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Bereits verlegte Stolpersteine



Carl Hertz Müller * 1891

Fuhlsbüttler Straße 145 (Hamburg-Nord, Ohlsdorf)


HIER WOHNTE
CARL HERTZ MÜLLER
JG. 1891
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Carl Hertz Müller, geb. am 11. 8. 1891 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Ohlsdorf, Fuhlsbüttler Straße 145

Carl Hertz Müller war eines von neun Kindern des jüdischen Ehepaares Siegmund Müller und Emilie, geborene Haarburger. Die Eheleute, beide gebürtige Hamburger, hatten am 16. Januar 1885 geheiratet. Siegmund Müller verdiente wie sein Vater seinen Lebensunterhalt als Zigarrenarbeiter. Emilie Haarburger lebte bis zu ihrer Heirat bei den Eltern. Ihr Vater war Friedhofsaufseher, laut Hamburger Adressbuch "Inspector d. israelit. Begräbnißplatzes". Schon ein Jahr nach der Heirat wandte sich auch Siegmund Müller der Verwaltung des Jüdischen Friedhofes zu. Seine Berufsbezeichnung lautete nun Friedhofsverwalter oder Friedhofsaufseher. Die Familie wohnte in der Fuhlsbüttler Straße 605 im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf unweit des Jüdischen Friedhofs an der Ilandkoppel. Hier kamen alle neun Kinder zur Welt: Ernst Aron Müller, geboren am 3. Februar 1886, Alice Mathilde Müller, geboren am 18. Februar 1887, Jeanette Hedwig Müller, geboren am 22. Februar 1888, Gertrud Flora Müller, geboren am 4. Mai 1889, Margaretha Emmi Müller, geboren am 27. Juni 1890, Carl Hertz Müller, geboren am 11. August 1891, Hans Josef Müller, geboren am 2. Januar 1893, Paul Edgar Müller, geboren am 27. Mai 1894, Willi Leopold Müller, geboren am 5. Oktober 1897.

Über die Kindheit und Jugend von Carl Hertz Müller ist wenig überliefert. Wir wissen nur, dass er als Gelegenheitsarbeiter auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf von 1920 bis Januar 1938 Kultussteuern an die Jüdische Gemeinde zahlte. Bei seinem Eintritt in die Jüdische Gemeinde im Jahre 1920 wohnte er nicht mehr bei seinen Eltern, sondern zur Untermiete in der Fuhlsbüttler Straße 145.

Carl Hertz’ Vater starb am 7. Juli 1923, seine Mutter vierzehn Jahre später am 9. Dezember 1937. Einen Monat darauf, am 14. Januar 1938, wurde Carl Hertz Müller in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen. Der Grund hierfür ist nicht bekannt. Seine Patienten-Karteikarte enthält nur seine Patientennummer und als Berufsstand "Arbeiter". Von Friedrichsberg kam Carl Hertz Müller am 25. Januar 1938 in das Versorgungsheim Farmsen.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Jüdinnen und Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Carl Hertz Müller traf am 20. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September wurde er mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Menschen umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Carl Hertz Müllers Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Drei weitere Geschwister von Carl Hertz kamen im Holocaust ums Leben. Alice Mathilde Müller hatte am 22. Dezember 1907 den Geschäftsführer Heinrich Sochazcewski geheiratet. Er war am 1. September 1869 in Breslau als Sohn jüdischer Eltern geboren worden. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter sowie der am 16. Februar 1914 geborene Sohn Werner hervor. Heinrich Sochaczewski starb am 5. August 1929. 1938 bekam Alice Sochaczewski eine Wohnung im Lazarus Gumpel Stift in der Schlachterstraße 47. Kurze Zeit später gelang beiden Töchtern die Flucht ins Ausland, so dass sie die NS-Zeit überlebten. In dem Wohnstift lebte auch der Witwer Leopold Graff, geboren am 23. August 1874 in Altona. Mit ihm ging Alice Sochaczweski 1939 eine zweite Ehe ein. Ihr neuer Ehemann war wie Alice verwitwet. Alice und Leopold Graff bekamen eine Wohnung in der Schlachterstraße 47 Haus 6 in der Hamburger Neustadt. Werner, Alices Sohn aus der ersten Ehe, lebte zeitweise bei ihnen in der Wohnung. Dort erhielt das Ehepaar den Befehl, sich zur "Evakuierung" im Logengebäude in der Moorweidenstraße einzufinden. Alice Mathilde und Leopold Graff wurden am 18. November 1941 mit einem Transport von 407 Menschen nach Minsk verschleppt. Werner Sochaczewski war bereits mit dem ersten Transport am 8. November 1941 nach Minsk deportiert worden. Alle drei wurden ermordet. Für sie liegen Stolpersteine in der Neustadt, Großneumarkt 38 (s. www.stolpersteine-hamburg.de).

