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Bereits verlegte Stolpersteine



Franz Rappolt, um 1920
© Privatbesitz

Franz Max Rappolt * 1870

Leinpfad 58 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
FRANZ MAX
RAPPOLT
JG. 1870
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 25.11.1943

Weitere Stolpersteine in Leinpfad 58:
Fritz Rappolt, Charlotte Rappolt

Franz Rappolt, geb. 3.7.1870 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, am 25.11.1943 dort gestorben

Mönckebergstraße 11 / Leinpfad 58 / Adolphsplatz 1

Der jüdische Kaufmann Joseph (Isaac) Rappolt (1807–1873) war seit 1837 Bürger des hessischen Friedberg, hierfür hatte er ein Vermögen von 4000 Gulden nachgewiesen. 1837/1838 verlegte er sein Geschäft J. L. Rappolt (Früchte, Ölsamen und Mehl) nach Friedberg. In Bruchenbrücken bei Friedberg waren seine Söhne Jofey (Joseph) und Luj (Louis) sowie die Tochter Berta geboren worden. Der jüngere Sohn Louis Rappolt (1837–1913) führte die väterliche Firma weiter. Der ältere Sohn Joseph Rappolt (1835–1907) verließ Ende 1861 mit einem Kapital von 5000 Gulden Friedberg, das damals 4100 Einwohner zählte, und zog in die Großstadt Hamburg, die damals bereits 320.000 Einwohner hatte.

Im Jahr darauf erwarb Joseph Rappolt das Hamburger Bürgerrecht, das bis 1860 an die evangelisch-lutherische Konfession gekoppelt war, und gründete zusammen mit Julius Oppenheim (geb. 27.9.1828 in Echte/Harz, verheiratet mit Emilie Wolfers aus Minden und seit 1854 Hamburger Bürger) die Firma Oppenheim & Rappolt. Das Unternehmen produzierte gummierte Mäntel und Herrenbekleidung in der Hansestadt. Wiederum ein Jahr später heiratete Joseph Rappolt die gebürtige Breslauerin Louise Herz (1839–1911), Tochter von Kaufmann Hinrich Herz und Ernestine, geb. Schlesinger. Aus der Ehe von Joseph und Louise Rappolt stammte als vierter von fünf Söhnen der 1870 in der Wohnung Neuer Wall 69 geborene Franz Rappolt. Wie sein sechs Jahre älterer Bruder Arthur Rappolt (1864–1918) dürfte auch Franz Rappolt von einem Privatlehrer unterrichtet worden sein, ehe er ein Realgymnasium besuchte und nach einem jeweils mehrmonatigen Auslandsaufenthalt in Spanien (1888/89) und Italien (1891/92) seinen Einjährig-Freiwilligen Militärdienst ab November 1892 beim Hanseatischen Infanterie-Regiment 76 ableistete. Nach einer kaufmännischen Lehre trat er in die Firma Oppenheim & Rappolt ein, in der sein Bruder Arthur Rappolt bereits seit 1885 (seit 1889 als Prokurist) tätig war. Eine Atelieraufnahme aus der Zeit um 1877 zeigt Joseph Rappolt mit Kaiser-Wilhelm-Backenbart, umringt von seinen Söhnen Paul und Arthur im hellen Anzug, Ernst und Franz im Matrosenanzug sowie Otto in Kinderkleid. Mit Bürger- und Kaufmannsstolz scheint Joseph Rappolt den Beginn eines erfolgreichen Familienunternehmens ins Bild setzen zu wollen – Ehefrau Louise und Tochter Helene (geb. 28.12.1865) tauchen in dieser Inszenierung nicht auf. Die Aufnahme wurde allerdings von einer Frau gemacht, Emilie Bieber (1810–1884), sie war eine der ersten deutschen Berufsfotografinnen und hatte bereits 1852 ihr eigenes Fotoatelier in Hamburg eröffnet. 1877 war auch das Jahr, in dem die achtköpfige Familie Rappolt aus der Hamburger Vorstadt St. Georg in den Vorort Rotherbaum umzog, wo private Bauspekulanten für eine vornehme bürgerliche Stadterweiterung sorgten.

Die Wohnadressen von Familie Rappolt lauteten Rathausstraße 9/Altstadt (1863–1866), Neuer Wall 69/Neustadt (1867–1871), Kirchenallee 26/ St. Georg (1872–1874), Holzdamm 19/ St. Georg (1875–1876), wo von 1870 bis 1880 auch der Geschäftspartner Julius Oppenheim in Haus-Nr. 55 wohnte, Bundesstraße 18/Rotherbaum (1877–1885), Magdalenenstraße 35/Rotherbaum (1886–1901) und Mittelweg 143/Rotherbaum (ab 1901).

Als der Mitinhaber Julius Oppenheim (1828–1895) um 1892 aus dem Unternehmen ausschied, rückten die älteren Söhne Paul und Arthur Rappolt zum 1. Januar 1892 als Mitinhaber in die Geschäftsleitung der Firma auf, die ab Januar 1897 den Namen Rappolt & Söhne führte. Seit 1899 leitete Franz Rappolt (noch bis 1903) als "Repräsentant" die Berliner Filiale von Rappolt & Söhne in der dortigen Kurstraße 38. Er lebte in der Charlottenstraße 22 in Berlin-Mitte. Im Oktober 1899 heiratete er Charlotte Ehrlich in ihrem Geburtsort Breslau (aus Breslau kam auch Franz Rappolts Mutter). Mit seiner Ehefrau zog er nun in den Berliner Stadtteil Tiergarten in die Keithstraße 3.

Charlotte ("Lotte") Ehrlich stammte aus einer Kaufmannsfamilie (Eltern: Eugen Ehrlich und Wanda, geb. Cohn). Der Vater war Mitinhaber der 1846 gegründeten Fabrik und Exportfirma für Metall-, Eisen- und Stahlwaren Herz & Ehrlich (Breslau). Das erste Kind von Franz und Charlotte Rappolt, der Sohn Fritz (geb. 22.8.1900), wurde noch in Berlin geboren. Im Herbst 1903 wechselte Franz Rappolt an den Hamburger Hauptsitz der Firma und wurde im Januar 1904 persönlich haftender Gesellschafter des Unternehmens. Sein jüngerer Bruder Otto übernahm die Leitung der Berliner Filiale von Rappolt & Söhne und erhielt im Januar 1904 Einzelprokura für das Unternehmen.

