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Bereits verlegte Stolpersteine



Edgar Horschitz 1922 in Reinbek
© Archiv David Blank, Jerusalem

Edgar Horschitz * 1887

Rothenbaumchaussee 31 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Riga
1940-41 Zuchthaus HH-Fuhlsbüttel, KZ Fuhlsbüttel

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Rothenbaumchaussee 31:
Erwin Horschitz, Jenny Landjung, Helene Lurie, Hertha Wohl, Erich Wohl

Edgar Bruno Horschitz, geb. 15.8.1887 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga

Rothenbaumchaussee 31

Edgar Bruno Horschitz wurde als jüngstes Kind von Kaufmann Julius Horschitz (1843-1910) und Ilka Betty Horschitz, geb. Fleischel (geb. 1854 in Leipzig) in Hamburg geboren. Vor ihm waren die Geschwister Erwin (1878), Walther (1880), Katharina (1882) und Richard (1884) ebenfalls in der Hansestadt zur Welt gekommen. Bei der Heirat 1877 in Hamburg waren beide Eltern mit jüdischer Religionszugehörigkeit vermerkt worden. Doch 1888 ließen sie in Hamburg-St. Georg ihre fünf Kinder christlich taufen.

Edgar besuchte in Hamburg die private Wahnschaff-Vorschule. Im April 1897 zog die Familie nach Kassel, woher Großvater Moritz (Moses) Horschitz stammte.

1905 erwarb Edgar Horschitz in Kassel mit seinem Schulabschluss am Realgymnasium (bis zur Oberprima) auch die Berechtigung zum verkürzten einjährigen Militärdienst. Im April 1906 reiste er zu seinem Vater nach England, wo er kurzzeitig in dessen Geschäft mitarbeitete und dann eine 2 ½ jährige Ausbildung in einer Londoner Metallfirma absolvierte. Entsprechend wurde er 1907 vom Militärdienst befristet zurückgestellt und erst 1908 gemustert. Im militärischen Erfassungsbogen wurden standardmäßig die Größe (170 cm), das Gewicht (66 kg) und der Brustumfang (87/95) sowie die Konfession (evangelisch) erfasst.

Kurz darauf schickte Edgar Horschitz über das deutsche Generalkonsulat London ein ärztliches Attest, was seine Einberufung weiter verzögerte. Auch im April/ Mai 1908 hielt er sich bei seinem Vater in London auf. Der Vater Julius Horschitz, 28 Jahre lang Gesellschafter bei "Arnthal & Horschitz Gebr." (Hamburg), starb im Oktober 1910 in Hempstead bei London. Bereits 1908 war Edgar Horschitz auf Wunsch seines Onkels in dessen Firma Staackmann, Horschitz & Co (Hamburg und Antwerpen) in verantwortlicher Stellung eingetreten. Die Firma war im Im- und Exportgeschäft tätig und besaß eine eigene Düngemittelfabrik, Edgar Horschitz wurde im Antwerpen-Geschäft der Firma eingesetzt. Unter anderem 1910 und 1911 hielt er sich für längere Zeit in Antwerpen auf und wurde dort in der Liste eingewanderter Ausländer verzeichnet.

Seinen Militärdienst leistete er von Oktober 1910 bis September 1911 beim 1. Kurhessischen Feldartillerie Regiment Nr. 11 in Kassel ab. Seine Brüder Erwin und Walter hatten ebenfalls bei einem Feldartillerie-Regiment gedient, allerdings in Baden. Edgar Horschitz beendete den Militärdienst als Unteroffizier und Offiziersanwärter. Anschließend war er wieder im Antwerpen-Geschäft seines Onkels tätig.

Ab Januar 1912 unternahm er für 1 ¼ Jahr eine Weltreise, "die mich zwecks Studium der Düngemittelverhältnisse und im Interesse des Absatzes unserer Fabrik über alle Erdteile führte." Im Oktober 1912 reiste er zusammen mit seinem Onkel Fritz W. Horschitz (geb. 1874 in Kassel), der sich im Mai 1905 aus Hamburg mit Ziel Antwerpen abgemeldet hatte, von Hongkong (britische Kronkolonie) nach Honolulu/ Hawaii (USA), dabei erkrankte Edgar Horschitz an Malaria. Diese Schiffsreise war ein Teilstück ihrer Route von Yokohama (Japan) nach Cherbourg (Nord-Frankreich).

