Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Paul und Paula Seligsohn mit ihrer Tochter Inge
Paul und Paula Seligsohn mit ihrer Tochter Inge
© Privatbesitz

Paul Seligsohn * 1882

Beim Schlump 52 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
PAUL SELIGSOHN
JG. 1882
DEPORTIERT 1941
LODZ / LITZMANNSTADT
CHELMNO / KULMHOF
ERMORDET MAI 1942

Weitere Stolpersteine in Beim Schlump 52:
Paula Seligsohn

Paula Seligsohn, geb. Katz, geb. 13.1.1889 in Guxhagen, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, weiterdeportiert am 25. April oder im Mai 1942 in das Vernichtungslager Chelmno
Paul Seligsohn, geb. 13.8.1882 in Altona, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, weiterdeportiert am 25. April oder im Mai 1942 in das Vernichtungslager Chelmno

Beim Schlump 52

Das jüdische Ehepaar Paula und Paul Seligsohn wohnte seit 1920 in einem der sogenannten Gartenhäuser im Hinterhof der Straße Beim Schlump 52 c im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, wo auch ihr einziges Kind Inge Herma am 13.4.1920 zur Welt kam. Die Ehe hatten sie am 16. Juni 1919 in Guxhagen geschlossen.

Paula Seligsohn, geb. Katz, war am 13.1.1889 als viertes von zwölf Kindern in Guxhagen, im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis, geboren worden. Ihre Eltern Bernhard/ Baruch Katz (geb. 4.10.1852) und Jenny/ Jettchen, geb. Rosenblatt (geb. 10.6.1860) hatten am 14. November 1883 im nordhessischen Hebel (heute Wabern), dem Geburtsort der Mutter, geheiratet.

Im ländlichen Guxhagen existierte eine kleine orthodoxe jüdische Gemeinde, deren Familien zumeist von Schlachtereibetrieben, Vieh- und Manufakturwarenhandel und kleinen Handwerksbetrieben lebten. Paulas Vater, Bernhard Katz, war Kaufmann in der Sellerstraße 45 und, wie aus einem Randvermerk im Sterberegister hervorgeht, 17 Jahre Gemeindeältester der jüdischen Gemeinde. Die jüdischen Kinder in Guxhagen besuchten die Israelitische Volksschule im Gebäude der Synagoge in der Untergasse (heute Lilly-Jahn-Platz), sicherlich gehörte auch Paula zu ihnen. Nach ihrer Schulzeit arbeitete sie als Köchin und führte nach ihrer Eheschließung den Haushalt in Hamburg. (Ihre Eltern starben in Guxhagen: der Vater am 7. Mai 1929, die Mutter am 4. November 1931.)

Paul Seligsohn war am 13.8.1882 im damals noch selbstständigen Altona in der Breitestraße 126 geboren worden. Sein Vater Herrmann Seligsohn (geb. 12.3.1854), Sohn eines Kantors, stammte aus dem westpreußischen Jastrow (heute Jastrowie/ Polen) und war Tapezierer und Dekorateur von Beruf. Die Mutter Fanny, geb. Guttmann (geb. 21.2.1856), kam aus Kempen in Schlesien (heute Kępno/ Polen).

Kurz nach der Geburt von Pauls jüngerem Bruder Ludwig (geb. 31.12.1883) in der Blumenstraße 39 (heute Billrothstraße) zogen die Eltern in die Hamburger Neustadt, wo weitere acht Kindern zur Welt kamen, von denen nur die Schwestern Helene Minna (geb. 21.1.1886, gest. 11.5.1938) und Hedwig, (geb. 23.10.1892) das Erwachsenenalter erreichten.

Pauls Eltern zogen oft um: Sie wohnten in der Brüderstraße 19, in der 2. Marienstraße 18 (1943 umbenannt in Jan-Valkenburg-Straße), in der 2. Marktstraße 8 (1900 umbenannt in Markusstraße) und im Neuen Steinweg 95, dann einige Jahre am Valentinskamp 42 und in der Straße Kohlhöfen 39, wo sich zu dieser Zeit ganz in der Nähe der elterlichen Wohnung, Kohlhöfen 20, noch die Talmud Tora Schule befand, die wohl auch Paul und sein Bruder besuchten. Wie viele jüdische Familien zogen sie 1912 ins neu bebaute Grindelviertel, in die Heinrich-Barth-Straße 6.

