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Martin Perlstein (o. J.)
Martin Perlstein (o. J.)
© Algemeen Rijksarchief/Brüssel

Martin Perlstein * 1889

Mohlenhofstraße 2 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
MARTIN PERLSTEIN
JG. 1889
FLUCHT 1938
BELGIEN
INTERNIERT 1940
SAINT CYPRIEN / DRANCY
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Martin Perlstein, geb. am 27.12.1889 in Berlin, Flucht nach Belgien, deportiert am 4.9.1942 nach Auschwitz

Mohlenhofstraße 2

Martin Perlstein war als dritter von insgesamt fünf Söhnen des jüdischen Kartonfabrikbesitzers Max Perlstein (geb.1852) und seiner Ehefrau Bertha, geb. Jacob (geb.1853), in Berlin zur Welt gekommen. Der Vater stammte aus dem russischen Białystok (heute Polen), seine Mutter war Berlinerin. Martin Perlstein besuchte in Berlin die Schule bis zum Abitur 1908. Dem Wunsch, Philologie zu studieren und Oberlehrer zu werden, kamen seine Eltern wegen der starken Kurzsichtigkeit ihres Sohnes nicht nach. So begann Martin in der Maschinenbaufirma Orenstein & Koppel, wo bereits sein älterer Bruder Arthur eine Ausbildung erhalten hatte, eine kaufmännische Lehre. Diese Ausbildung intensivierte er von 1912 bis 1914 in der belgischen Stadt Liège (Lüttich) und kehrte anschließend in seine Lehrfirma zurück. Martin Perlsteins Umzug von Berlin nach Hamburg in die Heinrich-Hertz-Straße 19 erfolgte offenbar aus beruflichen Gründen.1919 übernahm er die Geschäftsführung der Zweigniederlassung der Walter Hoehne AG in der Ernst-Merckstraße 12–14. Die Hoehne AG, mit Hauptsitz in Berlin-Charlottenburg, vertrieb Feldbahnmaterialien wie Eisenbahn-Oberbauten, Holzschwellen und Lokomotiven.

Am 24. Dezember 1920 heiratete Martin Perlstein in Osnabrück die ebenfalls aus einem jüdischen Elternhaus stammende Julie Meyer (geb.1.9.1894). Tochter Marianne Eva wurde am 12. Februar 1923 geboren. Im Jahr darauf trat das Ehepaar Perlstein aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde aus. Am 28. Juli 1926 wurde die Ehe geschieden. Julie Perlstein zog mit ihrer Tochter zunächst nach Berlin, seit 1933 lebte sie wieder in Osnabrück bei ihrem verwitweten Vater, dem Kaufmann Louis Meyer (geb. 9.5.1855, gest. 29.12.1933), zuletzt am Kaiserwall 14 (heute Hasetorwall) zur Untermiete. Ihre Mutter, Cäcilie Meyer, geb. Samkowy (geb. 24.12.1875 in Rußland, gest. 9.7.1929), war Schriftstellerin und Herausgeberin der "Hausfrauen-Zeitung Frauen-Reich". Julie Perlstein gelang es, im Januar 1936 nach England zu emigrieren, wo ihre Tochter Marianne schon zuvor Aufnahme gefunden hatte.

Martin Perlstein war Mitglied einer Deutsch-Französischen Verständigungsgruppe und allgemein kulturell interessiert. Er besuchte Veranstaltungen und Vorträge, seine Reisen nach Südafrika zu seinem Bruder Arthur, seit 1911 leitender Direktor der Firma Orenstein & Koppel in Johannesburg, unternahm er nicht nur aus privaten Gründen. Arthur Perlstein lebte schon seit 1903 in Südafrika und hatte sich mit der "Société Commerciale de L’Afrique de Süd-Africa", kurz Scassa genannt, selbstständig gemacht. Die Brüder berieten auch über eine gemeinsame berufliche Tätigkeit, die erst später zustande kommen sollte. Nach einer kurzen Tätigkeit als Handelsvertreter für eine Staubsauger-Firma, begann Martin Perlstein etwa 1931 einen eigenen Vertrieb für Feldbahnmaterialien in der Ferdinandstraße 35 aufzubauen. Seit 1936 firmierte und wohnte er in der Mohlenhofstraße 2. Der benötigte Lagerplatz mit Gleisanschluss an die Altona-Kaltenkirchner-Bahn befand sich in Eidelstedt.

Martin Perlstein lernte etwa 1930 die nichtjüdische Gertrud Fehrs kennen. Im Mai 1932 verlobten sie sich.

