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Gerhard August Albert Trzebiatowsky * 1909

Sillemstraße 40 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1943 Heilanstalt Weilmünster
ermordet am 15.11.1943

Gerhard Trzebiatowsky, geb. am 8.7.1909 in Züllchow b. Stettin, am 15.11.1943 in der "Landesheilanstalt Weilmünster" ums Leben gekommen

Sillemstraße 40

Gerhard August Albert Trzebiatowsky wurde am 8.7.1909 in Züllchow b. Stettin geboren (der Ort gehört heute zur Stadt Szczecin-Zelechowa: Sz.-Żelechowa). Seine Eltern waren Gustav Trzebiatowsky (9.11.1878 in Züllchow geboren), von Beruf Elektriker, und Helene, geb. Thomas. Züllchow – damals ein Industrievorort Stettins – lag direkt am nördlichen Stadtrand, in seinen Straßen reihten sich Werkstätten, Fabriken und Arbeitermietswohnungen. Waren die Großeltern von Gerhard Trzebiatowsky als selbstständige Bierverleger tätig, so dominierten in der Verwandtschaft ansonsten handwerkliche und industrielle Berufe: Nagelschmied und Schlosser, ein Schiffszimmerer – die Werften der Hafenstadt, z. B. der "Vulcan", lagen in der Nähe der Straße, in der sie wohnten, wie insgesamt viele Industrieanlagen und Fabriken Stettins am linken Oderufer bis hin zur Odermündung angesiedelt waren, während von der Uferstraße, die an der Oder entlanglief, die Wohnstraßen der Arbeiter sich bis zur Züllchower Höhe zogen.

Wann genau die Familie aus der Chausseestraße in Züllchow, in der sie und die Verwandten in einer Großfamilie zusammenlebten, nach Hamburg zog, ist nicht bekannt. In den Hamburger Adressbüchern taucht ihr Name erstmals 1913 auf. Sie wohnte anfangs in der Innenstadt in der Neustädter Straße 16, später in Eimsbüttel in der Sillemstraße 40. Der Beruf des Vaters, Gustav Trzebiatowsky, war hier mit Monteur angegeben.

Aus der ersten Ehe des Vaters (der Name der verstorbenen Ehefrau wird in den Unterlagen nicht genannt), gab es einen Sohn, Werner Trzebiatowsky, ein Halbbruder von Gerhard, und dessen Schwester, Käthe. Werner Trzebiatowsky engagierte sich in den 1920er Jahren, spätestens seit 1927, in der Hamburger SA, wo er die Führung des SA-Sturms 2 (Eimsbüttel) über­nahm und es 1930 zum Standartenführer der SA-Standarte II (Hamburg rechts der Alster) brachte. Seine SA-Karriere setzte sich fort: 1935 übernahm er als SA-Standartenführer die Hamburger SA-Standarte 76, avancierte 1936 zum Chef der Personalabteilung der SA-Gruppe Hansa (Hamburg) und ließ sich 1938 auf der "Liste des Führers" für eine Scheinwahl zum Großdeutschen Reichstag aufstellen (erlangte dort allerdings keinen Sitz). Käthe Trzebiatowsky verheiratete sich später und trug den Namen ihres Ehemanns, Timm. Weitere Informationen über Angehörige von Gerhard Trzebiatowsky habe ich nicht gefunden.

Gerhard Trzebiatowsky war ungefähr vier Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Hamburg kam. Welche Schule er besuchte, ist nicht überliefert. Es war eine "Hilfsschule", in der es in der 5. Klasse hieß, er sei nicht lernbefähigt; daraufhin wurde er ausgeschult. Am 19. Oktober 1929 wurde er in den damaligen "Alsterdorfer Anstalten" als Patient aufgenommen. In einer späteren Befragung gab Gerhard, der – so die Befunde – auf Fragen kaum und dann oft nur mit körperlichem Ausdruck antwortete, an, die Mutter habe ihn dorthin gebracht. In einer ersten Diagnose seines Zustands wurde in Alsterdorf die Vermutung geäußert, dass "Schwachsinn mittleren Grades" (Imbecillität) vorliege, der angeboren oder in Folge einer schweren Geburt (Zangengeburt) aus einem Geburtstrauma heraus entstanden sein könne: Er sei ein "äußerlich kräftiger, gesunder leicht acromegaler imbeciller Jugendlicher mit gutmütiger Wesensart". Er spreche wenig, und wenn, dann nur plattdeutsch: "Antwortet auf Alles: ‚Weet ick nich.‘ Ist nur zu bewegen, verschiedene leichte Worte nachzusprechen", hieß es in einem ersten Befund.

