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Erich Golly * 1891
Eppendorfer Weg 168 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)
KZ Dachau
ermordet 16.2.1945
Erich Golly, geb. am 28.8.1891 in Cottbus, gestorben am 16.2.1945 im Konzentrationslager Dachau
Eppendorfer Weg 168
Erich Bruno Georg Golly wurde am 28.8.1891 in Cottbus geboren. Sein Vater war Johann Golly, seine Mutter Emilie Golly, geb. Rein (beide waren zu dem Zeitpunkt, als Erich Golly Mitte der 1930er Jahre mit der Gestapo in Konflikt geriet, bereits gestorben). Vom sechsten bis vierzehnten Lebensjahr besuchte er die Volksschule in Senftenberg und wurde aus der ersten Klasse entlassen. Er erlernte das Friseurhandwerk und arbeitete eine Zeit lang als Geselle. 1915 heiratete er Dorothea Marie Christine Lamp (geb. am 9.11.1887 in Hamburg). Sie gab als Beruf Hausfrau an. Erich und Dorothea Golly hatten zusammen eine Tochter, Edith Elisabeth Sophie. Sie wurde am 22.12.1914 in Lütjenburg geboren, im gleichen Jahr, in dem Erich und Dorothea die Ehe schlossen. 1915 wurde Erich als Musketier zum Inf.-Regiment 384 eingezogen, das bis 1918 vor allem in Frankreich zum Einsatz kam (einmal wurde er in den Behördenakten als Landsturmmann dem Inf.-Regiment 175 in Graudenz zugeordnet; der Widerspruch ließ sich nicht klären); In dieser Zeit erhielt er das E. K. 2. Klasse verliehen. Nach dem Krieg machte er sich als Friseur in Hamburg selbstständig (das Hamburger Adressbuch verzeichnete sein im Eppendorfer Weg 168 gelegenes Geschäft erstmals 1920). Am 20. August 1928 bestand er die Prüfung zum Friseurmeister.
Erich Golly schloss sich wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg – die Internationale Bibelforscher-Vereinigung hatte von den USA aus eine Missionskampagne in Europa begonnen – den Bibelforschern (Zeugen Jehovas) an; seit dem 1. Januar 1922 gehörte er zu ihrer Glaubensgemeinschaft; ein Jahr später trat ihr auch Dorothea Golly bei. Nach der Familienüberlieferung war Dorothea Golly die entschiedenere von beiden, sich den Zeugen Jehovas anzuschließen.
Die Bibelforscher postulierten aus ihrem Studium der Bibel die Erkenntnis, dass Christus Jesus im Jahr 1914 die Macht über das den Menschen von Jehova Gott verheißene Königreich des Friedens übertragen bekommen habe. Auch wenn Christus Jesus seine Regentschaft erst noch im Verborgenen ausübe, befinde er sich doch im endzeitlichen Kampf mit dem Satan als dem Vertreter des Bösen, um auf Erden die Errichtung dieses Tausendjährigen Friedensreichs als Vorlauf für das ewige Leben der Menschen durchzusetzen. Die Menschen stünden dabei unter dem versuchenden Einfluss Satans, der sich in seinem Kampf des Großkapitals und der Politik wie auch der Kirchen bediene. Die Menschen müssten sich diesen Institutionen verweigern, könnten aber dem Staat, in dem sie lebten – und dem sie ansonsten neutral gegenüber zu stehen hätten – die Regelung ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen zugestehen.
Zeitgleich mit ihrer Europamission war in der Bibelforscher-Zentrale in den USA, in der J. F. Rutherford die Leitung übernommen hatte, ein neues, theokratisches Leitungsprinzip eingeführt worden. Danach sei der Mensch in seinem Handeln nicht nur allein Jehova Gott und Christus Jesus verantwortlich; als Zeuge Jehovas habe er die Organisation der Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV) und damit deren Leitung als weltliche Obrigkeit anzuerkennen. War die Herausbildung dieses neuen Organisationsprinzips auch von Protesten und Austritten aus der internationalen Gemeinschaft begleitet, so hatte es sich Ende der 1920er Jahre doch mehrheitlich durchgesetzt und galt damit auch für die zur IBV gehörenden Bibelforscher in Deutschland. Ihre Zahl betrug 1932 etwa 25.140, von denen 546 in Hamburg lebten. Sie standen damals nicht nur in theologischer Konkurrenz zu den in Deutschland etablierten christlichen Kirchen, sondern hatten sich in dieser Zeit auch ersten Eingriffen in ihre Lehre zu erwehren, die von Staats wegen gegen sie initiiert wurden. Diese Situation verschärfte sich 1933 nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" und führte (gemäß §§ 1 und 4 der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933) schnell zu regionalen Verboten der Bibelforscher-Vereinigungen, denen "kulturbolschewistische Zersetzungsarbeit" und Kampf "gegen die Elemente des völkischen Gemeinschaftslebens" vorgehalten wurden. Für Hamburg wurde das Verbot der IBV am 15. Juli 1933 erlassen.
