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Dr. Alwin Gerson * 1866
Schäferkampsallee 25 27 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)
1943 Theresienstadt
ermordet am 11.4.1943
Dr. Alwin Cäsar Gerson, geb. 24.8.1866, deportiert am 24.2.1943 nach Theresienstadt, dort verstorben am 11.4.1943
Wer in Wohldorf das frühere Haus von Alwin C. Gerson aufsucht, mag sich fragen, was ihn in diese abgelegene Gegend zwischen Waldrand und Aue verschlagen hatte. Reizte ihn das beschauliche Leben eines Landarztes oder hatte er andere Ambitionen?
Als er sich im Jahre 1900 in dem Dorf mit den etwa 500 Einwohnern niederließ, war er 34 Jahre alt und gerade promovierter Allgemeinmediziner. Mit seiner Berufswahl setzte Gerson die Tradition seiner männlichen Vorfahren fort, die seit dem 17. Jahrhundert Mediziner in Hamburg und Altona gewesen waren, darunter Hartog Hirsch Gerson, der sich dem von Spinoza beeinflussten Kreis der Aufklärer angeschlossen hatte.
Alwin Cäsar Gerson wurde am 24. August 1866 in Hamburg-Rotherbaum 23 geboren. Sein Vater, Hartog Caesar Gerson, ebenfalls in Hamburg geboren, ein promovierter Mediziner, praktizierte als Chirurg und Augenarzt, die Mutter Julia, geb. Jonassohn, war 34 Jahre alt und im englischen Sunderland geboren. Die Hochzeit der Eltern hatte 1861 in London stattgefunden, zwei Jahre nachdem Hartog C. Gerson den hamburgischen Bürgereid abgelegt hatte. Es ist anzunehmen, aber bisher nicht durch Quellen zu belegen, dass Gersons Eltern der christlichen Religion angehörten. Der Sohn wurde getauft und später auf das renommierte Realgymnasium des Johanneums geschickt.
Nachdem er das Studium abgeschlossen und einen Teil seines Militärdienstes in Gießen beim Infanterie Regiment Nr. 116 als Lazarettgehilfe der Reserve absolviert hatte, war er wieder nach Hamburg zurückgekehrt, wo er 1893 vor der Abschlussprüfung als "cand. med." zur Untermiete wohnte und einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragte. 1896 erhielt er seine Approbation. Danach beendete er seine Militärzeit als Einjähriger Freiwilliger beim Infanterie Regiment 76 in Hamburg. Im Jahre 1900 erwarb er den Doktortitel mit einer Dissertation zum Thema "Über die Häufigkeit des Blasensteinleidens in Thüringen nebst Ausführungen über die Behandlung desselben". Im selben Jahr ließ er sich in Wohldorf nieder, einer zu den hamburgischen Walddörfern gehörenden Gemeinde. Möglich, dass es in Hamburg und Wandsbek bereits genug Ärzte gab, möglich auch, dass der junge Alwin Gerson eine volkstümliche Ader hatte und dem steifen Hamburger Bürgertum, insbesondere den gesellschaftlichen Zwängen zu entkommen suchte. Vielleicht suchte er auch die Nähe der 1899 neuerrichteten hamburgischen "Irrenanstalt" in Langenhorn, eine Filiale der "Irrenanstalt" Friedrichsberg, weil er sich in einer neuen ärztlichen Disziplin erproben wollte, der Psychiatrie.
Alwin Gerson und seine Frau Elsa, geborene Behrmann, richteten sich im Schleusenredder 23 im gerade fertig gestellten Haus ein. Im Dezember wurde der Sohn Alwin Cäsar Joachim geboren, zwei Jahre später die Tochter Elsa. Die Arztfamilie bekannte sich zur evangelisch-reformierten Kirche. 1901 erwarb Alwin Gerson das hamburgische Bürgerrecht.
Im Frühjahr 1900 stellte er einen Genehmigungsantrag zur Einrichtung einer privaten Krankenanstalt für nervenleidende Rekonvaleszenten. Offenbar verfolgte er das Konzept der beruflichen Zweigleisigkeit. Einerseits betrieb er die Landarztpraxis, die nicht allzu viel Einkommen abwarf, obwohl es für den praktischen Arzt, Geburtshelfer und Kleinchirurgen in einer ländlichen Gegend ohne Frage viel zu tun gab; andererseits behandelte er die nervenkranken Patienten aus eher besser gestellten Verhältnissen, die – alternativ zu Friedrichsberg und Langenhorn – in der Wohldorfer Waldeinsamkeit Ruhe und Gesundheit zu finden hofften und ihrem Arzt zusätzliche Einnahmen bringen konnten.
