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Bereits verlegte Stolpersteine



Ilse Lazarus
© Yad Vashem

Ilse Lazarus * 1926

Försterweg 43 (Eimsbüttel, Stellingen)

1943 Theresienstadt
1944 Auschwitz ermordet

Weitere Stolpersteine in Försterweg 43:
Salomon Falck, Lina Falck, Hilde Falck, Ruth Falck, Gerta Lazarus

Gerta Lazarus, geb. Jakobs, geb. 19.3.1900 in Stapelmoor, deportiert am 23.6.1943 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 23.10.1944 nach Auschwitz-Birkenau
Ilse Lazarus, geb. 29.8.1926 in Oldenburg, deportiert am 23.6.1943 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 23.10.1944 nach Auschwitz-Birkenau

Försterweg 43

Der 31-jährige jüdische Viehhändler Samuel Lazarus (geb. 13.10.1887 in Stapelmoor in Ostfriesland, heute Stadt Weener), war niederländischer Staatsbürger. Seine in den Niederlanden geborenen Eltern waren Salomon Lazarus und Sophie, geb. de Levie. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges, in dem sich die Niederlande neutral verhielten, hatte sich Samuel Lazarus freiwillig zur kaiserlich-deutschen Armee gemeldet und dafür die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Im Umgang mit Pferden geübt, war er als Meldereiter einer Kavallerie-Einheit des 19. Dragoner-Regiments Oldenburg in Russland am Kopf schwer verwundet worden. Für seine Leistungen im Krieg wurde er mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse sowie dem Silbernen Verwundetenabzeichen ausgezeichnet.

Am 23. November 1918 kehrte er zurück und ließ sich in Oldenburg in Oldenburg nieder. Dort lebten bereits Verwandte mütterlicherseits, die ebenfalls Vieh- und Fleischwarengeschäfte betrieben. Samuel Lazarus heiratete im Mai 1922 seine Cousine Gerta Jakobs, die ebenfalls aus Stapelmoor stammte und nach der Heirat nach Oldenburg zog. Ihre drei Kinder Jan (geb. 1923), Claus (geboren u. gestorben 1925) und die taubstumme Ilse (geb. 1926) kamen in Oldenburg zur Welt. Ab 1922 lebten Samuel und Gerta Lazarus in einem Haus in der Straße Damm 30, das sie erworben hatten. 1927 zog auch der 19 Jahre jüngere Bruder Paul Lazarus (geb. 18.10. 1908 in Stapelmoor) ein, der als Rinder- und Pferdehändler in der Firma des Bruders ("Samuel Lazarus Viehhandlung") arbeitete. Für ihre Rinderherde hatten sie auch die Weiden am Strandbad auf 90 Jahre gepachtet. Die unverheiratete Schwester Rosa Lazarus (geb. 11.12.1893 in Stapelmoor) führte seit 1920 den Haushalt. Auch der älteste Bruder Simon Lazarus (geb. 23.6. 1886 in Stapelmoor) lebte seit 1920 in Oldenburg, wo er in der Ziegelhofstraße 87 ein Haus gekauft hatte und ebenfalls eine Viehhandlung betrieb. Die Familien Lazarus feierten den Sabbat und besuchten die Oldenburger Synagoge.

Die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten bedrängte ab 1933 zunehmend die wirtschaftliche Existenz der Familie. Im April 1933 kam es auch in Oldenburg zu gesteuerten Boykott-Aktionen gegen Geschäfte und Firmen jüdischer Inhaber. Vor dem Haus der Familie erschienen zwei SA-Männer mit einem Plakat "Deutsche kauft nicht bei Juden!" Die Eltern nahmen Sohn Jan 1935 von der staatlichen Knabenschule und meldeten ihn bei einer Privatschule an, um ihm Schikanen und Notenvergaben nach rassistischen Gesichtspunkten zu ersparen. Doch auch seinen Mathematik-Nachhilfelehrer traf Jan Lazarus später auf der Straße, "Juda verrecke" brüllend.