Die Reaktionen der Glaubensbrüder und -schwestern auf diese Verbote waren unterschiedlich. Sie reichten von dem Verlangen, sich zurückzuziehen ("Jehova wird es schon richten") bis zur Bereitschaft, Gegenmaßnahmen einzuleiten, da es mit ihrem Glauben von der unbedingten Herrschaft Jehova Gottes über die Menschen unvereinbar sei, die öffentliche Predigt vom Kommen des Königreichs Christi auf Erden aus persönlichen Gründen einzustellen. Taktisch verhielten sich im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft die internationale Leitung der IBV, die ihren Sitz in New York hatte, und die Leitung der IBV in Deutschland mit Sitz in Magdeburg. Beide versuchten, den Bestand der Bibelforschervereinigungen durch Verhandlungsangebote an die staatlichen Behörden zu sichern. Es fanden daher anfangs in ihren Gruppen nur noch wenige Versammlungen mit Bibelstudien und auch nur zurückhaltende Missionsaktivitäten statt. Erst im Frühjahr 1934 wurden sie aktiver, nachdem deutlich geworden war, dass es mit den nationalsozialistischen Machthabern keine Verhandlungslösung geben würde.
Aus Begegnungen, die deutsche Bibelforscher auf dem internationalen Kongress der IBV im September 1934 in der Schweiz hatten, entwickelte sich als Reaktion auf die Aussichtslosigkeit, mit den Nationalsozialisten eine Übereinkunft zu erzielen, eine erste, von den Bibelforschern in ganz Deutschland unter Einhaltung klandestiner Regeln am 7. Oktober 1934 durchgeführte Missionskampagne, mit der sie auf die von ihnen zu verkündende Botschaft und auf die Verfolgungen, denen sie unterworfen waren, hinwiesen. Ihr folgte eine verstärkte Versammlungstätigkeit der lokalen Bibelforscher-Gruppen. Die Gestapo reagierte auf beides mit Kontrollen und Wohnungsdurchsuchungen bei namentlich bekannten Zeugen Jehovas. Doch konnten diese vorerst noch die Struktur ihrer Gemeinschaft bewahren, auch nachdem es vermehrt zu Verhaftungen unter ihnen gekommen war. Zu den früh Verhafteten gehörte in Hamburg Erich Golly. Er nahm zu diesem Zeitpunkt die Funktion des Gruppendieners der Gruppe Hoheluft der Bibelforscher ein (eine Gruppe setzte sich aus mehreren Zellen zusammen, zu der wiederum oft eine Familie und deren unmittelbare Bekanntschaft oder Nachbarschaft gehörte und die etwa 4 bis 6 Personen umfasste) und war Wohnungsgeber für die illegalen Zusammenkünfte der Gruppe gewesen.
Seine Mitarbeit bei den Zeugen Jehovas wie auch die seiner Ehefrau, Dorothea Golly, war Nachbarn und offensichtlich auch den nationalsozialistischen Parteigliederungen bereits früh bekannt. Dorothea Golly erklärte 1954: "Unser Geschäft wurde seit 1933 fortwährend durch die Nazis boykottiert, so daß die Kunden Angst hatten, unser Geschäft zu betreten. Bis zur zweiten Verhaftung meines Mannes am 15. Dezember 1936 hatten wir durch die Boykottierung einen Schaden durch geringere Einnahmen von monatlich ca. 200 Mark. Durch unsere beiderseitige Inhaftierung und die fortgesetzte Boykottierung ist unser Geschäft vollständig zugrunde gegangen."
Erich Golly wurde wegen Teilnahme an der verbotenen Versammlung der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung am 7. Oktober 1934 und damit Teilnahme am illegalen Wiederaufbau der IBV in Deutschland am 12. Dezember 1934 in Gewahrsam genommen und angeklagt. Der Glaubensbruder Willi Lehmbecker, der den Leidensweg durch die Konzentrationslager überlebte, beschrieb jene von den Zeugen gemeinschaftlich auch in Hamburg durchgeführte Aktion später in seinen Erinnerungen: "So ist auch der denkwürdige 7. Oktober 1934, an dem die Zeugen Jehovas um ihre christliche Verteidigung kämpften in Deutschland, in die Geschichte eingegangen.