1929 wurde zudem notiert, dass sein Auftreten von einem ruhigen, zurückgezogenen und selbstständigen Verhalten geprägt sei. Im Jahr darauf hieß es, er habe sich in der Anstalt eingelebt und sei "in seinem Wesen kaum wiederzuerkennen", würde er doch jetzt viel reden und auf Fragen auch Antworten geben.

Diese Offenheit scheint in den folgenden Jahren wieder stark abgenommen zu haben. In Gutachten wurde wiederholt eine – über die Jahre nachlassende – Bereitschaft zur Sauberkeit notiert und letztlich auch sein Sozialverhalten kritisiert. Dieses wurde zwar im Allgemeinen als "friedfertig" bezeichnet, allerdings wurde 1942 festgehalten, er könne sich gegenüber schwächeren Mitpatienten "boshaft" benehmen.

Vier Jahre zuvor, Anfang 1938, war Gerhard Trzebiatowsky zwangssterilisiert worden. Innerhalb weniger Monate hatten sich Gerhard und seine Eltern dazu bereit erklären müssen; am 30. August 1937 wurden die Eltern zu einer Unterredung in die "Alsterdorfer Anstalten" vorgeladen; drei Wochen später, am 22. September 1937, hatte der Leitende Oberarzt der Anstalt, Gerhard Kreyenberg, das Gutachten angefertigt, in dem er die Sterilisation befürwortete, am 17. Dezember 1937 beschloss das "Erbgesundheitsgericht" über die "Unfruchtbarmachung", am 31. Januar 1938 wurde im Universitätskrankenhaus Eppendorf die Sterilisation operativ durchgeführt.

Der mit Gerhard Trzebiatowsky verbundene Vorgang in Ham­burg trug 1937 als laufende Nummerierung die Zahl 5097. Der Aufenthalt von Gerhard Trzebiatowsky in den "Alsterdorfer Anstalten" hatte diesem Eingriff in sein Leben noch Vorschub geleistet, war er hier doch in die Betreuung eines Arztes geraten, der sich nicht nur vehement für Sterilisationen aussprach, sondern später auch Selektionen zur Euthanasie vornahm.

Weihnachten 1937 hatte Gerhards Mutter für ihn bei der An­staltsleitung fünf Tage Urlaub beantragt, am ersten Festtag wollte die Familie ihn abholen. Bei früheren Urlauben hatte sich seine Rückkehr regelmäßig verzögert.

Gerhard Trzebiatowsky zeigte wenig Bereitschaft, sich an den häuslichen Arbeiten in den "Alsterdorfer Anstalten" zu beteiligen. Zumindest war dies die Beurteilung der ihn begleitenden Pfleger und Ärzte – von denen aber auch seine Motivierung zur Arbeit abhing: "Schwer zu Reinigungsarbeiten heranzuziehen" (1930) hieß es zu Beginn seines Aufenthalts in Alsterdorf und später, dass er "nur zu einfachsten Handreichungen zu gebrauchen" sei (1937). Klang hier schon eine Nützlichkeitsbewertung seines Tuns an, stellte 1942 das letzte Gutachten über ihn kategorisch fest: "Pat. kann nur die einfachsten häuslichen Arbeiten unter Aufsicht ausführen, ist aber auch dann sehr fahrig und oberflächlich."

Die Gesundheitsversorgung versuchte, Heil-, Pflege- und Wohlfahrtseinrichtungen dazu zu zwingen, ihre Tätigkeiten zu rationalisieren, um Kosten bei der Betreuung kranker und pflegebedürftiger Menschen einzusparen. Als eine Möglichkeit, der geforderten Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung in den Anstalten nachzukommen, galt es, arbeitsfähige Patienten an anstaltsnützliche Arbeiten heranzuführen und sie zu Tätigkeiten in den Wohnhäusern, der Küche, den Gartenanlagen und Nutzgärten heranzuziehen.

