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Karl Racmann * 1883

Bei der Apostelkirche 28 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1944 KZ Neuengamme
21.(23.)04.1945 ermordet

Karl Racmann, geb. am 20.12.1883 in Podebrady (Tschechoslowakei), am 21. bzw. 23.4.1945 im Konzentrationslagers Neuengamme umgebracht

Bei der Apostelkirche 28

Karl Racmann wurde wenige Tage vor dem Weihnachtsfest am 20.12.1883 in Podebrady, einer Kleinstadt im tschechischen Böhmen geboren; er war katholischen Glaubens.

Karl Racmann war im März 1910 nach Hamburg bzw. Altona gekommen, wo er Maria Behrmann begegnete. Die beiden heirateten am 9. Oktober 1913; die Eheschließung fand in Altona statt. Ein Jahr später erhielten sie ungewollt die deutsche Staatsbürgerschaft, wie Maria Racmann später zu Protokoll gab: "Nach Kriegsausbruch wurden uns unsere tschechischen Papiere und Pässe durch die Polizei hier in Hamburg abgenommen und erhielten wir einen deutschen Ausweis. Dieses war unfreiwillig und konnten wir nichts dagegen tun. Mein Mann hat sich trotzdem immer als Tscheche betrachtet."

Karl Racmann hatte das Tischlerhandwerk erlernt. Die Ehe blieb kinderlos. Die Eheleute blieben bis 1922 in Altona. Im selben Jahr hatte Karl Racmann den Meisterbrief erworben und machte sich mit einer Tischlerei selbstständig, zunächst in einem Hinterhaus in der Schwenckestraße 89, ab 1936 in der Dammtorstraße 21. Er arbeitete als "Alleinmeister", d. h. ohne Angestellte.

1943 wurden die Racmanns in der Mansteinstraße 44/I ausgebombt, fanden aber ein paar Häuser weiter, in der Mansteinstraße 34, eine neue Unterkunft.

Im September 1944 wurde Karl Racmann von den Gestapomännern Henry Helms und Liet­zow verhaftet und ins KZ Fuhlsbüttel eingeliefert. Seine Frau berichtete später: "Mitwoch, den 13.9. 1944 kam der Gestapo-Beamte Lietzow in meine Wohnung früh halb 8 Uhr und erkundigte sich nach meinem Mann. Mein Mann war bereits seit 7 Uhr auf der Baustelle eines Behelfsbaues in der Eimsbüttelerstraße und wurde dort noch am selben Vormittag verhaftet. Um halb 2 Uhr desselben Tages wurde meine Wohnung durchsucht von den Beamten Helms und Litzow, vorher war schon unsere Tischlerei in der Dammtorstraße 21 durchsucht worden."

Nun wurde das Geschäft durch die Innung beschlagnahmt. Maria Racmann erhielt eine Unterstützung von monatlich 40 Reichsmark (RM), von der sie kaum leben konnte. Sie erklärte sich die Verhaftung ihres Ehemannes damit, dass dieser bis 1933 Sozialdemokrat gewesen sei. Ein Mitgefangener bestätigte dies später, er habe den "Schutzhaftbefehl" gesehen, aus dem der Vorwurf der "Vorbereitung zum Hochverrat" hervorgegangen sei. Ein anderer Zeuge vermutete, er sei wegen NS-kritischer Äußerungen verhaftet worden, wie etwa, dass Hamburg vor der NS-Machtübernahme schöner gewesen sei, wie sähe es jetzt nach der Ausbombung aus?! Das habe ein Gestapospitzel gehört und ihm "Verächtlichmachung der Regierung" vorgeworfen. Ein Landsmann Racmanns mutmaßte, die Verhaftung hinge mit der Betätigung als Vorsitzender des Vereins "Svornost" zusammen. Racmann habe als "tschechischer Nationalist" gegolten und in seiner Werkstatt illegale Versammlungen abgehalten, er selbst habe mit Racmann Listen der in Hamburg befindlichen Tschechen aufgestellt, sie hätten Verbindungen mit der Heimat gehabt, ein Kurier habe Geld für die internierten und verschleppten Tschechen gebracht. "Zu unserer Gruppe gehörten von ‚Svornost‘ Racman, Smok (Jednatel), B. Voltr (war bei Wäscherei Kolzen tätig und schmuggelte Pakete mit Essen, Briefe, Nachrichten für die Häftlinge in Fuhlsbüttel), mein Bruder Josef, Oberleutnant H. Wir haben als Demokraten und ehrliche Nationalisten gegen die unmenschlichen Anordnungen der Nazis offen gearbeitet. Verbreitung der ‚feindlichen‘ Radiosendungen, Nachrichten, der antinationalsozialistischen Literatur und Zeitungen. Die Verhaftung der Funktionäre ‚Svornost‘ wurde keine harmlose Sache des landsmännischen, kulturellen Vereines, weil die Hinrichtungen, Verhaftungen und Verfolgungen der führenden Männer der tschechischen antinationalsozialistischen Bewegung in Deutschland ein Beweis dafür ist, dass ich nur wegen meiner antinationalsozialistischen Einstellung in Haft war." Zuvor hatte er u. a. erklärt, "(wir) bekamen von einem Ingenieur von Blohm und Voss, dessen Namen ich nicht mehr weiß, Flugblätter. Der Inhalt war im Wesentlichen derselbe wie bei den englischen Rundfunksendungen. Sie beschäftigten sich mit den für Deutschland sinkenden Erfolgsaussichten des Krieges und forderten dazu auf, auch im Innern an dessen Beendigung mitzuarbeiten. Wir haben diese Flugblätter auch verteilt, und zwar im Anschluss an Vorträge, die ich im ‚Svornost‘ gehalten habe. In unseren Versammlungen erschienen nur wir tschechischen Leute, außer den deutschen Frauen, soweit sie welche hatten und auch meine damalige Verlobte. Hin und wieder kam es vor, dass Leute erschienen, die uns nicht ganz geheuer waren, dann waren wir sehr zurückhaltend und vorsichtig." Sie waren wohl nicht vorsichtig genug, denn der Gestapospitzel Alfons Pannek war nach eigenen Worten als "Gestapo-Bediensteter" Mitglied des Vereins "Svornost" geworden und hatte die Funktion eines Vereins-Bibliothekars übernommen. Er kannte den Vereinsvorsitzenden persönlich und nahm auch an den Gesprächen teil, die Karl Racmann in seiner Druckerei organisierte.

