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Hans (Johannes) Görtz * 1901
Mansteinstraße 9 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)
HIER WOHNTE
HANS GÖRTZ
JG. 1901
VERHAFTET 1933
LÜBECK LAUERHOF
1935 ZUCHTHAUS FUHLSBÜTTEL
1943 NEUENGAMME
ERTRUNKEN 3.5.1945
MS THIELBECK
Weitere Stolpersteine in Mansteinstraße 9:
Wolf Loewenhof
Hans (Johannes) Dietrich Görtz, geb. am 9.3.1901 in Lägerdorf, seit 1933 mehrfach verhaftet, ab 1943 im KZ Neuengamme, ertrunken 3.5.1945 MS Thielbek
Mansteinstraße 9
"Ich klage die Genannten wie folgt an: Zu Hamburg in den Jahren 1934 bis 1935 (...) das hochverräterische Unternehmen, mit Gewalt die Verfassung des Reiches zu ändern, vorbereitet zu haben, wobei die Tat der Beschuldigten darauf gerichtet war, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhang herzustellen und aufrecht zu erhalten und wobei die Tat des Beschuldigten G ö r t z [Sperrung im Orig., Anm. d. Verf.] ferner auf Beeinflussung der Massen durch Verbreitung von Schriften gerichtet war" – so lautete die Anklage des Generalstaatsanwalts beim Hanseatischen Oberlandesgericht vom 6. Januar 1936 gegen Johannes "Hans" Dietrich Görtz und fünf weitere Beschuldigte. Als Beweis zog der Staatsanwalt unter anderem zwei Flugblätter heran, von denen eines die Parole "Faschistische Mordbrenner stecken den Reichstag in Brand" trug. Das Gericht sprach Hans Görtz der Vorbereitung zum Hochverrat schuldig und bestrafte ihn mit acht Jahren Zuchthaus, beginnend am 21. Januar 1936. Das sollte sein Todesurteil werden.
Hans Görtz war in dem kleinen Ort Lägerdorf bei Itzehoe zur Welt gekommen. Die Volksschule beendete er in Hamburg. Seine Eltern, der 1876 in Wesselburen geborene Johannes Görtz und die drei Jahre jüngere, aus Lägerdorf stammende Anna, geborene Piening, zogen 1910 an die Elbe. Sie hatten am 17. März 1900 geheiratet und außer Hans noch drei weitere Kinder: Karl-Friedrich, geboren 1903, Bruno, geboren 1912 und gestorben 1922, sowie Elfriede, geboren 1914.
Nach dem Besuch der weiterführenden Schule verließ Hans Görtz Hamburg und machte im sächsischen Plauen eine Lehre zum Eisendreher. Als Wandergeselle kehrte er wieder in die Hansestadt zurück. Am 6. Juni 1930, mit 29 Jahren, heiratete er die acht Jahre ältere Rosa Lea Loewenhof (in manchen Dokumenten lautet ihr Name auch Laja Radjzla oder Laya Rejzla Lewenchof). Sie war am 29. März 1893 im damals schlesischen Ort Krzepice, Kreis Czestochowa (Tschenstochau), geboren worden. Ihre Eltern hießen Herschel Lewenhof und Chaja, geb. Chaskel, sie hatte einen Bruder und eine Schwester. Während Hans Görtz erst evangelisch, dann "glaubenslos" war, stammte sie aus einer jüdischen Familie, hatte sich aber taufen lassen.
Von 1915 bis 1917 hatte Rosa Loewenhof in Chemnitz eine Lehre zur Schneiderin absolviert und 1919 vor der Handwerkskammer Leipzig die Gesellinnenprüfung abgelegt. Von 1921 bis 1926 führte sie zusammen mit ihrer Schwester einen Modesalon. Beide hatten gut zu tun und beschäftigten zeitweilig mehrere Angestellte. 1927 kam Rosa nach Hamburg, wo sie weiter als Schneiderin arbeitete. Anfangs wohnte sie noch zur Untermiete, in der Mansteinstraße 9 bei Rosenbaum. Nachdem sie Hans Görtz kennengelernt und geheiratet hatte, bezog das Paar im gleichen Haus eine eigene Wohnung. Ab 1931 wohnte dann ein Wolf Loewenhof bei Rosenbaums in der Mansteinstraße. Möglicherweise handelte es sich um Rosas Bruder (siehe auch die Biografie zu Wolf Loewenhof in diesem Buch), dem sie nach Heirat und Umzug ihr frei gewordenes Zimmer überlassen konnte.
Hans Görtz hatte sich ab 1925 politisch betätigt. Er trat in die KPD und in die KPD-nahe politische Hilfsorganisation Rote Hilfe Deutschlands ein, außerdem in den Deutschen Metallarbeiter-Verband, einen gewerkschaftlichen Zusammenschluss. Diesen verließ er jedoch im April 1931 wieder. Bis 1931 arbeitete er in seinem Beruf als Dreher, dann wurde er erwerbslos. Zuletzt war er im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) beschäftigt.