Alles wurde gut organisiert und so durchgeführt, daß gesagt werden konnte, alles konnte nur im Geiste Jehovas und mit seiner Hilfe geschehen.
Nur solche Brüder, die loyal und treu waren, haben an diesen Dingen einen Anteil gehabt.
Die Vorbereitungen hierfür geschahen in folgender Weise:
An einem schönen Sonntagnachmittag ging es weit hinaus aus Hamburg. Durch Kuriere hatten wir die Anweisung erhalten, in einem gemeinsamen WT-Studium [‚Wachtturm’-Studium] anschließend die Dinge zu besprechen. – Wie viele waren wir – so viele waren lange Monate nicht zusammengekommen. Eine glückliche Schar Christen, die sich freuten, daß sie sich wiedersahen. Nicht alle die wir kannten, waren dabei.
Unser Ziel – Bergedorf/Hamburg – Am Bahnhof angekommen, haben wir uns schön herausgeputzt, ein lustiger Gartenverein, das war unauffällig. Die Männer, mit schönen Ansteckblumen, Rosen, Dahlien und andere, wie wir sie bekamen. Wir wanderten dann gemeinsam in den Wald, dort sollte das WT-Studium stattfinden. Wir erhielten die geistige Speise, diese spornte uns an; denn aus diesem gemeinsamen Nachmittag sollte der denkwürdige 7. Oktober 1934 hervorgehen.
Unter Gebet und der Leitung des Geistes Gottes wurde diese Aktion durchgeführt. Diese Resolution war eine Warnung an den sich zu einem Gott erhobenen Hitler, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, Jehovas Zeugen auszurotten."
Gegen Erich Golly und andere wurde wegen Vergehen gegen §§ 1 und 4 der VO vom 28.2. 1933 zum Schutz von Volk und Staat in Verbindung mit der Bekanntmachung der Hamburger Polizeibehörde vom 15.7.1933 zum Verbot der IBV Anklage erhoben, nachdem während einer Wohnungsdurchsuchung bei Golly auch noch "mehrere große Kartons mit hunderten von neuen Bibelforscherbüchern gefunden und beschlagnahmt" worden waren. Das Hanseatische Sondergericht verurteilte ihn am 15. März 1935 zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten; unter Anrechnung der Untersuchungshaft war die Strafe am 23. Juni 1935 verbüßt.
Wie auch für andere Glaubensbrüder und -schwestern war für Erich Golly die Verurteilung kein Anlass, seinen Glauben an Jehovas Wirken aufzugeben. Er blieb seiner lokalen Bibelforschergruppe verbunden, auch wenn kaum Informationen über seine Aktivitäten bzw. die der Hamburger Bezirksgruppe überliefert sind.
Der Gestapo war die Haltung der Zeugen Jehovas bekannt, als sie am 15. Dezember 1936 erneut zu einer Wohnungsdurchsuchung bei Erich Golly erschien – früh morgens um 6 Uhr 30. Im späteren Durchsuchungsprotokoll hielt sie allerdings fest, dass die Aktion ohne Ergebnis verlaufen sei. Trotzdem wurde Erich Golly unter dem Verdacht, sich illegal für die Bibelforscher betätigt zu haben, in Polizeihaft genommen und auf die Polizeiwache 34 gebracht. Auch hier erbrachte die Vernehmung keine Erkenntnisse. Erich Golly erklärte zudem überzeugend, nichts mehr mit den Aktivitäten der Bibelforscher zu tun zu haben: "Ich halte mich seit meiner Entlassung aus dem Gefängnis [im Juni 1935] von jeder Betätigung für die Bibelforscher fern. Ich war am letzten Sonnabend (12.12.36) den ganzen Nachmittag im Geschäft tätig. Von einer illegalen Betätigung der Bibelforscher habe ich nichts gehört. Mir ist neu, dass Flugblätter verteilt worden sind."
Die Vernehmung hatte noch am Tag der Wohnungsdurchsuchung, am 15. Dezember 1936 stattgefunden; bereits einen Tag später wurde Erich Golly auf "Anordnung der Dienststelle" wieder freigelassen.
Warum aber insistierte die Gestapo auf Informationen über den 12. Dezember 1936; und warum wollte sie wissen, was Erich Golly an diesem Sonnabend gemacht habe?