Am 15. Mai 1918 verstarb Herrmann Seligsohn, danach übernahm sein jüngerer Sohn Ludwig den väterlichen Betrieb. Paul hatte den Beruf des Elektrotechnikers erlernt und arbeitete im Hamburger Hafen. 1910 erlitt er Verbrennungen beider Augen durch Zement und Kalk. In der Familie ist überliefert, dass er einem Arbeitskollegen, der bei einer Explosion auf der Werft von Blohm & Voss erblindete, unter großem Risiko das Leben rettete.

Seit Januar 1912 war Paul Seligsohn als Monteur bei den Siemens-Schuckertwerken beschäftigt, einem Unternehmen, das in der Elektroindustrie tätig war und ihre Werkstatt am Billwerder Neuedeich 358-366 und Baubüros auf der Vulkanwerft und auf der Reiherstieg-Werft, Kleiner Grasbrook betrieb. Im Ersten Weltkrieg wurde Paul Seligsohn nicht eingezogen, sondern "reklamiert", somit war er in einem kriegswichtigen Industriebetrieb beschäftigt und galt als unabkömmlich.

Im Mai 1924 beteiligte sich Paul Seligsohn als Sozialdemokrat und aktiver Gewerkschaftler an einem Arbeiterstreik und wurde daraufhin entlassen. Sein Gesuch auf Wiedereinstellung lehnte die Firma ab, obwohl sie ihm eine stets "tüchtige Arbeitsleistung" bestätigte. Es sollte ein Exempel statuiert werden, und die auswärtigen "Streikbrecher" wurden weiterbeschäftigt.

In der Folgezeit fand Paul Seligsohn eine "gutbezahlte" Stelle als Monteur in der Firma August Cierjacks in der Deichstraße 38. Im März 1926 wurde er erneut erwerbslos und konnte in der schwierigen Zeit der Weltwirtschaftskrise keine langfristige Beschäftigung mehr finden. Seine letzte Stellung verlor er im Juni 1931 bei der Firma Moeller & Rebber in der Weidenallee 8-10, nach Ende einer Montagearbeit.

Bereits seit vielen Jahren litt Paul Seligsohn an Rheuma, an einem Nierenleiden und an einem angeborenen "Grauen Star". Er konnte nach einer zweiten beidseitigen Augenoperation, die erste war im Jahre 1918 erfolgt, seinen Beruf als Elektrotechniker nicht mehr ausüben. Nun erhielt er eine Rente von 50,50 RM (Reichsmark) die zum Lebensunterhalt nicht ausreichte. Familie Seligsohn sah sich gezwungen, beim Wohlfahrtsamt um finanzielle Unterstützung zu bitten, die gewährt wurde.

Paul Seligsohn hatte zunächst noch auf einen Hausmeisterposten an der jüdischen Mädchenschule oder im jüdischen Logenhaus gehofft, aber offensichtlich kam es dazu nicht. (In Hamburg gab es drei jüdische Logen, die Henry Jones-Loge, Steinthal-Loge und die Nehemias Nobel-Loge.)

Ab Dezember 1935 wurde Paul Seligsohn als Unterstützungsempfänger zu Erdarbeiten ("Pflichtarbeit") an einem extra für Juden eingerichteten Arbeitsplatz auf Waltershof herangezogen, bis ihm im Mai 1936 eine 50 % Arbeitsunfähigkeit bestätigt wurde. Eine vorübergehende Invalidenrente in Höhe von 36,80 RM wurde ihm jedoch im Januar 1938 wieder entzogen. Letztlich wurde er wieder zur Pflichtarbeit herangezogen, diesmal am Billbrookdeich 38.

Am 23. Oktober 1936 war Pauls Mutter, Fanny Seligsohn, verstorben. Sie hatte noch bis 1934 in der Heinrich-Barth-Straße 6 gewohnt und war dann zur Untermiete in die Grindelallee 165 gezogen.