Am 13.11.1931 kam Hans und Rosa Görtz‘ einziges Kind Paul Hermann zur Welt. Da Hans Görtz keine Arbeit mehr hatte, war es ein Glück, dass "Rosel", wie sie genannt wurde, mit ihrem Einkommen als Schneiderin die Familie ernähren konnte. Sie unterbrach ihre Berufstätigkeit nur kurz vor und nach der Geburt des Sohnes.
Ihr Mann war seit seiner Entlassung aus dem UKE als Funktionär der KPD aktiv. So leitete er vom Sommer 1932 an bis Januar 1933 den Erwerbslosenausschuss der Partei, danach wurde er Instrukteur der KPD-Bezirksleitung Wasserkante. Der Bezirk Wasserkante umfasste das heutige Schleswig-Holstein und Hamburg sowie das heutige nordöstliche Niedersachsen.
Unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begannen die Verfolgungsmaßnahmen der NSDAP gegen die organisierte Arbeiterbewegung. Hamburg war als eine ihrer traditionellen Hochburgen besonders betroffen. Das zeigte sich in offenem Terror gegen NS-Gegnerinnen und -gegner sowie in zahlreichen Verboten und Verhaftungen. Als Instrukteur war Hans Görtz unter anderem in Dithmarschen und Lübeck tätig. Dort nahm ihn ein eigens für derartige Aktionen von der SS aufgestelltes "Kommando z.b.V." ("zur besonderen Verwendung") im März 1933 fest. Wegen "hochverräterischer Umtriebe" wurde er zu zehn Monaten Haft verurteilt, die er von April 1933 bis Februar 1934 in der Strafanstalt Lübeck-Lauerhof verbüßte.
Rosa Görtz, die nach wie vor mit dem inzwischen dreijährigen Hermann in der Mansteinstraße 9 wohnte, hatte seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit erheblichen Einkommenseinbußen zu kämpfen. Viele ihrer überwiegend nichtjüdischen Stammkundinnen wollten nicht mehr zu einer jüdischen Schneiderin gehen.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis war Hans Görtz weiterhin erwerbslos. Da er als "politisch unzuverlässig" galt, vermittelte ihn das Hamburger Arbeitsamt nicht. Auf eigene Initiative hin bewarb er sich als Dreher bei einem großen Werk in Nürnberg. Dieses wollte ihn Anfang 1935 einstellen, wogegen das Arbeitsamt nichts einzuwenden hatte. Zwei Tage vor Arbeitsantritt, am 28. Januar 1935, wurde er jedoch in Hamburg erneut festgenommen und, wie bereits anfangs erwähnt, wegen "Vorbereitung des Hochverrats" zu acht Jahren Haft verurteilt.
Während seiner Inhaftierung im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel konnte Hans Görtz Kontakt zu seiner Frau aufnehmen. Dringend riet er ihr, als Jüdin und Ehefrau eines politisch Inhaftierten, Deutschland zu verlassen. Tatsächlich versuchte Rosa Görtz ab Anfang 1939 alles, um zu fliehen. Bereits im April des Jahres gelang es ihr, den inzwischen achtjährigen Hermann nach Holland zu schicken. Dann regelte sie die vorgeschriebenen Formalitäten für eine Ausreise. Sie fand eine Stelle in England, erhielt ein Visum vom britischen Generalkonsulat, beantragte eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung und erstellte eine umfangreiche Umzugsliste. Außerdem kündigte sie zum 1. Oktober 1939 die Wohnung in der Mansteinstraße, verkaufte und verschenkte Teile ihres Hausrats. Rosa Görtz war mit 1,48 Meter Körpergröße eine sehr kleine Person. Auch beschrieb sie sich selbst einmal als "empfindsam" und "nicht allzu belastungsfähig". Gleichwohl gelang es ihr, all diese Anstrengungen zu bewältigen, dabei weiter für ihren Lebensunterhalt sowie den ihres Sohnes in Holland zu sorgen und mehrfache Hausdurchsuchungen durch die Gestapo zu ertragen. Die Zugehörigkeit ihres Mannes zur KPD lässt vermuten, dass auch sie durch politische Weggefährten Rückhalt bekam.
Doch letztlich waren ihre Anstrengungen vergebens. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 musste sie ihre Pläne ändern. "Wegen der politischen Lage" zog sie am 11. September ihren Ausreiseantrag zurück. Glücklicherweise konnte sie in der Mansteinstraße wohnen bleiben und weiter als Schneiderin arbeiten. Weil sie in "privilegierter Mischehe" lebte, war sie zunächst auch von den in Hamburg 1941 beginnenden Deportationen befreit.