Eine Aktennotiz, die der bei der Gestapo für die Verfolgung der Bibelforscher zuständige Kriminalsekretär Bielefeld nachträglich am 22. Januar 1937 anfertigte, stellte die Verbindung zwischen den Verdächtigungen, die gegen Erich Golly erhoben wurden, und den internationalen Widerstandsaktivitäten der Zeugen Jehovas her. So war auf dem internationalen Kongress der Bibelforscher, der vom 4.–7. September 1936 in Luzern in der Schweiz stattgefunden hatte, erneut beschlossen worden, in Deutschland reichsweit und zur gleichen Zeit – dieses Mal am 12. Dezember 1936 – Flugblätter zu verteilen. Mit dem Flugblatt ("Resolution") wurden jetzt jedoch nicht nur Glaubensinhalte der Zeugen Jehovas vermittelt, sondern die Menschen in Deutschland aufgefordert, dem "barbarischen Hitler-Staat" die Loyalität aufzukündigen. Das rief die Staatsmacht auf den Plan, und in der Hamburger Gestapo notierte Kriminalsekretär Bielefeld, dass mit diesen Flugblättern "eine ungeheure Hetze gegen das Dritte Reich entfaltet" worden sei. Er vermutete, dass sich Erich Golly an dieser Aktion beteiligt hatte. Diese Vermutung gründete auf einer früheren Wohnungsdurchsuchung, die Erich Golly bereits im August 1936 über sich hatte ergehen lassen müssen, und auf die damaligen Verhörprotokolle, in denen Erich Golly widersprüchliche Aussagen gemacht hatte. Bielefeld aber verknüpfte diese Durchsuchung mit den IBV-Aktivitäten vom 12. Dezember 1936 und kam zu dem Schluss, dass Erich Gollys Aussagen unglaubwürdig seien.
Die Durchsuchung bei Erich Golly im August 1936 war eine von vielen, die von der Gestapo bei "mehreren früheren Funktionären" der IBV in Hamburg durchgeführt wurden. Insgesamt blieben sie für die Gestapo zwar unergiebig, wurden doch, wie sie in ihrem Gesamtprotokoll vom 4. September 1936 festhielt, nur ältere Bibelforscherlektüre wie Jahrbücher der IBV und Zeitungen gefunden und keine neue Literatur, die auf fortgeführte Verbindungen der Verdächtigten zur IBV hingewiesen hätten; aber: "Nur in einem Fall und zwar bei dem Friseurmeister Erich Golly wurde ein Grammophon gefunden [...]"
Das Durchsuchungsprotokoll vom 31. August 1936 hielt fest – und das sollte Erich Golly zum Verhängnis werden –, dass er bei der noch in seiner Wohnung stattfindenden Vernehmung zuerst "nicht angeben" konnte, wo er das Grammophon gekauft hatte: "Er wisse es nicht mehr." Dann aber habe er gleich darauf gewusst, woher er das Grammophon habe, indem er sagte: "Er habe den Apparat im Verlauf voriger Woche von einem Unbekannten gekauft." Daraufhin wurde Erich Golly zum 2. September 1936 zur Gestapo ins Stadthaus vorgeladen. Das Verhör ergab: Erich Golly war am 24. August 1936 von Heinrich Dietschi, Bezirksdiener West für die neuorganisierte IBV in Deutschland, besucht worden. Das Gespräch, das sich nach Erich Golly zwischen den beiden ergeben hatte, sei wie folgt verlaufen (es wurde im Gestapo-Protokoll festgehalten):
Erich Golly zu Heinrich Dietschi: "Was willst Du denn hier?" – Heinrich Dietschi: "Ich habe hier ein Grammophon und Du kannst da Platten mit aufführen." – "Was für Platten?" – "Sprechplatten, aber Du kannst natürlich auch andere Platten darauf spielen." – "Die Sache ist mir zu gefährlich und ich habe keine Meinung dazu." – "Vorläufig hast Du noch keine Platten, aber ich werde Dir bei Gelegenheit noch welche vorbeibringen."
Und Erich Golly nahm das Gerät zur Aufbewahrung an – worin er kein Vergehen sah, denn es gab ja noch keine Platten. Im Übrigen war das Gerät in unfertigem Zustand, da innere Apparateteile noch nicht ausgepackt und montiert waren. Im Verlauf des Gesprächs habe Heinrich Dietschi dann aber auch auf den bevorstehenden Kongress der IBV in Luzern hingewiesen und gefragt, ob er, Erich Golly, nicht Lust habe, daran teilzunehmen:
"Da aber meine finanzielle Lage es mir nicht erlaubte, habe ich abgelehnt. Auch dass ich keinen Pass mehr habe, war ein Grund mit für die Ablehnung. Der Hauptgrund aber war der, dass ich in der Teilnahme an dem Kongress eine Gefahr für mich sah."