Der jüngere Bruder von Samuel "Sami" Lazarus, Paul Lazarus, der eine nichtjüdische Freundin hatte und deshalb von der Gestapo bedroht wurde, emigrierte im September 1935 in die Niederlande nach Winschoten, rund 20 km westlich von Weener. Gewarnt worden war Familie Lazarus von Franz Reyersbach (1880–1936), der selbst am 14. Dezember 1936 im KZ Oranienburg umkam. Samuels älterer Bruder Simon folgte im September 1938 in die Niederlande nach Hoogeveen, rund 50 km westlich von Meppen. Die Schwester Rosa, die anders als ihre emigrierten Brüder nicht die niederländische Staatsbürgerschaft besaß, war schon vorher nach Bellingwolde geflohen, einem niederländischen Grenzort, aus dem ihre Eltern stammten.

Jan Lazarus musste die Oberrealschule in Oldenburg ca. 1936 auf Anordnung der nationalsozialistischen Behörden verlassen. Im September 1937 lebten in der Stadt Oldenburg laut einem Gestapo-Bericht noch 225 Juden. Durch berufliche und finanzielle Benachteiligungen versuchten die lokalen staatlichen Stellen, die jüdischen Einwohner zum Verlassen des Ortes zu nötigen. Mit der Verordnung über die Anmeldung aller jüdischen Vermögen (April 1938) sowie der Verordnung über die Registrierung und Kennzeichnung jüdischer Gewerbebetriebe (Juni 1938) wurde die Grundlage für die Ausplünderung und berufliche Verdrängung bzw. "Arisierung" der Betriebe geschaffen. Im Oktober 1938 wurde der Wandergewerbeschein des Viehhändlers Samuel Lazarus eingezogen, sodass die Familie von nun an von ihren Ersparnissen leben musste. Der Verkaufserlös für das Haus Damm 30 wurde vom NS-Staat als "Sühneleistung" komplett eingezogen. Die Familie zog in das Haus des Schwagers Jakobs in die Donnerschweer Straße 120 um.

Im Zuge der reichsweiten Pogrome wurde Samuel Lazarus am 9. November 1938 verhaftet und zur "Schutzhaft" ins Gerichtsgefängnis Oldenburg gebracht, zwei Tage später wurde er wieder entlassen. Auch Jan Lazarus wurde verhaftet und mit einem Güterzug nach Oldenburg gebracht; da er aber noch nicht 15 Jahre alt war, wurde er nicht in ein KZ überstellt, sondern wieder freigelassen. Ab November 1939 planten lokale Parteigrößen der NSDAP die "Abschiebung sämtlicher Juden" aus dem Nordwesten des Deutschen Reiches. Mit Verweis auf die Grenzzonenverordnung vom 2. September 1939 und eine Spionagegefahr, die angeblich generell von Juden im Grenzgebiet ausgehe, sahen die Landräte der Kreise Aurich und Norden sowie die Bürgermeister von Emden und Leer eine Deportation der Juden in die von der deutschen Wehrmacht besetzten polnischen Gebiete, den Distrikt Lublin, als sinnvoll an. Repräsentanten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland gelang es in Verhandlungen, eine "Unterbringung der Juden im Innern des Reiches" zu erwirken.

Am 7. Mai 1940 zogen Samuel und Gerta Lazarus ins Rheinland nach Sonsbeck (Kreis Geldern) nahe der holländischen Grenze, wo eine Schwester von Gerta Lazarus lebte. Da aber auch diese Familie von der zwangsweisen Abschiebung bedroht war, zogen die Eheleute Lazarus am 20. Mai 1940 von dort nach Hamburg weiter.

Dem 15-jährigen Sohn Jan Lazarus war am 15. November 1938 die Ausreise mit einem Kindertransport von Holland nach England geglückt. Da er nur einen kleinen Koffer mitnehmen durfte, musste er die von seiner Mutter gekauften neuen Kleidungsstücke Anzug, Joppe und Mantel übereinander ziehen. In Weener wurden der Zug sowie die Koffer der rund 120 bis 130 Kinder von SA-Männern kontrolliert.

Ilse Lazarus befand sich vermutlich noch 1940/41 in der Israelitischen Taubstummenanstalt Berlin-Weißensee (Parkstraße 22–23), 1941 kehrte sie zu ihren Eltern zurück. Nach verschiedenen staatlich verordneten Umbenennungen, der Aufhebung der rechtlichen Selbstständigkeit, einer erzwungenen Zusammenlegung und einem Umzug, wurde die ehemalige Israelitische Taubstummenanstalt im April 1942, wie alle jüdischen Schulen in Berlin, zwangsweise geschlossen.

