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Liselotte Schlachcis * 1910

Wandsbeker Marktstraße 79 / 81 (Wandsbek, Wandsbek)

1942 Auschwitz

Liselotte Schlachcis, geb. am 23.3.1910, 1933-34 Haft in Hamburg, 1934 Flucht nach Kopenhagen, 1941–1942 Haft in Hamburg, Lübeck und Neumünster, von dort am 17.12.1942 deportiert nach Auschwitz, dort am 30.1.1943 ermordet

Wandsbeker Marktstraße 79/81 (Lübeckerstraße)

Liselotte Schlachcis, auch Lotte genannt, wurde nur 32 Jahre alt. Obwohl sie nach Dänemark geflohen war, wurde sie nicht wie die meisten dänischen Juden ins sichere Schweden gebracht und gerettet, sondern vielmehr verraten, abgeschoben und an die deutsche Polizei übergeben.

Liselotte Schlachcis war am 23. März 1910 im damals noch preußischen Pinne im Kreis Samter in der Provinz Posen geboren worden. Ihre Eltern waren die jüdischen Eheleute Martha, geb. Levinsohn, und Eduard Schlachcis, der bereits am 25.11.1913 starb.

1922 kamen Liselotte und ihre Mutter nach Wandsbek. Sie hatten wie viele Deutschstämmige Pinne verlassen, das als Teil der Provinz Posen nach dem Versailler Vertrag inzwischen zum polnischen Abtretungsgebiet gehörte. In Wandsbek bezogen sie eine Wohnung in der Hamburgerstraße 29 (heute Wandsbeker Marktstraße). Martha Schlachcis betrieb dort seit 1924/25 einen Schuhwarenhandel.

Liselotte Schlachcisging nach der Schulentlassung 1926 nach Segeberg und kehrte 1928 zurück. 1931 und 1932 wohnten Mutter und Tochter in der Lübeckerstraße 13/14 (heute Wandsbeker Marktstraße) beim Kaufmann Karl Florstedt zur Untermiete. Das Schuhgeschäft führte nun G. Kohn (jun.). 1933 arbeitete Liselotte Schlachcisals Kontoristin.

Am 29. März 1931 meldete sie sich in Hamburg-Hamm im Wichernsweg 28 an, vermutlich bei ihrem damals 19jährigen Freund und späteren Verlobten Rudolf Lindau, genannt Rudi. Er war Bauarbeiter und – wie Liselotte inzwischen auch – in der kommunistischen Jugendbewegung aktiv. 1932 traten beide der KPD bei. Liselotte Schlachcis wohnte jetzt in der Steilshooper Straße 177, wieder zusammen mit ihrer Mutter. Zunächst zog auch Rudi Lindau dort ein, nahm aber später ein Zimmer im Kenzlersweg 17 in Hamm.

Am 26. Oktober 1933 wurde Rudi Lindau in der Wohnung seiner Verlobten verhaftet. Ihm, Friedrich Winzer und anderen wurde vorgeworfen, am 27. August 1931 am Überfall auf den Polizisten Perske beteiligt gewesen zu sein. Die Gruppe hatte beabsichtigt, ihn zu entwaffnen, dabei erlitt der Polizist einen Bauchschuss, an deren Folgen er später starb. Das nationalsozialistische Hanseatische Sondergericht sah es als erwiesen an, dass Lindau geschossen habe und die Hauptschuld am Tod des Polizisten trüge. Während die anderen Tatbeteiligten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, verhängte das Gericht am 30. Dezember 1933 gegen Rudi Lindau die Todesstrafe.

Zwei Tage vor seiner Hinrichtung konnte Liselotte ihn noch sprechen. Am 10. Januar 1934 wurde Rudolf Lindau im Untersuchungsgefängnis (UG) in Hamburg enthauptet, er wurde 21 Jahre alt.

