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Bereits verlegte Stolpersteine



Hermine Leib
© Privatbesitz

Hermine Leib (geborene Kahn) * 1887

Claudiusstieg 6 (Wandsbek, Marienthal)


HIER WOHNTE
HERMINE LEIB
GEB. KAHN
JG. 1887
DEPORTIERT 1941
LODZ
???

Weitere Stolpersteine in Claudiusstieg 6:
Hedwig Pohl, Julius Pohl

Hermine Leib, geb. Kahn, geb. 28.4.1887, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz

Claudiusstieg 6 (Klopstockstraße 6)

Hermine Leib gehörte zu den wenigen Personen, die von einer Wandsbeker Adresse aus deportiert wurden. Dabei war sie keine alteingesessene Einwohnerin, sondern hielt sich nur für kurze Zeit in Wandsbek auf. Sie gehörte zur kleinen Gruppe allein stehender Frauen, die sich ab Mitte der 1930er Jahre von kleineren Städten aus der Provinz nach Hamburg aufgemacht hatten. Einige mochten hier (entfernte) Verwandte gehabt haben, doch in erster Linie suchten sie in der Großstadt neben einem größeren Schutz vor antisemitischen Übergriffen auch bessere Existenzbedingungen, seien es Berufsmöglichkeiten oder Unterstützungsleistungen durch die jüdische Gemeinschaft.

Hermine Leib wurde am 28. April 1887 in Grevenmacher im Großherzogtum Luxemburg als Tochter des gut situierten jüdischen Viehhändlers und Grundbesitzers Isaak Kahn und seiner Ehefrau Julie, geb. Loeb, geboren. Ihre Großmutter mütterlicherseits besaß ein Kolonialwarengeschäft. Die Familie stammte aus Deutschland, lebte jedoch in Luxemburg.

Hermine Kahn besuchte eine höhere Schule, verließ Luxemburg und erlernte den Beruf der Modistin. Sie war jahrelang in Barmen im Putzgeschäft Fleischhacker tätig, wo Hüte hergestellt und verkauft wurden. Dort arbeitete sie als Modistin und Verkäuferin.

Sie blieb bis zu ihrer Heirat im Jahre 1912 berufstätig. Ihr Ehemann, Gottfried Leib, besaß in (Wuppertal-)Barmen, Dickmannstraße 25, eine Damenschneiderei. Zwischen 1912 und 1914 bekamen die Eheleute drei Kinder: Irene (Jg. 1912), Helmut (Jg. 1914) und Günther (Jg. 1919). Gottfried Leib diente im Ersten Weltkrieg als Soldat. Seine Ehefrau versuchte in dieser Zeit, das Geschäft allein weiterzuführen, konnte es jedoch nicht halten. Nachdem sie 1921 Witwe geworden war – Gottfried Leib war an den Folgen einer im Krieg erlittenen Verwundung verstorben –, nahm sie ihre Tätigkeit im Putzgeschäft Fleischhacker wieder auf, zunächst als Verkäuferin und später auch als Kassiererin. Zudem hatte sie sich Büro-Qualifikationen angeeignet. Da sie über eine höhere Schulbildung und perfekte Französischkenntnisse verfügte, wechselte sie ihre Arbeitsstelle und nahm eine Tätigkeit als Fremdsprachenkorrespondentin bei der Firma Leonhard Tietz an. Diese Position übte sie jahrelang aus, bis sie sich Ende 1932 einer schweren Operation unterziehen musste. Als sie wieder arbeitsfähig war, regierten bereits die Nationalsozialisten. Hermine Leib konnte wegen ihrer jüdischen Herkunft keinen adäquaten Arbeitsplatz mehr finden. So handelte sie als Selbstständige mit Butter, Eiern und anderen Lebensmitteln, wobei sie fast ausnahmslos auf jüdische Kundschaft angewiesen war, bis sie ihre Tätigkeit wegen fehlender Einnahmen schließlich aufgeben musste.

1935/36 wanderten die drei Kinder nach Palästina aus. Auch Hermine Leib wollte nicht mehr am alten Wohnort leben und wäre ihnen gern gefolgt. Doch erst einmal mussten sie in Palästina Fuß fassen, bevor sie ihre Mutter nachkommen lassen könnten. Nachdem sich eine Rückkehr nach Luxemburg als nicht durchführbar erwiesen hatte, wandte Hermine Leib sich an einen Verwandten in Hamburg, der sich bereit erklärte, sie vorerst aufzunehmen. Nun galt es, ihre gut eingerichtete 4-Zimmer-Wohnung, Dickmannstraße 25, aufzulösen. Sie sah sich gezwungen, Hausrat und Mobiliar zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Die wertvolleren Teile konnte sie schließlich im Haus der Synagoge unterstellen und hoffte, sie später abholen zu können. (Das Mobilar ging infolge des Pogroms vom 9. November 1938 jedoch verloren.)