Pannek erinnerte sich folgendermaßen an die Festnahme: "Kurz vor seiner Verhaftung hielt Racmann auf einer Versammlung des Vereins Svornost in dem Klubraum an der Alster eine Rede, die wohl eine Viertelstunde gedauert haben mag. Ich war bei dieser Versammlung zugegen. Weiter waren zwei – es können auch drei gewesen sein – junge Leute in Arbeitsdienstuniformen anwesend. Ich glaube, dass die Anwesenheit dieser Uniformträger für Racmann der Anlass seiner Rede war. Er wandte sich nämlich in der Rede mit klaren Worten gegen diejenigen, die sich freiwillig dem Dritten Reich in irgendeiner Form der Zusammenarbeit zur Verfügung stellten in der Hoffnung, für ihre Zukunft dadurch ein besseres Fortkommen zu finden. An die Adresse dieser Leute gerichtet sagte Racmann etwa, dass die Zukunft sich ganz anders gestalten würde als diese Leute es sich vielleicht dächten. Das betonte er mehrmals. Im Saal blieb es mäuschenstill, kein Mensch sagte ein Wort, alle waren sprachlos und guckten sich nur an. Es musste damit gerechnet werden, dass diese Rede Racmanns den Behörden zur Kenntnis kommen würde. Ich möchte noch erwähnen, dass der Verein sehr wahrscheinlich von mehreren Dienststellen der Gestapo überwacht wurde. So nehme ich an, dass er auch von der Abteilung für Fremdarbeiter und Spionageabwehr überwacht wurde, weil in dem Verein sehr viele Tschechen verkehrten, die als Fremdarbeiter nach Hamburg gekommen waren. Diese Leute bildeten bei den Versammlungen die Mehrzahl der Besucher." An der Versammlung sollen ca. 100 Personen teilgenommen haben. Pannek informierte sofort Gestaposekretär Helms, der seinen Vorgesetzten, SS-Hauptsturmführer und Kriminalkommissar Adolf Bockelmann, ins Bild setzte. Der entschied, Karl Racmann festzunehmen und den Verein zu schließen. Für Racmann beantragte die Gestapo "Schutzhaftstufe 1 auf Kriegsdauer".

Racmann soll Kontakt zu einer Widerstandsgruppe "KdF" gehabt haben. Die Gruppe hatte ab 1942 auch Kontakt zu ausländischen Arbeitern und zu Kriegsgefangenen aufgenommen – über Karl Racmann und dessen Freund, Vincent Smok zum tschechischen Verein "Svornost". Auch letzterer wurde festgenommen, weitere Inhaftierungen erfolgten Ende 1944/Anfang 1945. Alle Verhafteten wurden ins Gefängnis Fuhlsbüttel eingewiesen. Karl Racmann konnte seiner Frau monatlich Briefe schreiben, einmal noch war ein Wiedersehen möglich, als er am 10. April 1945 vom Polizeigefängnis Fuhlsbüttel einen Tag Urlaub erhielt, um Maria bei einem Umzug in eine andere Wohnunterkunft zu helfen. Sie zog von der Mansteinstraße 34 in die Straße Bei der Apostelkirche 28.