In Hamburg bezogen Franz und Charlotte Rappolt für vier Jahre eine Wohnung in der Johnsallee 69 III. Stock (Rotherbaum). Hier wurden die Söhne Heinz (geb. 1.11.1903) und Ernst (geb. 25.10.1905) geboren. Alle drei Söhne wurden am 12. Juli 1906 in der Hamburger Hauptkirche St. Catharinen getauft. Es ist anzunehmen, dass Familie Rappolt zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Jüdischen Gemeinde aus- und in die evangelisch-lutherische Kirche eingetreten war. Nur zwei Tage vor der Taufe hatte der Vater von Franz Rappolt eine große Grabstelle auf dem evangelischen Ohlsdorfer Friedhof erworben, auf der 1907 ein repräsentatives Grabmal für ihn und weitere dreizehn Familienmitglieder von dem Architekten Alfred Martin (geb. 1835) errichtet wurde. Der Hamburgische Correspondent berichtet 1907 unter der Rubrik "Tages-Neuigkeiten" kurz über den Tod des Familienoberhaupts: "Der Seniorchef einer sehr geachteten Börsenfirma ist gestorben: In Nizza verschied am 28. Februar Herr Joseph Rappolt. Er stand im 72. Lebensjahr." Sein Tod in Nizza deutet auf einen Urlaub hin, um dem winterlichen Hamburg zu entfliehen.

1908 zog die nunmehr fünfköpfige Familie von Franz Rappolt in eine Parterrewohnung in der nahe gelegenen Rothenbaumchaussee 34, wo sie bis 1915 lebte. Waren dies schon "gute" Hamburger Adressen, so konnte die Familie sich noch verbessern: 1914 hatte Franz Rappolt das Grundstück am Leinpfad 58 von Theodor Ritter, Mitinhaber der Woermann-Linie, erworben, der es erst im März 1913 von der "Alster Dampfschiffahrt-Gesellschaft m. b. H." gekauft hatte, um dort einen Bootshafen zu errichten.

Franz Rappolt beauftragte nun den Architekten Carl Bensel (1878–1949), der in der Mönckebergstraße die Fassaden verschiedener Geschäftshäuser gestaltet hatte, mit dem Bau einer repräsentativen Stadtvilla, die 1914/15 entstand. Die Hamburger Feuerkasse schätzte den Wert des Gebäudes im September 1915 auf 137.000 Mark. Das 14-Zimmer-Haus besaß fünf Schlafzimmer und war mit Kunstgegenständen geschmackvoll eingerichtet (u. a. Teppiche, Ölgemälde, Barock-Schrank, samtenes Ecksofa, Biedermeier-Schreibtisch). Welche der im Haus vorhandenen Kunstwerke auf den Geschmack von Franz Rappolt zurückgingen, welche auf den seiner Ehefrau und welche ererbt oder geschenkt wurden, ist nicht bekannt. Belegt sind ein Ölbild von Philipp Hackert von 1794, zwei Bilder des Hamburger Impressionisten Thomas Herbst (1848–1915), der auch die Warburg-Töchter im Zeichnen unterrichtete, sowie ein weiteres Ölbild eines französischen Impressionisten (möglicherweise Maurice Utrillo). Auch eine Skizze des in Breslau geborenen Berliner Gesellschaftsmalers Eugene Spyro (1874–1972) hing im Haus und eine Nachbildung einer griechischen Bronzestatue von Hermes, dem Götterboten, Seelenleiter und Gott der Kaufleute, war dort aufgestellt. Im Esszimmer stand ein großer ausziehbarer Tisch mit zwölf lederbezogenen Stühlen. Für Hausmusik gab es einen Steinway-Flügel, und Charlotte Rappolt besaß eine wertvolle historische Geige. Auch die Söhne verstanden es, mit Geige, Cello oder Klavier zu musizieren. Für Kammermusik wurden Freunde wie der Verwaltungsinspektor Carl Rocamora (geb. 1890) eingeladen, der mit Charlotte Rappolt regelmäßig vierhändig Klavier spielte. Im Arbeitszimmer des Hausherrn hing ein Bild von Goethe an der Wand. Von seinen Reisen (u. a. 1906/07 in Amerika und Asien, 1915 in Österreich, 1929 für 3 Monate in den USA) brachte Franz Rappolt häufig Andenken mit, die nicht immer dem Kunstgeschmack seiner Ehefrau entsprachen – in solchen Fällen wurden sie in einem separaten Schrank verwahrt.

Zwei Hausmädchen und eine Köchin besorgten den Haushalt, ein Fahrer, der schon Kutscher beim Vater Joseph Rappolt gewesen war, chauffierte Franz Rappolt im Mercedes zum Firmensitz in die Mönckebergstraße. Der älteste Sohn Fritz legte im Juni 1918 das Notabitur am gerade gegründeten Kirchenpauer-Realgymnasium in Hamm ab und wurde anschließend zur Militärausbildung eingezogen. Der mittlere Sohn Heinz besuchte von 1912 bis 1921 das Heinrich-Hertz-Realgymnasium am Schlump, absolvierte anschließend eine kaufmännische Lehre bei der Wollhandelsfirma Klöpper (neues Klöpperhaus, Architekt Fritz Höger, Mönckebergstr. 3, heute Kaufhof) und war 1924 bis 1926 bei Hutfabriken in Friedrichsort (Rousselet), Alessandria/ Italien (Borsalino) und Bredbury, Stockport/ England (Joseph Ward Ltd.) tätig. Der jüngste Sohn Ernst besuchte von 1914 bis 1923 die nahegelegene "Gelehrtenschule des Johanneums" in Winterhude, wo er im September 1923 das Abitur ablegte und anschließend an den Universitäten Freiburg/Breisgau, München und Hamburg Jura studierte. Die Söhne wurden 1915, 1918 und 1920 in der Kirche St. Johannis (Harvestehude) konfirmiert.

