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Porträt/Brustbild Luise Schulze
Luise Schulze
© Landesarchiv Niedersachsen

Luise Schulze (geborene Hoenig) * 1906

Winsener Straße 37 (Harburg, Wilstorf)


HIER WOHNTE
LUISE SCHULZE
GEB. HOENIG
JG. 1906
EINGEWIESEN 22.7.1936
HEILANSTALT LÜNEBURG
"VERLEGT" 28.5.1941
HADAMAR
ERMORDET 28.5.1941
"AKTION T4"

Luise Schulze, geb. Hoenig, geb. am 18.9.1906 in Harburg, eingewiesen in die `Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg´ am 22.7.1936, `verlegt´ in die Landesheil- und Pflegeanstalt Herborn am 22.4.1941, weiter verlegt in die Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar am 28.5.1941, ermordet am 28.5.1941

Stadtteil Wilstorf, Winsener Straße 37

Luise Hoenig trug den Vornamen ihrer Mutter, die mit dem Arbeiter Josef Hoenig verheiratet war. Nach ihrer Schulzeit absolvierte sie zunächst eine Lehre als Schneiderin. Seit ihrem 16. Lebensjahr litt sie an epileptischen Anfällen, die anfangs nur gelegentlich auftraten, im Laufe der Zeit aber zunahmen. Sie belasteten später auch ihre Ehe mit dem Reisenden Heinrich Schulze, der sich bald wieder von ihr trennte.

Nachdem sie seit 1929 bereits mehrmals im städtischen Krankenhaus am Irrgarten wegen ihrer epileptischen Anfälle behandelt worden war, musste sie sich im Mai 1936 nach einem schweren Anfall erneut dorthin begeben. Der behandelnde Arzt kam nach eingehender Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Patientin "wahrscheinlich an genuiner Epilepsie … und gleichzeitig an Erscheinungen von Geistesgestörtheit, die in das Gebiet von Schizophrenie gehören" leide. Er bezeichnete sie als unruhig und streitsüchtig und hielt ihre Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung für geboten, da sie auf der Straße die öffentliche Sicherheit gefährde. Auf Anweisung der Harburg-Wilhelmsburger Ortspolizei wurde Luise Schulze am 22. Juli 1936 in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg eingewiesen.

Diese Anordnung zeigt, dass der Staat nach 1933 mehr Geisteskranke als vorher erfasste und sie der Anstaltspsychiatrie zuführte. Dadurch wuchs die Belegungsstärke der Anstalten, während gleichzeitig die Mittelzuweisungen gekürzt wurden, was zu erheblichen Verschlechterungen in der Betreuung und Unterbringung der Anstaltsbewohnerinnen und -bewohner führte. Diese Politik entsprach dem Menschenbild der Nationalsozialisten, das aus einer Mischung von rassischer Idealisierung, der Zerstörung aller christlichen und humanistischen Werte sowie einer beispiellosen Menschenverachtung bestand. Hinzu kam, dass sich auch im medizinischen Bereich genügend Männer und Frauen fanden, die bereit waren, diese theoretischen Vorgaben in die Praxis umzusetzen.

Einer von ihnen war Max Bräuner, der neue Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg. Er war Mitglied der NSDAP und von 1938 bis 1944 Kreisbeauftragter des `Rassenpolitischen Amtes´ der Stadt Lüneburg sowie anfangs zunächst Beisitzer und später dann Vorsitzender des Erbgesundheitsgerichts Lüneburg. Er sorgte dafür, dass auch in den einzelnen Abteilungen der Lüneburger Heil- und Pflegeanstalt, die 1901 gegründet worden war, um Menschen zu helfen, die krank und arbeitsunfähig waren, bald ein anderer Wind wehte. 1941 war er maßgeblich an dem Aufbau einer `Kinderfachabteilung´ in dieser Einrichtung beteiligt.

