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Albert Wienecke im Dezember 1928
Albert Wienecke im Dezember 1928
© Archiv Ev. Stiftung Alsterdorf

Albert Wienecke * 1920

Steinstraße 27 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
ALBERT WIENECKE
JG. 1920
SEIT 1928 PATIENT
IN VERSCHIEDENEN
HEILANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HADAMAR
ERMORDET 27.10.1943

Albert Karl Richard Wienecke, geb. am 4.1.1920 in Hamburg, eingewiesen am 20.10.1928 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 7.8.1943 in die Landesheilanstalt Eichberg im Rheingau, ermordet am 27.10.1943 in der Landesheilanstalt Hadamar

Steinstraße 27 (Steinstraße 143)

Albert Wienecke kam als Sohn des in Altona geborenen Bauarbeiters Albert Carl Jonni Wienecke (geb.3.9.1875) und dessen dritter Ehefrau Anna Rebecka Wilhelmine, geb. Niehuus (geb.18.4.1889), in einem lutherischen Elternhaus zur Welt. Da die Großeltern väterlicherseits erst zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes geheiratet hatten, erhielt Alberts Vater den Geburtsnamen seiner Mutter Wienecke und nicht den Familiennamen Petersen.

Alberts Mutter stammte aus Krempe im Kreis Steinburg. Sie war dort bis zu ihrer Schulentlassung 1904 als Tochter der unverheirateten Johanna Niehuus in einem "Armen- und Werkhaus" aufgewachsen. Anschließend war sie für einige Jahre bei einem Bauern in "Stellung" gewesen und hatte, bis sie Alberts Vater am 4. April 1919 heiratete, in einer Fabrik gearbeitet. In der Familie Wienecke gab es noch die zwei Jahre ältere Schwester Albertine Wilhelmine und die vier Jahre ältere Halbschwester Johanna Niehuus, zwei weitere Kinder starben kurz nach der Geburt. Das Ehepaar Wienecke lebte in einfachen Verhältnissen, meistens im Gängeviertel der Hamburger Alt- und Neustadt.

Anna Wienecke war während ihrer Schwangerschaft mit Albert gestürzt. Albert soll sich bei dem Sturz verlagert haben. Er kam am 4. Januar 1920 als 9-Monatskind durch eine Steißgeburt zur Welt. Bereits als Säugling musste Albert mehrmals im Krankenhaus behandelt werden. Vor seinem ersten Geburtstag fiel er aus einem Fenster und erlitt eine Gehirnerschütterung. Ostern 1927 wurde Albert eingeschult und nach sechs Monaten zurückgestellt, "weil er in der Schule nicht zu gebrauchen war". Daraufhin veranlasste das Jugendamt 1928 seine Unterbringung in das Aufnahme- und Beobachtungsheim des städtischen Waisenhauses in der Averhoffstraße. Im Anschluss kam Albert Wienecke in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg nach Hamburg-Eilbek. Von dort holte ihn ein Beamter des Jugendamtes am 20. Oktober 1928 ab und brachte den Achtjährigen in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Bei seiner Aufnahme wurden starke Deformierungen festgehalten: "Ballonschädel und Verbiegungen der unteren Extremitäten". Die Ärzte vermuteten, dass er in den ersten Lebensjahren eine "Tetanie" entwickelt habe, Muskelkrampfanfälle, die zu Epilepsie-ähnlichen Erscheinungen führen konnten. Da aber weder in Friedrichsberg, noch später in Alsterdorf epileptische Anfälle beobachtet wurden, änderte man die Diagnose in "Schwachsinn höheren Grades".

Albert Wienecke wurde als still und ruhig, gehorsam und willig beschrieben, und spielte gern mit den anderen Jungen. Er galt als "ängstlich – ist kaum zu bewegen, mal eine Antwort zu geben".

