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Porträt Hugo Stoltze 1941
Porträt Hugo Stoltze 1941
© Ev. Stiftung Alsterdorf

Hugo Stoltze * 1937

Hude 1 (Bergedorf, Bergedorf)


HIER WOHNTE
HUGO STOLTZE
JG. 1937
EINGEWIESEN 1941
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
ERMORDET 12.10.1943

Hugo Stoltze, geb. 25.11.1937 in Hamburg, am 7.8.1943 verlegt Landesheilanstalt Eichberg/Hessen, ermordet am 12.10.1943

Hude 1

Hugo Rudolf Stoltzes Eltern, Arnold Stoltze, geb. 1912, und Else, geb. Flach, geb. 1913, hatten um 1934 geheiratet. Die Mutter war Arbeiterin und stammte aus Curslack in den Vier- und Marschlanden, der Vater, ebenfalls als Arbeiter tätig, war gebürtiger Hamburger. Die Ehe wurde am 7. Oktober 1937 geschieden, wobei die Mutter als schuldiger Teil galt. Sechs Wochen später, am 25. November 1937, wurde Hugo Stoltze zu Hause geboren. Er wog bei der ohne Komplikationen verlaufenden Geburt 4,5 kg. Hugo hatte eine zwei Jahre ältere Schwester. Die Kinder blieben mit dem Einverständnis des Vaters bei der Mutter. Hugo war ein gesundes Baby, erkrankte nur einmal im März 1938 an Windpocken. Danach nahm er jedoch nicht weiter zu.

Den Akten des Jugendamtes vom 25. August 1938 zufolge hatte die Mutter "völlig unzureichend für das Kind gesorgt". Hugo war zwei Monate zuvor wegen Unterernährung und Rachitis in die Kinderabteilung des Krankenhauses St. Georg in der Baustraße (heutige Hinrichsenstraße) gebracht und gerade geheilt entlassen worden. Im Krankenhaus stellte sich heraus, dass Hugo an einer Ernährungsstörung litt, offenbar an einer Milchzuckerunverträglichkeit. Nachdem die richtige Diät gefunden war, gedieh er gut, war allerdings trotz seines Alters von neun Monaten nicht in der Lage, seinen Kopf allein zu halten. Geistig schien er ebenfalls etwas zurück geblieben. Hugo lächelte unentwegt freundlich und drehte seine Hände stereotyp hin und her. In diesem Zustand wurde er zunächst ins Kleinkinderhaus der Jugendbehörde am Winterhuder Weg gebracht.

Nachdem die Mutter aber auch für die ältere Tochter denkbar schlecht gesorgt hatte, machte der Vater von seinem "Personensorgerecht" Gebrauch. Das hieß, er konnte allein bestimmen, wo die Kinder untergebracht wurden. Die Tochter kam in eine Pflegestelle, für Hugo wurde jedoch keine solche Unterbringungsmöglichkeit gefunden. Da er auch nicht zur Mutter, die inzwischen mit einem Soldaten verlobt war, zurückgegeben werden konnte, wurde eine "vorläufige Waisenpflege" beschlossen.
Als Hugo fast 15 Monate alt war, kam er am 10. Februar 1939 vom Kleinkinderheim in das Kinderheim Pferdeweg in Hamburg-Harburg. Im Oktober 1940 wurde er erneut begutachtet, weil er im Heim "wegen Schwachsinns" als nicht länger tragbar galt. Er wurde als ruhig und freundlich beschrieben, sei aber geistig um ein bis zwei Jahre zurück geblieben. Inzwischen drei Jahre alt, konnte er nicht sprechen, macht sich jedoch mit Lallen und Schreien verständlich. Seine körperliche Entwicklung entsprach der eines Dreijährigen, doch lief er schlecht. Hugo wurde wieder in eine andere Umgebung versetzt, in die Warteschule Feuerbergstraße.