Die beantragte Genehmigung für die Krankenanstalt wurde schon bald erteilt, nachdem "Landherrenschaft und Ortsgemeinde schließlich keine Bedenken (mehr) haben, da die Anstalt nicht neu erbaut, sondern im Haus des Dr. Gerson eingerichtet werden soll und nur ca. 5 Personen behandelt werden sollen." Zum Grundstück gehörten ein Pferdestall, eine Wagenremise und eine Kutscherwohnung. Über Beschwerden von Dorfbewohnern gibt es keine Hinweise; das Grundstück lag wohl weit genug abseits des Dorfzentrums. Aufnehmen wollte Gerson "Nervenleidende, Rekonvaleszenten, (Patienten mit) Geisteskrankheiten, leichte Epileptiker und harmlose Schwachsinnige; ausgenommen von der Aufnahme sind akute Psychosen."
Einmal im Jahr kontrollierte ein Vertreter des Medizinalkollegiums (heute: Gesundheitsbehörde Hamburg) die Krankenbetreuung. In den Berichten, die stets den einwandfreien Zustand der Räume bestätigten, vermerkte er auch die Patientenzahlen: Anfangs hielten sich in der "Villa Elsa" regelmäßig zwei bis drei weibliche Kranke auf, darunter eine langjährig. 1909 waren am Schleusenredder zwei Patientinnen dokumentiert. Zwischen 1910 und 1914 lebte nur noch eine Patientin in dem Haus, wie es hieß, in einem Wohn- und Schlafzimmer von großen Dimensionen. Über sie wurde vermerkt: "Zurzeit (wird) seit langem nur eine taubstumme degenerierte Psychose, eine junge Verwandte, verpflegt."
Der Bau der Kleinbahn Alt-Rahlstedt-Wohldorf beeinträchtigte den Betrieb der Krankenanstalt offenbar nicht, obwohl sich schräg gegenüber ab 1907 ein umfangreicher Endbahnhof mit Güterabfertigung, einer großen Wagenhalle und einer Rangiergleisanlage befand. Im Jahre 1909 ließ Gerson die Villa umbauen, genau genommen um einen weiteren Giebel verdoppeln, so dass die symmetrische Anlage entstand, die auch heute noch den Charakter des Hauses prägt. Durch einen im Westteil angebauten Wintergarten wurde die Wohnfläche vergrößert. Die Umbau-Pläne entwarf der Architekt Fritz Höger, der später des Chile-Haus in Hamburg und die Zigarettenfabrik Haus Neuerburg in Wandsbek erbaute. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges stellte Gerson den Betrieb der Krankenanstalt ein.
Wann sich die Eheleute Gerson einander entfremdeten, muss offen bleiben. Die Ehe wurde geschieden. In den 1920er Jahren wohnte Elsa Gerson zusammen mit ihrem Sohn, der mittlerweile Jura studierte, in der Armgartstraße. Alwin Gerson blieb in Wohldorf und heiratete ein zweites Mal, Hildegart, geb. Bodendieck, auch diese Ehe wurde geschieden.
Ab 1911 war der Wohldorfer Arzt auch Distriktsarzt in Wohldorf-Ohlstedt und Groß-Hansdorf und Schmalenbeck, letztere gehörten zur damaligen Zeit zu Hamburg. Teil des Distrikts war auch das Dorf Hoisbüttel. Bis Ende der 1920er Jahre praktizierte Alwin Gerson als einziger Arzt in Wohldorf. Bis heute erinnert sich noch manche Familie an ihn. "Der Hausarzt meiner Großeltern war Dr. Gerson. ... Mein Großvater war Pastor in Tangstedt (1896 bis 1930) und zog dann nach Hoisbüttel. ... Herr Gerson hatte auch andere Patienten in Hoisbüttel ... Wenn ich mich recht erinnere, dauerte die Inanspruchnahme dieses Arztes so lange wie möglich an ... Bei dem Stichwort Schleusenredder wurde stets erwähnt, dass dort Dr. Gerson wohnte und wenn wir auf Spaziergängen an dem ehemaligen Wohnhaus vorbeikamen, wurde uns dies auch gesagt. So war mir der Name Gerson immer präsent."
