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Bereits verlegte Stolpersteine



Hermann Seligsohn * 1922

Cremon 3 (vormals Nr. 24) (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
HERMANN SELIGSOHN
JG. 1922
EINGEWIESEN 1928
MEHERE HEILANSTALTEN
"VERLEGT" 1940
LANDES-PFLEGEANSTALT
BRANDENBURG
ERMORDET 1940
AKTION T4
("Euthanasie")

Weitere Stolpersteine in Cremon 3 (vormals Nr. 24):
Gertha Seligsohn, Ludwig Seligsohn, Walter Seligsohn

Hermann Seligsohn, geb. am 8.12.1922 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Ludwig Seligson, geb. 31.12.1883 in Altona, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Gertha Seligsohn, geb. Mendel, geb. 8.10.1890 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Walter Seligsohn, geb. 29.7.1928 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Stolpersteine Hamburg-Altstadt, Cremon 3, vor dem Neptunhaus (ehemals Cremon 24)

Hermann Seligsohns Eltern, Ludwig und Gertha Seligsohn, geborene Mendel, heirateten am 15. August 1922 und wohnten in den Ehejahren in einem alten Speichergebäude in der Straße Cremon 24 in der Hamburger Altstadt.

Gerthas Mutter, Julie Mendel, hatte das Gebäude am Cremon nach dem Tod ihres Ehemannes Nathan Seligmann Mendel im Jahre 1911 erworben und dort die bisher im Herrengraben 37–39 gelegene Kohlenhandlung weitergeführt. Gertha Seligsohn stammte aus einer kinderreichen jüdischen Familie in der Hamburger Neustadt, zu der auch ihre Schwester Berta Mendel, geboren am 6. Juli 1903, gehörte (siehe dort). Gertha und ihre Geschwister hatten ihre berufliche Ausbildung in der väterlichen Kohlenhandlung erhalten. Von drei Schwestern ist überliefert, dass sie das Lyzeum des Dr. Jacob Löwenberg absolvierten. Ihre Brüder besuchten die "Stiftungsschule von 1815" am Zeughausmarkt (später Anton-Rée-Realschule, heute Anna-Siemsen-Gewerbeschule), die auch für christliche Schüler geöffnet war.

Die Hochzeit ihrer Tochter Gertha mit Ludwig Seligsohn erlebte Julie Mendel nicht mehr, sie starb am 8. März 1921 in einem Sanatorium in Oberneuland bei Bremen und wurde neben ihrem Ehemann auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf beerdigt.

Hermanns Vater, Ludwig Seligsohn, geboren am 31. Dezember 1883, war in Altona geboren wie vor ihm sein älterer Bruder Paul, geboren am 13. August 1882. Ihre Eltern, Hermann Seligsohn, geboren am 12. März 1854, gestorben am 15. Mai 1918, und Fanny, geborene Guttmann, geboren am 21. Februar 1856, gestorben am 23. Oktober 1936, stammten aus Jastrow in Westpreußen bzw. aus Kempen in Schlesien. Kurz nach Ludwigs Geburt zogen sie von Altona in die Hamburger Neustadt in die 2. Marienstraße 18 (ab 1943 Jan-Valkenburg-Straße). Von ihren weiteren acht Kindern erlebten nur die Schwestern Helene Minna, geboren am 21. Januar 1886, gestorben am 11. Mai 1938, und Hedwig, geboren am 23. Oktober 1892, das Erwachsenenalter. Ludwigs Eltern lebte dann einige Jahre am Valentinskamp 42 und in der Straße Kohlhöfen 39. Im Jahre 1912 zogen sie in eine "bessere" Wohngegend, in die Heinrich-Barth-Straße 6 im Grindelviertel. Dort übernahm Ludwig Seligsohn im Jahre 1918 die Firma seines kurz zuvor verstorbenen Vaters. Er hatte ebenfalls den Beruf des Tapezierers und Dekorateurs erlernt.

Gertha und Ludwig Seligsohn bekamen fünf Kinder, von denen nur zwei Söhne überlebten. Hermann, der älteste, wurde am 8. Dezember 1922 geboren und erhielt dessen Vornamen zur Erinnerung an seinen 1918 verstorbenen Großvater väterlicherseits. Walter, der jüngere, kam am 29. Juli 1928 zur Welt. Die Geschwister Ilse, geboren am 27. Juli 1926, Kurt, geboren am 21. Mai 1927, und Helga, geboren am 21. Juni 1930, starben im Säuglings- bzw. Kindesalter.

Hermann Seligsohn wies im Kleinkindalter Entwicklungsprobleme auf, lernte verspätet gehen und konnte auch nicht gut sprechen.

Etwa um 1930 zog das Ehepaar Seligsohn mit den beiden Söhnen Hermann und Walter in das Marcus-Nordheim-Stift in die Schlachterstraße 40/41, Haus 5, in der Hamburger Neustadt. Dort befanden sich 27 Wohnungen für arme jüdische Familien. Ludwig Seligsohn hatte das Tapeziergeschäft in der Heinrich-Barth-Straße aufgegeben, vermutlich hatte es sich nicht mehr rentiert.

Die Lebensverhältnisse der Familie wirkten sich wahrscheinlich nachteilig auf die Eltern und die Entwicklung der Kinder aus. Die Wohnung war sehr beengt und die wirtschaftliche Situation ärmlich. Hermann war mehrmals im jüdischen Kinderheim Wilhelminenhöh in Blankenese "zur Erholung" untergebracht. Nach anfänglichem Besuch der Talmud Tora Schule musste er in den Schulkindergarten wechseln. Danach wurde er in die "Hilfsschule" in der Mühlenstraße 4 in der Hamburger Neustadt eingeschult. Am 18. Mai 1931 wurde Hermann Seligsohn im Johannes-Petersen-Heim in Hamburg-Volksdorf aufgenommen und schon zwei Tage später in das Landheim Besenhorst bei Geesthacht versetzt. Schulische Fortschritte waren nicht zu verzeichnen.

