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Carl Sievers in der Staatskrankenanstalt Langenhorn, August 1935
© Staatsarchiv Hamburg

Carl Sievers * 1921

Kastanienweg 5 (Wandsbek, Bergstedt)


Tötungsanstalt
Meseritz-Obrawalde
ermordet 17.08.1944

Carl Theodor Christian Sievers, geb. am 16.5.1921 in Hamburg, inhaftiert 1941, ermordet am 17.8.1944 in der Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde

Kastanienweg 5

Carl Sievers wurde am 16. Mai 1921 in Hamburg als Sohn des Kranführers Johannes Sievers und der Krankenschwester Luise, geb. Froehling, geboren. Er hatte drei ältere Geschwister, Herbert, Elise und Johanna.

Der 1935 in einem ärztlichen Gutachten als "linksch, unbeholfen autistisch" charakterisierte Junge besuchte die Volksschule und sei "von seinen Mitschülern oft gehänselt" worden. Bereits als Kind habe er sich "abgeschlossen und nicht mit anderen Kindern gespielt".

Mit 13 Jahren erkrankte Carl Sievers im August 1934 zum ersten Mal an einer Schizophrenie, "redete wirres Zeug" und "brachte keine 2 Sätze richtig zusammen". Er kam für einen Monat ins Allgemeine Krankenhaus Eppendorf. Im August 1935 wurde er ein zweites Mal von den Eltern in ein Krankenhaus eingeliefert, nunmehr in die "Heil- und Pflegeanstalt Langen­horn", wo dieselbe Diagnose gestellt wurde. Auf Wunsch der Eltern wurde er im Oktober wieder entlassen, weil sie ihn für "wiederhergestellt" hielten, jedoch konnte er aufgrund seiner Antriebslosigkeit seine Pflichtschulzeit nicht mehr beenden. Nach seiner Konfirmation im April 1936 wurde er aufgrund eines Antrags aus Langenhorn im Hafenkrankenhaus sterilisiert. Carl Sievers wurde Mitglied in der Hitlerjugend, jedoch blieb er den Treffen fern, nachdem er dort zu Schießübungen herangezogen werden sollte, da alles, was mit Krieg zusammenhing, bei ihm Angst auslöste. Diese Empfindungen verstärkten sich nach dem ersten Fliegeralarm in Hamburg 1940.

Von Anfang Mai 1936 bis Juni 1940 hatte Carl Sievers ca. 40 verschiedene Arbeitsstellen als Bote, Kleinknecht und Hilfsarbeiter inne. Zuletzt wurde er vom Arbeitsamt Hamburg für ein halbes Jahr in die Mecklenburgische Metallwarenfabrik m.b.H. Waren, "Memefa", in Waren/ Müritz dienstverpflichtet, von wo er nach vier Monaten als ungeeignet nach Hause geschickt wurde. Immer wieder war er wegen seines "geringen Auffassungsvermögens" von den Arbeitgebern gedemütigt, geschlagen und letztlich entlassen worden, was er aus Scham den Eltern oft verschwieg. Im Juni 1940 befand er sich zum zweiten Mal mit der Diagnose Schizophrenie in Langenhorn und blieb dort einen Monat. Im selben Jahr war gegen ihn ein Diebstahlsverfahren anhängig, das im Januar 1941 eingestellt wurde. Zu dieser Zeit arbeitete er als Posthilfsarbeiter für das Postamt 20 in der Eppendorfer Landstraße.