Auch Liselotte Schlachcis befand sich inzwischen in "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbüttel. Sie erzählte der Gestapo, sie sei verlobt mit einem Mitglied vom sozialdemokratischen Schutzverband Reichsbanner. Die Gestapo beschuldigte sie dagegen, den Versuch unternommen zu haben, ihren Verlobten außer Landes zu schaffen, um ihn der Gerichtsbarkeit zu entziehen. Bei dem Verhör am 2. Januar 1934 gestand Liselotte Schlachcis, unter dem Decknamen "Kurt" illegal Briefe und Papiere im Zeitraum August bis Dezember 1933 verteilt zu haben. Nach drei Monaten wurde sie ins Untersuchungsgefängnis überstellt, wo sie bis zum 12. Juli 1934 einsaß.

Bis zu ihrer Verhaftung hatte Liselotte vermutlich auch der kommunistischen Widerstandsgruppe um Kurt Lammers angehört. Sein Vater war Inhaber eines Gemüsegeschäfts in der Wandsbeker Langereihe. Dort wurden in einem der hinteren Räume Flugblätter und andere illegale Schriften hergestellt. Kurt Lammers wurde 1935 verhaftet. Als Zeitzeuge hat er sich 1988 an Liselotte erinnert.

Nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft befürchtete Liselotte Schlachcis weitere Verhöre durch die Gestapo, deshalb setzte sie sich aus Hamburg ab. Sie fuhr mit dem Passagierschiff SS Kaiser nach Kopenhagen, wo sie am Sonntag, den 9. September 1934 ankam. Die erste Nacht verbrachte sie im Hotel Helgo in der Helgolandsgade, die nächsten Tage logierte sie bei einer jüdischen Familie, die sie auf der Straße getroffen hatte.

Sie wurde von Anfang an von der Jüdischen Gemeinde unterstützt, da sie keine Arbeit annehmen durfte, und musste sich – wie andere Flüchtlinge auch – bei der Fremdenabteilung der Polizeizentrale in Kopenhagen melden, wo sie eine Aufenthaltserlaubnis erhielt.

Obwohl sie außer Landes war, suchte die Gestapo sie weiterhin. Flüchtlinge aus Deutschland waren zu dieser Zeitzwar weiter in Dänemark geduldet, mussten sich aber um eine Einreisemöglichkeit in ein Drittland bemühen. Anfang 1935 wollte Liselotte Schlachcis nach Russland ausreisen. Die jüdische Gemeinde war bereit, die Reisekosten zu übernehmen. Liselotte Schlachcis erhielt jedoch keine Durchreisegenehmigung für Finnland bzw. Lettland und von russischer Seite wurde ihr die Ankunft per Schiff in Leningrad verwehrt.

Im Februar 1938 erwogen die dänischen Behörden, Liselotte Schlachcis nach Deutschland zurückzuschicken. Das Sozialdirektorat wollte sie wegen anfallender Aufenthaltskosten loswerden. "Rücksendung nach Deutschland aus zwingendem Grund, da es nicht passend gefunden wird, dass die Genannte fortwährend dem öffentlichen Versorgungswesen zur Last liegen soll." Von den Flüchtlingen wurde erwartet, dass sie eine Arbeit aufnahmen oder ihren Unterhalt von Geldzuwendungen bestritten.

Doch die Fremdenabteilung widersprach der Abschiebung. Liselotte Schlachcis sei nicht imstande gewesen, ein Visum für die Einreise in die Sowjetunion zu beschaffen. Nach ihr werde noch gefahndet. Man denke nicht daran, sie heimzusenden, da sie immer noch als politischer Flüchtling anerkannt werden müsse. Obwohl sich Hilfsorganisationen ihrer angenommen hatten, sei es bisher nicht gelungen eine passende Arbeit für sie zu finden. Die Fremdenpolizei gab als Begründung weiter an: "… dass Fräulein Schlachcis, die nur 149 cm groß ist, mager und spittelig und sehr blutarm aussieht, absolut nicht danach aussieht, dass sie überhaupt irgend eine Arbeit annehmen könne, die physische Kraft erfordert."

Das "Komitee vom 4. Mai", eine jüdische Hilfsorganisation für deutsche Flüchtlinge, konnte keine Arbeitsstelle für sie finden. Schließlich gelang es, ihr eine Ausbildung an der handelswissenschaftlichen Lehranstalt in Kopenhagen zu ermöglichen.

