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Bereits verlegte Stolpersteine



Helena Saldorf * 1858

Deichstraße 29 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
HELENA SALDORF
JG. 1858
EINGEWIESEN 1939
HEIANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Helena Saldorf, geb. am 30.8.1858 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Altstadt, Deichstraße 29 (ehemals Deichstraße 30)

Helena Saldorf kam als ältestes von drei Kindern der jüdischen Eheleute Salomon Michel und Miehne Saldorf am 30. August 1858 in Hamburg zur Welt. Nach ihr wurden Mathilde am 4. September 1861 und Miguel am 3. Juni 1865 ebenfalls in Hamburg geboren. Die Familie bekannte sich zur jüdischen Religion. Die Eltern, Salomon Michel Saldorf, geboren am 25. August 1820 in Bremen, und Miehne, geborene Collin, geboren im April 1824 in Plön, hatten am 21. Februar 1858 in Hamburg geheiratet.

Die Familie Saldorf wohnte bei Helenas Geburt in der Straße Hütten 61 in der Hamburger Neustadt, bei der Geburt der beiden anderen Kinder in der Görttwiete zwischen Hopfenmarkt und Rödingsmarkt in der Hamburger Altstadt.

Salomon Michel Saldorf übte zunächst den Beruf des Lithographen aus. Seine Aufgabe bestand darin, Druckvorlagen möglichst genau seitenverkehrt auf den Lithographiestein zu übertragen. Schon zur Zeit von Helenas Geburt hatte er seinen Tätigkeitsbereich um den Steindruck erweitert. Die Steindruckerwerkstatt und die Familienwohnung befanden sich an derselben Adresse, Hütten 61. Das Hamburger Adressbuch weist den Steindrucker "M. Saldorf" ab 1867 in der Deichstraße 31 (heute Deichstraße 29) in der Hamburger Altstadt aus. Hier lebte und arbeitete die Familie mehr als zwanzig Jahre. Neben der Lithographie und Steindruckerei in der Deichstraße 31, am Fischmarkt 2 und in der Straße Schopenstehl 15/16 beteiligte sich Michel Saldorf an einem Unternehmen unter dem Namen Saldorf & Heinike, Lithographie, Buch- u. Steindruckerei mit fast identischem Firmenzweck. Als Salomon Michel 1874 starb, übernahm seine Witwe Miehne den Betrieb und führte ihn bis 1891 weiter. Helenas Saldorfs Bruder Miguel war in das Druckereiunternehmen eingestiegen. Er heiratete 1892 die ebenfalls jüdische Schneidertochter Emily Lazarus, geboren am 22. Juni 1874 in Manchester. Miehne Saldorf gab den Betrieb in der Deichstraße auf, so dass sich Miguel Saldorf auf das neue Unternehmen konzentrierte.

Miehne Saldorf wohnte nun zusammen mit ihrem Sohn und wahrscheinlich auch mit Helena in der Großen Reichenstraße 49/51, ebenfalls in der Hamburger Altstadt gelegen. Ob die zweite Tochter Mathilde noch im Haushalt der Mutter lebte, ist nicht bekannt.

Über Helena Saldorfs Kindheit, Jugend, Schulbesuch oder Ausbildung ist nichts überliefert. Ihre Patienten-Karteikarte lässt erkennen, dass sie gesundheitliche Probleme hatte und gegen Ende des 19. Jahrhunderts stationär in der "Irrenanstalt Friedrichsberg” behandelt wurde.

Im November 1904 wurde sie in der "Irrenanstalt Langenhorn" aufgenommen. Dies erlebte ihre Mutter Miehne nicht mehr. Sie war am 8. Februar 1903 gestorben. 1935 kam Helena Saldorf in das Carl-Ninck-Haus der diakonischen Anstalten Anscharhöhe in Lokstedt (heute Hamburg-Eppendorf). Im Juli 1939 wurde sie erneut Patientin der jetzt Heil- und Pflegeanstalt genannten Einrichtung in Langenhorn.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel transportiert. Helena Saldorf war mit 82 Jahren die zweitälteste der Gruppe. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Helena Saldorfs Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Auf dem Geburtsregistereintrag von Helena Saldorf wurde notiert, dass sie am 7. Dezember 1940 in Chelm verstorben sei und das Standesamt Chelm II ihren Tod unter der Nummer 569/1940 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm oder Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten fast alle Patienten am 12. Januar 1940 ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Die Schicksale von Helena Saldorfs Geschwistern Mathilde und Miguel sowie dessen Ehefrau sind nicht bekannt. Ihre Namen sind in den Gedenkbüchern und Opferlisten nicht verzeichnet.

An Helena Saldorf erinnert ein Stolperstein in Hamburg-Altstadt, Deichstraße 29 (ehemals Deichstraße 31).

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 9; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-3 Zivilstandsaufsicht C 149 Sterberegister Nr. 444/1874 Salomon Michael Saldorf; 332-5 Standesämter 518 Sterberegister Nr. 255/1903 Miehne Saldorf, 2792 Heiratsregister Nr. 802/1892 Miguel Saldorf/Emily Lazarus; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; 522-1 Jüdischen Gemeinden 696e Geburtsregister Nr. 215/1858 Helena Saldorf, 696f Geburtsregister Nr. 221/1861 Mathilde Saldorf, 696f Geburtsregister Nr. 309/1865 Miguel Saldorf; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Helena Saldorf der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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