In Hamburg lebten die Eheleute Lazarus anfänglich zur Untermiete in der Moltkestraße 55 im Stadtteil Hoheluft-West. Hauptmieter war der Angestellte Hugo Leon (geb. 16.6.1871 in Hannover), der später nach Altona in die Große Bergstraße 108 umziehen musste und am 19. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert wurde. Auch die jetzt mit Ilse dreiköpfige Familie Lazarus wurde in Altona in der Großen Bergstraße 108 in ein so genanntes Judenhaus einquartiert, zu dem Nichtjuden keinen Zutritt hatten.

Ein weiterer Umzug führte sie nach Stellingen in den Försterweg 43. Auf dem dortigen Jüdischen Friedhof stand eine Leichenhalle mit Synagoge und Wohnhaus für den Friedhofsinspektor. Das Gebäude war im Besitz der Jüdischen Gemeinde und wurde von den NS-Machthabern ebenfalls als "Judenhaus" im Rahmen der Vorbereitungen zur Deportation genutzt. Hier bewohnte auch Lina Falck, geb. Heimann, mit ihren beiden Kindern ein Zimmer (s. Biographie Falck). Die Rechte von Juden waren zu diesem Zeitpunkt bereits so stark eingeschränkt, dass an eine freie Wohnungswahl nicht mehr zu denken war. Samuel Lazarus fertigte dort zusammen mit dem Kaufmann und Firmeninhaber Fritz Benscher (geb. 1904 in Hamburg), dessen väterliche Leder-Import-Firma "arisiert" worden war, Särge für die Jüdische Gemeinde. Mehrmals stand Familie Lazarus auf der Deportationsliste und ebenso oft gelang es Samuel Lazarus, den Sachbearbeiter des "Judenreferats" der Hamburger Gestapo, Walter Wohlers, zu bewegen, sie wieder von der Liste zu streichen. Zu diesem Zweck dekorierte sich der ehemalige Frontsoldat Lazarus mit seinen Orden aus dem Ersten Weltkrieg und erschien persönlich bei der Gestapo. Wohlers wies Max Plaut vom Jüdischen Religionsverband telefonisch an, die Namen aus der Deportationsliste zu streichen. Dreizehn Deportationszüge mit rund 5500 Deportierten konnten sie so überstehen.

Aber am 23. Juni 1943 wurden Familie Lazarus und weitere 106 Personen nach Theresienstadt ins Getto deportiert. Bei den Deportationssammelstellen waren gewöhnlich neben Helfer/innen der Jüdischen Gemeinde auch Finanzbeamte sowie alle Mitarbeiter des Judenreferats der Hamburger Gestapo anwesend. So trafen sich Samuel Lazarus und der Gestapo-Beamte Wohlers bei der organisatorischen Vorbereitung des Deportationszuges wieder. Vorgesehen für die "Evakuierung" ins Getto Theresienstadt waren neben Per­so­nen über 65 Jahren auch Männer, die im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet worden waren. Im offiziellen NS-Sprachgebrauch wurde daher auch von "Altersgetto" oder "Vorzugslager" gesprochen.

Fünfzehn Monate später wurde die 18-jährige taubstumme Ilse Lazarus bei einem Appell für eine weitere Deportation herausgewunken. Als sie sich nach einigen Metern noch einmal zu ihren Eltern umdrehte, lief ihr ihre Mutter Gerta Lazarus nach. Der Deportationszug endete im Vernichtungslager Auschwitz.

Auch Samuel Lazarus stand rund drei Monate später auf einer Deportationsliste. Als seine Nummer aufgerufen wurde, verdeckte er diese an seiner Kleidung und sagte auf Plattdeutsch: "De is all dood bleeven." Daraufhin wurde er von der Deportationsliste gestrichen. Im Getto Theresienstadt gab es für ihn nun offiziell weder ein Schlaflager in einer Baracke noch Essen. Es gelang ihm, sich drei Monate in der Nähe der Küchenabfälle versteckt zu halten und dadurch dem Tod durch Verhungern zu entgehen. Als die Rote Armee das Lager am 8. Mai 1945 befreite, wog er noch 35 kg – in einer Krankenbaracke wurde er versorgt. Von Gerta und Ilse Lazarus ist das genaue Todesdatum nicht bekannt; sie wurden vermutlich kurz nach der Ankunft des Deportationszuges im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am 25. Oktober 1944 bei einer der "Selektionen" der Gruppe der sofort zu tötenden Gefangenen zugeteilt und mit Gas ermordet.

