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Erich Starke * 1901

Heider Straße 6 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)

KZ Neuengamme
ermordet 28.6.1942 KZ Neuengamme

Erich Starke, geb. 30.5.1901 in Wilhelmshaven, gestorben am 28.6.1942 im KZ Neuengamme

Heider Straße 6

"... eben homosexuell, wie andere Leute heterosexuell"
Heinrich Erich Starke (1901–1942), Buchhändler
Freundschaft
Freundschaft heisst: in leiddurchwob‘nen Tagen
Starken Herzens and‘rer Lasten tragen;
Sonnenschein und Freude festzuhalten,
Trübe Stunden sonnig zu gestalten!
Freundschaft heisst: nicht alles gut zu heissen,
Unkraut aus des Freundes Garten reissen,
Doch behutsam, dass kein Blümlein stirbt,
Keines mit dem Unkraut gar verdirbt!
Freundschaft muss die steilen Dornenwege
Lächelnd wandeln – über schwanke Stege,
Die manch‘ tiefen Abgrund überbrücken,
Aufrecht schreiten – ohne umzublicken!
Freundschaft glaubt, was sie in stillen Stunden
Als das einzig Richtige empfunden.
Trifft auch manches Lästerwort das Ohr,
Zu der Sonne schweift der Blick empor –
Sonnenräder schlingt sie leise, leise
um die Herzen – eine traute Weise
Hören aus der Tiefe sie erklingen;
Und zur Harfe wird die Treue singen:
Wenn das Schicksal manches auch zerbricht,
Freundschaft wankt im Daseinskampfe nicht!
(H. E. Starke, 1934 in einem Brief an den inhaftierten Hugo Frischmeyer)

Am Abend des 16. Juni 1938 wartete Heinrich Erich Starke im Zimmer seines Freundes August Hünfeldt. Hünfeldts Vermieterin hatte ihn in die Wohnung gelassen und gesagt, Hünfeldt werde gleich zurückkommen. Herta V. sperrte Starke im Zimmer ein und benachrichtigte die Polizei, die Starke wegen Verdachts auf widernatürliche Unzucht mit zur Wache nahm. Das Ehepaar V. hatte Hünfeldt wochenlang durch das Oberlichtfenster beim Sex beobachtet und zwei Tage zuvor denunziert.

Für Starke war dies mindestens das fünfte Mal, dass er wegen seines gleichgeschlechtlichen Begehrens in die Hände des staatlichen Verfolgungsapparats geriet. Im Gegensatz zu den früheren Festnahmen, Inschutzhaftnahmen und Verurteilungen gelangte er nie wieder in Freiheit und wurde am 28. Juni 1942 im KZ Neuengamme ermordet.

Heinrich Erich Starke ist einer der circa 3500 Männer, die in Hamburg während der NS-Diktatur wegen gleichgeschlechtlicher Sexualhandlungen verurteilt wurden. Starke war ein enga­gierter, aufrichtiger und mutiger homosexueller Mann. Seine Lebensgeschichte ist zum Teil in den Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg überliefert. Diese Akten, die vor Vernichtungsaktionen durch NS-Täter weitgehend verschont geblieben waren und in ihrem justiz- und sozialgeschichtlichen Aussagewert einen nahezu einmaligen Bestand bildeten, wurden zu einem erheblichen Teil in den Jahren zwischen 1990 und 1996 im Auftrag des Hamburger Staatsarchivs vernichtet. Erst nach massiven nationalen und internationalen Protesten wurde die Kassation dieser wichtigen Quellen durch den Hamburger Justizsenator und späteren Richter am Bundesverfassungsgericht Wolfgang Hoffmann-Riem gestoppt. Aufgrund der Aktenvernichtung kann nur für wenige Menschen die Verfolgungsgeschichte oder gar eine Biographie rekonstruiert werden. Für Heinrich Erich Starke ist dies zumindest lückenhaft möglich, da die erhalten gebliebenen Justizakten nicht nur einzelne seiner Verurteilungen und Verfahren gegen andere, in denen er genannt wird, dokumentieren, sondern auch Ego-Dokumente und Aussagen von Bekannten Starkes enthalten.