Inzwischen hatte Liselotte offenbar einen neuen Lebensgefährten gefunden, Wilhelm Adam, genannt Willi. Beide wohnten zeitweise (1937/38) in einer Wohngemeinschaft zusammen mit den Parteigenossen Kurt und Marie Richter, bevor sich die Gruppe zerstritt. Unter dem Decknamen Gilbert und Kleiner Hans leitete Willi Adam bis 1936 den Abschnitt Nord der KPD in Kopenhagen. Adam wurde 1938 aus Deutschland ausgebürgert. Er blieb auch nach der deutschen Besetzung Dänemarks im Land und redigierte die illegale, antifaschistische Zeitung "Deutsche Nachrichten". Im April 1945 wurde er von der Gestapo verhaftet und kam erst nach Kriegsende frei.

Der Freundschaftspakt zwischen Hitler und Stalin (August 1939) sorgte für Verwirrung in der Führung der KPD, was zu unterschiedlichen Anweisungen an die Kader führte. Einerseits sollten die Parteimitglieder den Pakt respektieren, andererseits das NS-Regime bekämpfen. Die illegal arbeitende Abschnittsleitung Nord (ALN) der KPD begrüßte den Pakt als friedensstiftende Maßnahme. Funktionäre im Exil wurden angehalten, im Rahmen einer Re-Emigration alte Verbindungen in Deutschland zu aktivieren und Strukturen aufzubauen. Doch die Strategie misslang, vielmehr führte die unrealistische Fehleinschätzung der Parteiführung zur Verhaftung und Verurteilung zahlreichernach Deutschland entsandter Genossen.

Die Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 durch die deutsche Wehrmacht betraf die dorthin Geflüchteten unmittelbar. Ihre Lage wurde immer gefährlicher. Zwar tastete das NS-Regime die dänischen Staatsorgane nicht an, erwartete aber Kooperation bis hin zur Kollaboration. Dazu gehörte auch die Verhaftung von aus Deutschland geflüchteten Angehörigen des politischen Widerstands. Eine erste größere Verhaftungswelle erfolgte Ende Mai 1940 auf deutsches Verlangen durch die dänische Polizei. Zuvor war die Anmeldepflicht für alle Ausländer eingeführt worden. Besonders betroffen waren kommunistische Flüchtlinge. Ab Dezember 1940 nutzte die Besatzungsmacht systematisch die Flüchtlingskartei der dänischen Polizei sowie Unterlagen der aufgelösten bzw. verbotenen Hilfskomitees. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 forderten die deutschen Stellen von der dänischen Polizei, alle kommunistischen Flüchtlinge zu verhaften und zu internieren. Bald darauf wurden sie nach Deutschland ausgeliefert.

Auch Liselotte Schlachcis geriet in die Fänge der Gestapo. Sie wurde als Mitglied der KPD Abschnittsleitung Nord unter dem Decknamen "Ruth" geführt. Am 27. Juni 1941 veranlasste der Staatsadvokater (Staatsanwalt) für besondere Anliegen Liselottes Verhaftung. Diese erfolgte in ihrer Wohnung, wo sie polizeilich gemeldet war. Der Zugriff der dänischen Polizei war möglich geworden, weil sie nicht in die Illegalität abgetaucht war, sondern sich an ihrer Meldeadresse aufhielt. Sie hatte von einer Sekretärin ihres KPD-Abschnitts, Karola Kern, die Weisung erhalten, weiterhin unter dieser Adresse gemeldet zu bleiben. Vermutlich war Kern Agentin der Gestapo..Auch Willi Adamwurde zeitweise beschuldigt, für die Gestapo zu arbeiten, was sich jedoch nicht bestätigte.

Liselotte Schlachcis Aufenthaltserlaubnis war lt. Vermerk des Justizministeriums vom 21. Juli 1941 eingezogen worden. Ihrer Überstellung nach Deutschland wurde zugestimmt. Am 3. August 1941 wurde sie über Warnemünde abgeschoben und der deutschen Polizei übergeben.

