommerantz.

Die Frauen und Kinder des Kladovo-Transports – und darunter wohl auch Elisabeth und Jost Pommerantz – wurden ab November 1941 in Gaswagen geladen und auf der Fahrt nach Avale durch Abgase, die ins Wageninnere geleitet wurden, qualvoll getötet. Die sterblichen Über­reste wurden 1943 von einem Spezialkommando für Leichenverbrennung beseitigt.

Zu den Opfern der Shoa zählt auch Elli Pommerantz’ Bruder Leo Meier mit seiner Frau Wilhelmina und seiner Tochter Alice.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge, S. 47, 84, 123, 153, 186, 187; StaH, 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 280288 Pommerantz, Max, 260893 Pommerantz, Elisabeth, 161021 Willis, Erna, 170826 Nezer, Gershon, 230228 Pommerantz, Jost; StaH 430-5 Bestand Magistrat Harburg-Wilhelmsburg, 181-08 Angelegenheiten der städtischen Polizei, Ausschaltung jüdischer Geschäfte und Konsumvereine 1933–1938; Kändler/Hüttenmeister, Friedhof, S. 216; Douer, Kladovo, S. 6ff.; Manoschek, "Serbien judenfrei", S. 62, 91ff., 169ff.; Ofer/Weiner, Dead-End Journey, S. 151ff.; Brief Noga Netzers an den Verfasser vom Juni 2010.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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