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Elisabeth Windmüller * 1872

Innocentiastraße 19 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
ELISABETH
WINDMÜLLER
JG. 1872
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 6.8.1942

Elisabeth Windmüller, geb. 2.11.1872 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, Tod am 6.8.1942

Innocentiastraße 19

Elisabeth Windmüller wurde im Alter von fast 70 Jahren und schwer krank im Sommer 1942 in das "Altersgetto" von Theresienstadt deportiert, wo sie bereits drei Wochen nach der Ankunft starb. Demselben Transport gehörten ihr Cousin Percival Windmüller (siehe derselbe) und seine Ehefrau Gertrud, geb. Friedländer (siehe dieselbe), an. Percival Windmüller starb drei Monate nach ihr. In dem zu der Zeit völlig überfüllten Getto herrschte Mangel am Notwendigsten und grassierten Infektionskrankheiten, denen die alten Menschen in großer Zahl zum Opfer fielen.

Dieser erste Transport von Hamburg nach Theresienstadt, dem Elisabeth Windmüller angeschlossen wurde, erfolgte so kurzfristig, dass die Hamburger Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland noch keine formellen "Heimeinkaufsverträge" mit den einzelnen Betroffenen abschließen konnte. Die später Deportierten übereigneten ihr restliches Vermögen mit solchen Verträgen für die künftige Unterbringung (wobei die Reichsvereinigung die Gelder an das RSHA zur angeblichen Finanzierung des Ghettos Theresienstadt abführen musste). In Falle der ersten Großdeportation wurde dieser Vorgang ohne die Schein-Formalität abgewickelt. Elisabeth Windmüllers Vermögen betrug noch 18.162,50 RM, ihre Alterssicherung, für die sie als selbstständige Gesangspädagogin vorgesorgt hatte.

Den familiären Hintergrund Elisabeth Windmüllers bildete eine große Verwandtschaft von jüdischen Kaufleuten, Bankiers und Ärzten, unter ihnen einige mit musischen Begabungen. Ihre Cousine Julia Alice Windmüller, die, wie sie, ledig geblieben war, lebte ebenfalls vom Musikunterricht ("Egele" Windmüller, s. Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hoheluft-Ost, Bd. 2, S. 422 f.), der Cousin Percival Windmüller war zwar Zahnarzt geworden, pflegte aber seine musikalischen Neigungen intensiv. Während die Verwandtschaftsverhältnisse bekannt sind, lässt sich über die Beziehungen Elisabeth Windmüllers außer zu ihren Eltern nichts sagen.

Über Elisabeths Kindheit, Jugend und Ausbildung sind nur wenige Einzelheiten bekannt. Ihr Vater war der Arzt Hermann Henry Windmüller. Er wurde am 29. Juli 1835 als neuntes der zehn Kinder von Philipp Hirsch Windmüller und seiner Ehefrau Adelheid, geb. Bauer, in der Hamburger Neustadt geboren. Nach seinem Medizinstudium ließ er sich 1860 als Arzt, Chirurg und Geburtshelfer am Neuen Wall 87 nieder und heiratete um 1870 die neun Jahre jüngere Bertha Derenberg, geb. 18.10.1844 in Hamburg. Sie zogen in die Neustädter Fuhlentwiete 95, in die Nähe der Eltern Windmüller, wo Elisabeth am 2. November 1872 geboren wurde.

Dort wohnten sie auch noch, als Elisabeth schulpflichtig wurde. Welche Schulbildung sie genoss, ist uns nicht bekannt, doch erhielt sie offenbar eine Gesangsausbildung. Der Vater verlegte Wohnung und Praxis in die Großen Bleichen 54/56 und 1898 in die Rothenbaumchaussee 62. Dort starb er am 23. Mai 1899 im Alter von 63 Jahren. Nach dem Tod ihres Vaters zog sie mit ihrer Mutter in die Hallerstraße 43.

Elisabeth hatte eine fünf Jahre ältere Schwester, Martha, geb. 13.3.1867. Während Elisabeth ledig blieb, heiratete ihre Schwester und führte einen Haushalt mit vier Kindern. Am 6. September 1892, als die Familie noch in den Großen Bleichen wohnte, wurde Martha Windmüller mit dem Kaufmann Alexander Reyersbach getraut. Geboren am 1.9.1856 in Altona, wo seine Eltern bis zu ihrem Lebensende wohnten, lebte er in Hamburg-Harvestehude in der Hagedornstraße 49. Martha zog dorthin, und dort wurden die Kinder Luise (29.11.1895), Margarete (8.3.1897) und Hans (16.9.1898) geboren. Nach ihrem Umzug in die Hochallee kam als Letzter Max-Henry (21.11.1900) zur Welt. Am 1. April 1907 zog Alexander Reyersbach in die Hansastraße 22, ihren Familienwohnsitz, bis sich die Familie durch Heiraten und Auswanderungen auflöste. Alexander Reyersbach trat 1925 aus der Jüdischen Gemeinde aus, während Martha 1932 eine eigene Mitgliedschaft erwarb und freiwillig den monatlichen Mindestbeitrag von einer Mark entrichtete. Alexander und Martha Reyersbach und mit ihnen ihr jüngster Sohn Max Henry zogen 1938 nach Eppendorf, Beim Andreasbrunnen 8, wo Martha am 19. Mai 1938 eines natürlichen Todes starb. Max Henry zeigte ihren Tod beim Standesamt an. Marthas Schwester Elisabeth Windmüller wohnte zu der Zeit in Harvestehude. Alexander Reyersbach und allen Kindern gelang die Emigration.