Heinrich Erich Starke wurde am 30. Mai 1901 in Wilhelmshaven geboren und wuchs in der Familie eines Schuhmachers als Adoptivsohn auf. Nach Abschluss der achtjährigen Volksschule ging er in einem "Hausstandsgeschäft" in die Lehre. 1918, im letzten halben Kriegsjahr, wurde er dienstverpflichtet und arbeitete in einem Büro der Kriegsmarine. 1919 war er Verkäufer in Mecklenburg. 1920 zog er nach Hamburg und war hier fortan für verschiedene Firmen als Handelsreisender im norddeutschen Raum tätig. Zwischen 1930 und 1935 war er überwiegend erwerbslos.

Schon während seiner Pubertät scheint Heinrich Erich Starke sich darüber klar gewesen zu sein, "daß mein Triebleben mich zum Manne drängte". Im Verhör am 17. Juni 1938 beim 24. Kriminalkommissariat bezeichnete er sich als "homosexuell veranlagt" und teilte mit, dass er nie Geschlechtsverkehr mit Frauen und auch nie "Interesse für Frauen" gehabt habe.

Ob Starke wegen seines gleichgeschlechtlichen Begehrens als 19-Jähriger in die Großstadt Hamburg zog, geht aus seinen Aussagen nicht hervor. Bereits als 18-Jähriger hatte er für Magnus Hirschfelds Wissenschaftlich-humanitäres Komitee (WhK), 1897 als erste Organisation Homosexueller gegründet, Mitgliedsbeiträge gezahlt. 1920 stieß Starke zur gerade gegründeten Gruppe des Deutschen Freundschaftsverbandes in Hamburg, einem reichsweiten Zusammenschluss Männer begehrender Männer und Frauen begehrender Frauen. Die Freundschaftsverbände verfolgten politische wie kulturelle Aufgaben und Ziele. Sie traten wie das WhK insbesondere für die Abschaffung des § 175 StGB ein, mit dem von 1871 bis 1969 einvernehmliche Sexualhandlungen erwachsener Männer im Deutschen Reich bzw. in der Bundesrepublik Deutschland kriminalisiert wurden.

Die Verbände boten rechtliche Beratung und Hilfe bei Erpressungsversuchen an, organisierten aber auch "gesellige Abende" und Tanzveranstaltungen, Wanderungen und andere Freizeitaktivitäten. Wichtig waren darüber hinaus die verschiedenen Zeitschriften, die sie herausgaben. Die Verbände und ihre Zeitschriften trugen entscheidend dazu bei, die im 19. Jahrhundert maßgeblich von der entstehenden Sexualwissenschaft entwickelte Vorstellung, Personen, die Personen des gleichen Geschlechts begehrten, seien ein eigener Typus Mensch (Conträrsexuelle oder eben Homosexuelle als der Begriff, der sich durchgesetzt hat), unter gleichgeschlechtlich begehrenden Menschen im deutschsprachigen Raum zu verbreiten und die negative Vorstellung des minderwertigen Anderen in ein positives Selbstbild umzudeuten.

Die Verbände waren gleichzeitig ein Freiraum, der die Möglichkeit bot, Freundschaften zu schließen. So lernte Starke seinen ersten Freund auf einer Verbands-Veranstaltung kennen. Von Vorteil für die beiden war, dass der Freund über eine eigene Wohnung verfügte, in der sie ungestört vor einer neugierigen, sie oft diskriminierenden Öffentlichkeit waren. Viele andere Männer begehrende Männer lebten zur Untermiete, bei ihren Eltern oder mit ihren Familien, sodass sie oft nicht einmal in den eigenen vier Wänden offen und unbefangen ihre Freundschaft gestalten konnten.