Die älteren Rappolts kehrten in den 1920er Jahren zur Jüdischen Gemeinde zurück: Franz Rappolt wurde ab 1925 als Mitglied der Deutsch Israelitischen Gemeinde Hamburgs geführt, sein Bruder Otto trat zwei Jahre später in die Gemeinde ein, und 1929 folgte auch der Bruder Paul.

Die Firma Oppenheim & Rappolt hatte 1891 Kontor- und Fabrikationsräume im I., III. und IV. Stock des neu erbauten Geschäftshauses in der Admiralitätstraße 71/72 ("Admiralitätshof") bezogen. Doch für das expandierende Unternehmen wurden diese bald zu eng. 1911 schrieb die Firma Rappolt & Söhne den Bau eines repräsentativen Firmensitzes in der neu gestalteten Hamburger Innenstadt aus, und im Juli 1912 konnte sie in das nach Plänen des Architekten Fritz Höger erbaute Backstein-Kontorhaus Mönckebergstraße 11–13 ("Rappolt-Haus") umziehen.
Das in "tiefbläulichrotem gesinterten" Backstein mit Travertin-Kalkstein verkleidete Haus zeigte mit der Materialwahl sowie den Erkern über den beiden Haupteingängen und den vier kleinen Erkergiebeln einen Bezug zum historisch-norddeutschen Baustil. Innen jedoch wurden moderne Informations- und Transportmittel eingebaut: Hausrohrpost, Haustelefon mit farbigen Licht- und Rufsignalen, elektronische Pausensignale, 5 Treppenhäuser, 5 Warenaufzüge, 3 Paternoster-Fahrstühle, 1 Lastenaufzug und 1 Fahrstuhl mit Mahagoniverkleidung. In der Produktion gab es Ventilations-Einrichtungen mit Luftabsaugschächten, mehrere hundert elektrische Nähmaschinen sowie Müllschächte nach Materialien getrennt. Für die Mitarbeiter/innen gab es eine Kantine und diverse Trinkwasserstellen der hauseigenen 180 Meter tiefen Brunnenanlage. In der Mönckebergstraße 11–13 nahmen die Firmenräume noch 1939 den 4. bis 6. Stock ein (rund 3500 qm). Die Firma stellte hochwertige Herren-Mäntel im englischen Stil und Gummimäntel her und betrieb einen Großhandel mit Herren-Modeartikeln. Stoffe wurden u. a. in England bei Hirschland & Co. (London) eingekauft. Im Handbuch der "Hamburger Börsenfirmen" von 1910 wurde die Produktpalette mit "Herrenconfection, Gummimäntel, Trikotagen, Hemden, Schirme, Reisedecken usw." umrissen. Franz Rappolt rückte 1904 zum Mitinhaber der Firma auf und übernahm den Bereich Finanzen. Der älteste Bruder und Mitinhaber Paul Rappolt (Rondeel 37) war für den Bereich Webmuster und Stoffe zuständig. Als dritter Mitinhaber war auch der zweitälteste Bruder Arthur Rappolt (Rondeel 33) im Familienunternehmen tätig.

Enge Finanz-Kontakte der Rappolts bestanden zum Bankhaus M. M. Warburg & Co. (Hamburg), hier insbesondere zu Dr. jur. Fritz Warburg (1879–1964), sowie zur Privatbank Simon Hirschland (Essen und Hamburg), freundschaftlichen Umgang pflegten sie mit den Inhabern von Gebr. Hirschfeld (siehe Biografie Benno Hirschfeld) und Modehaus Robinsohn, für die später auch die Schwiegertochter Hedwig Rappolt, geb. Auerbach Zeichnungen anfertigte. In Neumünster/Holstein hatte man Geschäftskontakte zu C. Sager Söhne & Co., einem Hauptlieferanten für Mäntel und in Aachen zur Textilstickerei Auerbach. Daneben bestanden in Hamburg freundschaftliche Kontakte zu Richter Felix Gorden (1863–1939) und seiner Ehefrau Elisabeth Gorden geb. Wolfers (1879–1941?), zu Textilkaufmann Hugo Wolfers (1873–1941?) und seiner Ehefrau Olga Wolfers geb. Oppenheimer (1885–1941?), zu Herbert Kauffmann (1889–1943?) und Lilly Kauffmann geb. Schönfeld (1893–1944?), zu Ernst Haas (1883–1944?), May Ledermann geb. Luria (1895–1944?) und Elsbet Götz (1901–1944?).

Das hanseatisch-gediegen eingerichtete Büro von Franz Rappolt befand sich in einer der oberen Etagen des neuen Firmensitzes, darüber lagen nur noch die Fabrikationsräume mit den Zuschneidetischen. Die Angestellten der Firma sprachen ihn mit "Herr Franz" an. Sinnbild seines Unternehmerstolzes war ein großformatiges Ölbild von ihm (1923 von Walter Georgi gemalt), das vermutlich im Privatkontor oder dem Konferenzzimmer hing. Schon von seinem Vater war 1912 eine Büste auf hohem Mahagoni-Sockel im 3. Stock des Firmensitzes aufgestellt worden. Zeitgenossen beschrieben Franz Rappolt als große und stattliche Unternehmer-Persönlichkeit. Der Sohn Ernst Rappolt schrieb ihm zum 70. Geburtstag aus dem amerikanischen Exil: "(…) Du weißt, wie sehr ich immer Deine Leistung und Deine Haltung bewundert habe, und wenn es fuer mich ein Vorbild gibt, so ist es immer noch, zu sein wie Du." Nicht von ungefähr hatte er das Ölbild seines Vaters ausgewählt, als er 1938 in die USA emigrierte.

Einer politischen Organisation gehörte Franz Rappolt nie an. Anders als die Söhne seines älteren Bruders Arthur, war Franz Rappolt nicht Mitglied im exklusiven Norddeutschen Regatta Verein. Sein wirtschaftlicher Erfolg und sein Auftreten fanden Anerkennung in der Stadt, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kam, dass er ab Ende 1926 dem Plenum der Handelskammer Hamburg angehörte und hier in die "Zulassungsstelle für Wertpapiere zum Börsenhandel" berufen wurde. Er gehörte 1929 dem fünfköpfigen Ehrengericht der Hamburger Börse an und versah 1921 und 1922 das Ehrenamt eines Handelsrichters und entschied, wie auch Paul Mecklenburg (siehe Biografie Louise Hess, geb. Mecklenburg) und Richard Löwenthal, bei Handelsstreitigkeiten. Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme konnte der über 60-jährige Franz Rappolt stolz auf eine große Familie, eine florierende Firma, auf persönlichen Wohlstand und Ansehen blicken.