Nach seiner Weltreise in Sachen Düngemittel wurde er 1913 von der Firma seines Onkels mit der Gründung und Leitung eines neuen Filialbüros in London beauftragt. Diese Tätigkeit dauerte bis Sommer 1914 an. Der Erste Weltkrieg beendete dieses internationale Leben, denn mit etlichen der noch kurz zuvor bereisten Länder befand sich das deutsche Kaiserreich nun im Kriegszustand.

Auch Edgar Horschitz meldete sich freiwillig zum Krieg. Nach der ersten Kriegserklärung verließ er London, um sich – mit seinen Worten "meinem Regiment in Kassel zur Verfügung zu stellen, rückte Mitte August 1914 mit Res.Feld.Art.Reg. 22 als Unteroffizier aus, wurde September 1914 zum Vizefeldwebel befördert und im Dezember 1914 zum Leutnant der Reserve ernannt. Ich war während der 4 Kriegsjahre an der Westfront eingesetzt und bei meinem Regiment als Batterieoffizier, Batterieführer, Beobachtungs- und Verbindungsoffizier zur Infanterie tätig. Ich erhielt als erster meiner Formation am 13.11.1914 das Eiserne Kreuz II. Klasse und für meine Tüchtigkeit vor Verdun 1916 zu Kaisers Geburtstag (Januar) 1917 das Eiserne Kreuz I. Klasse. Außerdem besitze ich das Hanseatische Verdienstkreuz sowie das Frontkämpfer-Abzeichen." Sein höchster militärischer Dienstrang bis 1918 war Hauptmann. Es ist anzunehmen, dass auch Edgar Horschitz nach dem Waffenstillstand an der Westfront (11.11.1918) nach Deutschland zurückkehrte und demobilisiert wurde.

Als das dritte Kind seines Bruders Erwin im Februar 1916 in der St. Johanniskirche in Hamburg-Eppendorf getauft wurde, war Edgar Horschitz neben Professor Rothfels und Clara Lamel einer der drei Taufpaten. Der Onkel Fritz Horschitz sowie Augusta Horschitz, geb. Villard (1880-1917) waren im Juni 1915 bei dem zweiten Kind von Erwin Horschitz Taufpaten gewesen.

Am 10. März 1919 ließ sich Edgar Horschitz in Hamburg einen Reisepass für "Inland & Holland" ausstellen. Seine Hamburger Wohnadresse lautete 1919 Grindelallee 9 II. Stock; das Hamburger Adressbuch der Jahre 1919 und 1920 verzeichnete ihn dort jedoch nicht als Hauptmieter, es ist also anzunehmen, dass er zur Untermiete wohnte.

Er zog nach Köln und arbeitete dort - wie vor dem Krieg - als Makler für die Firma seines Onkels in London und Antwerpen. Die ab 1933 erlassenen Gesetze und Verordnungen der Nationalsozialisten zerstörten seine wirtschaftliche Existenz. Zuletzt war er als selbständiger Kaufmann tätig, bis Ende 1938 mit "Reisetätigkeit im Textilbereich". In einem handschriftlichen Lebenslauf, verfasst 1940, merkte er dazu an: "Nachdem mir die weitere Ausübung meines Gewerbes infolge der Bestimmungen gegen die Volljuden nicht mehr möglich war, wurde ich von meinen Angehörigen in Hamburg aufgenommen und seitdem von ihnen unterstützt."

Für das Jahr 1939 lautete seine Adresse Rothenbaumchaussee 31/ Ecke Johnsallee. 1940 gab er an, in der Hamburgerstraße 70 bei dem verwandten Rechtsanwalt Hans Arnthal (1883-1963) zu wohnen, der jedoch bereits im November 1938 mit seiner Ehefrau Franziska über die Schweiz nach Australien emigriert war.

Ab 1933 war er im nationalsozialistischen Deutschland aufgrund seiner jüdischen Herkunft schrittweise ausgegrenzt und entrechtet worden. Mit dem "Reichsbürgergesetz" und dem "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (Blutschutzgesetz)" wurden Juden 1935 in Deutschland zu Bürgern minderen Rechts degradiert. Eheschließungen und intime Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden waren nun verboten und wurden juristisch verfolgt. Am 6. Januar 1940 wurde Edgar Horschitz aufgrund des vom NS-Staat neu geschaffenen Straftatbestandes "Rassenschande" inhaftiert. Das Gericht verurteilte ihn am 24. April 1940 zu zwei Jahren Zuchthaus; vertreten wurde er vor Gericht von "Konsulent" Hugo Möller (1881-1951), in der erhalten gebliebenen Gefängnisakte findet sich keine Abschrift des Urteils.

