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Bereits verlegte Stolpersteine



Gella Streim * 1881

Horstlooge 35 (Wandsbek, Volksdorf)

1941 Lodz

Weitere Stolpersteine in Horstlooge 35:
Gustav Jordan, Clara Tuch, Dr. Theodor Tuch

Gella Auguste Streim, geb.16.12.1881 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz

Die Hamburger Lehrerin lebte seit 1939 im Haus Horstlooge 35.
Seit 1905 hatte Gella Streim an verschiedenen Hamburger Schulen unterrichtet. Das Lehrerverzeichnis weist ihre Tätigkeit lückenlos bis 1933 nach. Danach fehlen die Eintragungen: Sie war nach dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" zwangspensioniert worden. Trotz 28jähriger Dienstzeit musste sie nun für den Rest ihres Lebens mit minimalen Bezügen auskommen. Ihre Kultussteuerkarte bei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg dokumentiert häufige Umzüge von Untermietverhältnis zu Untermietverhältnis. Zur Zeit der Volkszählung im Mai 1939 lebte sie bei ihrem Bruder Iwan (Jg. 1886), dessen Frau Edith (Jg. 1898) und deren Tochter Alice (Jg. 1926). Ihre Mitgliedsbeiträge zur Jüdischen Gemeinde gingen gegen Null. Nachdem das Reichsgesetz über die Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 die freie Wohnungswahl für Juden aufgehoben hatte, war Gella Streim, ebenso wie das Ehepaar Clara und Theodor Tuch, dem Hauswirt Jordan als Untermieterin zugewiesen worden.

Es gibt kaum Spuren, die nähere Auskunft darüber erlauben, wie das Leben, das Gella Streim geführt hat, ausgesehen haben mag. Ihr Name erscheint in Listen, zuletzt nur als Nummer:
- im Hamburger Lehrerverzeichnis, hrsg. von der Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens für die Jahre 1905 bis 1933;
- auf der Kultussteuerkarte Nr. 6904 der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg;
- als Nr. 924 auf der "Evakuierungsliste" vom 21.10.1941 für den Deportationstransport nach Lodz (Litzmannstadt) der Geheimen Staatspolizei, der am 25. Oktober abging.

Wenige Wochen, nachdem Gella Streim das Haus Horstlooge 35 verlassen hatte, begann ihr Wohnungsnachbar und Leidensgenosse Theodor Tuch, Aufzeichnungen für seine Tochter Edith Blumenfeld in Seattle/USA nieder zu schreiben. Frau Streim erscheint darin als "dritte Parthie".
Die 60jährige Gella Streim war zur ersten Großdeportation aufgerufen worden, während die älteren Mitbewohner bis zum "Alterstransport" nach Theresienstadt zurückgestellt wurden. Gella Streims Schicksal löste bei den Zurückgebliebenen Ratlosigkeit und Entsetzen – auch die eigene Zukunft betreffend – aus.

Tuch notierte am 22. Dezember 1941: "Heute wurden die Sachen der dritten Parthie, die in Polen ist (seit dem 24.10. und noch keinen vernünftigen Brief geschrieben hat oder schreiben durfte) abgeholt. Mutter war sehr bedrückt, als der Couch-Umbau fortkam. Den hatte der Bruder der 3t Parthie an vielen, sehr vielen Sonntagen in mühevoller Arbeit aus Bretter-Resten kunstvoll zusammengefügt. Auch der neue elektr. Kessel, den die 3te Parthie sich erspart hatte und die Teppiche und die schöne Steppdecke, kurz alles bis zum letzten Stecknadelknopf ging ab." Drei Wochen später schrieb er: "Von der 3n Parthie in Litzmannstadt. Eine Karte, die Clara dorthin gesandt hatte, kam zurück mit dem postalischen Vermerk: ,Zurück. In der Straße des Empfängers findet z. Z .keine Postzustellung statt.’ Das lässt tief blicken." (16.1.42)

Mit dieser von Lodz nach Volksdorf zurückgesandten Karte verflüchtigt sich die letzte Lebensspur der Gella Streim. Ihr Bruder, ihre Schwägerin und ihre Nichte waren ebenfalls nach Lodz deportiert worden. Alle vier fanden dort den Tod.

Im Jahr 2003 erinnerte die Walddörfer Kantorei, Volksdorf auf ihrer Chorreise nach Polen in Lodz während einer Gedenkstunde an Gella Streim.

© Ursula Pietsch

Quellen: 1; 4; StaH 522-1, Jüdische Gemeinden, 922 e Deportationslisten vom 21.10.1941; Theodor Tuch: An meine Tochter, Aufzeichnungen eines Hamburger Juden 1941/42, hrsg, von Ursula Randt, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts, Jerusalem 1985, S.6-32; Hamburger Lehrerverzeichnis 1905-33, hrsg. von der Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens; Bundesarchiv Berlin, R 1509, Ergänzungskarten für Angaben über Abstammung (Volkszählung v. 17.5.1939), Wohnortliste Hamburg.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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