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Bereits verlegte Stolpersteine



Fritz Lentge * 1934

Mildestieg 14 (Hamburg-Nord, Barmbek-Nord)


HIER WOHNTE
FRITZ LENTGE
GEB. 1934
EINGEWIESEN 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
KALMENHOF / IDSTEIN
ERMORDET 24.8.1943

Fritz Lentge, geb. 7.3.1934 in Uetersen, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 17.8.1942, "verlegt" in die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" bei Idstein im Rheingau am 7.8.1943, dort gestorben am 24.8.1943

Mildestieg 14, Barmbek-Nord

Fritz Lentge war das einzige Kind des Schiffsingenieurs Christian Friedrich Lentge, geboren am 23. Oktober 1908 in Büdelsdorf, und seiner Ehefrau Ida Maria, geborene Petersen (Geburtsdatum und -ort sind nicht bekannt).

Nach den Berichten seiner Mutter hatte Fritz zunächst keine besonderen Krankheiten gehabt und mit zehn Monaten das Laufen gelernt. Seine Sprachentwicklung bezeichnete sie als "normal". Er sei ein kräftiges Kind gewesen, das lange mit Muttermilch ernährt worden sei. Im September 1936, im Alter von zweieinhalb Jahren, sei er plötzlich zusammengebrochen und habe seitdem unter Krämpfen gelitten. Zunächst seien die Anfälle alle sieben bis acht Tage, später seltener mit Pausen bis zu sieben Wochen aufgetreten, gewöhnlich in der Nacht. Infolge der Anfälle sei Fritz geistig sehr "zurückgegangen", auch sein Sprachvermögen habe sich verschlechtert.

Die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg entließ Fritz Lentge nach einem Aufenthalt vom 16. bis zum 29. November 1940 mit der Begründung, dass bei dem Jungen keine Besserung durch Therapie zu erwarten sei. Bei einem nochmaligen, nur einen Tag dauernden Aufenthalt in Friedrichsberg am 16. Juli 1942 traten erneut epileptische Anfälle auf.

Am 17. August 1942 wurde Fritz Lentge in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) überwiesen. Bei seiner Aufnahme dort erlitt er einen starken Krampfanfall. Therapiebemühungen sind in Fritz Lentges Patientenakte während seines ein Jahr dauernden Aufenthalts in Alsterdorf nicht vermerkt.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz zu schaffen für Verwundete und Bombengeschädigte. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" in Wien (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") verlegt.

Auch Fritz Lentge musste die Alsterdorfer Anstalten verlassen. Er gehörte zu den 52 Jungen, die für die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" bestimmt waren. Die letzte Eintragung in seiner Krankenakte datiert vom 6. August 1943. Sie lautete: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalt durch Fliegerangriff verlegt nach Idstein. Gez. Dr. Kreyenberg."

Im Krankenhaus der "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" befand sich seit Ende 1941 eine "Kinderfachabteilung". Der Begriff "Kinderfachabteilung" wurde im nationalsozialistischen Deutschen Reich als beschönigende Bezeichnung für besondere Einrichtungen der Psychiatrie in Krankenhäusern sowie Heil- und Pflegeanstalten verwendet. Sie dienten der "Kinder-Euthanasie", also der Forschung an und Tötung von Kindern und Jugendlichen, die körperlich oder geistig behindert waren.

Mit einer Ausnahme kamen alle Kinder aus dem Alsterdorfer Transport im Kalmenhof gewaltsam zu Tode, in den meisten Fällen durch Überdosierung des Barbeturats Luminal, durch Morphiumspritzen oder durch Vernachlässigung.

17 Tage später war Fritz Lentge tot. Es ist sicher davon auszugehen, dass er keines natürlichen Todes starb.

Der Stolperstein erinnert vor der Hamburger Wohnadresse seiner Eltern an Fritz Lentge.

Stand: August 2022
© Ingo Wille

Quellen: Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 158. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, 289 ff.https://www.aerzteblatt.de/archiv/24708/NS-Kindereuthanasie-Ohne-jede-moralische-Skrupel (zuletzt zugegriffen am 14.7.2022)

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