Hermann stellte für das Heim eine sehr große Belastung dar. Es veranlasste deshalb seine Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 18. April 1932. Nachdem er anfangs nur in der "Spiel-˝ und später in der "Arbeitsschule" unterrichtet worden war, besserte sich seine Aufnahmefähigkeit mit dem dreizehnten Lebensjahr, so dass er in der zweiten und in der ersten Klasse (damals die höchsten Klassenjahrgänge) mit Erfolg unterrichtet wurde. Hermann wurde nun als fleißig und aufmerksam, soweit ihm dies möglich war, beschrieben. Allerdings schränkten ihn zeitweilige "Verwirrtheitszustände und Versunkenheit während des Unterrichts" ein. Ordnung und Sauberkeit wurden bemängelt, und er wurde als "ständiger Nässer aus Faulheit" bezeichnet. Zu praktischen Arbeiten soll er nicht fähig gewesen sein.

Nach 1933 entwickelten sich die Alsterdorfer Anstalten zu einem nationalsozialistischen Musterbetrieb, in dem eugenische Vorstellungen und damit einhergehend auch Zwangssterilisationen als "Verhütung unwerten Lebens" unterstützt wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Verfolgung der Juden im Deutschen Reich auch zu entsprechenden Maßnahmen in den Alsterdorfer Anstalten führte. Ein Urteil des Reichsfinanzhofs vom 18. März 1937 diente als Vorwand, die Entlassung aller Juden aus den Alsterdorfer Anstalten vorzubereiten. Pastor Friedrich Karl Lensch, der Leiter der Einrichtung, sah in dem Urteil die Gefahr des Verlustes der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit, wenn künftig Jüdinnen und Juden in der Anstalt bleiben würden. Ein Schreiben vom 3. September 1937 an die Hamburger Fürsorgebehörde enthielt 18 Namen von "jüdischen Zöglinge[n], welche hier auf Kosten der Fürsorgebehörde untergebracht sind.", darunter auch den von Hermann Seligsohn. Er wurde am 31. Oktober 1938 mit 14 weiteren jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern aus Alsterdorf zunächst in das Versorgungsheim Oberaltenallee und von dort in das Versorgungsheim Farmsen verlegt. Im April 1940 konnten sich die Alsterdorfer Anstalten schließlich des letzten jüdischen Anstaltsbewohners entledigen.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Hermann Seligsohn traf am 18. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September wurde er mit weiteren 135 Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und tötete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam zunächst diesem Schicksal.

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann mögliche Angehörige Kenntnis von ihrem Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm oder Cholm verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort nie ein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Hermann Seligsohns Tante, Berta Mendel, wurde wie er am 23. September 1940 in die sogenannte Landes-Pflegeanstalt Brandenburg an der Havel verschleppt und dort am selben Tag mit Kohlenmonoxyd ermordet. Ob sich Berta Mendel und Hermann Seligsohn kannten, ist nicht überliefert. (Zu Berta Mendel siehe dort.)

Auch die übrigen Angehörigen der Familie Seligsohn kamen im Holocaust ums Leben. Ludwig und Gertha Seligsohn, die zuletzt in das "Judenhaus" in der ehemaligen Kleinen Papagoyenstraße 11 in Hamburg Altona eingewiesen worden waren, wurden mit ihrem 13-jährigen Sohn Walter am 8. November 1941 in einem Transport mit 968 Personen in das Getto von Minsk deportiert und wahrscheinlich dort ermordet.

Ludwig Seligsohns Schwester Hedwig hatte 1914 den Harburger Garderobenhändler Moritz Laser geheiratet und bekam mit ihm die Söhne Hermann und Werner. Diese Familie emigrierte nach Paraguay.

An Hermann, Gertha, Ludwig und Walter Seligsohn erinnern Stolpersteine in Hamburg-Altstadt, Cremon 3, vor dem Neptunhaus (ehemals Cremon 24).

Stand: November 2017
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 653 Sterberegister Nr. 138/1911 Nathan Seligman Mendel, 924 Sterberegister Nr. 20/1927 Ilse Seligsohn, 970 Sterberegister Nr. 185/1930 Helga Seligsohn, 1053 Sterberegister Nr. 381/1936 Fanny Seligsohn, 2231 Sterberegister Nr. 4242/1890 Fanny Seligsohn, 3387 Heiratsregister Nr. 901/1920 Julius Nathan/Clara Mendel, 6230 Geburtsregister Nr. 84/1884 Hermann Seligsohn, 8046 Sterberegister Nr. 270/1918 Hermann Seligsohn, 8698 Heiratsregister Nr. 366/1914 Hedwig Seligsohn/Moritz Laser 351-11 Amt für Wiedergutmachung 43663 Inge Lusk, 19009 Jacob Heilbut, 8127 Franziska Rüdiger, 1181 Harry Mendel, 16954 Philipp Mendel, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; 522-1 Jüdische Gemeinden 922 e 2 Deportationslisten; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Erbgesundheitskarteikarte Hermann Seligmann, Aufnahmebuch. Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth, Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg S. 63. Wunder, Michael, Auf dieser schiefen Ebene ..., 2016. Thevs, Hildegard, Stolpersteine in Rothenburgsort, Hamburg 2011, Familie Laser, S. 67ff. http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/nordheim-marcus.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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