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Linda Jensen * 1921

Wendenstraße 155 (Hamburg-Mitte, Hammerbrook)


HIER WOHNTE
LINDA JENSEN
JG. 1921
EINGEWIESEN 15.6.1929
ALSTERDORFER ANSTALTEN
1943 HEILANSTALT WEILMÜNSTER
"VERLEGT" 22.4.1944
HEILANSTALT HADAMAR
ERMORDET 22.5.1944

Linda Jensen, geb. 26.1.1921 in Hamburg
aufgenommen am 15.6.1929 in den Alsterdorfer Anstalten,
verlegt am 9.3.1943 nach Langenhorn, am 26.5.1943 nach Weilmünster, am 22.4.1944 nach Hadamar, Tod dort am 22.5.1944

Linda wurde am 26. Januar 1921 in Hamburg geboren und starb mit 23 Jahren in der damaligen Landesheilanstalt Hadamar in Nassau. Ihre Mutter, Auguste Jensen, war bei ihrer Geburt 34 Jahre alt und ledig, ihr Vater 49 Jahre alt. In der Familie der Mutter waren Lungenkrankheiten verbreitet, sie selbst litt an Tuberkulose.

Über Lindas erste Lebensjahre ist nichts Näheres bekannt. Die Mutter arbeitete als Plätterin. Lindas Weg durch die Heil- und Pflegeanstalten begann in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg im Alter von acht Jahren. Von dort wurde sie am 15. Juni 1929 mit der Diagnose "mittelgradiger Schwachsinn" in die damaligen Alsterdorfer Anstalten überwiesen, wo sie fast vierzehn Jahre verblieb. Für ihre Unterbringung kam die Sozialfürsorge auf und gab ihr den Lehrer Willi Bless, der in Hamm Am Elisabethgehölz 3 wohnte, zum Vormund.

Linda besuchte die Alsterdorfer Anstaltsschule viereinhalb Jahre lang ohne nennenswerten Erfolg. Sie erledigte die ihr aufgetragenen Hausarbeiten lustlos und geriet immer wieder mit dem Personal in Konflikt. Sie fügte sich nicht und war durch nichts dazu zu bewegen, sich den Forderungen nach Ordnung und Ehrlichkeit anzupassen. Um sie ständig beaufsichtigen zu können, wurde sie Dauerpatientin im Wachsaal, war aber auch dort nicht zu bändigen.

Aufgrund ihrer "Frühreife und mangelnden Einsichtsfähigkeit" wurde entschieden, dass sie sterilisiert werden müsse. Bereits mit fünfzehn Jahren wurde sie zwangsweise diesem Eingriff, am 16. Juni 1936 im Krankenhaus Eppendorf, unterzogen. Ende 1937 wandte sich der leitende Arzt der Anstalt, Gerhard Kreyenberg, an die Fürsorgebehörde mit einer kurzen Begründung für die Notwendigkeit eines weiteren Anstaltsaufenthalts: Linda Jensen leide an einem "Schwachsinn erheblichen Grades", außer in ihrer Körperpflege sei sie unselbständig und im Umgang sehr schwierig.

Als das Reichsministerium des Innern Meldebögen an alle Heil- und Pflegeanstalten zur Erfassung der Kranken verschickte, zögerte die Leitung der damaligen Alsterdorfer Anstalten mit der Ausfüllung und Rücksendung. Unter den schließlich doch eingesandten Meldebögen war auch der von Linda Jensen. Welche Rolle er für sie spielte, geht im Einzelnen nicht aus den Akten hervor. Gerhard Kreyenberg erschien Linda Jensen 1943 nicht mehr tragbar, weshalb er sie in die damalige Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn verlegte. Der Mutter gegenüber begründete er diesen Schritt mit einer Verschlimmerung von Lindas Unbeherrschtheit und Streitsucht.

Am 9. März 1943 kam sie mit einem Sammeltransport nach Langenhorn, wo sie sich auf der Frauenstation 11 bei Schwester Pertzel willig und freundlich in die neue Umgebung einfügte und kleine Handreichungen übernahm, womit sie prahlte, was wiederum die Mitpatientinnen und das Personal abstieß. Es dauerte nicht lange, und Linda wurde bei der Hausarbeit und in ihrer eigenen Körperpflege nachlässig. Aufgrund eines Intelligenztests wurde sie als "hochgradig schwachsinnig" eingestuft. Im April 1943 wurde Linda auf Wunsch der Mutter, die inzwischen nach Niendorf umgezogen war, gegen den Willen der Ärzte für drei Tage beurlaubt.