Während des Krieges ging es dann darum, durch die Verlegung psychisch Kranker Platz für die Behandlung somatischer Erkrankungen und – kriegsbedingter – Verletzungen zu schaffen; außerdem waren die Anstalten angehalten, Wohnraum zur "Unterbringung für die Kriegswirtschaft wichtiger Arbeitskräfte", d. h., für Zwangsarbeiter im Arbeitseinsatz der Rüstungsindustrie bereitzustellen.

Ob die Krankengeschichte von Gerhard Trzebiatowsky unter den neuen Voraussetzungen neu interpretiert wurde, lässt sich aus der Krankenakte nicht ersehen. "Weiterer Anstaltsaufenthalt ist erforderlich", hieß es im letzten Gutachten vom 25. Februar 1942 an die Sozialverwaltung der Hansestadt Hamburg. Das führte dazu, dass das Landesfürsorgeamt die "Anstaltspflegebedürftigkeit" von Gerhard Trzebiatowsky für weitere fünf Jahre anerkannte (bis zum 31.12.1946).

Bereits am 20. Februar 1940 war ihm aber von dem ihn betreuenden Arzt Schirndorf anlässlich der Frage, ob Gerhard Trzebiatowsky wehrdienstfähig sei, die Diagnose "Idiotie" gestellt worden und dass er "völlig versorgt werden" müsse; auch Prof. Schäfer argumentierte ähnlich, als er Gerhard Trzebiatowsky im Gutachten vom 25. Februar 1942 als "an der Grenze der Idiotie stehender Imbeziller" bezeichnete. Gleichzeitig hieß es, dass Gerhard Trzebiatowsky am 15. Februar 1943 auf die Abt. 59 verlegt würde (dies war ein Wohnhaus für pflegebedürftige "schwache" Männer).

Der für Hamburg angenommene "Katastrophenfall" trat im Juli/August 1943 ein. Durch die Serie von Luftangriffen im Rahmen der "Operation Gomorrha" wurde in den Krankenhäusern und Hilfskrankenhäusern – und damit auch in den "Alsterdorfer Anstalten" – nicht nur die Versorgung zahlreicher verletzter Menschen nötig, die aus den zerstörten Stadtteilen eingeliefert wurden. Notwendig wurde auch, da die "Alsterdorfer Anstalten" am 30. Juli selbst unter den Luftangriffen gelitten hatten, eine zusätzliche Versorgung der eigenen Patienten. Die Leitung der "Alsterdorfer Anstalten", und mit ihr Pastor Friedrich Lensch aus dem Vorstand, entschied sich für die Verlegung der von ihr betreuten psychisch und demenzkranken Menschen und leitete Schritte für ihren Abtransport ein – indem sie auf das seit der T4-Aktion in Deutschland bestehende Netz von Auslagerungs- und Tötungsanstalten zurückgriff. Zu den Einrichtungen, die zur vorübergehenden Aufnahme psychisch kranker Menschen dienten, gehörten die "Landesheilanstalt Eichberg" und die "Landesheilanstalt Weilmünster".

Die für den Transport vorgesehenen Patienten wurden von der Leitung der "Alsterdorfer Anstalten" ausgesucht, unter ihnen auch Gerhard Trzebiatowsky. Am 7. August 1943 hieß der letzte Eintrag in seiner Krankenakte: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Eichberg. Dr. Kreyenberg."

Mit ihm wurde ein Transport von insgesamt 76 Patienten aus den "Alsterdorfer Anstalten" – darunter auch Kinder – zusammengestellt. Er sollte – vom Güterbahnhof Langenhorn aus – zusammen mit einem Transport von 78 Männern aus der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" in die "Landesheilanstalt Eichberg" gehen. In Eichberg erwartete sie eine völlig überfüllte Anstalt; auch das Betreuungspersonal war hier über die Jahre reduziert worden, so dass eine ausreichende Betreuung nicht gewährleistet war. In späteren Untersuchungen über diese Anstalt hieß es, dass hier "sogenannte pflegerlose Abteilungen [existierten], in denen die psychisch Kranken buchstäblich dahinsiechten", da sie sich ohne Hilfe selbst überlassen blieben. Die Todesrate unter den kranken Menschen war hoch. "Als der Transport aus Hamburg am 8.8. 1943 in Eichberg eintraf, war die Maschinerie der Tötung auf dem Eichberg in vollem Gange", hieß es in einer Untersuchung, die in den 1980er Jahren über die Vorgänge informierte.