Seine Eltern hatten gegen Ende der 1920er Jahre ihre Wohnung in der zweiten Etage der Steinstraße 143 verlassen müssen, die alten Häuser wurden zum Baubeginn des Burchard Hofes im heutigen Kontorhausviertel abgebrochen. Als Alberts Mutter 1930 den Versuch unternahm, ihren Sohn wieder nach Hause zu holen, wurde ihr das Sorgerecht entzogen, sie lebte mittlerweile von ihrem Mann getrennt. Das Sorgerecht wurde dann Alberts Vater zugesprochen, nachdem er sich von dem leitenden Oberarzt Gerhard Kreyenberg überzeugen ließ, dass eine weitere Anstaltsversorgung unbedingt erforderlich sei und den Entlassungsantrag zurückzog. Alberts Eltern ließen sich am 6. Februar 1935 scheiden. Seine Mutter Anna ging 1939 eine zweite Ehe mit dem Kistenmacher Ernst Menk (geb. 6.12.1897) ein und lebte in Altona in der Seestermannstraße 29 (die Straße gibt es heute nicht mehr).

Albert Wienecke besuchte die Spielschule der Anstalt. 1932 beurteilte ihn eine Lehrerin wie folgt: "Sein Interesse am Unterricht hat zugenommen. Er würde sich wohl auch noch aktiver am Unterricht beteiligen, wenn nicht seine bald krankhafte Schüchternheit ihn daran hindern würde."

Am 14. Juli 1933 erließen die Nationalsozialisten das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Albert wurde mit 18 Jahren, im November 1938, im Universitätskrankenhaus Eppendorf zwangssterilisiert.

Auch seine Schwester Albertine, die einige Zeit im Mädchenheim Alexanderstraße lebte, wurde dem Erbgesundheitsgericht zur Zwangssterilisation gemeldet. (Eine 1960 geforderte Entschädigung erhielt sie dafür nicht.)

Anfang 1939 wurde in Alberts Krankenakte vermerkt "für den Dienst in der Wehrmacht nicht geeignet". Er wurde im Anstaltsbetrieb mit Hausarbeiten und in einer Außenkolonne mit "Wagenschieben" beschäftigt.

Am Ende seines 15-jährigen Aufenthaltes in Alsterdorf wurde Albert Wienecke nicht mehr positiv beurteilt, er sei "sehr tiefstehend" und "zu keiner Arbeit zu gebrauchen, völlig teilnahmslos, apathisch und still". Sein Eindruck wurde als "elend" beschrieben. Dennoch arbeitete er bis zuletzt in der Außenkolonne.

Am 7. August 1943 hieß es dann: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Eichberg."

Die Landesheilanstalt Eichberg im Rheingau, 1849 gegründet, war für Albert Wienecke nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar. Am 12. Oktober 1943 wurde er mit 23 ehemaligen Alsterdorfer Patienten weiterverlegt. Für Familienangehörige waren mehrmalige Verlegungswege schwerer nachvollziehbar. In Hadamar ging das systematische Töten auch nach dem offiziellen "Euthanasie"-Stopp im August 1941 weiter. Allerdings nicht mehr in einer als Duschraum getarnten Gaskammer mit Kohlenmonoxyd, sondern durch Medikamente, Verhungern lassen und durch gezielte pflegerische Vernachlässigung.

Albert Wienecke wurde am 27. Oktober 1943, fünfzehn Tage nach seiner Ankunft in Hadamar, ermordet.

Von Alberts Tod erfuhr seine Familie zunächst nichts. Sein Vater war bereits am 14. November 1942 in Hamburg verstorben. Erst als Ende 1950 ein Schwager von Albert dessen Rückverlegung nach Hamburg forderte, erhielten sie die Nachricht von Alberts Tod. In einen Antwortschreiben aus Hadamar hieß es: "muß ich Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Schwager Albert Wienecke, geb. am 4.1.1920 zu Hamburg, am 27.10.1943 laut hier noch vorhandenen Aufzeichnungen gestorben ist. Als Todesursache ist neben Geisteskrankheit Herzschwäche angegeben. Da durch die Kriegswirren Unterlagen über die Grabstätten verlorengegangen sind, kann die genaue Grab-Nr. nicht angegeben werden. Jedoch wird der Anstalts-Friedhof seitens der neuen Leitung gepflegt und in Ordnung gehalten. Ich bedaure, daß ich mangels Unterlagen nicht in der Lage bin, eine genauere Auskunft erteilen zu können."


Stand: September 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 351-11 AfW 42151 (Grahlow, Albertine Wilhelmine Maria, gesch. Kluge); StaH 332-5 Standesämter 6187 u 2583/1875; StaH 332-5 Standesämter 3341 u 204/1919; StaH 213-11 Strafakten 2336/43; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung 1009; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf V 91 Albert Wienecke; Wunder: Exodus, S. 199–201.

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