Diese brachte sie nach Hamburg, wo sie ab dem 5. August 1941 ca. 11 Monate in Untersuchungshaft verbringen musste. Sie wurde als politisch gefährlich eingestuft. Ein Stempelaufdruck auf ihrer Gefangenkarte besagt: "Streng trennen von allen politischen Gefangenen!" Am 26. Juni 1942 verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht sie wegen fortgesetzter "Vorbereitung zum Hochverrat" zu sechs Jahren Zuchthaus. Sie kam zunächst am 9. Juli 1942 ins Zuchthaus für Frauen Lübeck-Lauerhof und am 14. November 1942 in die Frauenabteilung des Strafgefängnisses Neumünster.

Die Nationalsozialisten planten für bestimmte Gefangene die "Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen … Tschechen oder Deutsche … nach Entscheidung des Reichsjustizministers." Parallel bestimmte ein Erlass, deutsche Gefängnisse, Zuchthäuser und Konzentrationslager "judenfrei" zu machen. Liselotte Schlachcis galt als jüdisch. Am 17. Dezember 1942 verließ sie um 9.45 Uhr die Strafanstalt Neumünster und wurde ins Vernichtungslager Auschwitz verbracht. Dort wurde sie ermordet. Als Todesdatum wird der 30. Januar 1943 genannt.

Liselotte Schlachcis Lebensweg war wechselvoll und endete tragisch. Sie war Anfang 20, als sie sich politisch der KPD zuwandte. Als nach der Machtübernahme 1933 die Nationalsozialisten gegen Oppositionelle vorgingen, geriet sie ins Visier der Gestapo, die sie auch in Dänemark weiterhin observierte. Anfangs hatte sie als jüdischer Flüchtling die Chance zu überleben, doch ihre Integration im Aufnahmeland misslang. Die deutsche Besetzung des Landes, die falsche Einschätzung durch die Abschnittsleitung der KPD, in der auch Gestapo-Agentenwirkten, verhinderten, dass Liselotte in Erwägung zog unterzutauchen, um sich ihrer drohenden Festnahme und Abschiebung zu entziehen.

Zurück in Hamburg saß sie vor und nach ihrer Verurteilung monatelang in Haft. Verfolgt und verurteilt wurde sie wegen ihrer KPD-Mitgliedschaft, getötet wurde sie 32jährig in Auschwitz, weil sie Jüdin war. Als dänische Staatsangehörige oder im Exilland Integrierte hätte sie vielleicht im Oktober 1943 zu den nach Schweden geretteten Juden gehören können.

Liselotte Schlachcis Mutter hatte das Glück, den Krieg in Kopenhagen zu überleben, wohin sie geflohen war. Sie hatte wieder geheiratet und bei Kriegsende auf die Rückkehr ihrer Tochter gehofft, jedoch vergeblich.

Nun wollte Martha, die inzwischen Bukrinsky hieß, wenigstens das Urteil wegen Hochverrats aufgehoben wissen und schaltete 1955 einen Hamburger Anwalt ein. Sie erreichte es, dass noch im selben Jahr das Urteil gegen Liselotte Schlachcis aufgehoben wurde.

Stand: Februar 2022
© Astrid Louven

Quellen: Astrid Louven/Ursula Pietsch, Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern – Biografische Spurensuche, Hamburg 2008, S. 128-131, S. 219, S. 259, dort weitere Hinweise auf Quellen; Stefan Romey, Flucht vor Hitler – Kampf aus dem Exil Beispiele: Liselotte Schlachcis in: Widerstand in Wandsbek 1933-1945, herausg. von der Bezirksversammlung Hamburg-Wandsbek, Hamburg 2021, S. 139-149; VilhjalmurÖrnVilhjalmsson, Medaljensbagside:jødiskeflygtningeskæbner i Danmark ; 1933 - 1945, (übersetzt: Rückseite der Medaille: Jüdische Flüchtlingsschicksale in Dänemark 1933-1945) København, 2005. Der dänische Text über Liselotte Schlachcis wurde von Dr. Torkild Hinrichsen übersetzt und von Astrid Louven übertragen; Astrid Louven, Die Juden in Wandsbek 1604-1940. Spuren der Erinnerung, Hamburg 1989/91.

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