Starke war ein engagiertes Verbandsmitglied, so gehörte er dem Festausschuss an, der regelmäßig größere Feiern und Bälle ausrichtete. Auch nach der aufgrund konkreter Verfolgungen und politischen Drucks erfolgten Auflösung des Verbands 1933 war Starke noch aktiv. 1935 erkundigte er sich nach der Verschärfung des § 175 beim (noch amtierenden Weimarer) Leiter des Sittendezernates, "wie Homosexuelle sich jetzt verhalten sollten". Nach der Einführung der Wehrpflicht im März 1935 schrieb er einen Brief an den Reichskriegsminister, in dem er um "Verhaltensregeln für die Homosexuellen" bat. 1934 kümmerte sich Starke gemeinsam mit anderen um seinen guten Freund Hugo Frischmeyer, der wegen des Verdachts, gegen § 175 verstoßen zu haben, in Untersuchungshaft saß. Er regelte dessen finanzielle Angelegenheiten, versorgte ihn mit Wäsche und informierte ihn über die Reaktion des Freundeskreises auf die Verhaftung.

Viele hatten sich von Frischmeyer zurückgezogen, aus Angst, selbst in die Ermittlungen verwickelt zu werden. Starke berichtete in seinen Briefen über den Tratsch in den noch bis 1936 geöffneten Hamburger Homosexuellen-Lokalen: Hier "laufen z. Zt. über Dich die wildesten Gerüchte um. Du hättest 4 Jahre bekommen, oder Du hättest Dich in Deiner Zelle erhängt. Über so viel Blödsinn und Quatsch muß man lachen, wenn es um Dich nicht so traurig stände". Nicht zuletzt mit zwei selbstverfassten Gedichten (Freundschaft und Leid) machte er Frischmeyer Mut, die Haft durchzustehen.

Im Verlauf der Radikalisierung der Verfolgung homosexueller Männer in Hamburg im Juli 1936, die durch ein Gestapo-Sonderkommando aus Berlin forciert wurde, geriet auch Heinrich Erich Starke in die Hände des Verfolgungsapparates. Obwohl er in den Polizeiverhören angab, zahlreiche Sexualpartner gehabt zu haben, nannte er trotz des Druckes und der Drohungen der Verhörenden nur zwei Männer namentlich, die strafrechtlich nicht mehr belangt werden konnten. Als Grund für sein Schweigen gab er an, dass er "es als unfein empfinde, wenn man seine Partner, mit denen man sich früher einmal amüsiert hat, jetzt einfach anprangern würde". Starkes Aussage ist in dieser Form einmalig. Viele Männer konnten dem Druck der Verhöre, die oft auch mit Folter einhergingen, nicht standhalten und gaben eine Vielzahl von Sexualpartnern preis.

Nicht nur Starkes Weigerung, Partner anzugeben, verärgerte Polizei und Staatsanwaltschaft, denen selbstbewusste Verhaftete suspekt waren. Besonders ereiferte sich der ermittelnde Polizist darüber, dass Starke offensichtlich sein gleichgeschlechtliches Verhalten auf eine nicht krankhafte homosexuelle Identität zurückführte: "Starke ist im übrigen von sich selbst stark [überzeugt]. Er ist eben homosexuell, wie andere Leute heterosexuell. Aus seiner Veranlagung leitet er das Recht her, sich auf diesem Gebiete Befriedigung zu verschaffen." Allein dadurch, dass Starke den Begriff "heterosexuell" verwendete, widersetzte er sich den Vorstellungen der Verfolger. Denn dieser Begriff gehörte nicht zu deren Vokabular, das zwischen "normal" und "krank" oder "pervers" unterschied.

Starke stellte sich damit in die Tradition der emanzipatorischen Sexualwissenschaft eines Magnus Hirschfeld und der Freundschaftsverbände, die von einer "Natürlichkeit" der Homosexualität ausgingen und sich gegen die weit verbreiteten Vorstellungen wendeten, Homosexualität sei eine Krankheit oder man werde zu ihr "verführt".