Dieses Vernehmungsprotokoll lag dem Kriminalsekretär Bielefeld vor. Er stieß sich an zwei Aussagen: Erich Golly hätte die Annahme des Schallplattenkoffers verweigern müssen; stattdessen habe er das Gerät angenommen – und damit bekundet, sich für die verbotene IBV weiter einsetzen zu wollen. Und außerdem habe er eine Teilnahme an den IBV-Kongress in Luzern nicht aus Distanzierung zur IBV, sondern nur aus Geldmangel abgelehnt. Für ihn, Bielefeld, stellte sich die Situation jetzt, im Dezember des Jahres und nach der Flugblattaktion "in einem ganz anderen Licht dar", so dass er anordnete, Erich Golly in "Schutzhaft" zu nehmen, "weil er [Erich Golly] dringend verdächtig ist, Propagandamaterial und Flugblätter der verbotenen und aufgelösten Internationalen Bibelforscher Vereinigung im hamburgischen Staatsgebiet verbreitet zu haben. Er hat somit versucht, einen organisatorischen Zusammenhang der Bibelforscher wieder herzustellen."
Die Festnahme Erich Gollys erfolgte in seiner Wohnung. Er wurde in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht. In seiner dort protokollierten Vernehmung bestätigte er seine früher gemachten Aussagen. Er habe seit seiner Haftentlassung im Juni 1935 nichts mehr mit der IBV zu tun gehabt, das Grammophon von Heinrich Dietschi angenommen, aber nicht verwendet, aber auch Flugblätter mit der Aufschrift "Resolution" nicht gesehen, nicht erhalten, nicht verteilt und auch keine sonstigen Mitteilungen der IBV erhalten. Davon ungerührt veranlasste Kriminalsekretär Bielefeld, dass Erich Golly der Staatsanwaltschaft zugeführt wurde. Diese hob den "Schutzhaftbefehl" auf und erließ einen eigenen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr – allerdings beschuldigte sie Erich Golly nicht mehr, an der Flugblattaktion beteiligt gewesen zu sein oder davon gewusst zu haben.
Die Vernehmungen, die diesem Haftbefehl folgten, machten deutlich, dass es Gestapo und Staatsanwaltschaft nun darum ging, Informationen über den flüchtigen Heinrich Dietschi zu bekommen. Erich Golly hatte ihn in seiner Bibelforscherzeit früh kennengelernt, schon in den Jahren 1924 oder 1925, habe aber, so seine Aussage, "seinerzeit" nicht gewusst, "dass er irgendwie eine führende Stellung innerhalb der Bibelforscher-Vereinigung bekleidete." Zuletzt habe er mit ihm aber noch 1934 auf dem damaligen Bibelforscher-Kongress in Luzern zu tun gehabt. Der Gestapo war jedoch inzwischen bekannt, dass Heinrich Dietschi nicht nur ein einzelnes Schallplattenspielgerät bei Erich Golly deponiert hatte, sondern auch in Bremen und Westfalen mehrere Geräte an Bibelforscher geliefert und verkauft hatte; dorthin hatte er auch Schallplatten gebracht. Die Gestapo wusste demnach auch, dass die IBV ihre Missions- und Widerstandstätigkeit technisch vervollständigt hatte und weiter ausbaute. Zu ihrem bisherigen Schriftenverkauf brachte sie für den Einsatz bei Versammlungen Sprechplatten mit Reden und Bibelauslegungen – u. a. ihres Vorsitzenden J. F. Rutherford – in Umlauf. Heimlich wurde in Deutschland sogar ein eigenes Aufnahmestudio und eine eigene Schallplattenpresse betrieben, ebenso gab es eine Werkstatt zur Herstellung von Abspielgeräten für Schallplatten (weshalb die von Heinrich Dietschi ausgelieferten Apparate auch keine Firmenbezeichnung trugen).
Das Wissen um die Bedeutung von Heinrich Dietschi für die IBV hatte für Erich Golly zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft ihn in Untersuchungshaft beließ. Sie lehnte Erich Gollys Antrag vom 28. Januar 1937 ab, ihn für die Weiterführung seines Friseurgeschäfts aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Dorothea Golly durfte ihren Mann nicht sprechen. Oberstaatsanwalt Romahn veranlasste die Gestapo am 16. März 1937, "Golly nochmal eindringlichst unter Vorhalt aller Belastungspunkte zu vernehmen" – hier ist zu vermuten, dass Erich Golly unter Gewaltandrohung oder gar -anwendung verhört wurde. Doch Informationen gab er nicht preis, sondern berichtete: "Einen Verkehr mit Bibelforschern habe ich nicht gehabt. Sonntags oder wochentags abends bin ich entweder mit meiner Frau spazieren oder ins Kino gegangen oder ich war mit meiner Frau, Tochter und Schwiegersohn Alfred G[.], Hbg., Heuberg 10, der kein Bibelforscher ist, zusammen. Meine Frau war wie ich Bibelforscherin, während meine Tochter durch den Sport von der Bibelforscherei schon seit Jahren abgekommen ist."