Mit dem nationalsozialistischen Machtantritt 1933 zerbrach sein Lebenswerk Stück für Stück: Im Juni 1933 schloss die Handelskammer Hamburg ihr Plenumsmitglied Franz Rappolt aus. Nicht von ungefähr war es der nun auf den Posten eines Stellvertretenden Vorsitzenden abgeschobene Präses Carl Ludwig Nottebohm, der Franz Rappolt schriftlich sein Bedauern über dessen Ausscheiden aussprach. Das Schreiben dürfte in dieser oder ähnlicher Form auch den übrigen "nicht arischen" Plenumsmitgliedern zugegangen sein, die zwangsweise aus diesem Gremium ausscheiden mussten. Die Firma selbst geriet von verschiedenen Seiten unter Druck. Die antisemitische Propaganda in Deutschland und Boykottaufrufe des Auslands gegen deutsche Firmen führten auch bei der Firma Rappolt & Söhne zu Umsatzrückgängen.

Franz Rappolts Neffen Hans (geb. 1899) und Walter Rappolt (geb. 1898), beides Söhne von Arthur Rappolt und Mitinhaber der Firma, emigrierten 1935 und 1936 nach Großbritannien. Rappolt & Söhne besaßen dort eine Beteiligung an der Firma Rasco Ltd. (Nottingham), die auf die Gummierung von Mänteln spezialisiert war. Auch die beiden jüngsten Söhne von Franz Rappolt verließen Deutschland: Ernst Rappolt, promovierter Jurist und Syndikus bei Rappolt & Söhne, dem am 26. April 1933 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen worden war, reiste im Mai 1938 in die USA aus. Der zweite Sohn, der Kaufmann Heinz Rappolt, seit 1932 Prokurist und seit März 1934 Mitinhaber von Rappolt & Söhne, emigrierte im Oktober 1938 nach England. Ermöglicht wurde die Einreiserlaubnis nach Großbritannien (Permit) durch das Engagement des englischen Firmenbesitzers Joseph E. Ward, bei dem er als Reisevertreter für Hüte arbeiten sollte. Franz Rappolts ältester Sohn Fritz Rappolt (siehe dort) war aufgrund seiner psychischen Verfassung nicht in der Lage, Deutschland zu verlassen. Im Januar 1939 emigrierte ein weiterer Gesellschafter der Firma nach Großbritannien, Erich Rappolt (geb. 1902), der Sohn von Paul Rappolt.

Ab 1936 wurden vom NS-Staat die entscheidenden juristischen Grundlagen geschaffen, um als "jüdisch" eingestufte Unternehmen behindern und schließen zu können. Im Mai und Juni 1936 wandten sich Franz Rappolt und sein Sohn Ernst Rappolt in Briefen und auch persönlich an hohe Mitarbeiter des Reichswirtschaftsministeriums in Berlin und protestierten, volkswirtschaftlich argumentierend, gegen die Diskriminierungen ihrer Firma.

Im Rahmen einer angeordneten Buchprüfung durch die Devisenstelle äußerte sich Franz Rappolt im Mai 1938 gegenüber dem Prüfer Behrens zu seiner Zukunft in NS-Deutschland, was der Prüfer beflissen in seinem umfangreichen Bericht notierte: "Er selber – Franz Rappolt – sei 68 Jahre alt und wolle seinen Lebensabend in Deutschland beschließen. Wenn auch im Moment keine bestimmten Auswanderungsabsichten bestünden, so seien jedoch die jüngeren Mitglieder der Familie Rappolt alle gewillt, Deutschland über kurz oder lang zu verlassen, so bald sich eben im Auslande Existenzmöglichkeiten für sie böten." Ein Vierteljahr später sperrte die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten mit einer "Sicherungsanordnung" alle seine Immobilien sowie Konten und Wertpapierdepots; ohne Zustimmung staatlicher Stellen konnte Franz Rappolt nun nicht mehr über sein Vermögen verfügen. Nach dem Novemberpogrom 1938 ("Reichskristallnacht") beschloss der NS-Staat eine "Judenvermögensabgabe", die in fünf Raten zu zahlen war – für Franz Rappolt betrug die Gesamtsumme 104.000 Reichsmark, die er zwischen Mai und November 1939 begleichen musste. Weitere staatliche Beraubungen in ähnlicher Größenordnung folgten in den nächsten Jahren. Die Villa am Leinpfad musste er daher Anfang Februar 1939 für 48.000 RM und damit 32.000 RM unter dem zuletzt ermittelten Wert, an den norwegischen Kaufmann Niels Haagensen (geb. 1880, seit 1933 NSDAP-Mitglied, seit 1934 Mitglied der faschistischen Nasjonalsamling Oslo), verkaufen. Der Umzug in die Haynstraße 10 II.Stock (Eppendorf) erfolgte zum 26. Juli 1939, nachdem kurz zuvor die Vormieterin Gertrud Rosenblum (geb. 1877) in die USA zu Tochter und Schwiegersohn emigriert war. In die 5-Zimmer-Mietwohnung nahm er große Teile des Hausrats aus der Leinpfad-Villa mit, darunter der Steinway-Flügel. Im Mai 1939 verkaufte Franz Rappolt für 700 RM ein Ölgemälde von Philipp Hackert an den in Hamburg tätigen Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, von dem es 1940 für 1200 RM an die Galerie Karl Haberstock (Berlin) weiterverkauft wurde, dessen Inhaber auch als Chefeinkäufer der Reichskanzlei für das geplante "Führermuseum" in Linz tätig war.

