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Gisela Kargauer (geborene Mularski) * 1920

Heinrich-Barth-Straße 1 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Lodz
ermordet

Weitere Stolpersteine in Heinrich-Barth-Straße 1:
Heinz Kargauer, Cilly Mularski, Leweck Mularski, Sigfried Mularski

Gisela Kargauer, geb. Mularski, geb. am 12.4.1920 in Brzezany/Polen, deportiert am 25.10.1941 in das Getto "Litzmannstadt" (Lodz), vermutlich gestorben am 9.9.1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno)

Heinrich-Barth-Straße 1

Gisela Kargauer, geborene Mularski, kam als Kind von Ziwje Hyroje, geborene Finkelberg, und Leweck Leo Mularski in Brzezany in Polen zur Welt. Sieben Monate nach Giselas Geburt wanderte die Familie nach Deutschland aus. Am 23. Dezember 1920 zogen sie nach Lübeck. In ihrem Besitz befanden sich eine goldene Uhr, 30 Rubel in Gold und ein Ring. Die Schwester von Ziwje, Chana Daicz, geborene Finkelberg, war schon im Laufe des Jahres 1920 mit ihrer Familie nach Lübeck übersiedelt, ebenfalls die Mutter der beiden, Malka Finkelberg.

In den folgenden Jahren kamen drei weitere Kinder zur Welt: Iwan Issac, Julius und Siegfried Mularski. Ein paar Monate nach seiner Geburt kam Siegfried 1931 kurzzeitig in das Säuglings- und Mütterheim in der Schildstraße 12 in Lübeck, und ab Juni 1934 war der behinderte Siegfried dann im Heim Vorwerk gemeldet. Der Rest der Familie Mularski lebte ab 1932 in der Dankwartsgrube 1 im Armenviertel von Lübeck. Vater Leweck versuchte die Familie als Schneider zu ernähren. Gisela und ihr Bruder Iwan besuchten die Israelitische Religionsschule zu Lübeck.

Am 27. Juli 1936 zog die Familie nach Hamburg. Sie bewohnte jetzt eine 5 ½ Zimmer-Wohnung in der Heinrich-Barth-Straße 1, wo Leweck Mularski sein Schneider Atelier einrichtete. Zusätzlich erhielt die Familie noch Unterstützung der jüdischen Fürsorge. Ab dem 15. April 1939 lebte Siegfried wieder bei seinen Eltern. Sie hatten ihn vermutlich nach Hamburg geholt, um ihn vor der T4-Aktion zu bewahren. Mit diesem Codenamen bezeichnet man die "Euthanasiemorde" während der NS-Zeit. In der Vorwerker Diakonie, in der auch Siegfried gelebt hatte, versuchten die verantwortlichen zwar, die Bewohner vor der Deportation zu schützen. Dennoch konnten sie nicht verhindern, dass zehn Menschen am 16. September 1940 aus dem Heim deportiert und ermordet wurden.

Auch in Hamburg hatte die Familie Mularski mit Ausgrenzung und Diskriminierung zu kämpfen. Leweck Mularski wurde am 11. Januar 1939 in das KZ Sachsenhausen eingewiesen. Die Familie versuchte nun mit allen Mitteln aus Deutschland zu entkommen. Iwan und Julius konnten mit einem Kindertransport der Initiative "Gloucestershire Association for Aiding Refugees" nach Gloucestershire in England fliehen. Besonders schwer für sie war es, dass sie sich nicht von ihrem Vater verabschieden konnten, da dieser noch inhaftiert war. Als Leweck Mularski wieder nach Hamburg zurückgekehrt war, bemühte er sich auch den Rest der Familie aus Deutschland herauszubringen. Er stellte für sich, seine Frau Ziwje, sowie Gisela und Siegfried einen Antrag auf Auswanderung nach Shanghai. Einige der Juden aus Lübeck waren schon nach Shanghai geflüchtet, vielleicht hatte Leweck Mularski Kontakt zu ihnen.