Auch Vernehmungen der Familienmitglieder brachten der Gestapo keine neuen Informationen; die Tochter erklärte selbstbewusst: "Ich kümmere mich grundsätzlich nicht um die Angelegenheiten meines Vaters, da ich nichts mit den Bibelforschern zu tun habe."
Die Staatsanwaltschaft erhob am 31. Mai 1937 Anklage vor dem Hanseatischen Sondergericht; am 29. Juni 1937 wurde die Hauptverhandlung eröffnet. Am gleichen Tag noch – umständlich waren eigens Belastungszeugen aus dem Gefangenenarbeitslager Wiesmoor und aus Bremen beigebracht worden – erging das Urteil. "Der Angeklagte", hieß es in der Urteilsbegründung, "hat durch die Annahme des Sprechapparates erneut dem Verbot der Hamburger Polizeibehörde vom 15. Juli 1933 zuwidergehandelt und sich gem. § 1 u. 4 der gen. Verordnung vom 28.2.1933 schuldig gemacht [...] Der Angeklagte Golly gehört nicht zu den überaus primitiven Zeugen Jehovas, sondern ist ein durchaus intelligenter Mann. Seine Bedenken bei der Annahme des Sprechapparates zeigen sein schlechtes Gewissen. Er wollte nach den Feststellungen des Sondergerichts in dem Bewusstsein, dem Verbot vom 15. Juli 1933 zuwiderzuhandeln, den Sprechapparat ursprünglich nicht annehmen, hat sich aber schliesslich von Dietschi überreden lassen [...] Bei dem Strafmaß war die Gefährlichkeit der Internationalen Bibelforscher erschwerend zu bewerten. Diese sind keine unpolitische religiöse Sekte mehr, sondern sie entwickeln sich zu einer politischen Bewegung mit kommunistischen Tendenzen. Auch war straferschwerend zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits einschlägig mit 6 Monaten Gefängnis vorbestraft ist. Das Sondergericht berücksichtigte jedoch zugunsten des Angeklagten, dass ihm nicht nachgewiesen ist, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Strafhaft seit dem 23. Juni 1935 noch anderweitig für die Internationalen Bibelforscher betätigt hat [...]"
Da ihm die Teilnahme an der Verteilung jenes Flugblattes der IBV, "Resolution", nicht nachgewiesen werden konnte, blieb es bei der Tatsache, dass bei ihm ein Grammophon gefunden worden war. "Ein Sprechapparat mit Platten [...] dient dem verbotenen Zwecke der Verbreitung der Irrlehre der Internationalen Bibelforscher und auch der Erbauung der Zeugen Jehovas selbst. Schon die Annahme eines derartigen Apparates, selbst um ihn nur einige Tage unterzustellen, zeigt die Bereitschaft, bei diesem verbotenen Zwecke mitwirken zu wollen, und führt dazu, in demjenigen, der diese Apparate vertreibt, den Glauben zu erwecken, dass noch zahlreiche Bibelforscher trotz der staatlichen Verbote bereit sind, sich für diese verbotenen Ziele zu betätigen. Die Entgegennahme eines Apparates stärkt daher den Zusammenhalt der Internationalen Bibelforscher und fällt deshalb unter das Verbot vom 15. Juli 1933."
Die Gestapo verstärkte in jenen Monaten ihr Repressionsinstrumentarium, weil sie bei den Zeugen Jehovas zunehmend "kommunistische" und "kulturbolschewistische" Tendenzen vermutete. Wenn für einen Zeugen oder eine Zeugin Jehovas die durch das Gericht verhängte Haftzeit abgelaufen war, bedrängte sie sie, eine Erklärung abzugeben, ihrem Glauben abzuschwören und sich nicht wieder an den Aktivitäten ihrer Glaubensvereinigung zu beteiligen. Andernfalls wurde für die Person erneut "Schutzhaft" angeordnet – und das bedeutete, dass sie in ein Konzentrationslager eingewiesen wurde.
Das betraf auch Erich Golly. Er hatte den Freiheitsentzug, bei der die "Schutzhaft" angerechnet worden war, im Gefängnis Altona abgesessen. Noch am Tag seiner Haftentlassung, am 17. Dezember 1937, war er von der Gestapo in "Schutzhaft" genommen und ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht worden; hier wurde ihm eine Erklärung vorgelegt, sich schriftlich von seinem Glauben und von der IBV zu trennen. Seine Weigerung bedeutete das Todesurteil.