Der Seniorchef Franz Rappolt (geb. 1870) und der am 31. Dezember 1936 aus der Firma ausgeschiedene Paul Rappolt (geb. 1863) blieben – wie viele Juden der älteren Generation – in Hamburg. 1938 zwang der NS-Staat sie zum Verkauf ihrer Firma; Profiteure waren die Käufer Walter Hanssen, Gottfried Dubelman und Wilhelm Köppen (ERES Kommanditgesellschaft Hanssen, Dubelman & Köppen), deren Jahreseinkommen sich dadurch in den nächsten Jahren verfünffachte. Die jüdischen Mitarbeiter wurden von den "Ariseuren" entlassen. Erwähnt sei hier nur das Schicksal des kaufmännischen Angestellten bzw. Vertreters Leo Gerson (geb. 25.2.1893), der am 23. Februar 1942 nach 2½ Jahren Gefängnis- und Lageraufenthalt im KZ Sachsenhausen starb (siehe dort) sowie von Ernst Friedemann aus der Südamerika-Exportabteilung, der noch rechtzeitig emigrieren konnte. Über eine Mitarbeiterin schrieb Franz Rappolt im Januar 1941 an seinen Sohn: "Frl. B. aus der Maschinentuchführung ist fort." Ein Satz dessen Bedeutung trotz der Auslassungen vom Empfänger wohl verstanden wurde.

Das Geschäftshaus in der Mönckebergstraße wurde im Mai 1937 (Rappolt-Haus 2) und Februar 1939 (Rappolt-Haus 1) an eine Investorengruppe namhafter Hamburger Bankiers und Grundstücksmakler (Joachim von Schinckel, Freiherr Johann Rudolph von Schröder, Edmund von Österreich, Alwin Münchmeyer, Oskar Hertz) zu 60% des Marktwertes verkauft. Am 31. März 1940 räumte Franz Rappolt sein Büro dort endgültig, bis dahin hatte er noch für einen geordneten Übergang des Familienunternehmens und die Abwicklung mittels der "Rappolt Verwaltungsgesellschaft in Liquidation" gesorgt. "Es ist schwer für ihn, aber er sagt nichts", schrieb seine Ehefrau Charlotte an den Sohn Ernst in die USA über diesen letzten Abschied aus der Firma, die er 34 Jahre in leitender Stellung geführt hatte.

Auch von den anderen Maßnahmen gegen Juden blieben die Rappolt nicht verschont: Ab 1. Januar 1939 musste Franz Rappolt den Zwangsvornamen "Israel" tragen und bei jeder Unterschrift verwenden. Ab 19. Juli 1940 durfte er – ebenso wie andere Juden – keinen Telefonanschluss mehr besitzen. Die Kontakte zu Freunden, die ihn zum Skat, Bridge, Schach oder "Kaffeersatzklatsch" besuchten, wurden dadurch schwieriger. Bereits seit September 1939 existierte ein Ausgehverbot ab 20 Uhr für Juden. Nachdem ihm auch der Besuch von Konzerten und Opernaufführungen untersagt war, spielte das Grammophon im Hause Rappolt eine immer größere Rolle, wie er in einem Brief bemerkte. Der Freundeskreis blieb größtenteils intakt, allerdings waren nur noch Treffen in den Privatwohnungen möglich. Zum Bridge kamen u.a. William Henriques (1859–1941) und seine Schwester Agnes Henriques (1861–1942), Herr Frankfurter, Margot Haurwitz und Anna Kallmes, geb. Goldschmidt (1883–1942). Einer der Schachpartner war Paul Salomon (1865–1941) aus der St. Benediktstraße 29 und wenn er aus Berlin zu Besuch war, auch Bruder Otto Rappolt, mit dem er auch Patiencen legte ("das Spiel der alten Leute" wie Franz Rappolt selber schrieb). Sonntagvormittag gab es im Hause des emigrierten Fritz Warburg "als Vermächtnis öfter Sonntagsmusiken mit nur wenig Zuhörern, eben als Künstlerhilfe". Ab September 1941 war auch Franz Rappolt verpflichtet, deutlich sichtbar einen "Judenstern" zu tragen. Eine Freundin der Familie berichtete fünf Jahre später in einem Brief davon: "Ich erinnere mich noch des Tages, als er zuerst den gelben Judenstern tragen musste, (ich) zitterte innerlich, wie er diese neue Herausforderung tragen würde. Während andere sich tage- oder wochenlang nicht auf der Straße sehen lassen mochten, fuhr er gleich am ersten Morgen mit der Elektrischen in die Stadt, machte hocherhobenen Hauptes seine Besorgungen und lachte nur über meine Ängste. ‚Ich brauche mich doch nicht zu schämen, die Anderen müssen sich schämen!’" Aber die Kontakte auf der Straße kamen durch den "Judenstern" fast ganz zum Erliegen. Wenn Franz Rappolt in der Stadt nun seinen ehemaligen Lehrling traf und ein paar Worte mit ihm wechselte, so klemmte er sich seine Aktentasche vor die Brust, damit der "Stern" nicht zu sehen war. Denn selbst das harmloseste Gespräch war für beide Seiten gefährlich: Juden durften den "Stern" nicht verbergen, "Arier" sich nicht als "Judenfreunde" zeigen. Ein Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 24. Oktober 1941 sah in solchen Fällen die Schutzhaft bzw. Einweisung in ein Konzentrationslager vor. Eine langjährige Angestellte erinnert sich, dass sich Franz Rappolt auf dem Jungfernstieg für ihren Gruß mit den Worten bedankte: "Sie haben Mut, mein liebes Kind – Gott schütze Sie."

In der Jüdischen Gemeinde, die seit Juli 1939 als "Jüdischer Religionsverband" zentraler staatlicher Lenkung unterworfen war, übernahm Franz Rappolt nun ehrenamtliche Aufgaben. Er war ab Januar 1941 für das ehemalige Israelitische Mädchen- und Waisenhaus Paulinenstift (Laufgraben 37) und auch für Altenheime zuständig, bei denen er unpopuläre Einsparungen umsetzten musste. "Es ist eine Art Revisionstätigkeit, die mir sehr liegt", beschrieb er seine Tätigkeit in einem Brief. In dieser Funktion arbeitete er mit dem ehemaligen Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht Walter Rudolphi (1880–1944) zusammen, der im Vorstand der Hauptverantwortliche für die Bereiche Fürsorge und Gesundheitswesen war.

