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Semi Werner Dawidowicz * 1922

Schäferkampsallee 25/27 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1943
1943 Theresienstadt, weiterdeportiert nach Auschwitz

Weitere Stolpersteine in Schäferkampsallee 25/27:
Berl Beit, Sophie Rosenstein, Sophie Wohlwill

Semi Werner Dawidowicz, geb. am 23.1.1922 in Hamburg, KZ Fuhlsbüttel vom 9. bis 12.9.1939; am 10.3.1943 nach Theresienstadt, am 18.12.1943 nach Auschwitz deportiert

Schäferkampsallee 25/27

Moritz Moszek Dawidowicz, geb. am 7.11.1894 in Zloczew, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zbaszyn, bis Sommer 1939 inhaftiert im Internierungslager, 1941 KZ Majdanek
Gerd Dawidowicz, geb. am 6.7.1927 in Hamburg, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zbaszyn, am 23.6.1944 in Warschau inhaftiert, verschollen
Horst Dawidowicz, geb. am 2.4.1930 in Hamburg, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zbaszyn, am 23.6.1944 in Warschau inhaftiert, verschollen
Bernd Dawidowicz, geb. am 17.1.1936 in Hamburg, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zbaszyn, am 23.6.1944 in Warschau inhaftiert, verschollen

Hofweg 22, Uhlenhorst

Semi Werner Dawidowicz war Jude und polnischer Staatsangehöriger wie sein Vater Fritz (Isidor, Izydor). Die Mutter Gertrud Dawidowicz, geb. Frankenthal, wurde in der Familie wohl Rosalie genannt und stammte aus Kiel, wo sie am 3.1.1893 geboren wurde. Der Vater Fritz Isidor Dawidowicz (geb. 17.6.1893) stammte aus Zloczew (von 1939 bis 1945 Schlötzau), einer polnischen Kleinstadt in der Nähe von Lodz. In Hamburg handelte er mit Schuhbedarfsartikeln und Leder. Sein Geschäft betrieb er am Mundsburger Damm 54, wo Schuhe verkauft und repariert wurden. Die Firma wurde 1938/1939 "arisiert".

Die Familie von Semi Werner Dawidowicz lebte unter mehreren Adressen, erst in der Bornstraße 6 und dann auf der Uhlenhorst am Mundsburger Damm 38, in der Birkenau 3 und in der Oberaltenallee 9 II. Die Oberaltenallee war wohl die letzte freiwillig gewählte Adresse. Semi Werner war schwer krank und körperlich behindert. Ob von Geburt an oder seit wann, ist unklar. Er hatte einen acht Jahre jüngeren Bruder Edwin. Schon als sehr junger Mann hat Semi nicht mehr bei seiner Familie gelebt. Laut Kultussteuerkarteikarte wohnte er in der Westerstraße 27, in der Dillstraße 13 ptr. und in der Grindelallee 93 bei Leo Frankenthal, möglicherweise einem Onkel oder Großvater.

Als Opfer der "Polenaktion" wurde die Familie im Oktober 1938 nach Zbaszyn (Bentschen) abgeschoben. Das galt jedenfalls für die Eltern. Semi Werner blieb wegen seiner Krankheit wohl in Hamburg. Nach Aussagen einer Verwandten wurde er in ein Heim eingewiesen. Vom April bis August 1939 besuchte er jedenfalls die Aufbauklasse G 9 in der Talmud Tora Schule. Auch Edwin scheint in Hamburg geblieben zu sein, denn von ihm existiert ein Abgangszeugnis der Talmud Tora Schule. Demnach besuchte er die Schule seit April 1935 von der ersten Klasse an und verließ sie im Sommer 1939 nach der fünften Klasse. Die Mutter kehrte 1939 für wenige Monate nach Hamburg zurück, während der Vater in Polen bleiben musste. Er war bis zum Sommer 1939 im Lager Bentschen interniert. Es gelang der Familie, den erst 10-jährigen Edwin allein von Hamburg aus mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Semi Werner bemühte sich vergeblich, in die Schweiz zu emigrieren – vermutlich auf Betreiben der Mutter. Im September 1939 wurde er für kurze Zeit im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Nach Kriegsbeginn internierte das Deutsche Reich tausende polnische Juden unter extrem schlechten Haftbedingungen. Dadurch wuchs der Druck zur Ausreise. Im Oktober 1939 unterschrieb die Mutter ein Formular für Semi Werner. Auch eine Liste von Werners Umzugsgut gab es bereits. Es waren ausschließlich Gegenstände angegeben, die zu normalem Reisegepäck gehören, also vor allem Kleidungsstücke. Semi Werners Versuch auszureisen scheiterte jedoch. Die Mutter wurde noch 1939 endgültig nach Polen ausgewiesen.

Semi Werner, der körperlich immer stärker beeinträchtigt war und nur noch gebeugt an Krücken gehen konnte, verbrachte die Wochen vom 22. August bis 5. September 1941 und vom 2. Oktober 1942 bis zum 10. März 1943 in stationärer Behandlung im Jüdischen Krankenhaus in der Schäferkampsallee. Von da aus wurde er nach Theresienstadt deportiert. Vor dem ehemaligen Krankenhaus erinnert ein Stolperstein an ihn.