Beim Ausreiseantrag gab er an, kein Vermögen zu haben. Er hoffte, später wieder als Schneider arbeiten zu können und führte Gerätschaften auf, die er mitnehmen wollte, wie beispielsweise eine Schneidernähmaschine, einen Schneidertisch und einen Bügelklotz. Im Sommer 1939 wurde die Verschiffung der Sachen ins Ausland genehmigt. Die Familie Mularski wanderte dann allerdings nicht nach Shanghai aus, vermutlich weil der Beginn des Zweiten Weltkrieges dies verhinderte.

In dieser Zeit muss Gisela ihren späteren Mann Heinz Kargauer kennengelernt haben. In einem Brief von Freunden Giselas aus Lübeck heißt es im Frühjahr 1940: "Gisela Mularski hat sich kürzlich verlobt, und sie und der Bräutigam haben uns vorige Woche einen Besuch gemacht. Er scheint ein sehr netter Mensch zu sein, und sie wollen auch bald heiraten."

Heinz Kargauer zog zu seiner Frau Gisela und deren Familie in die Wohnung in der Heinrich-Barth-Straße 1, die sich nur ein paar Häuser weiter von der Wohnung seiner Eltern befand.

Ein Jahr später wurden die übrigen Familienmitglieder der Familie Mularski, sowie alle Mitglieder der Familie Kargauer in das Getto "Litzmannstadt"/Lodz deportiert. Am Tag zuvor mussten sich die Betroffenen im ehemaligen Logenhaus in der Moorweidenstraße 36 einfinden. Dort herrschten bedrückende Verhältnisse: 1000 Personen waren auf engstem Raum gedrängt, es herrschten katastrophale hygienische Zustände und die Gestapo prügelte willkürlich. Am nächsten Morgen mussten die Menschen die Züge besteigen, die nach Lodz fuhren.

Dort konnte die Familie Mularski mit Heinz zusammen bleiben. Anfangs bewohnten sie eine Wohnung 18 in der Siegfriedstraße 2, später dann in der Rauchgasse 16. Ende August 1942 ordnete das Reichssicherheitshauptamt an, alle Gettobewohner unter zehn und über 65 Jahren, alle Kranken sowie diejenigen, die keine Arbeit hatten zu deportieren. Das Getto sollte ein reines Arbeitslager werden. Vom 5. bis zum 12. September 1942 galt im Ghetto dann eine "Allgemeine Gehsperre", in deren Verlauf die SS Kinder, kranke und alte Menschen deportierte. 15.685 Menschen fielen der Aktion zum Opfer. Nahezu jeder Gettobewohner verlor während der "Sperre" Familienmitglieder. Die Menschen wurden zum Bahnhof Radegast gebracht und nach Kulmhof deportiert, wo sie sofort ermordet wurden. Auch Gisela und Heinz gehörten zu denjenigen, die im Zuge der Aktion "Gehsperre" deportiert wurden. Auf einer Liste der Getto-Verwaltung ist der 9. September 1942 als Tag ihrer Deportation vermerkt. Gisela und Heinz wurden vermutlich noch am selben Tag ermordet.

© Mariane Pöschel

Quellen: StaHH, 522-1 Jüdische Gemeinden, 992b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg; StaHH, 314-15 Oberfinanzpräsident, Fvg.7673; StaHH, 314-15 Oberfinanzpräsident, 47Ua3 Listen jüdischer Fürsorgeempfänger; StaHH, 314-15 Oberfinanzpräsident, 24UA1 Deportationslisten, Deportation am 25.10.1941 Kugler-Weiemann, Heidemarie, "Hoffentlich klappt alles zum Guten", Göttingen 2006; Nicholas Mark Burkitt, Dissertation an der University o exeter 2011: Britisch Society and the Jews_ A Study into the Impact of the Second World war Era and the establishment of israel, 1938-1938; https://ore.exeter.ac.uk/repository/bitstream/handle/10036/3372/BurkittN.pdf?sequence=4 (Zugriff 20.7.2014); Archiv der Hansestadt Lübeck, Meldekarten u. Verzeichnis der Schulen; www.stolpersteine-lübeck.de; www.bundesarchiv/gedenkbuch , Meyer, Beate (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945, Hamburg 2006: Yad Vashem, Gedenkblatt für Heinz Kargauer, Gisela Kargauer, Leweck Mularski; Löw, Andrea, Juden im Getto Litzmannstadt: Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten, Göttingen 2006, S. 307–311; Archiv Lodz, div. Dokumente.

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