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Hertha Seiffer, 1939
© Evangelische Stiftung Alsterdorf

Hertha Seiffer * 1924

Triftstraße 100 (Harburg, Heimfeld)


1943 eingewiesen 'Heilanstalt'
Am Steinhof / Wien
ermordet 11.04.1944

Hertha Seiffer, geb. am 25.5.1924, eingewiesen in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien, dort ermordet am 11.4.1944

Stadtteil Heimfeld, Triftstraße 100

Hertha Seiffer wurde als zweites von sieben Kindern einer Arbeiterfamilie in Meckelfeld geboren. Später zog die Familie nach Harburg. Von ihren sechs Brüdern starben drei noch im Kleinkindalter, zwei andere besuchten die "Hilfsschule". Wo Hertha zur Schule ging und welchen Schulabschluss sie erreichte, ist nicht bekannt. Die Versicherungsanstalt, bei der ihr Vater 1941 für sie eine Lebensversicherung abschloss, führte sie als Hausmädchen. Ihr Leidensweg begann im Alter von 14 Jahren.

Am 15. Juni 1939 griff die Harburger Polizei das Mädchen in der Nacht in "mangelhaft bekleidetem Zustand" und völlig erschöpft auf der Straße auf und brachte sie anschließend ins Harburger Krankenhaus Am Irrgarten.

Nach einer eingehenden Untersuchung empfahl der Stationsarzt, die junge Patientin in die damaligen Alsterdorfer Anstalten zu überweisen. Er begründete seine Empfehlung damit, dass sie "aus außerordentlich schlechten sozialen Verhältnissen" stamme, "hochgradig schwach­sin­nig" sei und außerdem unter epileptischen Anfällen leide. Zugleich regte er an, das Mädchen sterilisieren zu lassen, da es sich in der Pubertät befinde.

Nur fünf Tage später wurde Hertha Seiffer in den Alsterdorfer Anstalten mit der Diagnose "Schwachsinn" und "Epilepsie" aufgenommen. In den folgenden Wochen erlitt sie zahlreiche epileptische Anfälle. Sie galt als "desorientiert" und wurde im Bett angegurtet. Nach einem Besuch ihrer Mutter wirkte sie "sehr erregt", was sich in den folgenden Wochen und Monaten oft wiederholte. Für einige Augenblicke schien sie ihre sonstige Apathie abzulegen. Die Eintragungen in ihrer Krankenakte deuten darauf hin, dass sie sich nicht mit der Einlieferung in die Anstalt abfand. Wiederholt streikte die Fünfzehnjährige bei den Mahlzeiten, mehrfach ließ sie sich zu Wutausbrüchen hinreißen und immer wieder klagte sie über Heimweh.

Am 19. September 1939 stellte Prof. Dr. Gerhard Schäfer in einem Bericht an die Sozialverwaltung, Abteilung Gesundheits- und Sonderfürsorge, fest: "Die Pat. leidet an einer Epilepsie verbunden mit Idiotie. Sie hat schwere Anfälle mit lang andauernder Benommenheit hinterher. Sie hat ferner häufig Erregungszustände, in denen sie auch gelegentlich auf die anderen Patienten losgeht. Pat. ist geistig vollkommen stumpf, kann sich gar nicht beschäftigen, sitzt den ganzen Tag da und starrt vor sich hin. Sie ist zu keinerlei Arbeit gebrauchsfähig."

Die nächsten zweieinhalb Jahre änderte sich ihr Zustand nicht. Im April 1942 wurde Hertha Seiffer im Universitätskrankenhaus Eppendorf zwangssterilisiert und anschließend wieder in die Alsterdorfer Anstalten zurückverlegt. Ihrer Krankenakte ist zu entnehmen, dass sie manchmal für einige Tage nach Hause fuhr und ihre Eltern sie oft in Alsterdorf besuchten.

Am 16. August 1943 wurde die jetzt Neunzehnjährige zusammen mit 227 Mädchen und Frauen der damaligen Alsterdorfer Anstalten "wegen schwerer Beschädigung der Anstalt durch Bombenangriff" in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt. Die Krankenakten der Betroffenen enthielten vorwiegend negative Eintragungen. Entscheidend für ihre Auswahl waren Arbeitsunfähigkeit, Pflegeaufwand und Verhaltensauffälligkeiten.

Nach einem kurzen Aufenthalt im Harburger Bahnhof, wo der Transport noch durch 72 weitere Frauen aus der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" aufgefüllt wurde, traf der Zug am 17. August 1943 in der alten österreichischen Hauptstadt ein. Anschließend wurden die Patientinnen auf alle Stationen der Wiener Anstalt verteilt, viele in den folgenden Wochen innerhalb der Anstalt noch einmal – in einigen Fällen sogar mehrmals – verlegt. Dies hatte zur Folge, dass die Betroffenen sich immer wieder auf eine neue Umgebung einstellen mussten und sich keine engeren Beziehungen zwischen den Patientinnen und den Betreuerinnen entwickeln konnten.

Von den 228 Alsterdorfer Frauen und Mädchen des Transports waren am Kriegsende 196 nicht mehr am Leben. Wie stark der Hunger dazu beitrug, lässt sich aus dem Gewichtsverlust Hertha Seiffers erahnen. Während sie bei ihrer Ankunft in Wien noch 42 kg wog, war sie vier Monate später auf 32 kg abgemagert. Da die Eltern ihre Tochter in Wien nicht besuchen konnten, waren sie tief beunruhigt, als sie trotz mehrfacher Bitten von dort lange nichts über ihr Kind erfuhren. Schließlich erhielten sie die Nachricht, dass sie sich inzwischen wieder von einer Grippe leidlich erholt habe und ruhig und zufrieden sei.

Im März 1944 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand laut Krankenakte dramatisch. Dort hieß es nun, dass sie "bettlägrig, vollpflegebedürftig und unrein" sei. Anfang April maß das Personal erhöhte Temperaturen. Hertha Seiffer starb im Alter von 19 Jahren am 11. April 1944. Als Todesursache wurde eine Lungenentzündung diagnostiziert.

Unklar ist, ob die Bitte ihres Vaters um Überführung der Leiche nach Harburg erfüllt wurde.

© Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; Archiv der evangelischen Stiftung Alsterdorf, Kran­kenakte Hertha Seiffers (V247); Wunder u. a., Kein Halten, 2. Auflage; VVN-BdA Hamburg (Hrsg.), Spurensuche.

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