Anfang Juni 1940 wurde er vom Untersuchungsgefängnis Hamburg in das Gefängnis Fuhlsbüttel verlegt, wo er auf Station E4 in Zelle 139 inhaftiert wurde und zum Tütenkleben eingeteilt war. Gegen das Urteil legte er am 26. April 1940 Berufung ein. Bereits am 25. April 1940 vermerkte ein Justizinspektor von der Staatsanwaltschaft auf einem Schriftstück in der Gefängnisakte: "Der Verurteilte ist nach Strafverbüßung der Kriminalpolizei in Hamburg zuzuführen."

Anscheinend wurde weder dem Rechtsanwalt Möller noch dem Verurteilten jemals eine Abschrift des Urteils zugeleitet. Ab September 1940 bemühten sich beide darum, erst im März 1941 erhielten sie das Schriftstück.

Besuch erhielt Edgar Horschitz alle drei Monate von seinem Bruder Erwin Horschitz (siehe http://www.stolpersteine-hamburg.de) im September 1941 auch von seiner Schwester Katharina Goldschmidt, geb. Horschitz (1882-1942). Zudem vermerkte die Gefängnisakte drei Besuche von "Konsulent" Hugo Möller (November 1940, Juli 1941, September 1941) und einen Besuch von "Konsulent" Scharlach (September 1941) – insgesamt also 10 persönliche Kontakte mit der Außenwelt in den zwei Jahren seiner Haftzeit.

Und nicht immer erreichten Edgar Horschitz‘ Briefe seine Familienangehörigen, so wie ein Schreiben im Oktober 1941, das in der Gefängnisakte abgeheftet wurde. Edgar Horschitz beantragte im März 1941 eine Bibel und ein Gesangbuch und im Juli 1941 die "Aushändigung folgender Bücher & Effekten: 1) Der Messias von Klopstock, 2) Geschichtstabellen, 3) Reklamekatalog zu seinem Fortbildungszwecken" (das Klopstock-Buch wurde abgelehnt).

Am 29. Januar 1941 stellte "Konsulent" Möller (Rathausstraße 27) ein Gnadengesuch zum Erlass der Reststrafe, das am 13. März 1941 von Oberstaatsanwalt Stegemann abgelehnt wurde. (Es dürfte sich hierbei um den doppelt promovierten Wilhelm Stegemann, geb. 16.4.1895 in Hamburg, gehandelt haben, der u.a. im Prozess gegen Fiete Schulze (siehe http://www.stolpersteine-hamburg.de) 1935 als Anklagevertreter für die Todesstrafe plädierte und im Falle einer angeblichen "Rassenschande" bei Manfred Heckscher (siehe http://www.stolpersteine-hamburg.de) 1938 maßgeblich an der Verurteilung zu sechs Jahren Zuchthaus beteiligt war.)

Durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs war eine Auswanderung aufgrund der Vielzahl geschlossener diplomatischer Vertretungen, geschlossener Grenzen und teilweise eingestellter Verkehrsverbindungen nur noch sehr schwer möglich. Edgar Horschitz gelang sie nicht. Am 23. Oktober 1941 erließ das Deutsche Reich ein Auswanderungsverbot für Juden.

Am 25. Oktober 1941 wurden die ersten Juden von Hamburg in das Getto im besetzten Lodz deportiert. Schon Anfang November 1941 befürchteten seine Angehörigen daher die Deportation von Edgar Horschitz. Deshalb schrieb sein Bruder Erwin am 10. November an die Zuchthausverwaltung: "Da ich mit der bevorstehenden Evacuierung meines Bruders Edgar Horschitz rechne, bitte ich höflichst um Genehmigung eines Besuches außerhalb der Reihe am Donnerstag, den 13. ds, zwecks Besprechung der mitzunehmenden und vorzubereitenden Garderobe, Reiseeffekten etc.".