Franz Rappolt zögerte lange, einen Ausreiseantrag zu stellen, war er doch als optimistische und geduldige Persönlichkeit derjenige, der sich um die zurückgebliebenen Familienmitglieder kümmerte. Seine Ehefrau, sein Sohn Fritz sowie die Brüder Paul und Ernst waren psychisch oder körperlich auf Hilfe angewiesen. Nach einem gescheiterten Ausreiseantrag nach England, bemühte sich der Sohn Ernst Rappolt 1940 von den USA aus, für seinen Vater die Ausreise nach Nordamerika zu erwirken. Aufgrund von Länderquoten für Einwanderer, umfangreichen bürokratischen und finanziellen Vorgaben (Bürgschaftssumme 2000 US Dollar) sowie mehrfach verschobenen Schiffspassagen, wurde eine Emigration in die USA immer unwahrscheinlicher. Im Dezember 1940 schrieb der Sohn Fritz Rappolt an seinen emigrierten Bruder in die USA: "Ich kann nur sagen, dass der ‚Alte Herr‘ (Franz Rappolt) fabelhaft frisch, lebendig u. leistungsfähig ist. Onkel Pauls Tod hat doch viel Bedeutung für Vater (…). Im letzten Jahr hat Vater rührend für ‚Teddy‘ (Paul Rappolt) und ‚Tütchen‘ (Johanna Rappolt) gesorgt u. auch jetzt ist Vater grossartig. (…) Nett für Vater vor allem waren die Tage, die Onkel Otto (Rappolt) hier war."

Mitte Juni 1941 widerrief die HAPAG die schon gegebene Reisezusage für den 12. September 1941 ab Lissabon. Ab August 1941 tauchte im Briefwechsel von Vater und Sohn immer häufiger Kuba als alternatives Auswanderungsland auf. Über Kuba, wo nach seinen Informationen noch Visa innerhalb von vier bis sechs Wochen erhältlich sein sollten, wollte Franz Rappolt dann ein Jahr später zu seinem Sohn in die USA weiterreisen. Franz Rappolt erwähnte in einem Brief 2800 Dollar (rund 8500 Reichsmark) als nachzuweisende Summe für ein Jahr Aufenthalt in Kuba, was dem eigentlich wohlhabenden Mann in seiner finanziellen Notsituation aber nicht möglich war. Ende August 1941 erhielt Franz Rappolt die Nachricht, dass das kubanische Konsulat zum 5. September 1941 schließen würde. Eine kubanische Visumserteilung war nunmehr frühestens für Januar 1942 zu erwarten.

Eine neue Hoffnung schien ab Ende August 1941 eine Auswanderung nach Uruguay zu sein, wo geringere finanzielle Garantien verlangt wurden, allerdings mussten die Antragsteller vier bis fünf Monate auf ein Visum warten. Einstweilen versuchten Ernst Rappolt von den USA und Franz Rappolt von Hamburg aus, sowohl für Kuba als auch für Uruguay parallel Visa zu erlangen, da bei beiden Ländern eine Visa-Erteilung ungewiss blieb.

Die Hausbank M. M. Warburg bestätigte am 26. August 1941, für Franz Rappolt rund 150.000 RM "zum Sperrmarkkurs über die Deutsche Golddiskontbank, Berlin, zu transferieren. Der Devisenerlös wird zur Erlangung des uruguaischen Einreisevisums und für Anwaltskosten im Zusammenhang mit der Beschaffung des Visums benötigt (…)". Auf die Ausreise bereitete Franz Rappolt sich auch sprachlich vor: "Ich treibe jetzt spanisch statt englisch zum Auffrischen." Auch die Schwägerin Johanna Rappolt nahm bei einem Lehrer Spanischunterricht. Und sogar der Sohn Fritz lernte Spanisch, da er auf ein Visium für Columbien hoffte – doch weil er entmündigt war, bestand keine Aussicht auf eine Emigration dorthin.

Trotz der lähmenden Ungewissheit und der zermürbenden Warterei bemühte sich Franz Rappolt um Zuversicht. Über den nunmehr als "Konsulenten" tätigen Rechtsanwalt Morris Samson (1878–1959) regelte Franz Rappolt ab 10. September 1941 die umfangreichen Ausreiseformalitäten mit der Hamburger Devisenstelle. Fritz Scharlach (1898–1943) von der Exportagentur Scharlach & Co. kümmerte sich um die "Hand-, Reisegepäck- und Frachtgutliste" von Franz Rappolt und beantragte eine offizielle Packgenehmigung. Nach Prüfung durch den Gerichtsvollzieher Richard Fuhrmann (geb. 1891, seit 1.5.1933 Mitglied der NSDAP) von der Hamburger Devisenstelle F 4 wurde die Genehmigung zum Packen und zur Ausfuhr nach Uruguay am 31. Oktober 1941 erteilt. In Montevideo kümmerte sich der emigrierte Hamburger Rechtsanwalt Paul Tentler (1871–1958) um die dortigen Formalitäten. Im November 1941 erwartete er täglich, dass die kubanische Gesandtschaft in Berlin ihm das beantragte Visum zustellen würde. In den USA bemühte sich der Sohn, in Deutschland telefonierte Franz Rappolt jeden Tag mit dem Vertreter von Fritz Scharlach in Berlin. Doch die Anordnung des Reichsführers SS Heinrich Himmler vom 23. Oktober 1941, keine weiteren Auswanderungen zuzulassen, sabotierte die Auswanderungsbemühungen. Die geplante Dampferabfahrt für den 4. November nach Cuba wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Der letzte Brief von Ernst Rappolt aus den USA von Ende November 1941 macht einen Teil der mannigfaltigen Probleme deutlich, die mittlerweile einer Auswanderung von Franz Rappolt entgegenstanden: "Ich habe inzwischen alle Hebel in Bewegung gesetzt und nur soviel feststellen koennen, dass die telegrafische Ueberweisung von hier nach Cuba 10 Tage gedauert hat (warum, weiss kein Mensch) und dass die kubanischen Behoerden ueberlastet sind. Trotz verschiedener Telegramme und Telefongespraeche haben wir nichts zur Beschleunigung tun koennen. (…) Ich bin ganz verzweifelt ueber diese Verzoegerung, wo schon alles so weit zu sein schien. Um so mehr bewundere ich Deine Ruhe und Zuversicht."