"Als Erich Golly es ablehnte seinem Glauben abzuschwören, indem er eine entsprechende ‚Erklärung’ unterschrieb, ließ ihn die Gestapo am 5.3.1938 in das KZ Sachsenhausen transportieren (Häftlingsnummer 1571/10293). Von dort gelangte er am 21.2.1940 in das KZ Wewelsburg (Häftlingsnummer 62). Für den 12./13.4.1943 ist Erich Gollys Überstellung in das KZ Buchenwald belegt (Häftlingsnummer 12539), von wo aus er am 9./12.5.1943 in das KZ Bergen-Belsen (Häftlingsnummer 256) verbracht wurde. Die genaue Haftdauer in Bergen-Belsen ist nicht bekannt, jedoch schrieb er von dort aus noch am 6.2.1944 einen Brief an seine Schwester. Über das KZ Sachsenhausen (Häftlingsnummer 75891) gelangte Erich Golly am 20.6.1944 in das KZ Dachau (Häftlingsnummer 71263). Vom 4.10.1944 bis 14.10.1944 war er als Friseur im Außenlager Sudelfeld eingesetzt, kam am selben Tag über das Stammlager Dachau in das Außenlager Fischbachau, von wo aus er am 21.1.1945 zurück in das KZ Dachau überstellt wurde. Erich Golly verstarb dort am 16.2.1945. Die Todesursache lautete ‚Myodegeneratio cordia’ (Herzinsuffizienz)." (Zusammenfassung Geschichtsarchiv Zeugen Jehovas)
Seine Familie erinnerte sich an die Lebensfreude Erich Gollys und sein Eintreten für die Mission der Zeugen Jehovas auch während der Haftzeit. Sein Neffe, Erich K., erinnert sich heute noch, dass der Onkel ihn mit Spielsachen beschenkte. Wie er seinen Onkel überhaupt als liebenswerten Menschen kennengelernt habe, der gern Schach gespielt habe, aber auch zu einem Streich, den er anderen spielen konnte, immer bereit war – so, als er eine Münze vor die Türschwelle seines Geschäfts geklebt habe und sich dann darüber freute, wie andere sich vergeblich bemühten, den vermeintlichen Fund aufzusammeln. Der Respekt vor dem Onkel besteht unvermindert fort, insbesondere, weil dieser für seinen Glauben auch in den Konzentrationslagern eingetreten sei. Konsequent habe er die ihm aufgezwungene Zwangsarbeit des Strohschuhflechtens verweigert, als ihm bekannt geworden sei, dass diese Wärmeschuhe an die Wehrmacht geliefert wurden. Geblieben von Erich Golly sind – neben den Fotografien – eine Reihe von Briefen; darunter einige, die offensichtlich, obwohl auf dem Formpapier geschrieben, nicht durch die Zensur – in diesem Fall des Außenlagers Sudelfeld des Konzentrationslagers Dachau – gegangen sind. Es muss ihm gelungen sein, diese Nachrichten an der Kontrolle vorbei auf den Postweg zu geben, um neben persönlichen Informationen an die Familie sich bei – natürlich namentlich nicht genannten – "Brüdern und Schwestern" in Malente für eine Geldsendung zu bedanken.
Während Erich Golly seit Ende 1936 von Haftstätte zu Haftstätte verschleppt wurde und dort – zumindest zeitweilig – in der inneren Organisation des Lagersystems tätig werden musste (dass er als "Friseur" eingesetzt wurde klingt verharmlosend, hatte doch – wenn man Überlebensberichte liest – die Tätigkeit des Friseurs hier nicht die Bedeutung Frisuren zu schaffen, sondern die inhaftierten Menschen ihrer Haare zu berauben und sie der Lagerordnung anzupassen), geriet auch Dorothea Golly, die zusammen mit ihrer Tochter und einer Cousine bemüht war, das Friseurgeschäft, das immerhin drei Angestellte beschäftigte, weiterzuführen, nur wenige Monate später in die Gewalt der Gestapo.
