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Hannchen Hinsch, Weihnachten 1908
Hannchen Hinsch, Weihnachten 1908
© Archiv Ev. Stiftung Alsterdorf

Hannchen Hinsch * 1885

Niedernstraße 2 e (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
HANNCHEN HINSCH
JG. 1885
EINGEWIESEN 1899
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
AM STEINHOF / WIEN
TOD AN FOLGEN
19.8.1945

Hannchen Auguste Henriette Hinsch, geb. am 17.11.1885 in Hamburg, eingewiesen am 7.12.1899 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 16.8.1943 in die Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, gestorben am 19.8.1945

Niedernstraße 2/Ecke Fischerstraße (Niedernstraße 100)

Am 7. Dezember 1899, kurz vor der Jahrhundertwende, veranlasste der Amtsarzt Maes die Einweisung der 14-jährigen Hannchen Hinsch in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Er hielt die Zweitälteste einer kinderreichen Arbeiterfamilie in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung für erheblich zurückgeblieben.

Hannchen Hinsch war am 17. November 1885 in einem Hinterhof des Gängeviertels der Hamburger Altstadt in der Breitestraße 11 zur Welt gekommen. Sie war in ungesunden Wohnverhältnissen aufgewachsen und infolge einer Mangelernährung bereits in frühester Kindheit an der "Englische Krankheit", an Rachitis, erkrankt und hatte deshalb auch erst im Alter von fünf Jahren gehen und sprechen erlernt. Von ihren zwölf Brüdern, Schwestern und Halbgeschwistern überlebten sieben das Kleinkindalter nicht. Ihre Eltern Johann Wilhelm Christian Hinsch (geb. 26.9.1856) und Johanna Carolina Henriette, geb. Busch (geb.12.12.1855), die am 7. September 1882 in Hamburg geheiratet hatten, lebten bei der Einweisung ihrer Tochter bereits getrennt.

Offenbar war Hannchen zunächst bei ihrem Vater geblieben, der am 13. Mai 1892 in zweiter Ehe Dorothea Henriette Elisabeth Beckmann (geb. 6.8.1860, gest.12.10.1924) geheiratet hatte. 1913 musste Johann Hinsch im Zuge der Sanierung der südlichen Altstadt mit seiner Familie die Wohnung in der Niederstraße 100 verlassen. Das Gebiet um die Niederstraße wurde zum Bau des Chilehauses im heutigen Kontorhausviertel abgerissen. Eine neue Bleibe fand die Familie in der Deichstraße 10. Hannchen wurde auch nach dem Tod ihres Vaters für Besuche bei der Familie beurlaubt, so am 31. Dezember 1921.

Ein erster Eintrag in ihrer Patientenakte vermerkte u.a.: "Kann ziemlich fließend lesen, schreiben und einigermaßen rechnen." Eine Abschrift ihres Schulzeugnisses aus dem Jahre 1900 belegt dies mit der Beurteilung "ziemlich gut". In den folgenden Jahren ihres Aufenthaltes in Alsterdorf wurden dann nur noch wiederholte ambulante und stationäre Behandlungen wegen etlicher Krankheiten notiert. Zudem musste sie auch oft wegen Abmagerung in die Krankenstation verlegt werden. Erst im Sommer 1924 wurde wieder notiert: "Sehr schwerhörig. Fleißig und brauchbar. Oft erregt. Abteilungsmädchen. Früher zanksüchtig, seit einiger Zeit verträglich. Solide."

Hannchen Hinsch wurde im Anstaltsbetrieb in der Wäscherei beschäftigt. Im Laufe der Zeit fielen ihre Beurteilungen immer negativer aus. Sie wurde als sehr "unverträglich" beschrieben. So hieß es z.B.: "hat fast immer Streit in der Abteilung" und "singt oft christliche Lieder, über die sie dann spottet". 1936 hieß es über sie: "Gibt sich Mühe, friedlich zu sein. Störend wirken nur ihre Selbstgespräche, die sie zu jeder Tageszeit, oft auch während der Andacht, führt."