Paul Seligsohn gehörte dem Kultusverband Neue Dammtor Synagoge an. Nach eigenen Angaben besuchte er von 1937 bis 1939 zweimal täglich den Gottesdienst und erhielt eine "Aufwand Unterstützung" von 18 RM monatlich von der Gemeinde.

Paula Seligsohn trug seit September 1938 zum Lebensunterhalt mit bei, sie hatte eine "Morgenstelle" (Haushaltshilfe) bei der Familie Behrend in der Brahmsallee 15 gefunden. (Das Ehepaar Julius Behrend und Minka, geb. Hartog wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Um die Kosten gering zu halten, wurde ein Zimmer möbliert vermietet.

Tochter Inge hatte schon früh Antisemitismus erfahren müssen. Vor allem musste sie ihren Ballettunterricht an der Annelise-Sauer-Schule aufgeben und damit auch ihren Traum Tänzerin zu werden. Als Jüdin hätte Inge nicht mehr öffentlich auftreten dürfen. Stattdessen entschied sie sich Ostern 1934 die Höhere Töchterschule zu verlassen, um einen praktischen Beruf zu erlernen. Sie begann eine Schneiderlehre im Modehaus Hirsch & Cie. im Mittelweg 107. Nach bestandener Gesellenprüfung blieb sie in ihrer Lehrfirma tätig, bis die Firma im Januar 1939, wenige Wochen nach dem Novemberpogrom, "arisiert" wurde.

Die Pogromnacht vom 9. auf dem 10. November 1938, so berichtete Inge später, hatte sie mit ihren Eltern in eisiger Kälte im Freien verbracht, während sich vier junge Männer in ihrer Wohnung versteckt gehalten hatten.

Aus Sorge um Inge unternahmen ihre Eltern jetzt alles, um ihr eine Ausreise zu ermöglichen, auch wenn dies bedeutete, dass sie sich von ihrem einzigen Kind trennen mussten. Doch zunächst wurde Inge von April bis Juli 1939 zur Pflichtarbeit auf den Rhabarberfeldern an den Gemüsebauern Adolf Puttfarken in Geesthacht vermittelt. Von der Arbeitspflicht wurde sie dann befreit, da sie in Kürze ihre Einreiseerlaubnis als Hausangestellte nach England erhalten sollte. Sie belegte noch einen Kochkurs an der Jüdischen Haushaltsschule in der Heimhuder Straße 70 und emigrierte am 24. August 1939 nach Großbritannien. Dort lernte sie ihren Ehemann James Denis Lusk kennen, den sie am 4. Juni 1940 heiratete.

Paula und Paul Seligsohn blieben in Hamburg zurück. Sie machten sich weiterhin Sorgen um Inge, erst recht, als sie von den Heiratsplänen ihrer Tochter erfuhren. Sie konnten trotz des inzwischen begonnenen Krieges zunächst noch über das Rote Kreuz den Briefkontakt zwischen London und Hamburg aufrechterhalten. Auch wurden Briefe über Paulas jüngeren Bruder Max Katz verschickt, der 1939 nach Rotterdam emigrierte. Die Briefe an Inge sind liebevoll, zusprechend und ermutigend gehalten. Sie berichten von alltäglichen Dingen, über Geburtstage oder Besuche von Freunden und Verwandten, mit denen man so lange, wie es noch möglich war, den Kontakt pflegte. Inge sollte nicht mit zusätzlichen Sorgen belastet werden.

Im Frühjahr 1941 geriet Paula Seligsohn in den Fokus der Justiz. Sie hatte die letzten Briefe an Inge nicht wie zuvor über das Rote Kreuz nach England geschickt, sondern einen anderen, nicht legalen Weg genutzt, der aufgefallen war: Mitarbeiter des Briefprüfungsamtes für das Ausland in München hatten bemerkt, dass eine große Anzahl von Briefen aus allen Teilen Deutschlands an ein Postfach nach Lissabon ging. Ein Angestellter der Internationalen Schlafwagengesellschaft namens Boile leitete diese Briefe von dort in andere Länder weiter. Da der Verdacht bestand, dass wichtige Nachrichten ins feindliche Ausland gerieten, wurden die Briefe auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes beschlagnahmt und die Absender ermittelt.