Hans Josef Müller hatte den Beruf des Friseurs ergriffen. Nach Haftzeiten in den Zuchthäusern Bremen-Oslebshausen und Hamburg-Fuhlsbüttel wurde er am 10. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert und dort am 6. Januar 1943 ermordet. Als Todesursache wurde "Herz- und Kreislaufschwäche" angegeben.

Gertrud Flora Müller heiratete am 28. Februar 1909 den am 17. September 1882 geborenen evangelischen Nikolaus Konrad Horn, Sohn eines Zigarrenarbeiters und von Beruf Kontorist. Aus dieser 1921 geschiedenen Ehe entstammte die Tochter Margarethe Emilie. Gertrud heiratete 1923 erneut. Sie hieß nun Gertrud Flora Dawartz und wurde nach der Ausbombung 1943 mit ihrem Mann von Hamburg nach Regensburg evakuiert. Die Regensburger Gendarmerie nahm sie am 2. Dezember 1943 aufgrund einer Denunziation in Haft und hielt sie fast fünf Monate im Untersuchungsgefängnis Regensburg fest. Von dort wurde sie am 24. April 1943 nach Auschwitz deportiert und starb angeblich am 12. August 1944. Sie wurde vom Amtsgericht Parsberg, einer Stadt im Oberpfälzer Landkreis Neumarkt, auf den 31. Dezember 1945 für tot erklärt. Ihrer Tochter war rechtzeitig die Flucht ins Ausland gelungen.

Paul Edgar Müller hatte die Oberrealschule in Hamburg-Eppendorf bis zur Quarta und anschließend die Talmud Tora Realschule bis zur Prima besucht. Danach erlernte er den Beruf des Kaufmanns und arbeitete anschließend als kaufmännischer Angestellter bei seiner Lehrfirma Erich Eduard Bintz, Agentur und Commission, Ferdinandstraße 29. Ab Mai 1915 bis Kriegsende leistete er Militärdienst als Infanterist. 1925 gründete er das Unternehmen "Paul Edgar Müller & Co., Hausmakelei und Versicherungen". 1937 wurde ihm die Leitung seiner Firma entzogen. Er konnte die Miete für seine Wohnung in der Rothenbaumchaussee 60 nicht mehr aufbringen und fand nach langem Suchen eine andere in der Hammer Landstraße 233. Wegen des Verdachts "Geldschmuggel ins Ausland" wurde er verhaftet, konnte den Vorwurf aber widerlegen und wurde wieder frei gelassen. Daraufhin floh er in die USA.

Willi Leopold Müller heiratete 1926 die Nichtjüdin Minna Ida Kock. Das Ehepaar bekam am 6. April 1928 die Tochter Hildegard Karoline. Sie wurde nichtjüdisch erzogen, Willi Leopold lebte in "privilegierter Mischehe". Er wurde jedoch "infolge nichtarischer Abstammung" am 9. Oktober 1935 "mit Gehaltszahlung bis Juni 1936" nach vierzehnjähriger Tätigkeit aus seiner Stellung als Krankenpfleger in der Staatskrankenanstalt Langenhorn entlassen.

Ab Juni 1939 wurde Willi Leopold Müller durch die beim Arbeitsamt eingerichtete Vermittlungsstelle für Juden zwangsverpflichtet, sogenannte Unterstützungsarbeit zu leisten. Bis 1945 musste er bei fünf verschiedenen Firmen körperlich schwer arbeiten, wurde aber nicht deportiert. Er, seine Ehefrau Minna Ida und seine Tochter Hildegard mussten Ende 1943 in das "Judenhaus" Dillstraße 15 ziehen. Willi Leopold überlebte die NS-Zeit. Er starb 1964 in Hamburg.

Margaretha Emmi Müller heiratete am 30. August 1912 den am 30. November 1881 in Hamburg geborenen, evangelisch-lutherischen Handlungsgehilfen Martin Anton Gach. Das Ehepaar bekam am 17. September 1913 einen Sohn, Karl Siegmund. Ihr Sohn Karl Siegmund wurde nicht im jüdischen Sinne erzogen, so dass Margaretha Emmi Gach in sogenannter privilegierter Mischehe lebte und dadurch zunächst vor einer Deportation geschützt war. Ab Anfang 1945 galt auch dieser relative Schutz nicht mehr. Margaretha Emmi Gach wurde am 14. Februar 1945 mit dem letzten Transport aus Hamburg zusammen mit weiteren 193 jüdischen Menschen nach Theresienstadt deportiert. Am 5. Mai 1945 übergab die SS dem IKRK die Verantwortung für Theresienstadt. Am 8. Mai 1945 traf die Rote Armee dort ein. Margaretha Emmi Gach überlebte die Gefangenschaft und kehrte nach Hamburg zurück. Ihr Ehemann starb am 29. Juni 1966 im Alter von 84 Jahren. Sie selbst verschied am 8. Mai 1976.