Alwin Gerson betätigte sich auch politisch in seinem Wirkungskreis. Der Arzt gehörte dem Vorstand der Ortsgemeinde Wohldorf-Ohlstedt als "Gemeindevertreter der Rechten" an, vermutlich als Mitglied der DNVP, der Deutschnationalen Volkspartei, die sich stark an der Kaiserzeit orientierte. Er war auch Mitglied im sogen. Stahlhelm, dem Bund der Frontsoldaten, einer paramilitärischen Organisation der DNVP, in der Frontsoldaten jüdischen Glaubens die Mitgliedschaft verwehrt war. Zudem hatte Alwin Gerson die gemeindlichen Ehrenämter als Wohnungs- und Behandlungskommissar und zuletzt als Vorsitzender des Wohlfahrtsamtes inne. Er muss zeitweise auch Polizeiarzt auf preußischem Gebiet gewesen sein (möglicherweise in Wandsbek), verlor diese Stelle aus politischen Gründen aber wieder, angeblich, weil er zu den Gegnern des demokratischen Systems gehörte. Aufgrund seines rechten politischen Engagements sah er seine Tätigkeit als Distriktsarzt gefährdet und vermutete, nur wegen seiner guten Verhältnisse zur Landherrenschaft nicht abgesetzt worden zu sein. Die Walddörfer wurden als Landherrenschaft der Geestlande vom Land Hamburg aus verwaltet, gehörten aber nicht zur Stadt Hamburg.
Der Nationalsozialismus dürfte Gerson nicht sonderlich beunruhigt haben, fühlte er sich doch mehr im Einklang mit den neuen Machthabern als zu Zeiten der ungeliebten Republik. Doch ungeachtet seiner Haltung und seines religiösen Bekenntnisses trafen ihn 1935 die "Nürnberger Rassegesetze". Er sah sich gezwungen, sein Amt als Distriktsarzt aufzugeben. Sein Nachfolger war der Arzt Heinrich Fleck, ein Kollege, der zeitweise mit ihm in seinem Haus praktiziert hatte. Gersons Altersrente wurde in eine sogenannte Gnadenrente umgewandelt und ihm vom Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann 1935 bis auf Weiteres bewilligt. Die Folgen dieser Entrechtung stürzten Alwin Gerson in eine tiefe Krise, musste er nun erfahren, dass weder religiöses noch politisches Bekenntnis davor schützten, zum Personenkreis der Ausgestoßenen zu gehören. 1936 erlitt er einen Nervenzusammenbruch, von dem er sich lange nicht erholte, und der ihn zwang, seinen Praxisbetrieb einzustellen. Alle Verdienste – die seiner Vorfahren und seine eigenen – schienen plötzlich wert- und sinnlos zu sein, noch dazu sah er seine finanzielle Absicherung gefährdet. Die prekären gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erlaubten es ihm nicht, das Haus am Schleusenredder zu halten. Am 29. September 1937 verließ Alwin Gerson seinen langjährigen Wohnsitz. Er blieb seiner Wahlheimat jedoch verbunden, zog nach Ohlstedt in die Straße Korte Blök 2, zur Untermiete bei einem "Frl." Walsberg.
Hier lebte er offenbar recht isoliert. Hin und wieder besuchte er ehemalige Patienten. Vielleicht unterstützten sie ihn materiell. Das Gesetz, nach dem allen jüdischen Ärzten 1938 die Approbation entzogen wurde, dürfte für ihn eigentlich ohne größere Bedeutung geblieben sein, hatte er seine Praxis ja bereits aufgegeben. Doch gerade dieses Gesetz sollte dazu führen, dass der nunmehr 75-jährige, bisher nicht vorbestrafte Arzt ohne Praxisbetrieb verurteilt werden sollte.