Am 14. März 1941 wurde auch Paula Seligsohn polizeilich vernommen. Sie gab zu Protokoll, dass sie die Adresse ihrer Tochter, die in England lebe, nicht kenne. Zunächst habe sie noch mehrere Briefe über das Rote Kreuz erhalten und auch über diesen Weg auch geantwortet. Dann, im November 1940, habe sie einen Brief mit der Bitte bekommen, Antwortschreiben an das Postfach in Lissabon zu richten. Sie habe drei Briefe an diese Adresse geschickt, den letzten zu Beginn dieses Jahres.

Nachdem Paula Seligsohn verwarnt wurde und versichert hatte, künftig keine Briefe über neutrale Länder ins feindliche Ausland zu versenden, wurde sie nach Hause entlassen. Jedoch erhob die Staatsanwaltschaft Anklage und am 28. Mai 1941 wurde Paula Seligsohn in einem Schnellverfahren vor dem Landgericht Hamburg zu einem Monat Gefängnis verurteilt und musste die Kosten des Verfahrens tragen. In der Urteilsbegründung hieß es, dass die Entschuldigung die Angeklagte nicht entlasten könne, weil alles über das Verbot der Korrespondenz mit dem Ausland in der Zeitung veröffentlicht worden sei. Ihr Verhalten sei besonders gefährlich gewesen, weil es der Spionage Tür und Tor geöffnet habe. Und als Jüdin hätte sie besonders vorsichtig sein müssen.

Am 4. Juni 1941 bat Paula Seligsohn das Landgericht um eine Strafminderung, die sie wie folgt begründete: "Ich sehe ein, dass ich, bevor ich nach Lissabon schrieb, vorher bei den zuständigen Stellen hätte Erkundigungen einziehen müssen. Wenn ich dies unterlassen habe, so ist dann dies darauf zurückzuführen, dass ich geglaubt habe, ein Schreiben nach Lissabon sei nicht unerlaubt, weil der Brief meiner Tochter durch die Zensur gegangen ist, und ich in diesem Brief aufgefordert war, in Zukunft nach Lissabon zu schreiben. Wenn ich daher jetzt die Bitte nach dort richte, die Gefängnisstrafe, die gegen mich erkannt ist, umzuwandeln, so begründe ich diese wie folgt: Ich bin 52 Jahre alt und lebe seit 27 Jahren in Hamburg. Ich bin noch nie von einem Gericht, noch von der Polizei noch von irgendeiner sonstigen Behörde jemals bestraft worden. Ich habe mich vollkommen einwandfrei geführt. Das Gleiche trifft auf meinen Mann zu, der seit 59 Jahren in Hamburg lebt. Mein Mann ist von Beruf Elektriker, hat aber das Unglück, den grauen Star zu haben. Er ist daher in seiner Erwerbsfähigkeit und Erwerbstätigkeit außerordentlich behindert, da ihm jede Tätigkeit außerhalb der Werkstatt unmöglich ist. Ich selbst trage zum Haushalt dadurch bei, dass ich eine Morgenstelle angenommen habe. Die Miete wird von uns zum Teil dadurch aufgebracht, dass wir abvermietet haben. Wir leben also leider in sehr kleinen Verhältnissen. Wir sind in unseren Gedanken immer mit unserem einzigen Kind, das in England ist, beschäftigt, und das für ein Wiedersehen zurzeit keinerlei Aussicht besteht. Wenn ich jetzt gezwungen werde, eine Gefängnisstrafe von einem Monat anzutreten, so ist mein Mann vollkommen allein und hilflos. Es ist niemand da, der ihm den Hausstand führen und für ihn sorgen kann. Mit Rücksicht auf vorstehenden Sachverhalt bitte ich, von der Vollstreckung der Strafe Abstand zu nehmen und mir Strafaussetzung zu gewähren, evtl. gegen Zahlung einer Buße, die sich dem Rahmen meiner wirtschaftlichen Lage anpasst."

Ihrer Bitte wurde stattgegeben und die Haftstrafe in eine Geldstrafe von 50 RM umgewandelt.

Die letzte Nachricht von ihren Eltern erreichte Inge im August 1941 wieder über das Rote Kreuz.