Jeanette Hedwig Müller heiratete am 5. April 1910 den Hamburger Kommis (Handlungsgehilfen) Hugo Ludwig Kauffmann. Dem Umstand, dass ihr Ehemann der evangelisch-lutherischen Konfession angehörte, dürfte es zu verdanken sein, dass sie die NS-Zeit überlebte. Sie starb am 15. Juli 1963 in ihrer Geburtsstadt.

Ernst Aron Müller wurde Buchhalter. Er wanderte Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA aus, wo er eine Familie gründete. Dort starb er 1963.


Stand: Dezember 2018
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 9; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; 332-5 Standesämter 952 Sterberegister Nr. 469/1929 Heinrich Sochaczewski, 1070 Sterberegister Nr. 462/1937 Emilie Müller 2009 Geburtsregister Nr. 5313 Martin Anton Gach, 3089 Heiratsregister Nr. 844/1907 Alice Müller/Heinrich Sochaczewski, 6469 Geburtsregister Nr. 74/1909 Gertrud Flora Müller/Nikolaus Konrad Horn, 6475 Heiratsregister Nr. 187/1910 Ludwig Hugo Kauffmann/Jeanette Hedwig Müller, 7035 Sterberegister Nr. 898/1923 Siegmund Müller, 8517 Heiratsregister Nr. 36/1885 Siegmund Müller/Emilie Haarburger, 9507 Geburtsregister Nr. 12/1886 Ernst Aaron; 9507 Geburtsregister Nr. 23/1887 Alice Mathilde, 9508 Geburtsregister Nr. 15/1888 Jeanette Hedwig, 9508 Geburtsregister Nr. 49/1889 Gertrud Flora, 9509 Geburtsregister Nr. 64/1890 Margaretha Emmi, 9509 Geburtsregister Nr. 92/1891 Carl Hertz Müller, 9510 Geburtsregister Nr. 3/1897 Hans Josef Müller, 9511 Geburtsregister Nr. 70/1894 Paul Edgar Müller, 9549 Heiratsregister Nr. 40/1912 Müller Margarethe/Gach Martin, 10158 Sterberegister Nr. 807/1964 Willi Leopold Müller, 13228 Geburtsregister Nr. 141/1899 Willi Leopold Müller; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 16838 Paul Edgar Müller, 22011 Willi Leopold Müller; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e 2 Band 2, Band 3, Band 5 Deportationslisten; 731-1 (Handschriftensammlung) Markgraf Kurt, Aus der Geschichte des Pflegeheims Farmsen: Vom Werk- und Armenhaus zum Pflegeheim, Dokument 23; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Carl Hertz Müller der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; Stadtarchiv Norderstedt, Heiratsregister Garstedt, Nr. 14/1926 Willi Leopold Müller/Minna Ida Kock; Copy of 1.1.2.1/603621 
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, Auszug aus dem Sterbezweitbuch des Standesamtes Auschwitz; Copy of 1.2.2.1/11759239 
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, Auszug aus dem Gefangenenbuch des Landgerichtsgefängnisses Regensburg; Copy of 1.2.2.1/11767626
 in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, Karteikarte des Gerichtsgefängnisses Regensburg; Copy of 1.1.42.2/5027765 
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, Kartei Getto Theresienstadt; Copy of 6.3.3.2/102139646 
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, Korrespondenzakte T/D - 571 415; Copy of 6.3.3.2/102139647 
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen Korrespondenzakte T/D - 571 415; Copy of 6.3.3.2/102139648
 in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen Korrespondenzakte T/D - 571 415; Copy of 6.3.3.2/102139650
 in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen Korrespondenzakte T/D - 571 415; Copy of 1.1.2.1/603621
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, Auszug aus dem Sterbezweitbuch des Standesamtes Auschwitz wegen Hans Müller; Copy of 1.2.2.1/11688044, 11688058, 11688059 in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, Listenmaterial Gruppe PP; Brunotte, Sabine, schriftliche Auskunft, E-Mail vom 28.8.2016.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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