Simon Lazarus war mit seiner Ehefrau Margarethe, geb. de Taube (geb. 3.4.1893 in Neu­stadt), den Kindern Irmgard (geb. 1924) und Curt (geb. 1925) sowie dem Schwiegervater Salomon de Taube (1858–1942?) im September 1938 nach Hoogeveen in die Niederlande emigriert. Alle drei wurden im niederländischen Durchgangslager Westerbork interniert und von dort am 25. Mai 1943 ins Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo sie vermutlich kurz nach ihrer Ankunft ermordet wurden.

Die 18-jährige Irmgard Lazarus wurde am 19. Februar 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wohin Salomon de Taube bereits am 26. Oktober 1942 verschleppt worden war.

Samuel Lazarus kehrte am 12. September 1945 nach Hamburg (Rothenbaumchaussee 217) zurück und zog von dort am 19. Oktober 1945 wieder nach Oldenburg in Oldenburg, wo er sich erneut eine Viehhandlung (Lazarus & Sohn) aufbaute, die er gemeinsam mit seinem Sohn Jan bis ins hohe Alter betrieb. Samuel Lazarus starb 1982. Auch seine Schwester Rosa Lazarus kehrte nach 1945 nach Oldenburg zurück und half ihrem Bruder wie zuvor im Haushalt.

Der emigrierte Jan Lazarus wurde nach dem Kriegsausbruch als wehrfähiger "feindlicher Ausländer" auf der englischen Isle of Man interniert. Nach der deutschen Besetzung der französischen Haupt­stadt im Juni 1940 befürchtete Großbritannien, das nächste Ziel für deutsche Landungsunternehmen zu sein. Um kein Risiko hinsichtlich versteckter deutscher Spione einzugehen, wurden alle männlichen deutschen Gefangenen nach Kanada oder Australien verschifft. In Kanada meldete sich Jan Lazarus "halbwegs gepresst" als Soldat. Er nahm als Nachhut an der alliierten Landung in der Normandie im August 1944 teil. Um ihn bei einer möglichen Gefangennahme zu schützen, wurde seinem Familiennamen eine englische Form gegeben und statt des Geburtsortes Oldenburg wurde Leeds in die Dokumente eingetragen. In Frankreich war er als Dolmetscher für die britische Armee tätig, ab Mai 1945 versah er diese Aufgabe in England in Internierungslagern für deutsche Kriegsgefangene. Zuletzt bekleidete er den Dienstrang eines Staff Sergeant (= Feldwebel). Nach der Nachricht vom Überleben seines Vaters kehrte er 1946 in seine Geburtsstadt Oldenburg zurück, behielt jedoch bis zu seinem Tod seinen angelsächsischen Familiennamen und seine britische Staatsbürgerschaft bei.

© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; 5; 7; 8; StaH 332-8 (Hauskartei), K 2517 (Försterweg 43); Stadtarchiv Oldenburg i. O., Meldekarteikarten, Signatur G Nr. 641/ L (Paul, Rosa, Samuel und Simon Lazarus); Herbert Reyer, Die Vertreibung der Juden aus Ostfriesland und Oldenburg im Frühjahr 1940, in: Hajo van Lengen (Hrsg.), Col­- lectanea Frisica, Beiträge zur historischen Landeskunde Ostfrieslands, Aurich 1995, S. 363–390;. Jörg Paulsen, Erinnerungsbuch – Ein Verzeichnis der von der nationalsozialistischen Judenverfolgung betroffenen Einwohner der Stadt Oldenburg 1933–1945, Bremen 2001, S.104, 105, 107, 178, 195; Enno Meyer, Die im Jahre 1933 in Oldenburg i. O. ansässigen jüdischen Familien, Oldenburger Jahrbuch Band 50, S. 36 (Reyersbach); www.joodsmonument.nl (Simon Lazarus); Recherchen von Jürgen Sielemann, 2007; Telefon-Interview mit I. L. (Oldenburg), März 2010; 2 Telefon-Interviews mit G. N. (Hamburg), April und Mai 2010; Filmwerkstatt Oldenburg, Dokumentarfilm "Jan vom Damm" (Jan Lazarus) von Farschid Ali Zahedi, 30 Minuten, 2001.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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