Vier Monate später erhielten Paul und Paula Seligsohn ihre "Evakuierungsbefehle" und die Aufforderung, sich am 24. Oktober 1941 im Logenhaus an der Moorweide einzufinden. Sie wurden mit dem ersten großen Transport, der Hamburg am 25. Oktober 1941 vom Hannoverschen Bahnhof am Lohseplatz verließ, ins Getto von Lodz deportiert, das von den Nationalsozialisten in "Litzmannstadt" umbenannt worden war. Die Einrichtung ihrer Dreizimmerwohnung wurde beschlagnahmt und am 2. Januar 1942 zugunsten des Deutschen Reiches durch den Auktionator Landjunk öffentlich versteigert. Der Erlös betrug 1.661 RM.

Im Getto Lodz angekommen, war das Ehepaar Seligsohn zunächst in einem Schulgebäude untergebracht worden, bis sie eine Unterkunft in der Rubensstraße 2, Raum 40 erhielten. In der "Statistische Abteilung" des Gettos hat sich ein letztes Lebenszeichen erhalten: Am 12. Dezember 1941 bestätigen Paul Seligsohn und Hillel Chassel in einem Protokoll "zur Feststellung einer Person", dass sie das Ehepaar Fula und Leib Rappaport, die offensichtlich nicht im Besitz ihrer Ausweispapiere waren, persönlich aus Hamburg kannten (siehe Fanny und Leib Rappaport und Hillel Chassel, der von der Gestapo in Hamburg zum Leiter des Transports nach Lodz bestimmt wurde: www.stolpersteine-hamburg.de).

Im Getto Lodz wurden im Mai 1942 Transporte zur "Aussiedlung" der im Herbst 1941 eingetroffenen deutschen Juden zusammengestellt. Ziel der irreführenden Bezeichnung war der Transport in das 60 Kilometer entfernte Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) und die sofortige Ermordung in den dort bereitstehenden Gaslastwagen.

Auf der "Hauskarteikarte" der Rubensstraße ist vermerkt, dass das Ehepaar Seligsohn bereits am 25. April 1942 ausgewiesen wurde. Die Chronik des Gettos verzeichnet jedoch an diesem Tag keinen Transport, sondern vom 25. bis zum 26. April prüfte eine Kontrollkommission die im Getto Arbeitenden, wie es in der Chronik hieß, die tatsächliche Zahl der Arbeitenden festzustellen und die Arbeitsuntauglichen auszusondern. Vielleicht gehörten sie an diesen beiden Tagen zu denen, die nicht mehr für arbeitsfähig gehalten wurden.

An welchem Tag im Mai Paula und Paul Seligsohn nach Chelmno "ausgesiedelt" wurden, ist in den erhaltenen Getto-Unterlagen nicht vermerkt. Beide wurden 1952 durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg auf Ende des Jahres 1945 für tot erklärt.


Pauls Bruder Ludwig Seligsohn wurde mit seiner Ehefrau Gertha, geb. Mendel (geb. 8.10.1890) und Sohn Walter (geb. 29.7.1928) am 8. November 1941 ins Getto von Minsk deportiert. Ihr ältester Sohn Hermann (geb. 8.12.1922) war bereits am 23. September 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel ermordet worden (siehe www.stolpersteine–hamburg.de).

Die Schwester Hedwig Laser, geb. Seligsohn, lebte mit ihrem Ehemann, dem Schneider Moritz Laser (geb. 21.8.1885 in Wongrowitz) zuletzt in der Heinrich-Barth-Straße 17. Gemeinsam mit ihrem jüngsten Sohn Hermann (geb. 19.11.1920) gelang ihnen im April 1939 die Flucht nach Paraguay. Ihr Sohn Werner (geb. 1.4.1916) war bereits am 13. April 1938 nach Argentinien emigriert. (Zu den Brüdern von Moritz Laser siehe www. stolpersteine-hamburg.de).

