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Bereits verlegte Stolpersteine



Julius Marcus * 1876

Schloßmühlendamm 32 (AOK) (Harburg, Harburg)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Schloßmühlendamm 32 (AOK):
Erich Wilhelm Marcus, Grete Marcus

Erich Marcus, geb. am 27.5.1911 in Harburg, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, Todesdatum unbekannt
Grete Marcus, geb. Mayer, geb. am 10.7.1880 in Ribnitz, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, Todesdatum unbekannt
Julius Marcus, geb. am 23.7.1876 in Güstrow, deportiert nach Minsk am 8.11.1941, Todesdatum unbekannt

Stadtteil Harburg-Altstadt, Schlossmühlendamm 32

Julius Marcus war Inhaber eines Manufakturwarengeschäfts in der Mühlenstraße 9 (heute: Schlossmühlendamm 32), wo er mit seiner ebenfalls jüdischen Frau Grete und den beiden in Harburg geborenen Kindern Erich und Gerda (geb. 10.1.1914) wohnte. Seine beiden Schwestern Ella Marcus (geb. 5.9.1874) (siehe: Stolpersteine in der Hamburger Isestraße, S. 194f.) und Rosalie Marcus (geb. 12.11.1880), die auch in Güstrow zur Welt gekommen waren, waren inzwischen in Hamburg heimisch geworden.

Die Flut antijüdischer Gesetze und Verordnungen engte nach 1933 auch die Lebenswelt der Familie Marcus von Tag zu Tag stärker ein. Die geschäftlichen Einnahmen schrumpften zusehends und reichten kaum noch zum Lebensunterhalt. Schneller und härter als befürchtet, sah sich die Familie mit den Folgen der Nürnberger Gesetze konfrontiert, als am 3. August 1936 wahrheitswidrig Gerda Marcus’ jüdischer Verlobter Wilhelm Wolff denunziert wurde, mit einer "Arierin" "Rassenschande" begangen zu haben. Er wurde zu zehn Monaten Haft verurteilt. und galt damit als vorbestraft. Auf Grund dieser Tatsache wurde er im Sommer 1938 im Rahmen der so genannten Juni-Aktion wieder verhaftet und in das KZ-Sachsenhausen überführt. Sechs Monate später kam er kurz vor Weihnachten unter der Bedingung frei, das Land bis spätestens zum 15. Februar 1939 zu verlassen. Am 20. Januar 1939 heiratete er seine Verlobte Gerda Marcus, doch die endgültige Ausreise der jungen Eheleute nach Shanghai zog sich noch bis zum 17. April 1939 hin.

Julius und Grete wollten ihnen folgen, wie sich aus einem Eintrag der Jüdischen Gemeinde Hamburgs auf ihrer Kultussteuerkarte erahnen lässt. Es bleibt unklar, warum sie diese Absicht nicht realisieren konnten, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen, denn sie waren inzwischen völlig verarmt. Nach der Aufgabe des Geschäftes war auch die letzte halbwegs noch ertragreiche Einnahmequelle versiegt. Julius Marcus war auf die Unterstützung der Hamburger Jüdischen Gemeinde angewiesen, was zur Folge hatte, dass er nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als Wohlfahrtsempfänger Pflichtarbeit leisten musste. Aus eigener Kraft hätte er nie die Mittel für eine Ausreise nach Shanghai – oder wohin auch immer – aufbringen können. Auch ein vorübergehender Wohnungswechsel ins Grindelviertel nach Hamburg konnte diese Situation offenbar nicht entscheidend verändern, denn nach einiger Zeit kehrten Julius und Grete Marcus wieder in die alte Wohnung in der Mühlenstraße zurück.

Nachdem Julius Marcus´ ältere Schwester Ella die Hansestadt bereits am 25. Oktober 1941 mit dem ersten großen Judentransport nach Łód´z verlassen hatte, mussten Grete und Julius Marcus am 8. November 1941 "ihren Wohnsitz in den Osten" verlegen. Endstation war Minsk, ohne dass die Betroffenen es vorher erfuhren. Im demselben Zug saßen auch ihr Sohn Erich, dessen Frau Elsi und die Tochter Silvia, die gerade fünf Jahre alt geworden war.

Die Bahnfahrt von der Elbe in die alte weißrussische Hauptstadt dauerte drei Tage und führte Julius und Grete Marcus kurz nach der Abfahrt vom Hannoverschen Bahnhof im Hamburger Hafen noch einmal durch Harburg, die Stadt, in der sie so viele Jahre ihres Lebens miteinander verbracht hatten. Über Winsen (Luhe), Lüneburg, Stendal und Berlin ging es weiter nach Warschau und Białystok bis zum Zielort.

Als der Hamburger Transport im Weißrussland eintraf, war die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung der Sowjetunion durch Massenerschießungen bereits in vollem Gange. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, die im Rücken der vier Heeresgruppen operierten, praktizierten in den besetzten Gebieten schon das, was später als Endlösung bezeichnet wurde. Dieser Vernichtungspolitik fielen auch die reichsdeutschen Jüdinnen und Juden zum Opfer, die im Winter 1941 zunächst noch in das Minsker Getto gebracht wurden.

Während alle, die später nach Minsk deportiert wurden, gleich nach ihrer Ankunft in der nahe gelegenen Tötungsstätte Malyj Trostinez erschossen oder in Gaswagen ermordet wurden, wurden diejenigen, die zuvor in die heutige weißrussische Hauptstadt verschleppt worden waren, in der Folgezeit in mehreren zeitlich abgestuften Aktionen im und außerhalb des Gettos liquidiert. Insgesamt entgingen nur wenige Menschen aus den ersten Transporten nach Minsk im November 1941 diesem Schicksal. Alle anderen – darunter auch Julius und Grete Marcus sowie ihr Sohn Erich, ihre Schwiegertochter Elsi und ihre Enkelin Silvia – überlebten den Holocaust nicht.

Gleiches gilt für Julius Marcus’ Schwestern Ella, die am 15. September 1942 in der Vernichtungsstätte Chełmno ermordet wurde, und Rosalie, die am 9. Juni 1943 nach Theresienstadt verschleppt und dort drei Monate später in die Totenliste eingetragen wurde.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 4; 5; 8; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 100114 Wolff, Gerda.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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