Kurz darauf erklärte NS-Deutschland den USA den Krieg (11.12.1941) und unterband in den darauffolgenden Wochen den Telegramm-, Fernsprech- und Postverkehr mit den USA, Kuba und anderen mittelamerikanischen Staaten. Auch die Versuche, über das Internationale Rote Kreuz den Kontakt aufzunehmen blieben erfolglos. Die Möglichkeit zur Flucht aus Deutschland war endgültig versperrt.

Am 8. November 1941musste Franz Rappolts ältester Sohn Fritz den Zug ins Getto Minsk besteigen. Um Erleichterungen für ihn zu erwirken, nahm Franz Rappolt telefonisch Kontakt zu einem Berliner Ehepaar auf, das im Getto Minsk in der Verwaltung und im Lazarett tätig war. Schonung sah die NS-Vernichtungsmaschinerie aber nicht vor. Fritz Rappolt, der im Getto zu den Helfern des deutschen Judenältesten Edgar Franck gehörte, wurde zusammen mit den anderen Helfern am 13. April 1942 erschossen, nachdem sie versucht hatten Briefe aus dem Getto zu schmuggeln.

Für Franz Rappolt war der rasante soziale Abstieg mit zunehmender Isolierung und dem Verlust von Familienmitgliedern und Freunden verbunden. Am 4. Dezember 1940 war sein Bruder Paul nach dem dritten Schlaganfall verstorben. Nur wenige Monate später, am 6. März 1941, nahm sich seine Ehefrau Charlotte das Leben, die bereits seit einigen Jahren psychisch labil war und dem wachsenden antisemitischen Druck nicht standhalten konnte. Sie wurde bewusstlos mit einer Veronal-Tabletten-Vergiftung aufgefunden und vom herbeigerufenen Arzt Berthold Hannes ins Israelitische Krankenhaus in der Johnsallee 68 eingeliefert, wo sie verstarb. Am 25. Oktober 1941 nahm sich der jüngere Bruder Otto Rappolt in Berlin das Leben. Franz’ Bruder Ernst M. Rappolt, ein praktischer Arzt (geb. 12.5.1868) nahm sich am 9. April 1942 mit injizierten Schlafmitteln das Leben, als er in ein "Judenhaus" umziehen sollte. Auch sein Wohnhaus hatte er nach einer Anordnung vom Chef der Sipo und des SD Heydrich seit 13. März 1942 mit einem Davidstern aus Papier kennzeichnen müssen. Er wurde bewusstlos aufgefunden und mit einem Krankenwagen in das Israelitische Krankenhaus (Johnsallee 68) gebracht, wo er verstarb. Franz Rappolt erläuterte, sein Bruder habe die Aufforderung, in ein Altersheim zu ziehen, als "überaus schmerzlich" empfunden. Dieser Befehl betraf auch ihn selbst: "Die gleiche Aufforderung habe auch ich von der Staatspolizei Hamburg erhalten. Uns wurde freigestellt, gemeinsam ein Zimmer in dem Altersheim Hamburg Benekestr. 6 zu beziehen. (…) Am Sonntag dem 5.4.42 sind wir hier zuletzt zusammengewesen und haben auch über die Einzelheiten des Umzuges gesprochen."

Ernst M. Rappolt hatte seinen Bruder Franz als Erben eingesetzt. Juden über 65 Jahre wurden – wie Franz Rappolt, der inzwischen 71 Jahre alt war – von den Deportationen zurückgestellt, bis das Getto Theresienstadt sie ab Sommer 1942 aufnehmen konnte. Zur Vorbereitung auf die anstehende Deportation wurde Franz Rappolt am 15. April 1942 in das Altersheim umquartiert. Seine Möbel aus der Haynstraße 10, wo er seit Frühjahr 1939 eine 5-Zimmer-Wohnung bewohnte und ab 25. November 1941 in Erwartung des zugesagten Visums nur noch ein Zimmer als Untermieter bei Sophie Schwarz, geb. Verschleisser (geb. 26.11.1877 in Hamburg, deportiert 19.7.1942 nach Theresienstadt) bewohnte, sowie Kleidungsstücke und Ölbilder waren vermutlich bereits am 21. November 1941 für die Ausreise nach Südamerika verpackt und eingelagert worden, darunter wohl auch der Steinway-Flügel. Was aus dem "Umzugsgut", das üblicherweise im Freihafen in "Liftvans" lagerte, wurde, ist nicht bekannt. Vielleicht verbrannte es nach einem Luftangriff oder wurde geraubt, eine Versteigerung des Hausrates konnte in den entsprechenden Gestapo-Listen nicht festgestellt werden. In Franz Rappolts Auswanderungsakte fehlte die Auflistung der Gegenstände dieser Überseetransportkisten.

Am 15. Juli 1942 wurde Franz Rappolt, zusammen mit seiner Schwägerin, Johanna Rappolt, geb. Oppenheim, mit "Transport VI/1" nach Theresienstadt deportiert. Dort verstarb er am 25. November 1943. Gemeinsam mit ihnen wurden am 15. Juli 1942 aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis die folgenden Personen deportiert: Gerda Adler-Rudolphi geb. Schönfeld und deren Ehemann Dr. Walter Rudolphi (siehe dort) sowie ihre Eltern Felix Schönfeld (1869–1942) und Anni Schönfeld geb. Falk (1875–1943), der Arzt Friedrich Glaser (1888–1944?) und seine Ehefrau Olga Glaser geb. Fränkel (1892–1943) sowie Ernst Alsberg (1879–1944), der 1911 bis 1919 Prokurist bei Schönfeld & Wolfers (siehe Biografie Hugo Wolfers) und ab 1920 Mitinhaber von Alsberg & Katz war und seine Ehefrau Gertrud Alsberg, geb. Feiss (siehe dort).

Im September 1945 kam der Neffe Erich Rappolt (geb. 1902) als "British Intelligence Corps Sergeant Eric Rigby" wieder in das befreite Hamburg. Er schrieb in seine neue Heimat Großbritannien: "Never in my life have I felt so thrilled, excited, sad and satisfied as this short spell in Germany. What a difference between 29. Jan. 1939 when I left Germany and now Sept. 1945, (…) What a tragedy that so many of our dear ones did not live to see the day of justice.”