Von den Katz-Kindern aus Guxhagen überlebten nur vier von Paulas Geschwistern: Willy Katz (geb. 5.4.1895) wohnte mit seiner Familie in Recklingshausen in der Steinstraße 13. Sein Sohn Lothar (geb. 21.3.1925) gelang es Ende 1939 nach Palästina zu emigrieren. Kurz vor ihrer bevorstehenden Deportation nach Riga flüchtete Willy Katz mit seiner Ehefrau Johanna, geb. Fernbach (geb. 25.5.1898, gest. 1946) nach Berlin, wo sie im Versteck das Kriegsende erlebten.

Ludwig Katz (geb. 9.12.1899), der jüngste Bruder, war Schneider. Er und seine Frau Berthilde, geb. Weinstein (geb. 21.9.1906 in Nesselroden), konnten im Februar 1939 von Würzburg nach Palästina emigrieren. Ludwig Katz starb 1970 in Israel.

Auch die jüngste Schwester Johanna/ Hanna Katz (geb. 28.6.1901), die am 17. Januar 1932 in Dortmund Alvin Feilman geheiratet hatte, konnte offensichtlich aus Deutschland entkommen.

Der älteste Bruder David Katz (geb. 9.9.1884) hatte am 26. Juni 1914 Selma Mathias (geb. 19.10.1882 in Liebenau) geheiratet. Das Ehepaar wohnte mit Tochter Irmgard (geb. 1.4.1915, gest. 21.4.2006 in Israel) in Kassel. Auch dieser Zweig der Familie konnte nach Palästina emigrieren.

Max Katz (geb. 24.3.1892), oben im Text bereits erwähnt, hatte am 7. Juli 1929 in Frankershausen Henny Plaut (geb. 25.10.1904) geheiratet. Am 20. Juni 1939 flüchtete er nach Rotterdam, in der Hoffnung, von dort in die USA emigrieren zu können. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 10. Mai 1940 saß Max Katz in den Niederlanden fest und konnte auch keine Einreisegenehmigung mehr für seine Familie beschaffen. 1941 zog er nach Gouda in die Wolffstraat 5. Max Katz wurde am 28. Mai 1943 von Westerbork nach Sobibor deportiert und dort ermordet.
Seine Frau Henny wohnte mit den gemeinsamen Kindern Rolf Bernhard (geb. 15.7.1930 in Düsseldorf) und Hilla (geb. 2.3.1940 in Recklinghausen) in Recklinghausen in der Roonstraße 13. Am 31. März 1942 wurden sie aus dem "Judenhaus" in der Kellerstraße 21 über Gelsenkirchen in das Getto nach Warschau deportiert.

Für Max Katz wurde 2017 ein Stolperstein vor dem Haus in der Elisabeth-Wolffstraat 5 in Gouda verlegt.

Benjamin Katz (geb. 26.8.1887), ebenfalls Schneider, hatte am 11. August 1920 die Schneiderin Cornelie Kugelmann (geb. 26.2.1889 in Lauterbach) in Gießen geheiratet. Das Ehepaar wohnte in der Alicenstraße 30, bis es 1940 gezwungen wurde, in das "Judenhaus" in die Walltorstraße 42 umzuziehen. Am 9. November 1938, während des Novemberpogroms, wurde Benjamin Katz verhaftet und im KZ Buchenwald interniert. Auf der dort erfahrenen schweren Misshandlungen konnte er nach seiner Entlassung nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. Er verstarb am 5. September 1942 an den Haftfolgen in Gießen. Der Name von Cornelie Katz und der Tochter Gertrud Berta (geb. 30.5.1922 in Gießen) stehen auf der Deportationsliste für einen Transport am 30. September 1942 von Darmstadt mit dem Zielort Generalgouvernement. Vermutlich ging der Transport nach Treblinka. Stolpersteine in der Stephanstraße 43 und ein weiterer für Gertrud Katz vor der Ricarda-Huch-Schule in Gießen erinnern an sie.