Gertrud Fehrs war am 23. Februar 1905 als Tochter des Schlossermeisters oder auch Kaufmanns Carl Fehrs und seiner Ehefrau Frieda, geb. Köster, in Neumünster in der Roonstraße 11 geboren worden.

Wie sie später schrieb, konnte eine schnelle Eheschließung nicht erfolgen, da durch die allgemeine Wirtschaftskrise die Firma ihres Verlobten nach damaligen Begriffen nicht genug abwarf, um eine Ehe zu gestatten. Martin Perlstein hatte finanziell zudem seine Mutter Bertha zu unterstützen und zahlte Unterhalt für seine Tochter Marianne.

Am wirtschaftlichen Aufschwung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 hatte Martin Perlstein keinen Anteil, da große bekannte Baufirmen ihm als Juden keine Aufträge erteilten.1935 kam er auf die Idee, seine Firma pro forma auf seinen Freund und Angestellten zu überschreiben, den er, so meinte sich Gertrud Fehrs zu erinnern, aus einer Freimaurer-Loge kannte. Alle Geschäftsabschlüsse, die, um nicht aufzufallen, bewusst in Grenzen gehalten wurden, liefen nun unter dem Namen Walter Lehnardt & Co. Eine Änderung im Handelsregister wurde nicht vorgenommen, nur die Briefbögen und Geschäftspapiere wiesen Walter Lehnardt als Inhaber aus. Aufträge von unbekannten Firmen wurden nicht angenommen und, "obwohl diese Tarnung denkbar primitiv und ebenso gefahrvoll für alle Betroffenen war, zeigte sie sofort Wirkung". 1935 war aber auch das Jahr, in dem die "Nürnberger Gesetze" in Kraft traten. Die aus finanziellen Gründen verschobene Heirat wurde ihnen nun durch das "Blutschutzgesetz", das künftige "Mischehen" verbot, unmöglich gemacht. Um sich nicht in Gefahr zu bringen, trafen die Verlobten sich nun heimlich bei einer befreundeten Lehrerin im Mettlerkampsweg 10.

Im März oder April 1938 wurde Martin Perlstein durch eine Geschäftsbeziehung gewarnt, dass seine "Tarnung" aufgeflogen sei. Einen Teil des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Lagerbestandes von fünf Lokomotiven, etwa 750 Kippwagen, Gleisanlagen, einige tausend Schwellen und das dazugehörige Material konnte er an eine befreundete Firma verkaufen. Am 15. Juli 1938 verließ Martin Perlstein Hamburg und emigrierte über die Niederlande nach Belgien. Am 15. Dezember 1938 meldete er sich in der Gemeinde Woluwe Saint Lambert in der Avenue de Juillet in Brüssel an. In Brüssel realisierte sich die gemeinsame berufliche Tätigkeit der Brüder Perlstein. Martin übernahm die Zweigstelle der "Société Commerciale de L’Afrique de Süd-Africa" in der Avenue des Cerisiers 110, die ebenfalls Feldbahnmaterialien und zusätzlich Ausrüstungsgegenstände für die Goldbergwerke in Südafrika vertrieb. Schnell konnte er sich in Belgien wieder als Kaufmann etablieren. Im Dezember 1938 nahm er seinen Bruder Richard (geb.10.2.1891) und dessen Ehefrau Edith mit Sohn Rudolf bei sich auf. Sie waren aus Düsseldorf geflüchtet und emigrierten im Februar 1940 weiter in die USA.

Gertrud Fehrs zog aus dem Wulfsdorferweg 84 in Hamburg-Volksdorf, wo sie bis 1939 wohnte, in die Hansastraße 40. Als Sekretärin eines befreundeten Geschäftsmanns getarnt, kam sie noch dreimal nach Belgien, um dort ihren Verlobten zu treffen. Ihr längster Besuch dauerte von Juni bis September 1939. Eine Aufenthaltsgenehmigung in Belgien konnte Gertrud Fehrs jedoch nicht erlangen.

Am 10. Mai 1940 nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf Belgien wurde Martin Perlstein als feindlicher Ausländer durch die belgische Regierung verhaftet und nach Frankreich deportiert. In Südfrankreich wurde er zunächst im Lager Saint-Cyprien nahe Perpignan interniert. Von dort kam er Ende Oktober 1940 ins Lager Gurs, wo er seinen Bruder traf. Der Kaufmann Hermann Perlstein (geb. 6.3.1883) und dessen Ehefrau Olga, geb. Gerson (geb. 3.6.1983 in Leipzig), waren am 22. Oktober 1940 mit etwa 200 Personen von Mannheim nach Gurs deportiert worden.