1965 wurde nach Franz Rappolt im Neubaugebiet von Hamburg-Lohbrügge der Rappoltweg benannt. Vermutlich in den 1980er Jahren wurde am erneuerten Gitterportal des Hauptportals vom Rappolt-Haus 1 in der Mönckebergstraße 11 ein Schriftzug "Rappolt-Haus 1" in historisierender Frakturschrift angebracht. Im April 2007 wurden vor dem Wohnhaus Leinpfad 58 Stolpersteine für Franz und Charlotte Rappolt und ihren Sohn Fritz Rappolt verlegt. Zusätzlich erinnert seit April 2007 vor dem ehemaligen Firmensitz in der Mönckebergstraße 11 ein Stolperstein an Franz Rappolt.

An die Brüder Ernst M. Rappolt (Rissener Landstraße 24) und Otto Rappolt (Grottenstraße 25) erinnern Stolpersteine in Hamburg-Altona. Für die Schwägerin Johanna Rappolt, geb. Oppenheim wurde am Rondeel 37 in Winterhude ein Stolperstein verlegt.

Die unverheiratete Cousine Vally Guttmann (geb. 14.12.1874 in Berlin), vermutlich eine Tochter von Berta, geb. Rappolt (geb. 20.5.1832 in Bruchenbrücken), wurde am 23. Juli 1942 von Berlin aus in das Getto Theresienstadt deportiert und am 21. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka.


Stand: April 2017
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 111-1 (Senat), 16235 = Cl I Lit. T Nr. 12 Vol. 14 Fasc. 17 (marineärztliche Untersuchung von Franz Rappolt in Barcelona, Mai 1889); StaH 131-6 (Staatsamt), Nr. 106 (Ausschluß von Juden … aus Wirtschaftsverbänden, Arisierung, …), Schreiben der Firma Rappolt & Söhne an das Reichs- u. Preuß. Wirtschaftsministerium (22.5.1936); StaH 231-3 (Handelsregister), A 7 Band 22 (Prokuristenprotokoll, P 5733, Moritz Gottheil, 1870); StaH 231-3 (Handelsregister), A 7 Band 30 (Prokuristenprotokoll, P 7592, Wilhelm Wolfers, 1879–1888); StaH 231-3 (Handelsregister), A 7 Band 42 (Prokuristenprotokoll, P 10437 Benno Jacobsohn 1889, P 10438 Paul Rappolt 1889–1891, P 10439 Arthur Rappolt 1889–1891); StaH 231-7 (Amtsgericht Hamburg, Handels- u. Genossenschaftsregister), A1 Band 186 (HR A 41580, Rappolt & Söhne 1938–1940); StaH 241-2 (Justizverwaltung, Personalakten), Nr. A 1404 (Dr. Ernst Rappolt); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), FVg 8866 (Franz Rappolt); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident); F 1978 (Dr. Ernst Rappolt); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 1980 (Heinz Rappolt); StaH 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Sterbefälle), 3 Akte 1941, Nr. 364 (Charlotte Rappolt); StaH 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Sterbefälle), 3 Akte 1941, Nr. 552 (Dr. med. Ernst Rappolt); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht), A Nr. 92 (4124/1870, Geburt von Franz Rappolt); StaH 332-5 (Standesämter), 6812 u. 407/1895 (Sterberegister 1895, Julius Oppenheim); StaH 332-5 (Standesämter), 8007 u. 522/1911 (Sterberegister 1911, Louise Rappolt geb. Herz); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 58 (Reisepassprotokolle 1888/89, Nr. 1007 Franz Rappolt); StaH 332-8, A 24 Band 62 (1891, Nr. 258 Franz Rappolt); StaH 332-8, A 24 Band 63 (1892, Nr. 300 Franz Rappolt); StaH 332-8, A 24 Band 95 (1906, Nr. 1169 Franz Rappolt); StaH 332-8, A 24 Band 316 (1924, Nr. 20704 Franz Rappolt, Nr. 20714 Charlotte Rappolt); StaH 332-8 (Meldewesen), K 2353 u. K 2364 (Hauskartei Haynstraße 10); StaH 332-8 (Meldewesen), K 2358 (Hauskartei Agnesstraße 20, Rocamora); StaH 342-2 (Militär-Ersatzbehörden), D II 59 Band 3 (Franz Rappolt); StaH 351-11 (AfW) 1588 (Franz Rappolt); StaH 351-11 (AfW) 26831 (Heinz Rappolt/ Harvey Randall); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinde), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Franz Rappolt, Johanna Rappolt, Otto Rappolt, Paul Rappolt; StaH 741-4 (Alte Einwohnermeldekartei verfilmt), Joseph Rappolt; StaH 741-4 (verfilmte Zeitungen), S 12887 (Hamburgischer Correspondent 1.3.1907 Morgen-Ausgabe); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung) C 12397 (Nils Haagensen); StaH 221-11, I (TL) 5420 (Walter Hanssen); StaH 221-11, L 3176 (Richard Fuhrmann); Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Grabprotokoll Nr. 42.845 vom 10.7.1906, Familiengrab Rappolt (AA 24, 333-346 Kapelle 6); Stadtarchiv Friedberg/Hessen, Judenmatrikel der Gemeinden Bruchenbrücken u. Friedberg 1831, 1832, 1835, 1837, 1861, Bürgeraufnahme 1837; Adressbuch Berlin 1899–1901, 1903 (Franz Rappolt); Adressbuch Breslau 1903, 1916; Adressbuch Friedberg 1905 (Firma J. L. Rappolt); Adressbuch Hamburg (Rappolt) 1866–1867, 1869, 1871, 1874–1877, 1881, 1883, 1885–1886, 1888, 1891–1895, 1897, 1900, 1904, 1913, 1932, 1934, 1939, 1941; Adressbuch Hamburg (Julius Oppenheim) 1890, 1892–1894; Hamburgisches Staatshandbuch 1921, S. 60 (Handelsrichter Franz Rappolt); dito 1922, S. 60; dito 1929, S. 188 (Ehrengericht der Hamburger Börse); Hamburger Börsenfirmen 1910/11, Hamburg 1910, S. 528 (Rappolt & Söhne); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. 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