Geriet sie mit ihren Mitpatientinnen in Streit und beruhigte sich nicht, wurde sie zur Strafe abends angegurtet oder in den Wachsaal mit der Begründung verlegt: "Macht in der Abteilung große Schwierigkeiten, ist boshaft, gehässig und missgünstig." Anfang April 1942 wurde nochmals auf ihre Gewichtsabnahme hingewiesen, sie sei "sehr hinfällig". Mit der Verdachtsdiagnose Tuberkulose kam sie wieder auf die Krankenstation.

In einem der letzten Einträge wurde über die mittlerweile 57-jährige Hannchen Hinsch festgehalten: "Pat.[ient] ist dauernd frech und ungezogen, redet schlecht von den Angestellten und hetzt die Kinder gegeneinander auf. Niemand will sie zur Arbeit haben, es blieb nur noch die Gemüsestube als Arbeitsstätte für sie übrig. Nun schimpft sie dauernd, dass so ein altes Mädchen sich dort in der Nässe plagen muss, und die Jungen dürfen sich in der Abteilung herumdrücken. Hier kann Pat.[ient] aber nicht sein, da sie dauernd alle Menschen reizt und ärgert. Sie will durch Ungezogenheiten erreichen, dass sie verlegt wird."

Über ihre Verlegung entschied der Leitende Oberarzt Kreyenberg. "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Wien" kam Hannchen Hinsch am 16. August 1943, zusammen mit 227 anderen Frauen und Mädchen in die Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien.

Bei ihrer Aufnahmebesprechung in Wien befragt, gab sie an: "Sie sei schon seit 44 Jahren in der Anstalt, nur weil sie geistig etwas beschränkt sei, sie habe aber immer in der Gemüsestube gearbeitet und war auch bei den Kindern." Bereits bei ihrer Ankunft in Wien wog sie untergewichtige 38 kg, schnell galt sie dort als bettlägerig und für eine Beschäftigung nicht geeignet.

Ihre verheiratete Schwester Albertine Meyer (geb. 9.2.1884) versuchte Kontakt zu halten und war im September 1944 beunruhigt, da sie keine Post mehr von ihr erhielt. Sie erkundigte sich mehrmals in Wien nach dem Gesundheitszustand ihrer Schwester. Obwohl Hannchen Hinsch am 15. Mai 1944 bereits in den "Pflegepavillon" verlegt wurde, heißt es in einem Antwortschreiben der Anstaltsleitung: "Ihre Schwester H. H. befindet sich gesundheitlich wohl, geschrieben hat sie Ihnen nicht, weil sie kein Geld hatte, Schreibzeug zu kaufen. Doch wird sie von uns eine Postkarte bekommen. Besuchen dürfen Sie Ihre Schwester natürlich, wenn Sie die Reiseerlaubnis zu diesem Besuch erhalten."

Und nach einer erneuten Anfrage im März 1945: "Ihre Schwester H. H. ist derzeit wegen Durchfällen bettlägerig. Auch sonst ist sie körperlich etwas geschwächt. Es wird versucht, sie zum Briefschreiben zu veranlassen."

Vielleicht erlebte Hannchen Hinsch das Kriegsende in Wien noch, weil ihre Schwester sich regelmäßig nach ihr erkundigte. Als sie am 19. August 1945 starb, war sie jedoch auf unglaubliche 24 Kilo abgemagert. Nicht auszuschließen ist, dass sie infolge von Nahrungsentzug langsam verhungert ist.


Stand: September 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf, Patientenakten der Alsterdorfer Anstalten, V 201 Hannchen Hinsch; StaH 332-5 Standesämter 2636 u 963/1882; StaH 332-5 Standesämter 2096 u 4144/1885; StaH 332-5 Standesämter 2796 u 514/1892; StaH 332-5 Standesämter 7017 u 7/1921; StaH 332-5 Standesämter 883 u 526/1924; Wunder: Exodus, S. 215.

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