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Klaus-Peter Volstedt * 1941

Mittelweg 112 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
KLAUS-PETER
VOLSTEDT
JG. 1941
EINGEWIESEN 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 7.8.1943
KALMENHOF-IDSTEIN
´KINDERFACHABTEILUNG‘
ERMORDET 16.9.1944

Klaus-Peter Volstedt, geb. am 25.2.1941 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 24.7.1942, abtransportiert in die Heilerziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein/Taunus am 7.8.1943, dort gestorben am 16.9.1944

Mittelweg 112 (Eimsbüttel, Harvestehude)

Klaus-Peter Volstedts Mutter, Margarethe Volstedt, geboren am 30. Juli 1921 in Uetersen, arbeitete als Hausgehilfin in dem Wöchnerinnenheim im Mittelweg 112. Dort kam Klaus-Peter am 25. Februar 1941 zur Welt. Er war das zweite Kind von Margarethe Volstedt, seine ältere Schwester Annamargarete (geboren 1939) wuchs in einer Pflegestelle auf.

Klaus-Peter Volstedt wurde zunächst im städtischen Kleinkinderhaus am Winterhuder Weg untergebracht. Er unterstand "Öffentlicher Erziehung", d.h., die elterliche Sorge war der Mutter entzogen und durch Gerichtsbeschluss dem Jugendamt übertragen worden. Über Kontakte zwischen dem Säugling und seiner Mutter sind in seiner Patientenakte keine Angaben enthalten.

Am 26. Juni 1942 verfügte das Landesfürsorgeamt der Hamburger Sozialverwaltung Klaus-Peter Volstedts Überweisung in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) "wegen geistiger und körperlicher Unterentwicklung bei hypophysärer Störung" (Die Hypophyse/Hirnanhangdrüse steuert verschiedene Körperfunktionen und spielt eine wichtige Rolle bei der Kontrolle des Hormonhaushalts). Bei Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten wurde vermerkt: "Der hier aufgenommene Zögling Klaus-Peter Vollstedt leidet an Debilität." (Leichte Intelligenzminderung).

Die "Öffentliche Erziehung" wurde Ende September 1942 aufgehoben. Klaus-Peter erhielt nun einen Vormund. Der einzige in der Patientenakte enthaltene Bericht der Alsterdorfer Anstalten an den Vormund vom 29. Dezember 1942 gibt eine kurze Beschreibung des Jungen:
"Ihr Mündel Klaus-Peter. Vollstedt leidet an Schwachsinn. Er kann jetzt stehen und, wenn er sich festhält, auch etwas gehen. Er spricht noch kein Wort, versucht aber anscheinend etwas derartiges hervor zu bringen. Er muss mit Breikost gefüttert werden und ist nicht trocken zu halten. Im wesentlichen ist er freundlich und ruhig, lacht und freut sich, wenn man sich mit ihm beschäftigt."

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer "verlegt".
Der erste Transport am 7. August 1943 umfasste 128 Mädchen, Jungen und Männer aus Alsterdorf, von denen 76 in die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau und 52 in die Heilerziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein im Taunus transportiert wurden. Der zu dieser Zeit zweieinhalb Jahre alte Klaus-Peter Volstedt gehörte zu denen, die nach Idstein gebracht wurden.

Klaus-Peters Mutter erhielt mit Datum vom 12. August 1943 die kurze Mitteilung, "dass infolge Bombenschäden in unseren Anstalten ihr Sohn Klaus-Peter am 7.8.1943 in die Pflegeanstalt Idstein/Taunus verlegt worden ist."

Offenbar erkundigte sich Klaus-Peters Vormund nach seinem Mündel, denn die Alsterdorfer Anstalten richteten am 18. November 1943 ein Schreiben an ihn und bezogen sich darin auf seine Anfrage vom 10. November 1943: "Klaus-Peter Volstedt wurde am 7.8.43, infolge Beschädigung unserer Anstalten durch Feindeinwirkung, in die Heil- und Pflegeanstalt nach Idstein/Taunus verlegt. Inzwischen haben wir von der dortigen Anstalt die Nachricht erhalten, dass sich das Kind jetzt im Fürsorgeerziehungsheim in Scheuern b. Nassau /Lahn, befindet. Heil Hitler!"

Das Schreiben des Vormunds ist nicht verfügbar. Angesichts der sehr knappen Dokumentationslage in der Akte ist anzunehmen, dass dieses wie auch weitere Aktenteile verloren gegangen ist.

So ist nicht ersichtlich, wann der Junge nach Scheuern gebracht und von dort nach Idstein zurückverlegt wurde. Letzteres ergibt sich nur aus dem Sterberegisterauszug aus dem Standesamt Idstein. Er weist aus, dass Klaus-Peter Volstedt am 16. September 1944 in der Heilerziehungsanstalt Idstein an "angeborenem Schwachsinn, fieberhafter Bronchitis, Bronchopneumonie" gestorben ist.

Die im Jahre 1888 von wohlhabenden Frankfurter und Wiesbadener Bürgern auf dem "Gut Kalmenhof" gegründete "Idiotenanstalt Idstein" war in den Jahren des Zweiten Weltkriegs tief in das nationalsozialistische "Euthanasie"-Programm verstrickt. Mit den Anstalten Herborn, Weilmünster, Eichberg und Scheuern bildete sie einen Kranz von sogenannten Zwischenanstalten um die Tötungsanlage in Hadamar, die von hier aus in den Tod geschickt wurden. Nach dem offiziellen Stopp der "Aktion T4" im August 1941 hatten der Anstaltsdirektor Wilhelm Großmann und die Leiterin der neu errichteten "Kinderfachabteilung", Mathilde Weber, keine Skrupel, das Mordprogramm in anderer Form fortzuführen. Fast täglich selektierten sie auf ihren Rundgängen ihre Patienten. Die ausgesonderten Kinder und Erwachsenen wurden dann mit einer Morphium/Skopolamin-Spritze oder mit Luminal getötet. Insgesamt fanden von 1940 bis zum Kriegsende 666 Menschen in Idstein den Tod.

Die Tötungen der Kinder aus Alsterdorf begannen wenige Tage nach ihrer Ankunft. Am 11. November 1943 waren bereits 48 der 52 Kinder "abgespritzt". Die Toten wurden in den letzten Kriegsjahren nicht mehr auf dem städtischen Friedhof beigesetzt, sondern auf einem Acker hinter dem Krankenhaus, um die Bevölkerung nicht unnötig zu beunruhigen.

Es ist davon auszugehen, dass auch Klaus-Peter Volstedt im Kalmenhof mit Medikamenten ermordet wurde.

Ob die Mutter vom Ableben ihres Sohnes unterrichtet werden konnte, ist nicht bekannt. Angeblich war ihr Aufenthalt unbekannt.

Da Klaus-Peter sein kurzes Leben nur in Heimen verbracht hat, erinnert der Stolperstein an ihn im Mittelweg 112, dem ehemaligen Wöchnerinnenheim, in dem er geboren wurde.

Stand: Juli 2023
© Ingo Wille

Quellen: Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv Akte V 85 (Klaus-Peter Volstedt), Erbgesundheitskarteikarte Familie Volstedt, Standesamt Idstein Nr. 139/1944 Sterberegisterauszug Klaus-Peter Volstedt. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 283 ff.

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