Seine in Polen verschollene Mutter ist nicht im Gedenkbuch verzeichnet. Der Bruder Edwin gelangte später von England nach Toronto. Er hatte weder Kontakt zu seinen Familienangehörigen noch zu irgendwelchen jüdischen Institutionen in Kanada. Auch die deutsche Sprache verlernte er. Als er versuchte, Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen, wurden seine Ansprüche wegen der von ihm nicht eingehaltenen Fristen zurückgewiesen. 1999 hinterlegte er pages of testimony in Yad Vashem für seine Mutter und seinen Bruder.

Aus Hamburg wurden außerdem Moritz (Moszek) Dawidowicz (geb. 7.11.1894 in Zloczew), seine Ehefrau Mimi, geb. Wenz, und die drei Söhne Gerd, Horst und Bernd über Zbaszyn ins besetzte Polen abgeschoben und später ermordet. Wahrscheinlich waren Moritz und Fritz Brüder oder Vettern.

Moszek Dawidowicz nannte sich Moritz Dawidowitz – so war auch der Firmenname. Während der NS-Zeit musste er seinen Namen wieder "korrekt" mit Dawidowicz angeben. Wenn er sein bedrucktes Briefpapier verwendete, korrigierte er den Namen handschriftlich. Verheiratet war er seit 1925 mit der nichtjüdischen Hamburgerin Mimi Wenz. Drei Söhne entstammten der Ehe: Gerd Dawid (geb. 6.7.1927), Horst (geb. 2.4.1930) und Bernd (geb. 17.1.1936). Auch Gerd und Horst waren, wie Werner, Schüler der Talmud Tora Schule. Bernd war bei der Ausweisung noch nicht schulpflichtig. Moritz besaß das Haus und Grundstück Hamburger Straße 94, wo sich auch sein Lederwarenhandel befand. Die Familie wohnte im Hofweg 22 in einer Fünfeinhalbzimmerwohnung und lebte in gutbürgerlichen Verhältnissen. Sozial engagiert, kümmerte sie sich z. B. mehrere Jahre um vier Waisenkinder.

Im Oktober 1938 wurde die Familie nach Bentschen ausgewiesen und kam im Sommer 1939 für einige Zeit zurück, um die Geschäfte abzuwickeln. Am Ende des Sommers reiste die Familie dann gezwungenermaßen nach Polen aus. Es gelang ihr nicht, den Hamburger Hausstand, der akribisch in langen Listen erfasst worden war, mitzunehmen. Er wurde in Hamburg eingelagert.

Das Mietshaus Hamburger Straße 94 wurde von der Haupttreuhandstelle Ost als Eigentum von Staatsangehörigen des ehemaligen Deutschen Staates beschlagnahmt. Mit der Verwaltung wurde die Hamburger Grundstücksverwaltungsgesellschaft von 1938 beauftragt. 1942 ging die Immobilie in den Besitz des Deutschen Reichs über und wurde 1943 verkauft.

Die Familie von Moritz Dawidowicz lebte zuerst im Lager Zbaszyn und floh bei Kriegsausbruch nach Polen, wo sie dann im Getto Lodz und ab Dezember 1939 im Getto Warschau lebte. Von Ende 1940 bis Mitte 1944 lebte die Familie illegal und mittellos in Warschau. Allerdings wurde Moritz bereits im Dezember 1941 in Lublin verhaftet. Ein letztes Lebenszeichen von ihm erhielt seine Familie im Februar 1942, nachdem er 1941 ins Vernichtungs­lager Majdanek deportiert worden war.

Die Söhne lebten bei der Mutter in Warschau bis zum 23. Juni 1944. Dann wurden alle ins Gefängnis Paviac in Warschau gebracht und Mutter und Söhne gewaltsam getrennt. Wo und wann die drei Söhne ermordet wurden, ist nicht bekannt. Die Mutter Mimi Dawidowicz wurde im Juli 1944 ins KZ Ravensbrück transportiert, wo sie bei Kriegsende befreit wurde. 1946 kehrte sie nach Hamburg zurück und wohnte Ende der 1940er Jahre wieder im Hofweg. Am 10. Juli 1984 starb Mimi in Wedel. Sie überlebte ihre Familie um 40 Jahre.

In der Eimsbütteler Chaussee 128 lebte nach Aussagen eines Zeitzeugen ein Schuster Dawidowicz. Im Adressbuch 1926 war zu dieser Adresse vermerkt: Ch. Dawidowicz, Lederhandlung. Vermutlich gehörte dieses Geschäft der Familie. Es existiert eine Kultussteuerkarteikarte für Chiel Dawidowitz, geb. am 30. März 1899, dessen Geschäftsadresse in der Eimsbütteler Chaussee war. Gewohnt hat er im Grindel, in der Rutschbahn 35 und später in der Bornstraße 34. 1937 wanderte er mit seiner Ehefrau Eva, geb. Parcensewsky, nach Frankreich aus.

© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 2 (FVg 7296; FVg 7351; F 353); 4; 7; 8; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 d; StaH 332-8 Meldewesen Hausmeldekartei; StaH 351-11 AfW, 140129; StaH 351-11, 27257; StaH 351-11, 170136; StaH 362-6/10 Talmud Tora Schule; StaH 741-4 Fotoarchiv, Sa 1248; Frank Bajohr, Arisierung, S. 353; HAB I 1935, HAB II 1925, 1926, 1933–1935.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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