Bertha Windmüller-Derenberg starb im Alter von 67 Jahren am 15. Dezember 1911. Ihren Tod zeigte der Kaufmann Hugo Cohn aus Leipzig beim Standesamt an und nicht etwa ihr Schwiegersohn Alexander oder ihre Tochter Elisabeth, mit der zusammen sie gelebt hatte.

Elisabeth erbte ein kleines Vermögen, dessen Zinsen zu ihrem Lebensunterhalt beitrugen. Sie zog sie in die Isestraße 54 II. 1912, nach dem Tod ihrer Mutter, wurde sie selbstständiges Mitglied der Jüdischen Gemeinde und als solches steuerpflichtig. 1918 legte sie sich einen Telefonanschluss zu und benutzte ab 1920 den Doppelnamen Windmüller-Derenberg. Ihre Einkünfte aus ihrer Tätigkeit als Sängerin waren bescheiden. Bis 1922 zahlte sie einen monatlichen Beitrag an die jüdische Gemeinde von 25 RM, danach wurde sie zunächst freigestellt.

1922 machte sich Elisabeth Windmüller als Gesangslehrerin selbstständig. Der Wechsel von der Sängerin zur Gesangspädagogin mag mit ihrem Alter – sie war inzwischen 50 Jahre alt – zu tun gehabt haben. Nachdem sie die Genehmigung der Behörde für das Gewerbe- und Fortbildungsschulwesen eingeholt hatte, erwarb sie am 18. März 1922 einen Gewerbeschein. Den Unterricht erteilte sie in ihrer Wohnung. Ihr Einkommen war so gering, dass sie bis 1935 nur noch zwei Mal geringe Beiträge an die Gemeinde entrichtete.

1933 zog Elisabeth Windmüller-Derenberg aus der Isestraße in die Innocentiastraße 19, eine Stadtvilla im Besitz des Kaufmanns Max Lefeld, in der das "Heim für jüdische Mädchen und Frauen" untergebracht war. In welchem Verhältnis Elisabeth Windmüller dazu stand, ist uns nicht bekannt. Ab 1935 zahlte sie wieder regelmäßige Gemeindesteuern; sie betrugen das Doppelte des Grundbetrags. Die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit als Gesangslehrerin erlosch mit dem 13. Januar 1937, zwei Monate nach ihrem 64. Geburtstag.

Am 4. März 1940 musste Elisabeth Windmüller gegenüber dem Oberfinanzpräsidenten ihr Vermögen angeben. Inzwischen 67 Jahre alt, litt sie an verschiedenen Krankheiten. Sie war mehrfach an den Augen operiert worden, hatte chronische Nervenschmerzen und eine akute Hüftgelenksentzündung. Die damit verbundenen Kosten belasteten sie erheblich.
Ihr Vermögen bestand zu dem Zeitpunkt aus einem Sparkassenguthaben von 10 RM und
25.282 RM in Wertpapieren. Bis auf einen Freibetrag von 250 RM wurde es auf einem "Sicherungskonto" festgelegt, über das sie nur mit Genehmigung der Oberfinanzpräsidenten verfügen konnte. Bei der Festlegung der Höhe des Freibetrags wurden "erhöhte Aufwendungen und Hilfeleistungen" wegen ihrer Leiden berücksichtigt. Aus dem Vermögen musste sie die "Judenvermögensabgabe" in Höhe von 3310,64 RM und die "Sühneleistung" von 2700 RM entrichten. Die Zinserträge reichten nicht mehr aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, so dass sie auf das Kapital zurückgreifen musste.

Inzwischen war sie aus der Innocentiastraße 19 in das Alten- und Siechenheim der Jüdischen Gemeinde in der Schäferkampsallee 27 gezogen, was wiederum die Verkleinerung ihres Haushalts bedeutete. Sie wurde am 30. Juni 1942 über die Pflicht zur Zahlung eines außerordentlichen Gemeindebeitrags in Höhe von 60 RM benachrichtigt und einigte sich mit der Gemeinde auf die Zahlung in zwei Raten, wobei die zweite Rate bis zum 14. Juli 1943 fällig sein sollte. Dazu kam es nicht mehr.
Am 15. Juli 1942 wurde sie zusammen mit über 40 Bewohnerinnen und Bewohnern des Altenheims in der Schäferkampsallee nach Theresienstadt deportiert. Sie starb am Abend des 8. August 1942 in der Zentralen Krankenstube an "Kreislaufschwäche bei Gallenblasenkrebs".

Elisabeth Windmüller hatte keine Erben. Die "Jewish Trust Corporation for Germany" (später in der "Jewish Claims Conference" aufgegangen) beanspruchte die Restitution ihres Vermögens, das 1950 in das Globalabkommen mit dem deutschen Bundesministerium für Finanzen einging, aus dem die Bundesrepublik Deutschland Wiedergutmachung an Staaten leistete.


Stand: Juni 2017
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 2 OFP, R 1940/164; 3; 4; 5; 7; 9: Hamburger Adress- und Telefonbücher; 213-13 Landgericht (Restitution), Z 10008-10010; 314-15; 332-5 Standesämter, 7925-1046/1899; 332-8 Reisepassprotokolle, A 24, Band 163; 376-3 Zentralgewerbekartei, 741-4 (Filmarchiv) K 3878; 552-1 Jüdische Gemeinden, 992 e Band 4; (zu 3: Nationalarchiv Prag, Zidovské matriky, Ohledaci listy – ghetto Terezin, Band 9); freundliche Mitteilungen von Ingela Johnson, Juni 2017.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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