Bereits seit 1940 mussten jüdische Männer und Frauen aus Mischehen massenhaft Zwangsarbeit leisten. Auch davon blieb Rosa Görtz zunächst verschont. Erst Anfang April 1943 musste sie sich bei Willibald Schallert melden, dem Leiter der Sonderdienststelle des Arbeitsamtes Hamburg, der für diesen "Arbeitseinsatz" zuständig war. Er befahl ihr, sich am nächsten Tag bei der Lohnpackerei Max Ludwig in der Wexstraße am Großneumarkt einzufinden. Dort mussten zahlreiche Jüdinnen sowie mit Juden verheiratete Frauen täglich von 6 Uhr früh an acht Stunden lang im Akkord Kräuter und chemische Substanzen in Tüten und Pakete füllen – unter der Aufsicht eines "arischen" Vorarbeiters und für 70 Pfennig pro Stunde. Ein- bis zweimal die Woche kam Schallert persönlich vorbei, um die Frauen zu kontrollieren.
Bis Ende Juli 1943 arbeitete Rosa Görtz dort. Dann wurde der Betrieb bei den Luftangriffen auf Hamburg zerstört, der Inhaber und seine Frau getötet. Im Dezember des gleichen Jahres zog Rosa zu ihren Schwiegereltern in die Neustadt. In deren Wohnung wurde sie im Februar 1944 von zwei Gestapo-Beamten verhaftet und ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel transportiert. Angeblich hatte sie mit ihrem Mann politisch zusammengearbeitet. Drei Monate später brachte man sie ins Polizeigefängnis Hütten und von dort im Juni 1944 in das KZ Auschwitz. Eine richterliche Anklage wurde gegen sie nie erhoben, ein Prozess nie geführt.
Mit der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 fand Rosa Görtz’ Leiden jedoch kein Ende. Sie litt an einer eitrigen Rippenfellentzündung und war nicht transportfähig. Sie wog nicht einmal mehr 29 Kilogramm. Erst im Juli 1945 war sie ein wenig zu Kräften gekommen und konnte nach Hamburg zurückgebracht werden. Ihr Sohn Hermann, nach NS-Terminologie ein "Mischling ersten Grades", hatte in den Niederlanden die NS-Terrorherrschaft überlebt und kehrte ebenfalls nach Hamburg zurück.
Ihren Ehemann und Vater aber sollten beide nie wiedersehen.
Hans Görtz hatte mit zunehmender Haftdauer immer stärker unter den Haftbedingungen gelitten. Er war schließlich so schwer erkrankt, dass man ihn im November 1942 aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ins Lazarett brachte, das sich für alle Hamburger Gefangenenanstalten zentral im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis befand. Dort blieb er vermutlich bis zum Ende der Haft. Am 30. Januar 1945 hatte er seine Strafe verbüßt, kam jedoch nicht frei. Obwohl er nach wie vor schwer krank war, überstellte man ihn als "Schutzhäftling" direkt in das KZ Neuengamme.
Drei Monate später, mit dem Vorrücken der britischen Truppen auf Hamburg, begannen SS-Männer das Lager zu räumen. Etwa 10.000 Häftlinge brachten sie nach Lübeck, unter ihnen Hans Görtz. In Lübeck verteilten sie die Gefangenen auf die beschlagnahmten Frachtschiffe Thielbek, Athen und Elmenhorst sowie auf das Kreuzfahrtschiff Cap Arcona. Dicht gedrängt in den engen Lagerräumen, bekamen die Menschen kaum etwas zu essen und zu trinken.
Dann kam der 3. Mai 1945. Britische Kampfflieger bombardierten die deutschen Schiffe in der Lübecker Bucht, um vermeintliche Absetzbewegungen von Truppenteilen zu verhindern. Dabei griffen sie auch die inzwischen vor Neustadt liegenden Schiffe Cap Arcona und Thielbek an. Von den 2.800 Häftlingen auf der Thielbek erreichten nur 50 lebend das Land. Hans Görtz war nicht darunter. In Haffkrug bei Scharbeutz erinnert ein Ehrenfriedhof an die Toten des tragischen Unglücks.
Rosa Görtz starb am 11. November 1970 in Hamburg.
© Frauke Steinhäuser
Quellen: 1; 2 (FVg 7430); 5; 8; StaH 241-1 I Justizverwaltung I, 2911; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 16; ebd., Ablieferung 13; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 15640, darin eine Kopie der Anklageschrift im Rahmen des Verfahrens OJS 423/35 gegen Heldt u. Andere; ebd., 4483; Vereinigte Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten (Hrsg.), Totenliste; Meyer/Szodrzynski (Hrsg.), Vom Zweifeln; Hochmuth, Niemand und nichts wird vergessen; Meyer (Hrsg.), Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden; Diercks, "Die Freiheit lebt!"; Dohnke, 5 Minuten, 50 Meter, 50 Jahre. Gedenken an die Cap Arcona, nach einem halben Jahrhundert, www.akens.org/akens/texte/diverses/arcona.html (letzter Zugriff 20.5.2012); KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Geschichte, http://kurzurl.net/t57Cp (letzter Zugriff 20.5.2012).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".