Über eine Querverbindung in der Schweiz konnte Martin Perlstein aus dem Lager korrespondieren. Gertrud Fehrs erhielt die erste Nachricht im Oktober 1940. Es gelang ihr mithilfe einer Bekannten und deren Sohn, der bereits in die USA emigriert war, regelmäßig Geld ins Lager zu schicken. Am 9. Dezember 1941 verfasste Martin Perlstein sein Testament in Pau. Er bezeichnete Gertrud als seine Frau, allerdings nannte er ihren Nachnamen nicht, um sie zu schützen. Seinen letzten Brief erhielt Gertrud mit Datum vom 27. Dezember 1941.

Vom 26. August bis zum 1. September 1942 befand sich Martin Perlstein im Krankenhaus in Pau, von dort wurde er ins Lager Drancy gebracht und vier Tage später, am 4. September 1942, mit dem 28. Transport nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.

Sein Bruder Hermann und Schwägerin Olga hatten das Lager bereits am 28. August 1942 mit dem 25. Transport nach Auschwitz verlassen müssen.

Auch der jüngere Bruder Eugen Perlstein (geb.14.4.1885) wurde in Auschwitz ermordet – gemeinsam mit seiner Ehefrau Else, geb. Ritzewoller (geb.13.5.1888 in Borna/Leipzig) und Sohn Rolf Max (geb. 26.10.1930), sie wurden am 4. März 1943 von Berlin deportiert.

Von Gertrud Fehrs soll nicht unerwähnt bleiben, dass ihre eigenen Sorgen und Ängste sie nicht die Nöte der anderen vergessen ließen. Sie schickte Lebensmittelpakete ins Getto nach Minsk, die ihre ehemaligen Nachbarn, die Rosenbergs aus der Hansastraße 40, dringend benötigten, wie der damals 18-jährige Sohn Heinz Rosenberg, der einzige Überlebende seiner Familie, nach dem Krieg bezeugte. In seinen Lebenserinnerungen "Jahre des Schreckens" schrieb er: "(…) Schließlich wurde es Zeit, unsere Koffer und Rucksäcke zu packen. Fräulein Fehrs, die Nachbarin über uns, gab uns warme Sachen, feste Schuhe und so viel Lebensmittel, wie sie finden konnte. Sie sagte uns, ihrer Meinung nach würde unser Transport auch in den Osten gehen, und dort sei warme Kleidung notwendig."

1951 gelang es Gertrud Fehrs, die Ehe vor der Landesjustizverwaltung in Hamburg rückwirkend auf dem 27. Dezember 1935 für rechtswirksam erklären zu lassen. Gertrud Perlstein-Fehrs starb am 25. September 1975 in Hamburg.

An Familie Rosenberg erinnern Stolpersteine in der Hansastraße 40 (s. www.stolpersteine-hamburg.de).

Stand: September 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 5; 8; 9; StaH 351-11 AfW 11798 (Perlstein, Martin); StaH 351-11 AfW 30117 (Perlstein, Gertrud); StaH 351-11 AfW 45466 (Preston, Marian Eva); StaH 332-4 Nr. 573 (Aufsicht über die Standesämter, nachträglich anerkannte Ehen); Jüdisches Deportations- und Widerstandsmuseum Mechelen, Dossin-Kaserne, Belgien, Auskunft von Dorien Styven, E-Mail vom 29.8.2016; Auskunft von Filip Strubbe, Algemeen Rijksarchief/Belgien; Algemeen Rijksarchief/Belgien, Ausländerakte Nr. 1.003.027 (Perlstein Martin); Memorial de la Shoah, Musée, Centre de Documentation, http://bdi.memorialdelashoah.org/internet/jsp/core/MmsRedirector.jsp?id=45120&type=VICTIM (Zugriff 14.8.2013); Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg, 1925, Nr. 4, http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/5444690, (Zugriff 8.4.2015); Berliner Adressbuch für das Jahr 1889, http://digital.zlb.de/viewer/image/10089470_1889/891/#topDocAnchor, (Zugriff 10.8.2015); Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zu Gegenwart, http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/bruemmer_lexikon04_1913?p=450; Junk/Sellmeyer, Stationen, S. 294, S.300; Rosenberg, Schreckens, S. 15.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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