Starkes selbstbewusstes Auftreten stellte auch hier eine Ausnahme dar: Viele Männer gaben in den Verhören an, nicht homosexuell zu sein, oder sie versicherten, gegen die homosexuelle Veranlagung "angekämpft" zu haben. – Eine Anpassung an die Verfolgungssituation, aber auch Ausdruck ihrer Selbstwahrnehmung.

Starkes positiv besetzte homosexuelle Identität wurde ihm in den Verurteilungen durch das Hamburger Amtsgericht zum Nachteil ausgelegt. So hieß es im Urteil zum Prozess im Februar 1937, der von den beiden Sonderdezernenten Staatsanwalt Nicolaus Siemssen und Amtsrichter Günther Riebow, zwei besonders engagierten und willfährigen Verfolgern, bestritten wurde: "Der Angeklagte ist auf dem Gebiet der Homosexualität etwa das, was man früher bei politischen Verbrechern ,Überzeugungstäter‘ zu nennen pflegte. Überzeugungstäter waren und sind Menschen, die moralisch wertvoller sein mögen als andere, deren Staatsgefährlichkeit aber beträchtlich größer ist. Starke ist ein Mann, der ohne Zweifel gefährlich ist."

Heinrich Erich Starke wurde insgesamt dreimal wegen Sexualhandlungen mit Männern verurteilt: 1932, 1937 und 1938. Zwei der drei Verurteilungen gingen auf eine Denunziation zurück, lediglich die erste Verurteilung war Folge aktiver polizeilicher Ermittlungen. Denunziationen aus der Bevölkerung machten einen erheblichen Teil der Gründe aus, wie Männer begehrende Männer in die Hände des Verfolgungsapparates gerieten. Viele wurden durch Bekannte, Nachbarinnen und Nachbarn, Arbeitskolleginnen und -kollegen oder Familienmitglieder denunziert, andere von ebenfalls Verfolgten unter dem Druck der Verhöre. Die eigene Ermittlungstätigkeit der Polizei machte nur einen geringen Teil der Fälle aus. Ohne die aktive Mithilfe der Bevölkerung, wie etwa der des eingangs genannten Ehepaars V., wäre die Verfolgung wesentlich uneffektiver gewesen. Dies gilt nicht nur für homosexuelle Männer, sondern auch für andere im NS-Staat verfolgte Gruppen.

Es gab aber auch wohlwollende Menschen. Beispielsweise wurde Heinrich Erich Starke vermutlich von seiner früheren Vermieterin, der 68-jährigen Witwe Lisette Reins, gedeckt. Sieben Jahre hatte Starke bei ihr in der Heider Straße 6 gewohnt. Frau Reins beschrieb Starke im Polizeiverhör im Juni 1938 als ordentlich und zurückgezogen. Sie betonte, er empfange nur geschäftliche Besuche. Kriminalassistent Höppner notierte resignierend: "Ich hatte aber das Gefühl, daß Frau Reins auch nichts sagen würde, wenn sie tatsächlich etwas wüßte." Während der Haft war sie die Kontaktperson für Starke.

Nach Verbüßung einer dreijährigen Gefängnisstrafe, während der Starke unter anderem in den Emslandlagern schwere Arbeiten verrichten musste, wurde er als "Schutzhäftling" im KZ Neuengamme festgehalten. Starke hat den nationalsozialistischen Terror nicht überlebt. Das Totenbuch Neuengamme nennt "Erich Starke, Wilhelmshaven, *30.05.01 †28.06.42".



© Stefan Micheler

Quellen: StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen 2905/37, 9467/38, L189/35; Eine ausführliche Biographie Heinrich Erich Starkes findet sich in folgendem Text: Micheler, Stefan: "... eben homosexuell", in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Verfolgung, Heft 5, 1999, S. 77–92. Der Text ist auch im WWW verfügbar: http://www.StefanMicheler.de/wissenschaft/art_fallstarke_ 1999.html Miche­ler/Terfloth, Homosexuelle Männer, 2002; Micheler, Selbstbilder, 2005.

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