In den Akten des Jugendamts wird unter dem Datum vom 27. April 1941 Hugos Zustand wie folgt beschrieben: "Körperlich gut entwickelt, geistig jedoch als anormal anzusprechen. Irgendwelche noch so primitive Beschäftigungen sind ihm unmöglich, er weiß mit keinem Spielmaterial etwas anzufangen, Bausteine wirft er wahllos durcheinander, Bilderbücher zerreißt er. Farbstifte steckt er sich in den Mund, usw. Im Gruppenleben wirkt er ungemein störend durch seine aufgeregte, unruhige Art. Es ist den Kindern unmöglich, auch nur ein Spiel in Ruhe auszuführen. Er entwendet ihnen das Spielzeug, wirft mit Bausteinen, kratzt und beißt, wird nicht gleich seinem Willen entsprochen, so schreit er gellend und wirft sich voller Zorn auf den Fußboden. Auch lacht und weint er oft grundlos durcheinander. Hugo ist ganz unselbständig, kann sich nicht selbst an- und ausziehen, kennt sein Zeug nicht. Selbst Personen, die ständig um ihn sind, scheint er nicht zu kennen. Versuche habe bewiesen, dass er Personen und Gegenstände nicht wiedererkennt. Sprechen kann er bis auf das Wort ‚ja’ nicht, er stößt nur unartikulierte Laute aus. Durch eine Kleinigkeit ist er schnell zu erfreuen, besondere Freude lösen Eßwaren bei ihm aus. Hin und wieder beschmutzt er das Bett."

Damals bezeichnete man den Jungen als "schwachsinnig". Heute würde man den Zustand sicher anders beurteilen. Der Beschreibung nach war der Dreieinhalbjährige vielleicht einfach hypersensibel oder leicht autistisch. Vielleicht war er auch einfach nur überfordert.

Am 8. September 1941 wurde Hugo Stoltze auf Kosten der Sozialverwaltung Hamburg in den damaligen Alsterdorfer Anstalten untergebracht. Arnold Stoltze hatte wieder geheiratet und hielt zusammen mit seiner neuen Frau Kontakt zu dem Jungen. Er wurde zur Wehrmacht eingezogen und starb als Soldat, Hugo erhielt einen Vormund.

Als sich Hugos Stiefmutter im Mai 1942 bei einem Onkel in Groß Garz in der Altmark aufhielt, der dort einen Bauernhof betrieb, wollte sie Hugo zur Erholung zu sich holen. Die Anstaltsleitung lehnte die Bitte mit der Begründung ab, Hugo werde trotz aller Schwierigkeiten auch in "Alsterdorf" gut verpflegt. Es bestehe zudem aufgrund von Infektionskrankheitsfällen eine Urlaubssperre. Eine generelle Entlassung komme wegen Hugos Zustand nicht in Frage.

Bei den großen Luftangriffen der Alliierten im Juli/August 1943 wurden auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten beschädigt. Die Anstaltsleitung ließ mit Genehmigung der Hamburger Gesundheitsverwaltung durch die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin mehrere hundert Patienten und Patientinnen in "luftsichere" Gebiete verlegen. Der erste Transport von 128 Kindern und Männern verließ Hamburg am 7. August und teilte sich auf die Anstalten Kalmenhof in Idstein und Eichberg im Rheingau auf. Hugo Stoltze wurde zusammen mit 27 anderen Kindern in die Landesheilanstalt Eichberg überwiesen. Trotz fehlender Unterlagen, die der damalige Direktor kurz vor der Befreiung des Hauses durch die Amerikaner verbrannt hatte, steht fest, dass Hugo Stoltze in der Anstalt am 12. Oktober 1943 gestorben ist. Nach heutigen Erkenntnissen war die Kinderabteilung der Anstalt eine reine Tötungsabteilung. Dort gab es "Euthanasie-Ärzte", die nach der Definition der Nationalsozialisten "unwertes Leben", wozu auch als "schwachsinnig" geltende Kinder zählten, auslöschten. Sie ließen sie verhungern oder gaben ihnen Giftspritzen. Man darf also annehmen, dass auch Hugo Stoltze als knapp Sechsjähriger in Eichberg so umgebracht wurde.

© Leon Mahnke, Luisa Müller

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 014; Michael Wunder/Ingrid Genkel/Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, Hamburg 1987; Landesheilanstalt Eichberg, http://lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/100.

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