Trotz dieses Zugeständnisses ließ die Gestapo keine Milde walten: Sie entschied, die in Fuhls­büttel Einsitzenden – auch den zur "KdF"-Gruppe gezählten Personenkreis, gegen den be­reits Hochverratsprozesse vor dem Volksgerichtshof in Berlin vorbereitet wurden – den anrückenden alliierten Truppen zu entziehen und sie ins Gefängnis Kiel-Hassee zu überstellen. Einige waren bereits früher in das Untersuchungsgefängnis Hamburg-Stadt eingeliefert worden und standen dort der Staatsanwaltschaft zur Verfügung. In Fuhlsbüttel zurückgeblieben war eine Gruppe von 71 politischen Gefangenen (13 Frauen und 58 Männer), die die Gestapo auf eine Liquidationsliste setzte. Da durch den Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Himmler, angeordnet worden war, für den Fall der Annäherung alliierter Streitkräfte politische Häftlinge zu beseitigen, wurden die 71 Gefangenen auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers Henning Georg von Bassewitz-Behr am 18. April – nach anderen Informationen – am 20. April 1945 ins Konzentrationslager Neuengamme überführt und kurz darauf ermordet.

Der KZ-Häftling Hans Schwarz schrieb später darüber: "In den Abendstunden des 20. April 1945 fuhren zwei Lastwagen vor, denen insgesamt 58 Männer und 13 Frauen entstiegen. Die Männer wurden unter Postenbedeckung auf den Block 20 (Strafblock) gebracht und jedem Häftling der Zutritt zu diesem Block verwehrt. Dadurch war jedem alten Lagerinsassen bewußt, daß es sich um eine besondere Angelegenheit handeln müsse [...] Da ich gleichzeitig Vorsitzender des illegalen, internationalen Häftlingskomitees im KZ Neuengamme war, habe ich von mir aus versucht, festzustellen, aus welchen Gründen diese neuangekommenen Häftlinge so isoliert wurden. Dabei konnte ich feststellen, daß unter den Männern 13 Tschechen, Polen und Russen waren. Mit einigen von ihnen, u. a. mit einem tschechischen Tischler aus Hamburg, habe ich gesprochen. Sie kamen aus dem Untersuchungsgefängnis Hamburg und waren von Helms und Tessmann nach Neuengamme geschickt worden. Nach den mit ihnen geführten Gesprächen hat der tschechische Tischler einem tschechischen Verein vorgestanden, in den von Helms ein Spitzel geschickt worden war [...] Am 22. April 1945 abends befand ich mich auf meinen Rundgang durch das Lager [...] Später, als ich bereits auf dem Block 22 war, waren Schüsse und dumpfe Detonationen aus der Richtung des Lagerbunkers zu hören, da in der Nacht die Luft klar war. Am nächsten Morgen früh erzählte Dreimann auf der Rapportführerstube den anderen Blockführern, daß es zu einem Kampf im Bunker gekommen sei [...]."

Maria Racmann starb am 16.8.1963 in Hamburg.

© Peter Offenborn

Quellen: StAH 351-11 AfW 8796 (Racmann); StAH 351-11 AfW 20415 (Hloucha); Informationen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Interview mit Gudrun Schütter vom 29.3.1987 (Sonntagsgespräche), WdE/FZH 199 korr.; FZH 12 H/Helms (Personalakten), Aussagen: Hildegard Lembke und Ursula Prüssmann; FZH 12 A/Ahrens (Personalakten), Spruchgerichtsverfahren gegen Georg Friedrich Ahrens; FZH 13-3-2-2 (Widerstand in Hamburg 1933–1945, Prozesse/Hinrichtungen); FZH 13-3-3-1 (Männer im Widerstand 1933–1945); FZH 13-3-3-2 (Frauen im Widerstand 1933–1945); Hamburger Echo (Tageszeitung) von Mai/Juni 1949; Ursel Hochmuth,Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel; Klaus Bästlein, Hitlers Niederlage; Herbert Diercks, Gedenkbuch Kolafu; Für Freiheit und Demokratie; Ursula Puls, Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, S. 135; Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer, Streiflichter, S. 449–453; Günther Weisenborn (Hrsg.), Der lautlose Aufstand, S. 107/108.

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