Was war vorgefallen? Gerson besuchte öfter einen ehemaligen Patienten, den Landwirt Karl Bruhn, der ihm freundschaftlich verbunden war. Im September 1940 wurde er zu ihm nach Duvenstedt zum Ziegelhof gerufen. Bruhn klagte über Herzbeschwerden, woraufhin der Arzt Medikamente aus der Apotheke von Piepenbring in Poppenbüttel auf ein auf seinen Namen lautendes Rezept besorgte. Er besuchte seinen Freund noch einmal in den Morgenstunden des 14. September. Zwei Stunden später teilte ihm dessen Sohn mit, dass sein Vater plötzlich verstorben sei und bat ihn, den Totenschein auszustellen. Dieses lehnte Gerson ab und verwies auf zwei andere Ärzte. Einer war jedoch verreist; eine Ärztin lehnte ab, da der Verstorbene nicht in ihrer Behandlung gewesen war. Blieb also nur noch das Gesundheitsamt in Wandsbek. Dort war der Medizinalrat Dr. Mainz am Telefon, der Gerson aufforderte, den Totenschein auszustellen. Nun musste dieser einräumen, das nicht zu können, weil er "Nichtarier" (Jude) sei. Jetzt stellte Mainz den Totenschein aus, verfasste jedoch auch noch am selben Tag einen Bericht an den Amtsarzt des Gesundheitsamtes Wandsbek. Darin hieß es u.a.: "Ich fuhr also nach Duvenstedt und wurde von dem Sohn des Verstorbenen, der das Parteiabzeichen (der NSDAP A.L.) trug, zu der Leiche seines Vaters geführt." Der Sohn habe berichtet, Alwin Gerson sei jede Woche einmal zu seinem Vater gegangen, um sich die Zeit zu vertreiben. Als sein Vater erkrankte, habe dieser darauf bestanden, von Dr. Gerson und keinem anderen behandelt zu werden. "Herr Bruhn behauptete, er sei seinem Vater gegenüber in diesem Punkte machtlos gewesen. Neben der Tatsache, dass hier ein nichtarischer früherer Arzt einen deutschen Volksgenossen behandelt hat, ist der Umstand, dass eine Apotheke noch Verordnungen dieses Herrn anfertigt, erwähnenswert." Der Arzt Mainz meldete den Fall der Ärztekammer, die bestätigte, dass Gerson dort auch nicht als "Krankenbehandler" gemeldet war (also als Arzt, der ausschließlich jüdische Patienten behandeln durfte). Der Verantwortliche der Ärztekammer Hamburg, Lochmann, leitete Mainz’ Bericht an die Staatsanwaltschaft beim Hanseatischen Oberlandesgericht weiter und bat, "das Weitere zu veranlassen." Damit wurde die Denunziation gerichtsnotorisch. Am 28. Oktober 1940 nahm ein Polizeihauptwachtmeister Alwin Gersons Personalien auf, am 18. Dezember forderte der Oberstaatsanwalt das Amtsgericht auf, einen Strafbefehl zu erlassen, und am 6. Januar 1941 wurde eine Geldstrafe von 50 RM festgesetzt, zuzüglich Verfahrenskosten, wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde (nach Entzug der Approbation).
Doch Gerson wollte die Strafe nicht akzeptieren und wandte sich zehn Tage später an die Gnadenabteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg. "Ich stehe im 75. Lebensjahr, bin im 41. Jahre Arzt in Wohldorf-Ohlstedt, im 22. Jahre Distriktsarzt. Bin hamburgischer Arzt in 5. Generation, lebe bescheiden in meiner Heimat Wohldorf-Ohlstedt. ... Habe nie eine Mitteilung der Ärztekammer erhalten, dass ich auf der Liste der nichtarischen Ärzte stände. Habe erst vor ganz kurzer Zeit in Veranlassung des vorliegendes Falles den Wortlaut des Gesetzes kennen gelernt. Bin mit Leib und Seele Landarzt gewesen und der Unterschied vom Landarzt zum großstädtischen Arzt ist doch, dass das Verhältnis des Patienten zu den Ärzten ein persönliches ist. Und in meiner langjährigen Praxis habe ich mir viele Freunde in der Landbevölkerung erworben und hatte sogar den Scherznamen ‚Bauerndoktor’. ... Und nun soll ich dafür bestraft werden, dass ich einem alten Freund kostenlos habe helfen wollen? Ich bin schon ohne das geringste eigene Verschulden schwer gestraft und soll nochmals gestraft werden. Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Beziehe monatlich 100 RM ... Pension brutto, d.h. netto 85 RM. Habe kein Vermögen, soll doch davon Ernährung, Bekleidung und Miete bezahlen. Deshalb richte ich an den Gnadenausschuss die dringende Bitte, mir die Strafe erlassen zu wollen, damit ich in Ruhe meinen Lebensabend hier in bescheidenen Verhältnissen beenden kann. Ich werde versuchen, nicht wieder gegen den Wortlaut des Gesetzes zu verstoßen, obwohl mir dies furchtbar schwer werden wird. Heil Hitler Dr. Alwin Gerson, Distriktsarzt i.R."