Ohne selbstständigen Haushalt zog sie mit nur wenigen Sachen zum persönlichen Gebrauch zu ihrem Verwandten Jakob Loeb in die Dillstraße 1 im Grindelviertel. Sie trat in die Deutsch-Israelitische Gemeinde ein und schloss sich am 18. Februar 1936 dem Kultusverband der konservativen Neuen Dammtor Synagoge an. Ihr Einkommen war so gering, dass sie meistens keine Gemeindesteuer entrichten musste. Ab Mitte Mai 1941 erzielte sie lediglich Einnahmen in Höhe von 40 RM bei freier Station, wohl das Entgelt ihrer Arbeit im Altenheim.

Während der Hamburger Jahre stand sie über Rot-Kreuz-Briefe mit ihrer Tochter Irene in reglementiertem Kontakt. Die kurzen Mitteilungen zeigen, dass sie in dieser Zeit ständig umziehen und sich immer wieder neue Beschäftigungen suchen musste: Im Juni 1936 nahm Hermine Leib eine Stelle als Hausangestellte in der Rabenstraße 15 an. Danach war sie bei Dr. Bukschnewski, Gröningerstraße 6 II. tätig. Vom 1. Juli 1939 bis September 1941 arbeitete sie in der Schäferkampsallee 29, dem jüdischen Alten- und Siechenheim, wo sie bis Mai 1941 auch wohnte. Von ihrer neuen Adresse Hochallee 123 bei Herz (seit 17. Mai 1941), konnte sie ihren Arbeitsplatz zu Fuß erreichen. Das war unerlässlich, da Juden keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen durften.

Ab 3. September 1941 war sie dann in Wandsbek gemeldet. Warum sie in das Haus Klopstockstraße 6 kam, ist nicht bekannt. Möglicherweise bestanden durch ihren inzwischen emigrierten und ausgebürgerten Verwandten Leopold Leib noch Verbindungen zur Wandsbeker Gemeinde. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die jüdische Wohlfahrt Hermine Leib in die Klopstockstraße schickte, um die dort wohnhafte Familie Pohl zu unterstützen. Insbesondere auf der unverheirateten Tochter Hedwig lasteten alle Pflichten wie Haushaltsführung, Betreuung und Versorgung der alten Eltern, dem gelähmten Geheimrat Prof. Dr. Julius Pohl und seiner bettlägerigen, pflegebedürftigen Ehefrau Hedwig (s. Kap. Pohl). Die Familie war zwar katholischer Konfession, fiel jedoch unter die NS-"Rassegesetze", gehörte zwangsweise dem Jüdischen Religionsverband an und musste auch Gemeindesteuern entrichten. Die Tochter Hedwig Pohl war dringend auf Unterstützung angewiesen, die Hermine Leib nun leistete.

Doch sie konnte nicht lange bleiben. Nach etwa sieben Wochen erhielt sie den Deportationsbefehl in der Klopstockstraße. Am 25. Oktober 1941 musste sie mit etwa 1000 anderen den Zug nach Lodz besteigen, der das Getto einen Tag später erreichte. Dort wurde sie am 27. Oktober registriert. Sie war jetzt 54 Jahre alt. Weitere Transporte in das Getto folgten, das mit ca. 150000 Bewohnern bald überbelegt war. Ab Januar 1942 wurden die Gettobewohner sukzessive in die Vernichtungslager Chelmno und Auschwitz (1944) weiterdeportiert. Wo und wie Hermine Leib den Tod fand, ist ungewiss. Sie wurde rückwirkend auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Über die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem konnte ich Hermine Leibs jüngsten Sohn in Israel ausfindig machen. Kontakte zu dessen Tochter haben es ermöglicht, dass dieses Kapitel durch ein Foto von Hermine Leib illustriert werden kann.

© Astrid Louven

Quellen: 1; 2 sig. 32/1 und R 1942/13; StaHH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 l; AfW 240887; 4; 8; www.jewishgen.org Lodz Ghetto List, Lodz Ghetto Deportations and Statistics; Astrid Louven, Juden, S. 134; 176; Korrespondenz mit Schlomo und Ronit Leib, Juli/August 2007.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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