Für den Transport der Kinder und erwachsenen Männer, der am 7. August 1943 die "Alsterdorfer Anstalten" verließ, lautete das Ergebnis: "Insgesamt haben von den 76 Kindern und Männern, die am 8. August 1943 in Eichberg ankamen, nur vier den Mai 1945 überlebt. 72 sind ermordet worden, ein Mann starb wenige Monate nach der Befreiung in entkräftetem Zustand, drei überlebten das Jahr 1945."

Gerhard Trzebiatowsky wurde von Eichberg noch einmal verlegt und kam am 15.11.1943 in der "Landesheilanstalt Weilmünster" ums Leben – nur acht Wochen, nachdem Gerhard Kreyenberg in Hamburg über seinen Abtransport entschieden hatte.

Die Umstände seines Todes am 15.11.1943 sind nicht bekannt.

Es gibt in den erhaltenen Aufzeichnungen seiner Krankengeschichte ein besonderes Formblatt, das mit vorgegebenen Fragen und Aufgaben die Grundlage für einen Intelligenztest bildete. Da Gerhard Trzebiatowsky des Schreibens, Lesens und Rechnens unkundig war, konnten nur wenige Antworten von ihm aufgenommen werden. Eine Seite war für eine Zeichnung bestimmt. Die Aufgabe bestand darin, ein Haus zu zeichnen; das Zeichenblatt sollte dem Formular durch Einkleben eingefügt werden.

Irgendjemand hat dieses Blatt aus dem Formular herausgerissen – und zwar so, dass die Zeichnung zerstört wurde. Einige übriggebliebene Fetzen geben eine vage Vorstellung von dem, was für Gerhard Trzebiatowsky ein Haus war.

Es war eine großflächig angelegte Vorderansicht eines Hauses mit einem an der Vorderfront beginnenden Spitz-, also Walmdach. Die Proportionen dieses Aufrisses sind wohlbedacht, die Linienführung genau ausgeführt. In aufwendiger Feinarbeit ist von ihm das Dach gedeckt worden, und zwar nicht mit Ziegeln, sondern mit roten Schindeln, deren jeweils untere, sichtbare Abschlusskante fein gerundet ist. Unter dem vollständig gedeckten Dach sind die Außenrisse der Hausvorderwand gezeichnet. Auch sie sind gradlinig ausgeführt; das Größenverhältnis von Dach und Hauskörper stimmen überein. Doch scheint die Zeit nicht gereicht zu haben, nach dem Dachdecken auch eine Ausgestaltung des Hauses mit Fenstern und Türen vorzunehmen. Die Fassadenfläche blieb leer. Rechts vom Dach erhebt sich etwas Buntes. Es könnte – denkt man sich die zerstörte Linienführung weiter – ein Ballon gewesen sein, dem Gerhard Trzebiatowsky ein kariertes Muster gegeben hatte.

© Peter Offenborn

Quellen: Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv Az. V 122 (Sonderakte); Adressbuch Stettin. Stettin 1911 (nach: www.pommerndatenbank.de; 29.9.2010); Peter von Rönn, Die Entwicklung der Anstalt Langenhorn in der Zeit des Nationalsozialismus; Regina Marien-Lunderup, Die Anstalten Eichberg und Weilmünster; beide in: Peter von Rönn u. a., Wege in den Tod, S. 27–135 bzw. S. 305–319; Michael Wunder u. a., Auf dieser schiefen Ebene, S. 78f., 111f., 177, 197, 204; Michael Wunder, Von der Anstaltsfürsorge zu den Anstaltstötungen, in: Angelika Ebbinghaus u.a., Hamburg im "Dritten Reich", S. 394–407; Peter Sand­ner, Die Landesheilanstalt Weilmünster; Alfred Conn, Aufzeichnungen [über die SA in Hamburg]. Tiposkript [ca. 1953], S. 8/10 und 109 [FZH 11 C 1]; Hamburger Tageblatt Nr. 68 vom 10.3.1935, Nr. 322 vom 24.11.1936 und Nr. 83 vom 8.4.1938.

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