Zwei Wochen später erreichte ihn die Nachricht von Amtsrichter Hartert, dass eine Strafaussetzung bis 31. März 1943 gewährt worden war, unter der Bedingung, "dass Sie sich innerhalb der Bewährungsfrist einwandfrei führen, insbesondere keine neuen Straftaten begehen."
Am 18. April 1942 musste Alwin Gerson seinen Wirkungskreis verlassen. Er übersiedelte nach Hamburg ins jüdische Alten- und Pflegeheim, Schäferkampsallee 29, das mittlerweile als sogen. Judenhaus genutzt wurde. Dort verbrachte er noch etwa 10 Monate, bis er am
24. Februar 1943 ins Getto Theresienstadt deportiert wurde. Wenige Wochen später, am
11. April 1943, verstarb er dort im Alter von 77 Jahren.
Drei Tage vor seinem Tod teilte ihm das Amtsgericht schriftlich mit, dass er "nach Ablauf der Bewährungsfrist endgültig begnadigt" werde. Das Schreiben ging mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurück.
Sein Sohn Alwin Caesar Joachim Gerson hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war seit 1927 als promovierter Rechtsanwalt in Sozietät mit C. Staelin, Große Bleichen 12/14 tätig. Aufgrund seiner "nichtarischen Abstammung" drohte ihm 1933 der Verlust seiner Zulassung. Doch wegen seiner politischen Haltung – er hatte sich an Kämpfen gegen "Spartakisten" beteiligt – war er weiterhin zugelassen und vertrat etliche "Mischlinge" als Anwalt. Allerdings war er nach 1933 gezwungen, alle Ehrenämter zur Verfügung stellen, was sich negativ auf seinen Praxisbetrieb auswirkte. Alwin Gerson trat als Mitglied in die Bezirksgruppe Hamburg des "Reichsverbandes christlich-deutscher Staatsbürger nichtarischer Abstammung" (später Reichsverband der nichtarischen Christen, Paulus-Bund) ein, die er später auch zeitweise leitete. Er war verheiratet und wohnte im Krohnskamp. Seine Mutter und seine Schwester Elsa, von Beruf Sekretärin, waren Ende der 1930er Jahre in der Schlankreye gemeldet.
Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Alwin Gerson als "Mischling 1. Grades" eingezogen, jedoch 1941 aus "rassischen Gründen" aus dem Wehrdienst entlassen. Dem im Oktober 1944 für "Mischlinge" und "jüdisch Versippte" angeordneten Zwangsarbeitseinsatz entzog er sich zusammen mit seiner Frau durch Flucht in die Illegalität. Nach Kriegsende schloss er sich 1945 der Selbsthilfeorganisation "Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen" an. Er starb am 12. Oktober 1980 in Hamburg.
© Astrid Louven
Quellen: StaHH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht Strafsachen 3006/43; ebd., 352-3 Medizinalkollegium I H 15 m Private Krankenanstalt für Nervenkranke; ebd., 352-8/7 Bestandsverzeichnis Band 1 Staatskrankenanstalt Langenhorn 1891–1970; ebd., 331-1 I Polizeibehörde Hamburg I Staatsangehörigkeitssachen; ebd., Meldewesen Auskunft von Jürgen Sielemann vom 12.8.2003; 4; 7; AfW 241200; AB Hamburg 1929 II, 1936 II, 1940 II; AB Hamburg, Ortsteil Wohldorf 1939; Auskünfte von Klaus Tim September 2005/Januar 2006; Anna v. Villiez, Vortragsmanuskript 2006; Kleinbahn-Verein Wohldorf e.V., Text zur Geschichte der Kleinbahn in www.kleinbahn-wohldorf.de; Wikipedia, Stichworte: Sunderland, Fritz Höger, Landherrenschaft, DNVP, Stahlhelm; 4. VO zum Reichsbürgergesetz v. 25.7.1938 § 1 und 3 Abs. 1; Ulrich Bauche (Hrsg.) Vierhundert Jahre, S. 256; Astrid Louven, Juden, S. 165–169, 228; Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge", S. 413; Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte, S. 129; Peter von Rönn, Entwicklung, in: ders. u.a. Wege, S. 9–15; Aleksandar-Sasa Vuletic, Christen, S. 166ff.