Linda stahl bei Mitpatientinnen Brot, naschte gern, war frech. Vom Pflegepersonal zur Rede gestellt, stritt sie alles ab. Vermutlich spielte ihr unkontrolliertes und unkontrollierbares Verhalten eine Rolle, als Patientinnen für die Verlegung nach Weilmünster im Oberlahnkreis ausgewählt wurden.

Mit Fortschreiten des Zweiten Weltkriegs wurden die Heil- und Pflegeanstalten in die katastrophenmedizinische Planung einbezogen und mussten Betten für Kranke, Verwundete und Bombenopfer bereit stellen, die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn sollte in ein Allgemeines Krankenhaus umgewandelt werden. "Langenhorn" diente auch als Durchgangsstation für Patienten und Patientinnen aus Norddeutschland in andere Anstalten und wurde so zu einer "Drehscheibe der Euthanasie". Es wurde Raum durch Verlegungen geschaffen. Am 25. Mai 1943 wurden 60 Frauen nach Weilmünster im Oberlahnkreis transportiert, eine Anstalt, die als Zwischenstation zur Tötungsanstalt Hadamar gedient hatte und auch nach dem "Euthanasie-Stopp" weiter diente, wo selbst danach durch Hungerrationen getötet wurde.

Lindas Mutter erhielt am 9. Juni die Nachricht, dass sich ihre Tochter eingelebt habe und in der Schälküche beschäftigt werde; man "wolle sehen, wie sie dort sich fügt". Um ein genaueres Bild von ihr zu bekommen, müsse sie noch etwas länger bleiben, Besuch sei jederzeit gestattet, die Bahnstation heiße Weilmünster-Kurhaus.

Drei Monate später schrieb die Direktion an Lindas Mutter auf deren Bitte um Auskunft:
"Ihre Tochter, die wie ich Ihnen am 9.6.43 mitteilte, versuchsweise in der Schälküche tätig war, musste dort wieder entfernt werden. Sie war dort faul, unlenksam und ist sowohl hier als auch dort sehr verstohlen. Da sie zu gar nichts zu gebrauchen ist und Alles stiehlt, muss sie dauernd zu Bett liegen. Körperlich geht es ihr gut." Trotz dieser Maßnahme gelang es Linda, wieder Brot zu stehlen, woraufhin sie – zur Strafe - "auf’s Bodenbett [kommt] und Schleimkost erhält sowie 1 ccm Apomorphin".

Im Februar des neuen Jahres erhielt Linda ein Paket von ihrer Mutter, auf das sie selbst antwortete, und für die Zeit vom 1. bis 5. April 1944 beantragte die Mutter eine Besuchs-genehmigung, die auch unter Nennung örtlicher Hotels erteilt wurde. Ob es zu diesem Besuch gekommen ist, ist nicht bekannt. Drei Wochen später wurde Linda nach Hadamar verlegt, ohne dass ihre Mutter davon benachrichtigt worden wäre. Die Mutter erhielt erst am 20. Mai 1944 eine Nachricht von der Direktion, dass Linda am 22. April dorthin verlegt worden und an einer Darmgrippe mit hohem Fieber schwer erkrankt sei. Da Herzschwäche bestehe, sei Lebensgefahr nicht ausgeschlossen. Besuch sei gestattet. In Hadamar wurden nach dem Stopp der Massentötungen durch Gas Einzeltötungen durch Nahrungsentzug und tödliche Spritzen vorgenommen. Dass Linda Jensen auf diese Weise zu Tode kam, ist anzunehmen.

Am 22. Mai 1944 erhielt Frau Jensen telegrafisch die Nachricht von Lindas Tod. Linda wurde auf Wunsch der Mutter auf dem Anstaltsfriedhof beigesetzt, ihre Mutter zahlte für die Grabpflege 50 RM und verzichtete auf die Zusendung der Kleidung ihrer Tochter.

© Hildegard Thevs

Quellen: Staatsarchiv Hamburg, 332-5 Standesämter, (StA 22a, 293/1921); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 1995/1, 31305 Erbgesundheitsgutachten in Akte Anna Bollhagen; 31310; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 266; Marien-Lunderup, Regina: Die Anstalten Eichberg und Weilmünster in: Wege in den Tod; Wunder, Michael, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 2. Aufl. Hamburg 1988.

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