Am 24. März 1941 wurde Carl Sievers dann während seines Dienstes in der Curschmannstraße von der Polizei verhaftet, weil er von einem Ortsgruppenleiter der NSDAP der Vornahme unsittlicher Handlungen an Kindern verdächtigt wurde. Einen Tag später kam Sievers in das Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis, wurde von der Kripo verhört und von der Staatsanwaltschaft nach §§ 175 und 176 Ziffer 3 StGB angeklagt. Er gab zu, an zwei unter 14 Jahre alten Jungen unzüchtige Handlungen vorgenommen zu haben, indem er sie in ein Treppenhaus gelockt, am Weglaufen gehindert und über der Hose in der Nähe der Geschlechtsteile berührt habe. Ein Gutachten des Medizinalrats und Gerichtsmediziners Dr. Wilhelm Reuss besiegelte im Mai 1941 das Schicksal von Carl Sievers, indem er eine Unterbringung in Lan­genhorn nach § 42b StGB "mindestens für Kriegsdauer" empfahl; am 11. Juni 1941 wurde Sievers aus der Untersuchungshaft dorthin verlegt. Das Landgericht bestätigte in seinem Urteil vom September 1941 die Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten für die Tat nach § 51,1 StGB und verfügte statt einer langen Gefängnis- oder Zuchthausstrafe zunächst für drei Jahre die Einweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt.

Ob in Langenhorn tatsächlich keine Besserung des Gesundheitszustandes von Carl Sievers beobachtet werden konnte, geht aus den spärlichen Notizen zur Krankengeschichte nicht hervor. Nach dem Tod seines Vaters im August 1941 bat er zu Ostern 1942 um Urlaub, um seine Mutter bei der Gartenarbeit unterstützen zu können. Dieses Gesuch formulierte er fehlerfrei. Es wurde ebenso abgelehnt wie ein von ihm gestellter Antrag auf Entlassung Ende September 1942. Stattdessen wurde er, wie viele seiner Leidensgenossen, am 25. März 1943 "im Zuge einer allgemeinen Verlegeaktion" in die Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde "ungeheilt" nach Brandenburg verbracht.

Noch am 18. Juli 1944 stellte der dortige Provinzialmedizinalrat, Dr. Theophil Mootz, für die inzwischen zuständige Generalstaatsanwaltschaft in Berlin die gutachterliche Aussage, dass "der Zweck der Unterbringung ... bei dem Geisteskranken Carl S i e v e r s in Anbetracht seiner geistig schwer und unheilbar veränderten Geistesverfassung nicht als erreicht bezeichnet werden [kann]". Am 17. August 1944 teilte man der Mutter dann auf einer Postkarte mit, dass ihr Sohn an einer "Lungenentzündung" verstorben und vor Ort eine Erdbestattung veranlasst worden sei.

Wie der Historiker Thomas Beddies festgestellt hat, war Mootz derjenige Arzt, "der die Selektion der Opfer in Meseritz-Obrawalde vornahm und später in den Krankengeschichten die angeblichen Todesursachen abzeichnete. Die Giftinjektionen tätigten in seinem Auftrag einige ausgewählte Pflegerinnen und Pfleger." Der Arzt soll 1945 von russischen Militärs verhaftet worden sein und wurde für tot erklärt.

Der Hamburger Mediziner Wilhelm Reuss jedoch, obwohl zunächst 1945 von der britischen Besatzungsmacht aus dem Staatsdienst entlassen, wurde am 31. Januar 1951 zum Nachfolger des berüchtigten Gutachters (nicht nur) zahlreicher Homosexueller, Professor Dr. Hans Koopmann, und als Leiter des Gerichtsmedizinischen Dienstes der Hamburger Gefängnisbehörde eingestellt. Noch am 3. März 1950 war seine Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst abgelehnt worden, weil er SA-Mitglied gewesen war.

© Bernhard Rosenkranz(†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH 352-8/7 (Staatskrankenanstalt Langenhorn), Ablieferung 1995/1 Nr. 22232; StaH 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen), 7635/41; StaH 242-1II (Gefängnisverwaltung II), Ablieferung 16; StaH 131-11 (Personalamt), 874; Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann/Gottfried Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, Hamburg 2009, S. 258; Thomas Beddies 2006, in: http://www.deathcamps.org/euthanasia/obrawalde_de.html (eingesehen am 5.1.2011).

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