Zu den gravierenden Einschnitten im Anstaltsleben zählten nach 1933 zunächst die so genannte erbbiologische Arbeit und die Zwangssterilisationen. Zur totalen Erfassung der Patienten und ihrer Angehörigen wurden `Sippentafeln´ erstellt und eine erbbiologische Bestandsaufnahme durchgeführt. Die Brisanz dieser Arbeit lag darin, dass die Untersuchungsergebnisse von entscheidender Bedeutung für das weitere Schicksal der Betroffenen waren. Sie bildeten zunächst die Grundlage für die Begründung von Anträgen auf Zwangssterilisation vieler vermeintlich erbkranker Patientinnen und Patienten. In der Zeit von 1934 bis 1943 wurden allein 347 Bewohnerinnen und Bewohner der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg zwangssterilisiert. Ob auch Luise Schulze darunter war, ist aus den Akten nicht ersichtlich, aber sehr wahrscheinlich.

Die Ergebnisse der erbbiologischen Untersuchungen bildeten auch die Grundlage für die Auswahl der Lüneburger Patientinnen und Patienten, die 1941 im Zuge der T4-Aktion in andere Anstalten `verlegt´ wurden. Davon war Luise Schulze betroffen, die zusammen mit 129 anderen Frauen am 22. April 1941 von Lüneburg in die hessische Heil- und Pflegeanstalt Herborn abtransportiert wurde.

Diese Einrichtung im Umfeld der Tötungsanstalt Hadamar war für Luise Schulz nur eine Durchgangsstation auf der Reise in den Tod. Von hier aus wurde sie am 28. Mai 1941 in die nahe gelegene Gasmordanstalt Hadamar verfrachtet.

Nach ihrer Ankunft an diesem Ort wurden die Kranken in einen großen Saal geführt, in dem sie sich entkleiden mussten. Anschließend gingen sie zu einem Arzt, der sie kurz begutachtete und sich anhand einer Liste für eine von 61 falschen Todesursachen für den Totenschein entschied. Dann wurden sie in den Keller geführt, wo sich die als Duschraum getarnte Gaskammer für ca. 60 Personen befand. Nach einiger Zeit wurden die gasdichten Türen geschlossen. Der Arzt, der eben noch die `Untersuchung´ durchgeführt hatte, begab sich dann an seinen nächsten Arbeitsplatz und öffnete den Gashahn, so dass das tödliche Kohlenmonoxidgas in den verschlossenen Raum strömte. Durch ein kleines Fenster in der Wand verfolgte er das Sterben der Menschen, bis alle tot waren, Danach wurde die Gaszufuhr unterbunden und der Raum entlüftet, bevor die ineinander verkrampften Leichen ins Freie getragen wurden.

Am 28. Mai 1941 wurde auch Luise Schulze in dieser Gaskammer ermordet.


Stand: April 2019
© Klaus Möller

Quellen: Niedersächsisches Landesarchiv, Hann. 155 Lüneburg Acc. 2004/066 Nr. 09504; Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie. Die Toten 1939–1945, Hamburg 2017; Raimond Reiter, Empirie und Methode in der Erforschung des `Dritten Reiches´, Fallstudien zur Inhaltsanalyse, Typusbildung, Statistik, zu Interviews und Selbstzeugnissen, Frankfurt M. 2000; 100 Jahre Niedersächsisches Landeskrankenhaus Lüneburg. Niedersächsisches Landeskrankenhaus Lüneburg (Hrsg.), Lüneburg 2001, Helmut Pless, Lüneburg 45, Nordost-Niedersachsen zwischen Krieg und Frieden, Lüneburg 1976; Raimond Reiter, Psychiatrie im Nationalsozialismus und die Bildungs- und Gedenkstätte `Opfer der NS-Psychiatrie´ in Lüneburg, Marburg 2005; Raimond Reiter, Psychiatrie im Dritten Reich in Niedersachsen, Hannover 1997; Heimat, Heide, Hakenkreuz. Lüneburgs Weg ins Dritte Reich, Geschichtswerkstatt Lüneburg (Hrsg.), Lüneburg 1995; Harburger Adressbücher.

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