Sally Katz (geb. 30. 7.1890) hatte am 9. September 1925 Gertrude/ Trude Kling (geb. 26.3.1903 in Speyer) geheiratet. Das Ehepaar wohnte mit Sohn Bernhard Günther (geb. 17.8.1929 in Mannheim) in der Wormserstraße 23 in Speyer. Sally Katz wurde während des Novemberpogroms 1938 verhaftet und bis zum 15. Dezember 1938 im KZ Dachau festgehalten. Sally und Gertrud Katz wurden am 22. Oktober 1940 gemeinsam mit ihren Sohn Bernhard Opfer einer der frühen Deportationen: Die NSDAP-Gauleiter von Baden und der Saarpfalz hatten die 6.500 dortigen Juden nach Frankreich deportieren lassen. Familie Katz wurde im Internierungslager Gurs in Südwestfrankreich eingeliefert, von dort gelangten sie über das Nebenlager Camp Les Milles in das Sammellager Drancy in der Nähe von Paris. Bernhard konnte am 17. August 1942 mit einem Bus der Kinderhilfsorganisation OSE (Œuvre de secoursauxenfants) in die Schweiz entkommen. Seine Eltern wurden am selben Tag nach Auschwitz deportiert und ermordet. Bernhard Katz emigrierte später in die USA, wo eine Tante lebte.

Selma Katz (geb. 20.11.1893) hatte am 10. März 1925 Leopold Blumhof (geb. 18.3.1896 in Grebenau) geheiratet. Das Ehepaar wohnte mit ihrem Sohn Manfred (geb. 25.2.1930) in der Sellestraße 45 in Guxhagen. Am 9. Dezember 1941 wurden alle drei von Kassel in das Getto nach Riga deportiert. Manfred Blumhof wurde am 2. November 1943 nach Auschwitz weiterdeportiert. Sein Vater Leopold Blumhof wurde am 9. August 1944 in das KZ Stutthof bei Danzig und von dort am 16. August 1944 in das KZ Buchenwald verlegt, wo er am 18. Februar 1945 nach Angaben der Häftlings-Personal-Karte an Herzkreislaufversagen starb. Das Todesdatum von Selma Blumhof ist unbekannt.

Die älteste Schwester Berta/ Bertha Katz (geb. 19.11.1885) hatte am 18. Juni 1919 in Guxhagen den Metzger Emil Katz (geb. 23.2.1888 in Guxhagen) geheiratet, der bereits am 16. Mai 1922 in Guxhagen verstorben war. Auch Bertha Katz und ihr Sohn Lothar (geb. 26.4.1920) wurden am 9. Dezember 1941 von Kassel nach Riga deportiert.

Bella Katz (geb. 5.10.1897) hatte am 7. November 1923 Menni Katz (geb. 2.7.1894 in Neumorschen) geheiratet. Sie wohnten in Neumorschen Haus-Nr. 61. Das Ehepaar wurde 1942 gemeinsam mit seinen Kindern Gertrud (geb. 25.9.1925), Bettina (geb. 17.7.1926) und Bernd/ Bernhardt (geb. 6.3.1930) von Frankfurt am Main mit unbekanntem Zielort deportiert. Keiner überlebte.