Bereits am 13. November 1935 war sie wegen ihrer Tätigkeit in der Gemeinschaft der Bibelforscher wegen Vergehens gegen jene VO vom 28. Februar 1933 zum Schutz von Volk und Staat zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden (Teilnahme an Versammlungen der verbotenen IBV am 7. Oktober 1934, dem Tag der ersten reichsweiten Flugblattverteilung); vom 7. Januar bis 7. März 1936 war sie deshalb im Gefängnis Fuhlsbüttel. Sie ließ sich dadurch nicht einschüchtern, nahm am 15. Dezember 1936 an der Bibelmission und Verteilung des IBV-Flugblatts "Resolution" teil und engagierte sich auch noch an einer dritten, gemeinsam mit ihren Glaubensschwestern und -brüdern im Juni 1937 durchgeführten Flugblatt-Mission. Allerdings gelang es der Gestapo bei dieser Kampagne, eine große Anzahl von Zeugen Jehovas – darunter auch führende Mitglieder der IBV, die untergetaucht in Deutschland lebten und tätig waren – zu verhaften; die folgende Verhaftungswelle, die mehrere Monate andauerte, erfasste das gesamte Reichsgebiet. Allein in Hamburg gerieten 187 Zeugen Jehovas in die Fänge der Gestapo. Unter ihnen befand sich Dorothea Golly, die am 17. September 1937 festgenommen wurde.
Sie wurde ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel eingeliefert, von dort kam sie am 3. Februar 1938 in Untersuchungshaft. Im Frühjahr 1938 wurde sie zusammen mit anderen Glaubensbrüdern und -schwestern angeklagt. Die Gerichtsverhandlungen waren von der Staatsanwaltschaft zu Gruppen zusammengefasst worden. Dorothea Golly wurde am 11. April 1938 durch das Hanseatische Sondergericht zu einer Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt; ihr wurde vorgeworfen, den Zusammenhalt einer verbotenen Vereinigung gefördert zu haben. Sie wurde daraufhin bis zum 19. März 1940 im Strafgefängnis in Altona festgehalten.
Auch Dorothea Golly wurde nach der Haftentlassung in "Schutzhaft" genommen: vom 19. März bis zum 11. Oktober 1940 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel und ab Juni 1941 in dem wieder in Betrieb genommenen Polizeigefängnis Hütten, danach wurde sie ins KZ Ravensbrück überstellt:
"Das Einlieferungsdatum im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ist für den 11.10.1941 dokumentiert (Haftnummer 8006). Über ihre Haft dort ist bekannt, dass sie dem Fellschneidekommando zugeteilt war, in dem sie sich eine schwere Augenentzündung zuzog, die unbehandelt blieb. Von Februar 1945 bis März 1945 war Dorothea Golly in dem zu Ravensbrück gehörenden Jugendlager Uckermark, danach Rücküberstellung nach Ravensbrück und anschließender Transport in das Außenlager Malchow. Dort erlebte Dorothea Golly die Befreiung durch die sowjetische Armee. Bis zum 11.6.1945 verblieb sie schwer erkrankt in dem Lager." (Zusammenfassung Geschichtsarchiv Zeugen Jehovas)
Als Folge der Zwangsarbeit erblindete sie auf Dauer. Nach dem Krieg lebte Dorothea Golly bei ihrer Tochter Edith in Lütjenburg, wo sie am 20. Oktober 1967 verstarb – sie hatte insgesamt sieben Jahre und elf Monate in Haft und in Konzentrationslagern verbracht.
Ihre Tochter Edith gehörte den Zeugen Jehovas nicht an. Sie hatte geheiratet und wurde später wieder geschieden. Während der Haftzeit ihrer Eltern war sie daran beteiligt, das Friseurgeschäft ihres Vaters – nach der Verhaftung ihrer Mutter im September 1937 ganz allein – weiterzuführen; erst 1939 wurde das Geschäft aufgelöst.
© Peter Offenborn
Quellen: StAH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht Hamburg 2235/38 (Erich Golly, Fortführung einer verbotenen Vereinigung); Sammlung VVN-BdA (Hamburg), Hinterbliebenenkartei und G 11; Ab.; Informationen aus der Familie Golly, gesammelt und zur Verfügung gestellt von Erich Kraushaar (Buchholz); Willy Lehmbecker, [Lebensgeschichte 1903–1969], Ts. o. J. (von Erich Kraushaar zur Verfügung gestellt); Informationen Jehovas Zeugen (Geschichtsarchiv), zusammengestellt am 8.12.2006 (u. a. kopierte Materialien aus den Unterlagen des Amt für Wiedergutmachung Hamburg); Detlef Garbe, "Gott mehr gehorchen als den Menschen". Neuzeitliche Christenverfolgung im nationalsozialistischen Hamburg, S. 185–199; Detlef Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium, S. 78, 87, 99, 123, 227, 242; Elke Imberger, Widerstand ,von unten’, S. 255; M. James Penton, Jehova’s Witness, S. 15f., S. 160f.