Dieser Antrag wurde am 12. November genehmigt, gleichzeitig informierte das Zuchthaus mit signalrotem Formular die Geheime Staatspolizei, dass der Inhaftierte am 5.1.1942 entlassen werden solle, die Kriminalpolizei erhielt ein gleichlautendes blaues Formular. Dazu kam es nicht mehr: Am 14. November 1941 ordnete der Oberstaatsanwalt des Landgerichts Hamburg die Haftunterbrechung wegen "der Evakuierung" an. Dazu wurde er in das Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel überstellt. Ein Verwaltungsinspektor notierte diesen Willkürakt wie eine rechtsstaatliche Entscheidung in der Akte.

Der 54jährige Edgar Horschitz wurde am 6. Dezember 1941 zusammen mit rund 1000 Personen von Hamburg in das Außenlager Jungfernhof des Gettos Riga deportiert. Dort verliert sich seine Spur. Rund 95% der Lagerinsassen starben.

Stand: November 2020
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 332-5 (Standesämter), 9025 u. 3722/1887 (Geburtsregister 1887, Edgar Horschitz); StaH 332-8 (Meldewesen), Mikrofilm K 6285 (Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925, Fritz Wilhelm Horschitz); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 185 (Reisepassprotokolle 1897-1929), 1553/1919 (Edgar Horschitz); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 187 (Reisepassprotokolle 1897-1929), 3865/1919 (Edgar Horschitz); StaH 242-1 II (Gefängnisverwaltung II), 2316 (Edgar Horschitz, darin handgeschriebener Lebenslauf vom 4.6.1940); StaH 342-2 (Militär-Ersatzbehörden), D II 127 Band 3 (Edgar Horschitz, 1907-1908); StaH 741-4 (Fotoarchiv), A 255 (Mikrofilm von StaH 242-1 II, Gefängnisverwaltung II, Untersuchungshaftkartei für Männer, Ha-Hy, 17512); StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), A 3449 (Dr. Dr. Wilhelm Johannes Christian Stegemann); Stadtarchiv Kassel, Meldekarten (Edgar Horschitz); Landesarchiv Berlin (über ancestry), Sterberegister 1917 (Augusta Horschitz, geb. Villard, Ehemann: Walter August Horschitz in Charlottenburg bei Berlin); YadVashem Page of Testimony (Edgar Horschitz, 2017, ohne Foto); Kirchengemeinde Hamburg-St. Georg, Taufregister 936/1888 (19.10.1888 Erwin Horschitz, Walther Horschitz, Katharina Horschitz, Richard Horschitz, Edgar Horschitz); Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Riga-Komitee der deutschen Städte (Hrsg.), bearbeitet von Wolfgang Scheffler u. Diana Schulle, Buch der Erinnerung: Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, 2011, S. 612 (Edgar Horschitz, Hamburg, Beneckestr. 2); Hamburger Börsenfirmen 1910, S. 630 (Staackmann, Horschitz & Co., gegründet 1901, Inhaber: Hermann E.A.W.E. Staackmann/ Antwerpen, Fritz Wilh. Horschitz/ Brüssel, Friedr. Ernst Hans Thielecke/ Hamburg u. Francis Gerard Baker/Hamburg, Niederlassung in Antwerpen, Import von Indien: Düngemittel, Futtermittel, Salpeter, Knochenschrot-Mehl, Futterkuchen, Adresse in Hamburg: Dovenhof 51-53); Hamburgs Handel und Verkehr, Illustriertes Export-Handbuch der Börsenhalle 1912/1914, Hamburg, ohne Datum, S. 140 (Staackmann, Horschitz & Co., Dovenhof 63, Export von Düngemitteln und Futtermitteln, Import von Düngemitteln und Futtermitteln); Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg. Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S. 116 (Dr. Hans Arnthal); Adressbuch Hamburg 1910 (Staackmann, Horschitz & Co.); Adressbuch Hamburg 1941 (Dr. Wilh. Stegemann, Staatsanwalt, Eidelstedterweg 21); www.ancestry.de (Passagierliste 1912 von Hongkong nach Honolulu); www.stolpersteine-hamburg.de (Erwin Horschitz); https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Akten-aus-der-NS-Zeit-So-urteilten-Hamburger-Richter,naziakten116.html (gesendet 3.9.2919, darin auch Dr. Stegemann erwähnt).

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