Paul und Paula Seligsohns Tochter Inge fand trotz anfänglicher Schwierigkeiten ihren Weg in England. Sie hinterlegte 1981 in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem Gedenkblätter für ihre Eltern. Inge Lusk starb 1994 in Caerleon Südwales. Sie hinterlässt vier Söhne, sechs Enkel und drei Urenkel.
Stand: Juli 2021
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 5; 8; StaH 314-15_FVg 5086; StaH 314-15_FVg 5292; StaH 351-11_6884 (Rosenblatt, David) StaH 213-13_27528 (Seligsohn, Paul); StaH 351-11_43663 (Lusk, Inge Herma); StaH 213-11_62449; StaH 351-11 8247 (Laser, Moritz); StaH 332-5_6222 u. 2311/1882; StaH 332-5_2124 u. 575/1886; StaH 332-5_8152 u. 236/1938; StaH 332-5_3131 u. 471/1909; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 1; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 2; www.ancestry.de Heiratsregister von Paul Seligsohn und Paula Katz am 16. Juni 1919 in Hessen (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de Geburtsregister von Paula Katz am 12.1.1889 in Hessen (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de Heiratsregister von Bernhardt Katz und Jetchen Rosenblatt am 13.11.1883 in Hessen (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de Geburtsregister von Bertha Katz am 19.11.1885 in Hessen (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de Heiratsregister von Benjamin Katz am 11.8.1920 in Gießen (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de Sterberegister von Benjamin Katz am 5.9.1942 in Gießen (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de Sterberegister Emil Katz am 16.5.1922 in Guxhagen (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de öffentliche Mitgliedergeschichten Sally Katz (Zugriff 21.1.2021); www.ancestry.de Ludwig Katz in der Sammlung Deutschland: Juden in Würzburg (Zugriff 6.6.2021); https://collections.arolsen-archives.org/search/?s=leopold%20Blumhof (Zugriff 21.1.2021); https://docplayer.org/34703981-Zur-deportation-der-guxhagener-juden-in-das-ghetto-riga-vor-65-jahren.html
(Zugriff 6.2.2021); http://totenbuch.buchenwald.de/names/details/person/27929/ref/recherche (Zugriff 6.2.2021); www.alemanniajudaica.de/images/Images%20436/Neumorschen%20ITS%20Liste%201962.pdf (Zugriff 6.2.2021); http://juden-in-weinheim.de/de/personen/k/katz-bella.html (Zugriff 6.2.2021); www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_hhn_420930.html (Zugriff 6.6.2021); Monika Graulich: Benjamin und Cornelie Katz, www.giessen.de/index.php?ModID=7&FID=2874.1338.1&object=tx%7C2874.1338.1 (Zugriff 6.6.2021); Johannes P. Bruno, Der Sturm bricht los, Speyerer Soldaten jüdischen Glaubens 1914-1918, S. 91-93, https://f.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/1426/files/2014/04/Julius-S%C3%83%C2%BCssel_NEU.pdf (Zugriff 6.6.2021); www.mappingthelives.org (Zugriff 21.1.2021); Jüdische Personenstandsregister von Guxhagen, https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/digitalisatViewer.action?detailid=v3271671&selectId=45906460; (Zugriff 21.1.2021); Digitalisate von HHStAW Bestand 365 Nr. 406; https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/digitalisatViewer.action?detailid=v2126651&selectId=45906330 (Zugriff 21.1.2021); Sterberegister der Juden von Guxhagen 1852-1938 (HHStAW Abt. 365 Nr. 408) Autor Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden (Zugriff 21.1.2021); www.alemannia-judaica.de/guxhagen_synagoge.htm (Zugriff 21.1.2021); www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=1978839(Zugriff 21.1.2021); www.nationaalarchief.nl/en/research/archive/2.19.255.01/invnr/75949A/file/NL-HaNA_2.19.255.01_75949A_0001 (Zugriff 6.6.2021); www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_wfn_420331.html (Zugriff 6.6.2021); www.joodsmonument.nl (Zugriff 6.6.2021); www.recklinghausen.de/Inhalte/Startseite/Ruhrfestspiele_Kultur/Gedenkbuch/_Opferbuch_selfdb.asp?form=detail&db=545&id=331 (Zugriff 6.6.2021); Georg Möllers / Jürgen Pohl: Abgemeldet nach "unbekannt" 1942, Die Deportation der Juden aus dem Vest Recklinghausen nach Riga, hrsg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Recklinghausen, Klartext Verlag, Essen 2013; Franz-Josef Wittstamm, Spuren im Vest Juden im Vest Recklinghausen, digital https://spurenimvest.de/2020/09/23/katz-willi/ (Zugriff 6.6.2021); Biographische Datenbank Jüdisches Unterfranken: www.historisches-unterfranken.uniwuerzburg.de/juf/Datenbank; (Zugriff 6.6.2021); www.yadvashem.org/de.html (Zugriff 6.5.2021); Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt, 1942, Wallenstein Verlag 2007, S. 127-131; Beate Meyer (Hrsg.) Deutsche Jüdinnen und Juden in den Ghettos und Lagern (1941-1945), Lodz, Chelmno, Minsk, Riga, Auschwitz, Theresienstadt, Berlin 2017, darin auch; Ingo Loose, Das Vernichtungslager Kulmhof am Ner (Chelmnon ad Nerem) 1941- 1945, S. 54 -75; Briefe von Paula und Paul Seligsohn an ihre Tochter in England, Privatbesitz Paul Lusk.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang